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Mentales Ghetto – Nahostkonflikt in Bischofshofen

Mentales Ghetto – Nahostkonflikt in Bischofshofen

Bischofshofen
Schauplatz: Das beschauliche Bischofshofen

Deutschrap hat ein neues Lieblingsthema. Zwar liegen Bodybuilding und Twitter-Beef weiterhin stark im Trend, doch seit Ende der Fußballweltmeisterschaft finden sich viele – besonders aus dem Subgenre des Straßen-/Gangstaraps – bemüßigt, ihre Meinung zum Nahostkonflikt öffentlichkeitswirksam über die sozialen Medien kundzutun. Während manche bloß ihren Avatar änderten und von nun an unter einem „Free Palestine“ Bild posten, gehen andere einen Schritt weiter und schildern „ihre“ Ansichten zum Konfliktgeschehen. Das  solch eine Wortmeldung zu einem Konflikt, der kein Gut und Böse kennt und selbst für Experten schwer zu skizzieren ist, ziemlich falsch laufen kann, bewies jüngst der Ex-Azzlack Rapper Kurdo eindrucksvoll

Hätte man vor einer Woche nach einer Verbindung zwischen dem israelischen Spitzenklub Maccabi Haifa und dem kurdischstämmigen Rapper Kurdo gesucht, das Ergebnis wäre wohl mehr als mager ausgefallen. Doch seit letzten Dienstag besteht hier durchaus ein Konnex, einer, der erst später noch stärkere Wirkung entfalten sollte als zunächst angenommen. Was war geschehen? Maccabi Haifa und der französische Champions League-Starter OSC Lille trafen  im beschaulichen Bischofshofen (kennen wohl die meisten nur von der Skisprung-Vierschanzentournee) zu einem Vorbereitungsspiel aufeinander. Eigentlich keine große Sache mit nur marginaler Bedeutung – ein Testspiel von vielen, mit dem üblichen geringen Zuschauerandrang. So zumindest die Theorie, in der Praxis sah das Ganze, wie wir ja mittlerweile wissen, ganz anders aus. Tatsächlich trafen doch einige Zuschauer in der Bischofshofener Sportanlage ein, aber der Fußball lag nicht in deren Interesse: Schon während des Spiel wurden lautstark „F*ck Israel„-Sprechchöre skandiert, die schließlich als Vorboten für das Geschehen ab der 85. Minute gelten sollten: Mindestens drei Jugendliche stürmten, mit einer Palästina-Fahne im Gepäck, das Feld und attackierten die Maccabi-Spieler Meshumar und Boccoli. Wie durch ein Wunder wurde zwar keiner verletzt, die ideologischen Folgeerscheinungen dieser Tat wirken aber umso stärker nach.

Streetrapkundigen dürfte bei einer Betrachtung der Bilder des Vorfall  ein weiteres Detail besonders stark ins Auge fallen: Die Kleidung der Täter. Diese trugen nämlich allesamt Merchandisartikel des – und nun haben wir die Verbindung – Heidelberger „Slumdog Millionär“ Kurdo. Was ansich ja keine große Sache ist, schließlich kann er sich ja nicht aussuchen, wer seine Kleidung trägt oder seine Musik hört. Zudem umschiffte er das Thema Israel-Palästina bisher in seiner Musik, im Gegenteil etwa zu seinem ehemaligen Labelchef Haftbefehl, der einst mit dem Track „Free Palestine“ und der darin enthaltenen Hook „Free Palestine/Stoppt den Krieg, Boykott Israel“ für Aufregung sorgte und sich später glaubhaft davon distanzierte. Das hier etwas im Argen liegt, erkannte auch Marcus Staiger, der sich mit der Thematik im Dokumentarfilm „Juden und Araber in Berlin“ auseinandersetzte und auf die Gefahr antisemitischer Messages, die über Musik vermittlelt werden können, hinwies.

Doch selbst wenn Kurdo nun Anti-Israel Lines kicken würde – es wäre keine Entschuldigung für die Tat, die am Dienstag begangen wurde. Musik kann und darf nicht als Begründung für etwaige Gewalttaten herhalten. Man erinnere sich nur an den Diskurs nach dem Columbine-Massaker zurück, bei dem Künstler wie Slipknot, Marilyn Manson oder Eminem medial an den Pranger gestellt und beschuldigt wurden, durch ihre Musik ungeheure Gewalttaten zumindest teilweise zu legitimieren. Was natürlich Schwachsinn ist, wie Eminem auch später in „The Way I Am“ ausdrücklich darlegte.

Nun könnten wir die Sache schon als gegessen betrachten und Kurdo hier komplett aus dem Spiel lassen. Hätten wir auch, wenn er nicht auf Facebook Stellung zur Causa bezogen hätte. Man erinnere sich zurück, auf welche Weise Künstler auf Anschuldigungen dieser Art reagieren. Egal ob aus dem Death Metal-Bereich oder dem Rap: In den meisten Fällen wird das jeweilige Bedauern bekundet. Kurdo hingegen wählte einen komplett konträren Weg – er feierte die Platzstürmer (siehe Screenshot).

 Kurdo Screenshot

Ich Feier die Jungs“ und der Hashtag „#bestefans“ sagen wohl alles aus. Schockierender als das Posting selbst fällt nur das Echo auf dieses aus: Innerhalb von 15 Stunden drückten fast 29.000 User den „Like-Button“, mehr als 2.000 kommentierten das Statement, die meisten davon überwiegend positiv. Doch Kurdo selbst kann nur als Spitze eines Eisbergs gesehen werden; viele seiner Rapperkollegen waren in den letzten Monaten eifrig damit beschäftigt, eine Reihe von Postings, die sich schon am Rande einer antisemitischen Hetze bewegten, in die Welt zu setzen.

Natürlich durfte auch der regelmäßige Rückgriff auf diverse Verschwörungstheorien nicht fehlen – das Bild des „Zionisten“, der die Welt unter seine Fittiche hat kam in den letzten Jahr sowieso nicht aus der Mode. Oder es wird einfach brav und ausgiebig Jürgen Todenhöfer zitiert. Oder sogar Adolf Hitler (was allerdings von der betroffenen Personen mittlerweile wieder gelöscht wurde). Der Nahostkonflikt verbindet, solche Einigkeit herrscht sonst kaum in der Deutschrapszene vor. Israel ist das Böse. Israel ist der Feind. Und sowieso ist das alles eine riesige Verschwörung, die von Israel initiiert wurde. Eigentlich lachhaft, wenn es nicht so gefährlich wäre. Verkürzte und eindimensionale Darstellungen der Medien tragen zu einer „Schwarz-Weiß Optik“ dar, welche die gesamte Komplexität und Tragweite nicht mal schemenhaft nachzeichnet und somit oftmals viel Platz für Interpretationen und Halbwissen lässt. Eine unrühmliche Folge davon stellt das Wiederaufflammen von antisemitischen Ressentiments dar, die eigentlich schon als vergessen und aufgearbeitet betrachtet wurden. In kaum einem Konflikt fühlen sich zudem so viele Unbeteiligte berufen ihren Senf abzugeben wie im vermeintlichen „David gegen Goliath Spiel“ im Nahen Osten, jeder XY-Rapper fühlt sich veranlasst, seine Meinung zu schildern – sei diese auch noch so hanebüchen. Welche Auswüchse dieses gefährliche Halbwissen mit sich bringen kann demonstriert Kurdo regelmäßig auf seinem Facebook-Account.

„Antisemitisch ich, nein, ich hab doch jüdische Freunde.“

Auch die unglaubliche Kurzsichtigkeit, die solche Aktionen vermeintlicher Fans mit sich tragen, und das Bejubeln solcher zeugt nicht besonders von Smartness und Weitsicht. Was generieren denn solche Bilder in der breiten Öffentlichkeit: Muslime sind aggressiv, ungebildet und integrationsunwillig. Was in weiterer Folge dazu führt, dass eben jene Mechanismen der Vorurteile auf sie selbst projiziert werden.

Vielleicht dürfen wir hier Herrn Kurdo und allen anderen Bischofshofner Ghettobewohnern an dieser Stelle noch eine kleine Geschichtsstunde geben: Der Begriff Ghetto stammt aus dem Venedig des 16. Jahrhunderts und bezeichnete einen abgegrenzten Teil der Stadt, in welchem ausschließlich Juden wohnen mussten. Welch Ironie des Schicksals.

See Also

Wir kommen an dieser Stelle wieder zu einer alten Diksussion zurück. Jener über die Verantwortung des Künstler gegenüber seinem Publikum. Hier gilt es wichtige Unterscheidungen zu beachten, die in den letzten Jahren deutlich an Gewicht zulegen sollten. Einerseits stehen die Texte selbst im Fokus, die allerdings eben zum Bereich der künstlerischen Freiheit und nur in den wenigsten Fällen wirklich zensiert werden sollten. Kunst ist eben etwas geschaffenes, Kunst ist daher auch nicht immer ein Spiegelbild der Realität, und darf eben auch als solche nicht betrachtet werden. Das Verhalten im Internet bzw. auf den großen Kommunikationsplattformen kann aber definitv nicht unter dem Credo der künstlerischen Freiheit betrachtet werden. Hier sollte jeder zweimal überlegen, was er postet, gilt doch der Grundsatz, dass Dreck nun mal Dreck anzieht. Wenn sich Rapper XY tief ins antisemitische Dickicht begibt zieht er einfach auch diverse Gestalten an, mit denen er im normalen Leben eher nichts zu tun haben will. In der Tat tun sich bei den Kommentaren zu manch Posting Abgründe auf, die Erinnerungen an die schlimmste Epoche des vergangen Jahrhunderts wecken. Soetwas haben wir mittlerweile schon überwunden. Dachte man zumindest.

Avatar
In Rapperkreisen besonders beliebt zur Zeit: Dieser Avatar.

Das alles soll nicht bedeuten, das Rapper fortan besser auf jegliche politische Meinungsäußerung verzichten sollten. Auf gar keinen Fall. Nur soll, nein muss selbiges, einfach fundierter und ohne eingerostetes „Freund/Feind“-Denken geschehen. So wie für jeden anderen Menschen auch sollte das Gebot der Recherche gelten, das Gebot, sich zu Wort zu melden, wenn man wirklich etwas von der Agenda versteht (schwierig, ich weiß) und nicht zuletzt das Gebot auf seinen Nachbarn und Mitmenschen zu achten  – und mit unbedachten Postings keinen Schaden anzurichten.

Dass Israels Verteidigungspolitik unter Benjamin Netanyahu harsch kritisiert werden darf, liegt auf der Hand.  Jedoch muss hier unbedingt zwischen Kritik an der israelischen Politik (was vollkommen legitim ist) und altbackenen Antisemitismus unterschieden werden. Letzteres geht auf keine Weise klar und bedarf einer strengen Verurteilung. Gerade im Hip-Hop, der sich als offene Kultur, in der Hautfarbe, Religion oder Herkunft keine Rolle spielen sollten (auch wenn dies leider nicht immer der Fall ist – ich verweise da auf unser letztjähriges Necro-Interview, der selbiges thematisierte) hat diese menschenverachtende Ideologie einfach nichts verloren.

Hannah Arendt meinte einmal, dass man vor dem Antisemitismus nur auf dem Mond sicher wäre. Die letzten Wochen hinterließen den Eindruck, dass es sich bei der Deutschrapszene eben auch nicht um den Mond handelt. Leider. Es bleibt nur zu hoffen, dass alle mal zur Besinnung kommen und mit mehr Grips an die Sache rangehen.

(ds), (jb) & (thomki)