Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Den Mantel des Internetrappers hat 3Plusss im Gegensatz zu manchen Kollegen gekonnt abgelegt und sich in den vergangenen Jahren unter der Obhut von Four Artists als eigenständiger Künstler etabliert. Doch weil bei einem derartigen Aufstieg nicht immer alles glattläuft, äußerte sich 3Plusss zuletzt gelegentlich kritisch gegenüber seinem eigenen Werdegang. Mit „Gottkomplex“ erschien vergangenen Oktober das Album, bei dem er – frei von negativen äußeren Einflüssen – seine musikalische Vision umsetzen konnte, ohne sich verbiegen zu müssen. Im Zuge der „Gottkomplex“-Tour, die ihn im Februar zusammen mit Djin & Sorgenkind auch nach Wien verschlug (hier geht’s zum Konzertbericht), trafen wir den Essener, um mit ihm über Musikjournalismus, die Stimmung in den USA, Kollegahs Palästina-„Doku“ und Internethypes zu reden.
Interview: Julia Gschmeidler & Simon Huber
Mitarbeit: Isabelle Zimmer
The Message: Du sagst in der Doku zu deinem neuen Album, dass wir uns davon lösen müssen, ein Ziel zu haben; erst dann würden wir was erreichen. In einem älteren Interview meinst du aber, dir jeden Tag ein neues Ziel zu setzen. Wie passt das zusammen?
3Plusss: Ich meine mehr das große Ganze. Dass man am Ende den Masterplan hat und sagt ,so und so soll das am Ende dann alles ausgehen‘, das funktioniert nicht. Ist ja kein Selbstbedienungsladen und auch kein Wunschkonzert (lacht). Aber es ist wichtig, sich trotzdem jeden Tag irgendein Ziel zu setzen. Man muss die Ziele auch nicht erreichen, hilft ja auch, sich hin und wieder daran zu erinnern.
Auf „Hey, Pinguin“ rappst du: ,Ihr macht mir Druck, Menschen sind so pflichtbewusst, ich schau mich um und denk, dass ich mehr kiffen muss‘. Ist es wirklich so, dass man das Leben nur bewältigt, wenn man quasi betäubt ist oder wie hast du das gemeint?
Neeeein, bestimmt nicht. Aber es gibt Leute, denen das eine Zuflucht bietet. Das ist auch ein bisschen mehr darauf bezogen, dass ich mich umschaue und denke: ,Ich will nicht so werden wie ihr‘. Heute zum Beispiel bin ich durch die Lugner City gelaufen, ein Haufen verrückter Leute ist da unterwegs.
Da hast du dir auch eines der schönsten Plätzchen in Wien ausgesucht.
Ja, ich wollte in den McFit und bin mit meinem Handtuch und den Trainingsklamotten durch das Einkaufszentrum gelaufen und auf dem Weg allerlei wirre Gestalten gesehen. Ich glaube, das macht manchmal das Leben aus einem. Irgendwann ist man Teil des Affenzirkus, der sich dann in der Lugner City beispielsweise abspielt… das by the way ein grottenhässliches Einkaufszentrum ist. Findet ihr das schön? Das ist ungefähr so geschmacklos wie das Donald-Trump-Gebäude.
Das Lustige ist ja, dass Richard Lugner – dem das Einkaufszentrum gehört – auch Bundespräsident werden wollte.
Also in Deutschland bekommen wir nur seine Frauengeschichten mit.
Wenn du meinst, dass die Leute so pflichtbewusst sind, wie passt das zusammen mit diesen ganzen YouTube-Beauty-Blogs, die du auch mal kritisiert hast? Welche Art von Pflichtbewusstsein ist das, wenn in diesem Schönheitswahn kleine Mädchen beeinflusst werden?
Ich glaube nicht, dass das was mit Pflichtbewusstsein zu tun hat. Da geht’s nur um Geld. Ich denke, dass die keinerlei Pflichtbewusstsein haben, sonst würden sie sich denken: ,Oh Gott, das ist moralisch ziemlich verwerflich, den Leuten die ganze Zeit irgendeinen Quatsch zu erzählen, nur damit ich nicht vergessen werde.‘ Aber bei der Zeile habe ich nicht speziell an YouTube gedacht.
Und wie ging dieser Zwist zwischen dir und den Bloggerinnen noch aus? Es wurde ja in den sozialen Medien zurückgeschossen.
Da gab es keinerlei Konsequenzen für mich. Der Freund von einer von denen wollte mir aufs Maul hauen, aber daraus ist auch nie was geworden. Ich habe eine von diesen Personen auf dem Web-Video-Preis 2015 getroffen und da hat man sich ausgesprochen. Man ist sich über den Weg gelaufen, dann wurde getestet, ob der jetzt das, was er im Internet sagt, auch im echten Leben macht. Und das habe ich getan. Nicht, weil ich denke, dass sie dumm sind, sondern weil ich denke, sie sind schlauer als das, was sie von sich geben. Unabhängig von meiner Einschätzung kann das ja nicht deren Ernst sein, dass die so blöd sind. Dass das jetzt das Maximum ist, auf dem sie agieren, indem sie irgendwelchen Girls oberflächlichen Scheiß erzählen … Mal probieren, was eure Chips so können (greift nach einer Tüte Chips).
Was heißt hier „unsere“?
Kelly’s gibt’s bei uns nicht, habe ich zumindest noch nie gesehen. Ist das eine Ami-Marke?
Ich dachte schon. Aber sie werden „mit Stolz in Österreich hergestellt“.
Mit Stolz? Ja, tatsächlich. Wow, Stolz ist so eine Sache, so Lokalpatriotismus. Das ist für Leute, die sonst nicht viel haben. Wenn du dir was selbst aufbaust, musst du nicht stolz darauf sein, was dir geschenkt wurde. Allgemein haben wir in der westlichen Welt nichts dafür geleistet, hier geboren zu sein und können uns darüber glücklich schätzen und sollten das Beste aus den Möglichkeiten machen, anstelle uns immer wieder auf die Basics zu besinnen und zu sagen ,Ja, Deutschland!‘ oder ,Ja, Österreich!‘. Ich habe tatsächlich die vergangenen zwei Tage die Erfahrung gemacht, dass die Leute ab Bayern anders ticken. Das platteste Wort dafür wäre „spießig“, mir fällt gerade kein besseres ein. Spießig, bisschen pingelig.
Wenn die FPÖ realistische Chancen hat, den Bundespräsidenten zu stellen, dann sagt das schon viel über das Land aus.
Das Witzige ist ja, dass man das überall sehen kann. Jeder für sich baut jetzt wieder Mauern und Zäune, aber da seid ihr ja nicht alleine, wir haben ein ähnliches Problem.
Wie war generell die Stimmung in den USA, als du für deinen Videodreh dort warst?
Wir haben in einem Bezirk gelebt, der größtenteils von Afroamerikanern bewohnt wurde und jeder von uns war das erste Mal in der Minderheit. Es war merkwürdig, aber nicht so schlimm, wie man sich das vorstellen würde. Ich glaube, die andere Seite geht besser damit um als wir. Ich habe nicht viel mit Leuten über Trump geredet, aber habe nicht den Eindruck, dass Amerika in irgendeiner Form wieder großartig gemacht werden müsste. Ich war auch nur eine Woche dort, was weiß ich schon. Aber wir haben definitiv viel mit Leuten gesprochen. Sie waren viel freundlicher dort drüben, zumindest in Kalifornien. Vielleicht auch, weil die Sonne so viel scheint. Aber wir hier in Europa sind schon ganz schöne Arschlöcher (lacht). Ich könnte nicht hier in Essen oder in Berlin an der Straßenecke anhalten und jemanden nach dem Weg fragen und derjenige weiß zwar den Weg nicht, aber fragt jemand anderen. Das gibt’s so in Amerika.
Aber die USA sind auch dafür bekannt, oberflächlich freundlich zu sein und dass es dafür schwierig ist, mit Menschen eine tiefere Beziehung oder Freundschaft aufzubauen.
Aber ist Freundlichkeit grundsätzlich falsch? Kann Freundlichkeit überhaupt falsch sein, selbst wenn sie oberflächlich ist? Ist es nicht etwas, was sich auf eine Attitüde überträgt, indem man nett zu jemandem ist, der mir nichts getan hat? Natürlich ist mir auch aufgefallen, dass sie einen komisch angrinsen, als hätte man denen irgendeinen Gefallen getan, dabei fragt man sie nur nach etwas.
„Hypes sind einfach Scheiße“
Du hast in einem Interview gemeint, dass der Erste, der musikalisch irgendwas aus den USA klaut, als Pionier gefeiert wird bei uns und in ein, zwei Jahren keiner mehr über die Totgehypten sprechen wird. Jetzt hält diese Trap-Phase aber doch schon eine Weile an …
Ja, aber da sieht man auch schon, dass Leute den nächsten Schritt gehen wollen und irgendwann wird es peinlich. Wenn ein Album rausgebracht wird und es kauft kein Schwanz, dann hast du deine 20.000 Donuts auf dem Mixtape, aber nur 1000 verkaufte Alben. Was bedeutet das am Ende für dich in der Musikindustrie?
Bei wem ist das denn so?
Ich will jetzt keine Namen nennen. Ich habe ja auch nichts gegen Leute, die totgehypt wurden. Das heißt nur, dass ich bei Leuten jetzt schon eine Abwärtstendenz beobachte, die gerade „der Shit“ sind. Auf der einen Seite künstlerisch, weil man immer größer werden möchte, weil man das auf ein neues Level heben möchte, wo es nicht hingehört und wo es seine Lockerheit verliert. Ich glaube, den Leuten geht es weniger um die Musik als um das Gefühl, das dahintersteckt. In dem Moment, wo du die Musik größer machen willst, als sie ist, verliert es das Gefühl und auch die Coolness. Je weiter du in diese Branche reingehst, desto mehr Kompromisse musst du eingehen, weil nicht alles nach deinen Vorstellungen läuft. Viele Leute von denen haben Major-Verträge abgelehnt und ich geb‘ denen Respekt dafür, die sind mehr HipHop als Leute, die mit ihren kack Baggy-Pants durch die Gegend laufen, irgendwas auf 90er-Premo-Beats rappen und sagen ,Yoyoyo, fick die Szene, wir bleiben real‘. Real ist, wenn du die Möglichkeit dazu hast und dann trotzdem ablehnst.
Was hältst du generell von Hypes?
Hypes sind einfach Scheiße, weil Hypes immer implizieren, dass etwas wieder geht. Wer hoch fliegt, fällt tief. Das ist vorprogrammiert und Scheiße, weil in drei Jahren wirst du nicht mehr der Shit sein. Das war für immer der Peak, weil du warst ein Hype, mehr nicht. So eine Karriere funktioniert ohne Hypes. Natürlich, der erste Impuls muss da sein und der Hype muss immer wieder neu erzeugt werden mit jedem Release, aber wenn du von Null auf 100 gehst und dir in einem Jahr das Juice-Cover krallst, was kommt danach? Wenn dich der Feuilleton schon einmal komplett durch alles gezogen hat und sagt, dass das die Zukunft ist, wann kommt denn dann die Zukunft?
„Die Industrie will Geld, die Rapper Fame und alles bleibt, wie es ist“
Falco zum Beispiel ist ausgerastet, nachdem er mit „Rock me Amadeus“ in den USA auf Platz 1 war, weil er wusste, dass er nicht mehr erreichen kann als das.
Ich habe letztens eine Oasis-Doku geguckt und die haben drei Tage hintereinander in Manchester vor jeweils 300.000 Leuten gespielt. Es gab eine Statistik darüber, wie viel Prozent der britischen Bevölkerung bei diesen Konzerten waren. Wir reden hier von Prozenten der Gesamtbevölkerung von Großbritannien, die da waren. Sie haben im Nachhinein gesagt, dass sie beim dritten Konzert von der Bühne gehen sollen, ,Wir waren Oasis, ciao‘ – fertig, nie wieder ein Album rausbringen, es kann nicht größer werden. Was hat Falco gemacht? Der hat noch weitergemacht, oder?
Ja, aber an diesen Charterfolg konnte er natürlich nicht mehr anknüpfen.
Ja, ist doch schön, wenn man einen Hype hat und Leute über einen reden, aber sich dem hinzugeben und darauf zu verlassen, dass es in einem Jahr immer noch so sein wird, geht nicht. Irgendwer wird immer ankommen und irgendeinen neuen Scheiß machen. So ein Yung Hurn ist für mich jemand, der entfernt sich von Hypes. Weil der einfach nur wirr ist, aber den kannst du nicht greifen (lacht). Da gibt’s einen Hype darum, aber den bekommst du nicht zu fassen. Der tanzt halbnackt durch die Straße im Regen, watschelt durch eine Pfütze und fängt an ,Ey, wer bist du? Ey, wer bist du?‘. Das ist so next Level, dass es eine gewisse Zeitlosigkeit hat. Das kann ich mir in zehn Jahren noch angucken und ich würde es immer noch feiern. Ich hätte immer noch dasselbe Gefühl dabei, wohingegen ich bei vielen anderen Leuten glaube, dass das jetzt alle grad so „mega fühlen“, aber in einem Jahr hört man das nochmal und schämt sich ein bisschen. Der ewige Kreislauf, aber niemand lernt daraus. Die Industrie will Geld, die Rapper wollen Fame und alles bleibt wie es ist. Aber es ist ja auch okay, ich wollte es nur einmal anmerken (lacht).
„Ich habe keinen Bock auf Ballermann-Atzen, die dumm rumhopsen wollen“
Wie kannst du das auf deine persönliche Situation übertragen? Wo du ja auch relativ schnell vom Noname auch von größeren Labels vertrieben worden bist und auf einmal eine Aufmerksamkeit hattest, die du dir zuvor nicht erträumt hattest?
Ätzend, es war wirklich schlimm. Im Nachhinein war eh alles okay, ich habe alles überlebt, selbst über die schlimmsten Sachen kann ich jetzt lachen. Aber es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn du plötzlich bei allen Interview-Plattformen sitzt, die du früher selbst geguckt und gelesen hast, Leute kommen zu deinem Konzert, anstatt dass du zu Konzerten gehst. Man verliert immer mehr den Boden unter den Füßen, weil es sich ganz verrückt hochschaukelt, gerade wenn man nie etwas erwartet hat und es dann trotzdem passiert. Aber ich habe mich ja auch dann bewusst dagegen entscheiden, diese Welle weiterzureiten. Ich hatte keinen Spaß mehr dabei, vor allem bei Live-Auftritten habe ich gemerkt, dass ich die falschen Leute erreiche. Ich habe keinen Bock auf irgendwelche Ballermann-Atzen, die da nur stehen und warten, bis ein Beat läuft, auf dem sie dumm rumhopsen können. Ist ja cool, die gehören auch dazu, aber wenn die Leute dich danach auf dem Gelände anbrüllen, in den Arm nehmen und beim Reden ins Gesicht spucken, hört der Spaß auf. Weil sie dich für eine Witzfigur halten, weil du für sie ein Hype bist, ein Internetphänomen. Du bist ein Video, das sie anklicken, eine Seite, die sie liken, aber du bist kein Künstler, keine Persönlichkeit. ,Ey, komm wir machen noch schnell ein Video für meinen Freund, der heute nicht da sein kann, sag mal ‚hallo Thorsten‘‘. Und da denkst du dir, was mach ich hier eigentlich? Das bin ich nicht. Kann man spießig nennen wie man will, aber mich pisst so etwas an. Ich will keine Leute erreichen, die in solchen Sphären denken. Ich will mich nicht abschotten und sagen, dass ich mit niemandem mehr was zu tun haben will, aber ich will endlich weg von diesem Internet-Hype-Ding. Das führt zu nichts. Da verkaufst du ein paar Shirts und Alben mehr auf jedem Festival, aber scheiß doch drauf. Ich möchte Leute da haben, denen die Musik irgendwas gibt. Aber kein ,Ey, ich kenn dich doch von YouTube‘. Ich bin froh, dass das wieder abgenommen hat.
Aber wenn du eine vierteilige Doku machst, baust du genau auf diesen Videotrend auf.
Ja, aber sage ich da irgendetwas mit Gehalt? Ich war die kompletten sieben Tage high as fuck. Ich weiß bei manchen Sachen nicht mehr, was ich da gemeint habe. Es sind einfach nur authentische wahllose Eindrücke von irgendwas. Das ist echt. Aber meinst du bei einer Juice-Doku geht’s um Hype?
Es geht um jeden Fall darum, über das Internet Leute zu erreichen.
Na klar geht’s ums Internet! Aber das Internet ist ja auch das große Medium, mit dem ich alle erreiche. Aber ich schalte doch keine Werbeanzeigen oder kooperiere mit irgendwelchen Magazinen.
War das keine Juice-Kooperation?
Das war eine Juice-Kooperation, aber die Juice hat einen Scheißdreck dafür bezahlt oder getan. Wir wollten diese Doku machen. Fertig. Und der Typ, der die gedreht hat, arbeitet für die Juice und meinte, wir sollen es doch über die rausbringen. Und die Juice hat sich gefreut. Aber ich finde jetzt auch nicht, dass es eine für jedermann wahnsinnig interessante Doku ist. Es ist ziemlich weird.
Du kritisierst immer wieder die deutsche Rap-Berichterstattung und HipHop-Journalismus, weil diese so unkritisch seien. Du meinst auch, du hast selbst mal ein Praktikum als Journalist in Berlin gemacht hast. Was läuft da deiner Meinung nach falsch?
Zu viel Nähe von Journalisten zu Musikern und umgekehrt, das ist alles. Alle sind befreundet und dann haben sie auch Schiss vor Konsequenzen à la ,Wenn ich den Künstler von Label XY kritisiere, dann bekomme ich nie wieder jemanden von denen vor die Kamera‘. So ist es bei uns nicht, aber es ist schön, dass die das denken (lacht). Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass alle komplett frei von der Leber sagen können, was sie denken und sich nicht immer hinter Objektivität verstecken müssen. Subjektivität ist für mich viel gefragter, du kannst subjektiv etwas Scheiße finden und es trotzdem begründen. Ich hör etwas, find’s Rotze, aber ich kann dir sagen, was daran Rotze ist. Aber ich sage „Rotze“ und nicht: ,Ist nicht ganz meins, 2/5′.
„Das ist Selbstdarstellung auf dem Rücken von ganz viel Elend“
Einer der wenigen, die zum Beispiel kritisch über die Kollegah-Doku berichtet haben, waren Marcus Staiger und wir. Alle anderen fanden es toll, dass er Geld spendet. Du hast das Thema auf Twitter mit dem nicht eindeutigen Kommentar „Kollegah so Palästina & Chill“ erwähnt. Wie fandest du die Doku?
Ich fand sie grausam.
Was genau daran?
Weil es ein Konflikt ist, den es schon zu lange gibt und zu dem zu viele Leute eine zu unfundierte Meinung haben. Ich selber bilde mir auch nicht ein, darüber eine ernsthafte Diskussion führen zu können. Aber ich bin mir sehr sicher, dass es da nicht den einen Bösen gibt. Du löst kein Problem mit beknackten Computern oder damit, einfach Geld irgendwo reinzustecken. Das ist ein richtig westlicher Gedanke: ,Ich geb dir Geld und dann regelt sich das alles wieder‘. Genauso wie den Griechen, dabei geben wir nicht den Griechen Geld, sondern den scheiß Banken. Aber die Bild titelt: „Die Griechen bekommen Geld! Gierige Griechen!“ Und genauso schreiben Leute unter der Kollegah-Doku Sachen wie ,Scheiß Israel, diese Zionisten‘. Genau das füttert die falschen Menschen. Ich halte Kollegah für sehr schlau in seinem Wissen, aber sehr dumm in seinem Glauben. Jemand, der an Illuminaten und Kreationismus glaubt und dann hingeht und sagt: ,Jetzt tun wir mal was für die Leute und unterstützen das arme unterdrückte Volk‘. Das ist Selbstdarstellung auf dem Rücken von ganz viel Elend. Und du beleuchtest nur eine Seite des Elends und nicht die andere. Es ist auf so vielen Ebenen falsch. Aber wenn wir über Kollegahs Palästina-Doku reden, müsste ich einen Aufsatz dazu schreiben. Ich hab nicht wirklich wahnsinnig viel Ahnung vom Israel-Palästina-Konflikt, aber trotzdem ist mir so viel blankes Unwissen einfach sauer aufgestoßen. Macht doch alle so weiter, aber Kollegah – bleib bitte zuhause. Die Leute haben weiß Gott größere Probleme als ein Kollegah Educational Center. Ich habe Respekt für jeden, der nach ernsthaften Lösungen sucht oder dort sein Leben aufs Spiel setzt. Aber nicht vor jemandem, der zehn Computer hinstellt und ein Spendenkonto eröffnet. Das ist alles so intransparent und wir sollen uns drauf verlassen, dass Kollegah, der Ehrenmann, das alles wieder hinbiegt.
Das geht jetzt vielleicht in eine andere Richtung, aber für Noisey hast du ja einen Liebesbrief an Tua geschrieben, auf deinem Album gibt es Anspielungen auf Tuas „Grau“. Hast du mit ihm mal darüber geredet?
Noch nicht, er hat mir Grüße ausrichten lassen. Der Artikel kam online, als wir grad in Kalifornien waren und dann hat er es irgendwie verpeilt. Ist aber auch egal, ich erwarte dafür auch nichts.
Er war auch gut geschrieben. Woher hast du eigentlich die vorher angesprochene journalistische Erfahrung?
Ich hab eigentlich keine… ja gut, ich war mal bei rap.de
Mit Zugezogen Maskulin?
Ich bin tatsächlich genau da hingekommen, als sie weggegangen sind. Ich kannte die beiden aber schon Jahre vorher über myspace. Aber ich schreibe auch einfach gerne. Ich wollte den Brief eigentlich gar nicht veröffentlichen. Noisey ist auf mich zugekommen, weil sie diese neue Formatidee hatten und mir ist natürlich sofort Tua eingefallen, weil ich mich regelmäßig drüber aufrege, wenn ich mit Leuten über Musik rede und keiner Tua so krass feiert wie ich (lacht). Der Brief ist authentisch. Tua ist ein großartiger Rapper und einer der besten Künstler, die wir haben im deutschen Rap. Er sollte ein Vorbild sein. Der macht seit 10, 15 Jahren sein Ding.
Stimmt es eigentlich, dass du dein Soziologiestudium abgebrochen hast, um Rapper zu werden?
Nicht um Rapper zu werden, aber ich habe es abgebrochen. Das war einfach nichts für mich, Studium allgemein. Die sind mir da alle zu pflichtbewusst, wahrscheinlich der Inbegriff von dem, was ich in der anfangs erwähnten Zeile meine. Sautrockener Scheiß, der keinen interessiert. Und dann sitzt du da und schaust im Hörsaal mit 300 Leuten rum und denkst dir nur: ,Echt? Interessiert euch das? Wollen wir nicht lieber was spielen?‘ Ansonsten habe ich zum Soziologie-Studium nichts mehr zu sagen, ich war zwei Wochen da. Nach einem Semester ehrenlos exmatrikuliert.
Als abschließende Frage: Glaubst du, dass du mit ausreichend Abstand zum Album ähnliche Sachen sagen wirst wie im rap.de-Interview über dein letztes Album? Also dass du beispielsweise vieles nur gemacht hast, weil es dir von Managern eingeredet wurde?
Schwierig zu sagen. Ehrlich gesagt, hoffe ich es sogar. Es zeugt ja auch von Weiterentwicklung. Manche Songs kann ich auch jetzt schon nicht mehr hören, aber ich erkenne trotzdem, dass es viel besser ist als das, was ich vorher gemacht habe. Aber mal sehen, wie es weitergeht, ich arbeite mit We Do Drums an neuen Sachen, aber es wird noch dauern, bis das veröffentlicht wird. Bloß nicht den Hype füttern. Alles Positive mitnehmen, alles Negative hinter sich lassen.
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.