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„HipHop ist wie Kirby, saugt alles auf“ // Goldroger Interview

„HipHop ist wie Kirby, saugt alles auf“ // Goldroger Interview

goldroger
Aquarium und Sushi-Bild: Goldroger beim Interview im asiatischen Restaurant Tokori

SMS von Goldroger. Das Interview vor seinem Wien-Konzert wird nicht im Flex-Backstage stattfinden, sondern beim Asiaten im ersten Bezirk. Er hat noch Hunger. Gemeinsam mit seinem Produzentenduo Dienst & Schulter wird er an diesem Abend noch eine erstklassige Show (Review)  im Flex Café spielen. Im Interview erzählt das Melting-Pot-Music-Mitglied über die Indie-Elemente in seiner Musik, politischen Rap, Dortmunder Nazis, die Martin-Schulz-Euphorie in Deutschland und die Bandbreite von HipHop. Und wirkt dabei gar nicht so griesgrämig wie auf den Fotos, die dabei entstehen. Vielmehr ist der Dortmunder Rapper aufgeschlossen und redselig, obwohl er gerade mit den Essstäbchen kämpft.

Interview: Julia Gschmeidler
Transkription: Isabelle Zimmer
Fotos: Niko Havranek

The Message: Auf intro.de hat der Redakteur dein Debüt als erste deutsche „Psychedelic-Rap-Platte“ bezeichnet. Inwiefern kannst du das nachvollziehen, siehst du das ähnlich oder stört dich diese Begrifflichkeit eher?
Goldroger: Ich finde das auf jeden Fall cooler als als ,Indie-Rapper‘ bezeichnet zu werden. Wir spielen schon mit vielen Elementen, vielen Synthies, die wir durch Orgel-Elemente jagen, Leslie-Speaker quasi, viele Gitarren mit Space-Echo drauf, das ist auch das Delay, welches Jimi Hendrix damals benutzt hat. Es lehnt sich daran an, aber eigentlich ist es eine HipHop-Platte für mich.

Würdest du noch jemand anderen deutschsprachigen nennen können, der so was Ähnliches macht oder würdest du dich da auch als Ersten in diesem Bereich sehen?
Wir stehen da echt alleine da. Das neue Casper-Album, das noch kommt, ist vielleicht noch am nähesten dran. Sonst wüsste ich jetzt keinen, es gibt bestimmt wen, aber den kenn ich nicht.

In unserer Review zu deinem aktuellen Album hat mein Kollege geschrieben, dass er hofft, dass die Szene die notwendige Offenheit hat, das Ganze würdigen zu können. Wie siehst du das jetzt im Nachhinein betrachtet? Ist diese vorhanden? Wie wurde die Platte aufgenommen?
Doch schon, auch von Leuten, bei denen es mich überrascht hat. Kareem von Witten Untouchable war einer der Ersten, der Props gegeben hat. Es wird gar nicht als zu gitarrenlastig wahrgenommen. Die meisten Leute nehmen das Album als HipHop-Platte wahr. Es kam gar kein Hate von Leuten, die „Räuberleiter“, das Mixtape davor, gut fanden, nicht mal auf die Sachen, die wir nur mit Gitarren gespielt haben, also die „Live aus der Leere“-Session. Von den Medien wurde es auch durchgehend gut aufgenommen und war teilweise in den Jahresbestenlisten.

Generell wirst du erst seit der Teilnahme beim Moment of Truth wahrgenommen, aber du hast ja schon davor die „Sperensken“-EP gemacht. Die findet man online kaum noch. Warum?
Das lief über den Blog von Herr Merkt und ich habe ab einem gewissen Punkt gesagt, dass er die runternehmen soll, damit die sich nur noch über Schicken verbreiten kann. Damit das ein Untergrund-Ding wird. Ich leugne das auch gar nicht, ich freue mich, dass du das kennst. Da sind auch ein paar gute Songs dabei, aber ziemlich Scheiße gerappt. Das sollte so ein Mundpropaganda-Ding werden und ich glaube, die bekommt man auch bei diversen illegalen Downloadseiten. Ich finde das geil und das feiere ich auch richtig.

Wie ist es danach zu dem Wandel zu den doch sehr instrumentallastigen, melodischen Tracks gekommen?
Ich habe immer andere Sachen als HipHop gehört und jetzt haben wir einen Stil gefunden, wo ich alles kombinieren kann. Wir können jetzt einen Track machen, wo jetzt zum Beispiel nur Gitarren sind, und einen, der nur ein Loop ist, dann aber auch einen Track, der super orchestral ausproduziert ist. Wir haben uns jetzt eine Nische geschaffen, wo wir alles machen können, das ist ganz geil. Das heißt nicht, dass ich keinen HipHop mehr machen will. Das finde ich auch belastend, wenn Rapper so tun, als wären sie mehr als ein Rapper. Das hat so einen Unterton, als wäre das nicht genug.

Welche Musik hast du dann hauptsächlich privat gehört, die dich beeinflusst hat?
Ich höre alles. Von Indie über Techno über alte Rocksachen bis zu Metal. Ich feier Musik einfach richtig krass.

In welche Richtung wird das weitergehen? Bleibst du jetzt bei dem oder hast wieder Lust darauf, dich an was anderem auszuprobieren?
Also ich habe jetzt gerade Bock, ein Mixtape zu machen und da auch wieder auf andere Beats zu rappen. Ich kenne auch viele gute Produzenten, Melodiesinfonie, Suff Daddy. Brenk Sinatra wäre auch jemand, den ich gern für einen Beat anhauen würde. Ich mag das beim neuen Mixtape von Chance The Rapper, das ist sehr durchmischt und da will ich auch mit dem nächsten Album hin.

Du hast ja auch letztens ein Video gepostet, wo Chance The Rapper nur singt.
Du meinst „Same Drugs“? So was feier ich richtig krass. Und zwei Tracks nach dem kommt auf dem Mixtape ein Track mit Lil Yachty und Young Thug und dann wieder nur ein Track mit Jay Electronica. Der eine Track voll Gospel und mega ausproduziert und dann kommt ein Track nur mit Loop. Ich glaube, die Mischung macht’s.

Weil du jetzt Brenk angesprochen hast, wie gefällt dir seine neue Platte mit Morlockk?
Ich habe bis jetzt leider nur ein paar Tracks gehört, als ich in Leipzig bei einem Kollegen war und die fand ich geil. Ich bin auch schon gespannt – ah Shit, ich darf so was ja nicht spoilern – aber ja Brenk macht gerade noch eine Platte mit ’nem anderen Rapper aus Deutschland, der massiv underrated ist. Das wird megakrass. Brenk feier ich halt richtig krass. Suff Daddy, Dexter, Betty Ford Boys, das ist das, wie ich ursprünglich zu HipHop gefunden habe.

Du hast ja auch schon mal was mit Fid Mella gemacht. Wie ist es dazu gekommen?
Das kam über das Moment of Truth zustande. Fid Mella feier ich, ich habe auch noch einen Beat von ihm, auf dem ich schon ewig was mit Crack Ignaz drauf machen wollte. Aber der ist superbusy. Das wäre jetzt für das Mixtape zum Beispiel was.

Du meintest einmal, dass es schnell peinlich wird, wenn man einen Song über Liebe macht. Wie funktioniert es unpeinlich?
Es gibt so eine megascharfe Grenze, ab der es kitschig wird. Immer, wenn man kurz vor der Grenze ist, muss man irgendwas sagen, damit es wieder aufhört. Wenn es zu romantisch wird, muss man irgendeinen bescheuerten Spruch machen (lacht). Bei allen Tracks von mir, die in die Richtung gehen, wo es fast pathetisch wird, sag ich immer knapp vor der Grenze irgendwas Dummes. Damit es nicht zu ernst wird. Crack Ignaz kann das sehr gut, der kann megakitschig werden, aber ist dann cool. Es ist realistischer, obwohl es so kitschig ist, als irgendwie so ein ernst gemeinter ,Baby ich liebe dich, ich vermiss dich so‘, das wird so schnell kitschig.

„Die bescheuertste Geschichte aller Zeiten ist von Voltaire“

Du hast in deinen Texten oft Referenzen auf diverse literarische Werke. Wie kommt’s dazu?
Ich lese gerne. (lacht) Ist wie mit dem Liebe-Ding. Ich mag das gerne, etwas zu sagen, was sich schlau anhört, es ist aber auch nicht immer schlau. Es hört sich dann schlau an, weil es irgendwas mit Literatur ist. Und im nächsten Satz sag ich dann „ficken“ (lacht). Das ist geil, das macht Spaß und gibt einen schönen Kontrast. Und es tariert sich dann wieder aus, dann wird’s nicht zu dumm und auch nicht zu ernst. Ich lese gerne, wenn ich paffe, ewig schon mein Ding.

Du meintest ja auch, du hättest dein Album „Kontraste“ nennen können …
Ja, aber das hat ja schon Disarstar gemacht, es war eigentlich ein Joke. Aber ich lese auch viel Manga, das kommt ja auch oft vor. Das ist auch cool, Goethe und Son-Goku nebeneinander.

Wer ist dein Lieblingsautor oder dein Lieblingsbuch?
„Candide“ von Voltaire, das ist auf jeden Fall das geilste Buch aller Zeiten. Vor allem weil es auch 1700 irgendwas geschrieben wurde und immer noch crazy ist – genauso wie South Park. Die bescheuertste Geschichte aller Zeiten. Der Typ hat das damals geleakt, das Buch wurde eigentlich von der Zensur rausgenommen. Er hat dann aber Drucke übers Ausland freigeben lassen, die dann trotzdem in den Umlauf gekommen sind, unter einem anderen Namen. Es ist auch ziemlich HipHop, dass er es geleakt hat, um der Zensur zu hintergehen. Geiler Typ.

Wie Orgi 69, der nach Österreich gezogen ist, um hier seine CDs zu versenden, weil wir hierzulande keinen Index haben, auf dem seine Alben landen würden.
Echt? Kann man das hier? Darf man hier sagen, was man will? Dürfen hier so Nazi-Platten erscheinen? Gut, die sind in Deutschland ja auch recht schnell rausgezogen. Schade, weil sonst hätte ich hier mein Rechtsrock-Album veröffentlichen können (lacht). Deutschroger.

Du hast in einem Interview erzählt, dass du kein politischer Rapper seist, sondern ein Gesellschaftsrapper. Was ist für dich der Unterschied zwischen den beiden Sparten?
Ich rede nicht abstrakt über „das System“ oder irgendwelche Konstrukte, sondern über Menschen. Wenn ich über Geld rappen würde, würde ich eine Geschichte von Leuten erzählen, wo der eine gierig ist und einen Freund von sich abzockt. Was ich jetzt so oft als politischen Rap sehe, ist generell über Geld zu reden. Über so ein abstraktes Thema, das kann nicht funktionieren. Das finde ich langweilig, weil es einen nirgendwo abholen kann.

Das heißt, du verpackst es in Geschichten?
Ja genau, ich erzähle immer über Menschen. Dann gibt’s ein, zwei Lines, die kann man schon politisch nennen, aber es entwickelt sich auch immer aus Menschen. Es geht um Menschen. Es ist cooler, als einen Univortrag zu halten.

„Maximaler Respekt an Sookee“

Du hast ja Amewu und Sookee mal als politische Rapper angeführt. Die rappen aber auch nicht nur über Abstraktes?
Amewu habe ich angeführt, weil er ein sehr politischer Mensch ist. Amewu redet nicht nur drüber, er setzt das auch krass in die Tat um. Er nutzt seine Reichweite, um politisch tätig zu werden und das finde ich gut. Sookee habe ich in dem Kontext angeführt, als ich gesagt habe, dass sich diese Musik sowieso nur an Leute richtet, die die gleiche Meinung haben wie sie. Sie benutzt auch nur eine Sprache, die nur Leute verstehen können, die ohnehin die gleiche Meinung haben und von daher diese Musik irgendwo vorgibt, einen aufklärenden Bildungsauftrag zu haben, aber nicht hat. Selbst wenn ein super chauvinistischer, homophober Typ, der nicht lesen und schreiben kann, so was irgendwo in Wedding hört, dann wird er nicht verstehen, was sie sagt. Das ist in so einer Blase, das ist dann mehr so eine intellektuelle Befriedigung.

Obwohl Sookee auf ihrem neuen Album explizit versucht, diese Blase zu durchbrechen – mit anschaulicheren Texten.
Glaube ich auch, ich will auch gar nicht fronten, weil sie auch abseits der Musik mega viel macht. Ich wollte nur nochmal klären, in welchem Kontext ich das damals angeführt habe. An sich wäre das auch der richtige Weg. Ich habe sehr viele Kollegen aus der Antifa und es ist in dem Milieu generell ein Problem, dass man mehr zu seiner eigenen Klientel spricht, in einer Sprache, die nach außen gar nicht vordringen würde. Das ist cool, wenn sie es jetzt anders macht. Aber sie engagiert sich wie gesagt auch abseits von Rap ziemlich viel und hat mit Springstoff auch eine Basis für Künstler geschaffen, die in dem Milieu sind. Maximaler Respekt.

Bei politisch angehauchten Tracks von dir sei es schon öfters passiert, dass Leute sagten, sie hätten deine Seite wegen der Musik und nicht wegen Politik gelikt. Wie siehst du das? Kann man das so differenzieren oder ist es nicht gerade dann HipHop, wenn auch eine Message im Vordergrund steht?
Ich verstehe nicht, wie Leute das so trennen können und vor allem ausblenden, dass diese Musik als Sprachrohr einer unterdrückten Minderheit entstanden ist. Bis zu dem Punkt, wo es dann Leute wie Makss Damage gibt. Aber das ist dann zumindest politisch, auch wenn‘s kaputt ist. Ich könnte sogar noch verstehen, wenn einer sagt, dass er das in der Musik nicht hören will. Aber wenn ich die Reichweite habe, dann würde ich trotzdem meine Social-Media-Kanäle dafür benutzen, um Statements zu setzen. Dass die Leute wählen gehen sollen, dass sich die Leute gegen die AfD stellen sollen, wenn irgendwo in Dortmund eine Demo ist. Aber das hat weniger mit Musik zu tun, sondern mit einer generellen Verantwortung. Mich irritiert das auf jeden Fall, dass so Leute – ohne jetzt Namen zu nennen – die sich super alternativ geben, ihre Social-Media-Kanäle gar nicht benutzen, um Leute mobil zu machen. Da frage ich mich oft, warum die das machen, ob da dann ihr Label dasitzt und meint, dass sie das nicht machen sollen, weil man potenzielle Fans damit vergrault. Es ist mir egal, wenn jemand sagt, dass er das auf meiner Seite nicht lesen will, dann soll er die Seite entliken und die Platte streamen, ohne meinen Kanäle zu folgen.

Als ich letztens mit 3Plusss gesprochen habe, sagte er, er möchte solche Fans gar nicht.
Ja eben, ich will die auch nicht. Im Endeffekt ist es mir egal, wenn sie meine Musik hören, ich bin darauf nicht angewiesen. Ich freue mich über jeden, der meine Musik hört, aber wenn jemand das als Bedingung daran knüpft, dass ich deswegen eine bestimmte Meinung nicht vertreten darf, dann soll er sich ficken. Wenn er seine Meinung trotzdem haben und meine Musik trotzdem feiern kann, soll er seine Meinung haben. Wenn ich die besonders Scheiße finde, finde ich ihn immer noch Scheiße, aber er hat einen guten Musikgeschmack (lacht).

Du hast auch das wütende Statement von 3Plusss bezüglich der homophoben Aussagen des YouTubers Mert kommentarlos gepostet …
Ja, voll. Ich feier das, brauch ich nichts mehr zu sagen. War ein gutes Statement, ich freu mich, dass er das gemacht hat. Ich feier ihn sowieso krass. Irgendwer musste es ja sagen, ist wieder so ein Ding. Wenn dieser Mert sagt, ,dann werde ich jetzt Rapper‘, warum kommt dann keiner von den richtig großen Rappern und sagt ,Verpiss dich, das ist nicht die Party, auf der du spielst, du bist ein komischer YouTuber und homophober Wichser. Keiner will mit dir spielen!‘ Find ich gut, dass 3Plusss das macht, aber er hat im Endeffekt auch nur um die 80.000 Likes. Da hätte auch jemand kommen können, der 800.000 Likes hat. Da gibt’s ja genug von. Komisch.

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„Ein bisschen Politik ist immer drin“

Du behandelst Gesellschaftskritik und Politik angeblich nur so viel, wie es dich persönlich bewegt. Wenn du nicht so viel machst, kann man dann daraus schließen, dass vieles, das so passiert, dich nicht interessiert?
Wie gesagt, ich will das eigentlich nicht so als Hauptaugenmerk meiner Musik machen, es geht mir bei der Musik nicht darum, dass ich einen Bildungsauftrag habe. Ich habe bei der nächsten Platte wahrscheinlich mehr Bock über verschiedene Stadien einer Liebesbeziehung Tracks zu machen, weil das momentan das ist, was ich geil finde. Es muss nicht immer gleich explizit den Stempel draufhaben. Ich glaube, ein bisschen Politik ist immer drin. Aber ich muss jetzt nicht über alles, was mich aktuell bewegt, einen Track machen. So viele Tracks kann ich gar nicht machen.

Das letzte Mal warst du Ende 2015 für ein Konzert in Wien. Da meintest du in einer Moderation zwischendurch, dass wir hier in Österreich ein Nazi-Problem haben und dass es in Deutschland genauso ist. Wie hat es sich seitdem entwickelt?
In Deutschland? Da haben wir mittlerweile ein besorgtes Bürgertum. Ich hoffe immer noch, dass es alles nur eine dumme Protestnummer ist und es gar nicht so tief verwurzelt ist. Dass es einfach nach der Bundestagswahl wieder abebbt. Andererseits sind vergangenes Jahr so viele Sachen passiert, wo ich dachte, die passieren auf keinem Fall. Dass Trump Präsident wird oder Brexit und mal sehen was jetzt bei der Wahl in Frankreich passiert. Das ist mittlerweile schon ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ist nicht nur mehr ein Problem von irgendwelchen Nazis in Dortmund, die übergriffig werden, sondern eher bezogen auf die Leute, die dann dumherum stehen und gar nichts mehr sagen und stillschweigend denken ,Endlich, endlich brennt ein Flüchtlingsheim‘. Das ist viel schlimmer, nicht die Leute die’s anzünden, sondern die Leute, die’s gar nicht stört. Das sind dann die Leute, die am Ende sagen ,Wir wussten von gar nichts!‘ Ich weiß nie, wo diese kritische Masse ist, es müssen ja nicht 70 Prozent der Bevölkerung Nazis sein, damit das umschwenkt, vielleicht reichen da ja auch zehn Prozent und 40 Prozent ist es egal. Dann bist schon mal bei der Hälfte.

„Dortmund hat mehr Probleme als nur Nazis“

Hat sich generell die Stimmung in Dortmund verändert? Es ist ja sehr multikulturell, vor allem in der Nordstadt.
Also, in Dortmund ist es immer schon schlimm bis zu dem Punkt, an dem ein verurteilter straftätiger Nazi im Stadtrat saß, der SS-Sigi, der lieber SA-Sigi genannt werden würde. Der in Dortmund auch – kein Bullshit – mit Leibgarde rumläuft, wenn er in die Bahn einsteigt. Er läuft dann mit Stab und mit Totenkopf und einem SS-Siegelring rum. Komplett kaputt. Aber sonst liebe ich Dortmund. Ich wohne jetzt in Köln, aber war letztens wieder dort und wäre am liebsten geblieben. Aber Dortmund ist einfach eine komische Stadt. Du hast ein richtig starkes Bandito-Chapter, zum Teil starke Familienclans, die man momentan auch mitbekommt. Es gibt ein großes strukturelles Problem, weil total viele Bulgaren in megaekelhaften Verhältnissen irgendwie zu acht in viel zu kleinen Wohnungen wohnen. Die Polizei lässt in der Nordstadt alles passieren und kümmert sich nur darum, dass sich die Leute auf der anderen Seite der Bahnschiene sicher fühlen. Als ich im Süden von Dortmund gewohnt habe, kam die Polizei, weil ein Betrunkener vor dem Haus geschlafen hat, mit zwei Wagen mit Blaulicht. Wenn in Nordstadt eine Messerstecherei vorm Kiosk ist oder ein Heroinsüchtiger mit aufgeplatzten Armen in den Kiosk reinkommt und ein kleiner türkischer Opa mit einem Besen ihn rausschickt und der legt sich aufn Spielplatz und kackt am helllichten Tag ab. Da kommt halt keine Polizei. Die haben das Polizei-Hauptquartier auch von der Nord- in die Südstadt verlegt und dafür das Job-Center in die Nordstadt …

Warum macht man da so eine bewusste Trennung?
Das fragt sich jeder. Genauso die Frage, warum die Polizei in Dortmund so extreme rechte Strukturen in Dorstfeld hat, das gerade zur NRW-weiten Nazihochburg wird. Warum man sich dann darum kümmert, irgendwelche besetzten Häuser von der Antifa oder eine Kirche mit einem riesen Polizeiaufgebot zu stürmen, aber das auf der rechten Seite alles passieren lässt. Dortmund hat da mehr Probleme als nur Nazis.

„Nicht wählen zu gehen ist Kleinkinderlogik“

Du hast vorher kurz die Wahlen in Deutschland, die im September sind, angesprochen. Da ist ja fast eine Euphorie-Stimmung in der SPD, seit Martin Schulz als Spitzenkandidat die Umfragen anführt. Wie siehst du das?
Martin Schulz? Ja, is doch geil, oder? Ich find‘s schon gut, wenn die SPD wieder stärker wird, weil dieses große Koalitionssystem in Deutschland nur alles lähmt. Wenn ein gewisses Selbstbewusstsein in die SPD reinkommen würde, dass man auch so wieder mehr Stimmen bekommt, dann kommt daraus vielleicht Mut, wieder Positionen zu beziehen, die noch ein Stück weiter links sind. Anstatt einfach zu versuchen, die CDU zu kopieren und dann so ein Mittelwert zu bleiben, weil man Angst hat, noch weiter abzukacken. Deshalb hoffe ich, dass diese Schulz-Euphorie wieder dazu führt, dass man sich bei ein paar kritischen Fragen traut, wieder sozialpolitisch aktiv zu werden. Aber wenn, dann ist das auch nicht der Heilsbringer. Weder die SPD noch Martin Schulz. Wäre aber cool, wenn es wieder den Anschein gibt, nicht nur eine Partei in Deutschland zu haben.

Gibt es die eine Partei, wo du dich politisch verorten würdest?
Ich finde es immer doof zu resignieren, und zu sagen ,die machen so und so viel falsch‘. Deshalb würde ich gerne eine Partei wählen, die das Potenzial hätte zu regieren, aber dazu gehören in einer Demokratie, in einem so großen Rad, irgendwie Kompromisse und auch Sachen wie Lobbyismus. Das ist einfach eine Realität und die ändert sich nicht dadurch, dass ich irgendeine Partei wähle, die niemals über die Fünf-Prozent-Hürde kommen würde.

Es gibt ja auch viele, die nicht wählen gehen, weil sie denken, dadurch etwas zu verändern …
Das finde ich auch bescheuert, das ist so eine Kleinkinderlogik. Das ist genauso mit Kapitalismus, wenn man die Auswüchse und die Ideen dahinter Scheiße findet, ändert es immer noch nichts daran, dass es eine gegebene Realität ist, mit der man irgendwie arbeiten muss. Jeder sollte versuchen, im Kleinen was zu bewegen und zu sagen ,ich mag das nicht und guck jetzt weg‘, weil das ändert überhaupt nichts. Das ist verblendet.

„Es wäre einfacher mit bedingungslosem Grundeinkommen“

Fühlst du dich als Künstler manchmal von den neoliberalen Strukturen eingeengt?
Ja auf jeden Fall, gerade aktuell, vor allem wenn es um Fragen geht, wie ich die nächste Platte finanzieren soll. Ich möchte eigentlich sehr, sehr ungern irgendwelche Kompromisse machen, was Musik angeht. Momentan stehen schon Leute mit Koffer voller Geld vor der Tür und das ist superverlockend, weil ich auch gerne komplizierte Musik mache, aber komplizierte Musik zu machen teuer ist. Wenn ich jetzt einen Chor oder einen Flügel auf dem Track will, dann ist das nicht so einfach wie eine Synthie einzuspielen. Es ist teuer und es ist nervig, es wäre einfacher, wenn es Dinge wie bedingungsloses Grundeinkommen gäbe. Dann würde ich mich mit der ganzen Scheiße nicht mehr befassen müssen. Das engt schon ein, aber dann macht Not auch wieder erfinderisch. So ein Album wie „Avrakadavra“ klingt wahrscheinlich auch komplizierter als manche Alben, die das Fünffache gekostet haben, weil wir die Kohle nicht hatten.

Aber du hast immerhin ein Label wie Melting Pot Music hinter dir, was viele Künstler nicht sagen können.
Ja total, das ist ja schon der erste Kompromiss. Bei MPM habe ich das Glück, dass ich machen kann, was ich will. Aber es fängt schon beim Format an. Wenn du sagst, dass du es für eine CD machst, ist es wirtschaftlich, 15 Tracks zu machen. Vielleicht würde ich in einem anderen Kosmos permanent einzelne Tracks rauszuhauen. Ich weiß es nicht, auch da muss man immer Kompromisse machen, sobald irgendwie Geld drin ist. Aber klar, ich habe mit MPM mega Glück, ein Label zu haben, das mir gar nicht reinquatscht und trotzdem Kohle reinsteckt.

Kannst du eigentlich von der Musik leben oder musst du noch was anderes machen?
Jetzt gerade auf jeden Fall, es geht über Live und Merch. Und ich habe einen guten Deal bei MPM für die beiden letzten Platten. Ich lebe jetzt nicht wie ein König, aber für meinen Lifestyle reicht es, das ist super.

Du hast auch mal erwähnt, dass HipHop die ultimative Musik sei und eines Tages alles HipHop sein würde. Wie kann man sich das vorstellen?
Das ist eine Musikrichtung, die drauf aufbaut, sich Einflüsse von anderen Genres zu Eigen zu machen. Kennt ihr Kirby? So eine kleine, pinke Videospielfigur von Nintendo, die kann Gegner einsaugen und bekommt dann die Kraft. HipHop ist wie Kirby, nur Kirby kann immer nur eine Kraft gleichzeitig aufsaugen. Du siehst es bei Leuten wie Bilderbuch und The Black Keys, da sind Drums und Bass sehr hiphopmäßig gemischt. Die Drums sind sehr weit vorne im Vergleich zu anderen Rockplatten, die kicken wesentlich weniger. HipHop ist ein Genre, wo du einen staubtrockenen Jazz-Loop mit einem Drumsample drunternehmen kannst. Du kannst auch total elektronischen Trap haben, aber immer noch sagen, dass es HipHop ist. Es gibt kein Genre, das unter einem Begriff so eine Riesenbandbreite hat. Bei Metal ist es gleich wieder ein eigenes Subgenre, wenn man zehn BPM schneller spielt. Da wurde für jeden Scheiß ein neuer Name erfunden und bei HipHop hast du das nicht. Das ist dieses ultimative Ding, das saugt alles auf. Pop-Musik klingt jetzt schon alles sehr von HipHop beeinflusst.