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Witten Untouchable: „Wir sind unterbezahlt!“ // Interview

Witten Untouchable: „Wir sind unterbezahlt!“ // Interview

Jacob Roschinski
Mess, Rooq, Lakmann One und Kareem (v.l.n.r.). Foto: Jacob Roschinski

Witten Untouchable – eine Crew, die drei Ausnahmetalente aus dem Ruhrgebiet vereint und spätestens seit dem Release des Debütalbums „It Was Witten“ vor zwei Jahren für kompromisslosen, klischeebefreiten Battlerap auf Beats der alten Schule bekannt ist. Im Zuge des zweimal verschobenen Wien-Besuchs im B72 (Review) empfangen uns Kareem, Lakmann und Mess kurz vor ihrem Konzert zum Gespräch im Hotelzimmer. Zwischen den Resten vom Tour-obligatorischen Asiafood  in Plastikschüsseln, unausgepackten Taschen sowie Tabak und anderen Rauchwaren machen  wir es uns mit den Wittenern auf deren Hotelbetten gemütlich. Im entspannten Ambiente zeigen sich unsere Interviewpartner gesprächig und lassen uns wissen, wie die Zusammenarbeit innerhalb der Crew funktioniert, wie sie zur deutschen HipHop-Szene stehen und was wahre Skills ausmacht.

Interview: Emil Delivuk
Fotos: Damien Richard

The Message: Euer heutiges Konzert kommt erst nach einer zweimaligen Verschiebung zustande. Wie ist es mit derartigem Abstand zum Release des Albums, dieses jetzt auf die Bühne zu bringen?
Kareem: Wir machen immer wieder Gigs, deshalb ist der Abstand zum letzten nicht so groß. Wir arbeiten inzwischen viel an neuen Sachen und könnten auch viel Neues spielen, aber als Nachhol-Date der Tour bringen wir heute die Standardshow, die wir öfter mal spielen.
Lakmann: Ist auch ein langer Run, den wir jetzt schon hinter uns haben – zwei Jahre am Stück alle zwei Wochen mit dem gleichen Album aufzutreten. Manche Alben, die heute rauskommen sind  drei Monate relevant und danach bucht die Künstler keiner mehr.
Mess: Heute ist das Album auch seit zwei Jahren raus, 13.12.2013.
Kareem: Und das Geile ist, ab nächster Woche spielen wir eine neue Show mit Lakis Album, also ist das eigentlich eine Abschlussshow.

Apropos, gibt es schon ein Releasedate für „Aus dem Schoß der Psychose“?
Lakmann: Am 29. Jänner ist die Releaseparty, die schon Teil der Lakmann-Tour sein wird. Und bis dahin sollte das Album raus sein.
Mess: Mach am 16., da hab ich Geburtstag.
Lakmann: Werden wir nicht ganz schaffen, aber ein paar Tage danach vielleicht … Wenn du willst, schenk ich dir eines zum Geburtstag! (alle lachen)

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Ihr habt in Interviews immer wieder verkündet, dass euer Ziel sei, Musik zu schaffen, die länger als drei Monate Bestand hat. Wo seht ihr die Qualitäten von „It Was Witten“ gegenüber einem durchschnittlichen Deutschrap-Album?
Mess: Ein Classic, Alter!
Kareem: Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, haben einen Hausproduzenten (Rooq, Anm.) und kaufen nicht bei jedem, der gerade aktuell ist …
Lakmann: … oder einen Hype hat. Unsere Beats sind auf live getrimmt. Das Konzept ist, dass man jeden Track live spielen kann. Das ist der Unterschied zu vielen Acts. Die hängen sich an zwei Videosingles auf und vieles vom Album ist dann nicht live-tauglich. Für Untouchable war uns wichtig, dass wir unser Schwert immer live schmieden können, dass die Leute sehen: Boah das ist live so wie auf Platte, wenn nicht noch krasser!

Was ist bei euch im Gegensatz zu Solokünstlern möglich? Wie kann man sich die Arbeit am letzten Album vorstellen?
Lakmann: Ich kann nur sagen: kohärent. Wir haben von Rooq Beats bekommen, um diesen Untouchable-Sound zu schaffen. Der macht ein breites Spektrum an Musik, aber wir wollten nur die Dinger, die zu uns auch passen. (Alle nicken zustimmend) Als Persönlichkeit, als Fan – der Vorteil mit fixem Produzenten ist eben, dass man sich sein eigenes Soundbild zusammenkleistern kann.
Kareem: Ich bin gar nicht so auf Solo-Musik machen, ich arbeite gerne mit zwei, drei Leuten zusammen. Wir haben auch den gleichen Beatgeschmack. Ist voll geil, einen Part zu schreiben, eine Hook zusammen zu kreieren und zu feilen, bis alles homogen ist.
Lakmann: Das ist unser Konzept!

Das heißt, man kann auch davon ausgehen, dass Witten Untouchable noch länger bestehen wird?
Lakmann: Mess und Kareem haben ja schon als Gruppe ein Album gemacht. Mess war schon auf dem zweiten Creutzfeld-Album drauf, Mess und Kareem haben eine Tourhistorie zusammen. Die Bunkerwelt-Gruppe in Witten hat die schon viel länger im Auge. Kareem hat mal zum Album gemeint, dass irgendwann alle auf demselben Mindstate und Skilllevel waren und dann war automatisch klar, dass wir zusammen ins Studio gehen und etwas gemacht wird.
Kareem: Auf jeden Fall: Untouchable for Life!

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Lakmann, du hast das zweite Album von Creutzfeld & Jacob über Universal rausgebracht, hast also Major-Erfahrung. Warum ist Eartouch das richtige Label für Witten Untouchable?
Lakmann: Aus Mangel an Alternativen vielleicht?
Kareem: Weil wir da alles mitbestimmen. Und wir haben eine Person, die uns bei vielen Sachen hilft.
Lakmann: Eine Person, die auch alles Rechtliche, Geschäftliche und den Schriftverkehr für uns gecheckt hat. Das ist auch ein Geben und Nehmen und basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Und was ich auch noch sagen muss: Wir haben nichts unterschrieben. Weder bei „2 Gramm gegen den Stress“ (letztes Lakmann-Album, Anm.) noch bei Untouchable. Wir haben eine Abrechnung mit Hand und Fuß bekommen und für mich zählt hier das Wort eines Mannes.

Thema Geld verdienen im Deutschrap, auch im Bezug auf den großen Aufschwung und die enorme Diversifizierung der letzten Jahre …
Lakmann: … sind wir unterbezahlt, finde ich. An Respekt mangelt es uns nicht, aber ich würde es gerne in fruchtbarere Strukturen umgemünzt sehen. Es ist immer noch ein Hustle-Business für viele und bei dem Talent und Arbeitswillen sollten wir mehr Erfolg generieren. Manchmal habe ich diesen Neidgedanken und denke mir, wir sollten mehr verdienen als andere, die schlechter sind. Wir verdienen einfach mehr!

Es gibt eine große Debatte über die Albumboxen, mit mehr oder weniger brauchbarem Zubehör, und deren Einfluss auf die Chartplatzierungen (Anm: In Deutschland werden Chartplatzierungen nach Umsatz statt Einheiten berechnet). Ab Jänner 2016 zählen unabhängig vom tatsächlichen Preis maximal 20 Euro pro Einheit. Wie steht ihr zu alldem?
Lakmann: Wir machen unsere Box gar nicht für die Charts, wir verkaufen die über Eartouch. Das können die anderen alle gerne machen. Wir machen mit Eartouch jetzt ein Experiment. Ich hab mit 20 Jahren Musikerfahrung noch nie eine Box verkauft und will das jetzt einfach mal ausprobieren.
Kareem: Mit diesem Hintergedanken in die Charts zu kommen, finde ich voll peinlich und es ist gut, dass es jetzt Beschränkungen gibt.
Lakmann: Ich will meinen Fans einfach mal Danke sagen. Auf meiner Box sind zum Beispiel alle Accapellas und Instrumentals und ich werde auch eine Remixcompetition ins Leben rufen. T-Shirts finde ich auch cool, aber ansonsten ist schon viel Unnötiges drin. Allerdings: Wenn mir jemand anbieten würde, Lakmannblättchen und Grinder zu produzieren, in eine Box zu packen und ich muss mich um nichts kümmern, wäre ich auch dabei. Aber ich würde nie auf die Idee kommen, auf Kosten meiner Kreativität Business zu machen.
Kareem: Es geht einfach viel zu viel um den Konkurenzkampf, um Chartplatzierungen.
Lakmann: Alter, manche machen eine Box aus Stahl! Ich müsste nach Thyssen (ThyssenKrupp ist ein deutsches Industrie- und Rüstungsunternehmen, Anm.), „Lakmann: Das Thyssenalbum“… Thyssen Untouchable! (alle lachen sich kaputt)
Mess: Weißt du, Touren sind auch immer Bauchmuskeltraining!

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Wenn man eure Musik hört, bekommt man schon das Gefühl, dass ihr im starken Dissens zum Rest der deutschen Rap-Szene steht.
Lakmann: Musikalisch ja, menschlich nicht. Viele geben uns Respekt und sind Freunde. Die ganzen Berliner Jungs, der Kontakt zu den Mannheimern, Leute wie Credibil und Megaloh. Untouchable hat dabei geholfen, dass Witten wieder mehr Kontakt zu Rappern hat. Ob es jetzt Hiob und Morlockk sind, die uns immer wie Brüder begrüßen, oder Edgar Wasser, mit dem wir einige Male auf die gleichen Gigs gebookt wurden. Ein, zwei Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, aber die waren schon immer Arschlöcher. Es gibt keinen, der uns jemals angesaut hat und wir geben auch niemandem den Grund. Ich bin manchmal nur neidisch, wenn gewisse Typen mehr verdienen.
Kareem: Es geht auch wirklich gar nicht um Fame …
Mess: Fick Fame!
Lakmann: Gerade bei mir musst du nicht denken, dass ich noch Fame-geil bin, meine 15 Minuten hatte ich schon – und die waren ultralang, das waren vielleicht sogar 17 oder 18.
Kareem: Das Gute daran, ein bisschen in dieser Szene zu sein ist, dass man mitbekommt, was dir gar nicht in den Medien präsentiert wird. Ich hab auch meinen Deutschrap, den ich feier.
Lakmann: Geil ist auch, Leute wie Architekt, Megaloh oder Sylabill Spill kennenzulernen, mit denen zu cyphern oder einen Featuretrack zu machen und festzustellen, dass man gar nicht zu denen aufschauen muss. Wenn ich einen guten Run habe, geh ich in die Booth, rappe meinen Part ein und der andere hat sich noch nicht mal die Schuhe zugebunden. Außerdem begegnen dir diese Leute immer mit Respekt – weil Talent und Talent sich gegenseitig respektieren.

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Woran messt ihr Talent und Können?
Lakmann: Jemanden live oder bei der Studioarbeit zu sehen, ist ein guter Indikator für seine wirklichen Skills. Einen Text jahrelang schreiben, den auswendig lernen und dann perfekt einrappen kann jeder. Viel schwieriger ist es, das Momentum in der kreativen Schaffensphase zu packen, in die Kabine oder auf die Bühne zu gehen, das zu präsentieren und jeder andere checkt: Besser geht es nicht, das ist wie Faust auf Auge. Mit Zeit, Passion und Analyse reift Musik auch, wie ein guter Wein. Aber viel schwieriger ist es, das auf Knopfdruck performen zu können – so wie gleich bei unserer Liveshow. (grinst)

Ihr habt auf eurem Mixtape, das letztes Jahr erschienen ist, auch mit einigen der Radio-Freestyles für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Was bedeutet Freestyle für euch?
Kareem: Freestyle unterscheide ich erst mal in „aus dem Kopf“ und dem, was du aus Ami-Radioshows kennst, wo Rapper ihren neusten Verse auf irgendeinen Beat kicken  – das ist für mich auch Freestyle. Wir hatten die Connection zu dem Typen vom Radio und wollten das mal ausprobieren. Laki zerstört im Moment und aus dem Kopf.
Lakmann: Wenn man es schafft, beim Freestylen simultan zu beschreiben, was in dem Moment passiert, ist das dope, das muss noch nicht mal Battle-lastig sein. Gut zu freestylen zeugt nicht von deinen Qualitäten als Live-Rapper mit deiner Crew, deinen Schreibskills oder deinem Ideenreichtum, es zeigt einfach nur, ob du in dem Moment ein guter MC bist und die Crowd unterhältst. Außerdem ist es wichtig, dass du Lacher erzeugst, das beflügelt dich.
Kareem: Es ist auch geil, wenn wer einen 16er kickt und die Leute merken gar nicht, dass es Freestyle war. Das was Lakmann macht – immer ohne zu choken!
Lakmann: Ich kann mich an eine Bunkerwelt-Party in Witten erinnern, auf der ich vier Stunden am Stück gefreestylt habe. Da sind Leute wegegangen, haben gesoffen, Party gemacht, sich wen abgeschleppt, kommen nach drei Stunden zurück und ich freestyle immer noch!

Rap am Mittwoch, Cloud-Rap, Pop – seid ihr der Meinung, dass unabhängig von der Richtung alles gut ist, was Reichweite im HipHop generiert? Oder ist manches problematisch, weil es nur auf der Welle mitschwimmt?
Lakmann:
Das ist die Frage, die ich mir seit 20 Jahren stelle, das ist runtergebrochen eine elementare Frage, die es zu beantworten gilt.
Kareem: Wenn du Rap so 10, 15 Jahre machst, merkst du, dass alles ein Kreislauf ist und sich Dinge wiederholen. Es wird immer Ups und Downs geben, und jeder hat seine eigenen Künstler außerhalb der eigenen Crew, die man feiert.
Lakmann: Wenn du lange dabei bist, denkst du öfter, dass es cool wäre, wenn sich das mal gesundschrumpft. Wenn du wirklich neu bist, denkst du vielleicht, dass HipHop weiter expandieren sollte und global wird. Im Laufe deiner Karriere wirst du das vielleicht relativieren – das ist dann dieser Kreislauf.

Abschließende Frage: Gibt es für euch als Crew irgendwelche unerfüllten Träume und Ziele, die es zu erreichen gilt?
Lakmann: Wir verfassen hier gerade eine Art von Vermächtnis. Ich bin überzeugt davon, dass gerade wir in Witten ein Alleinstellungsmerkmal  mit unserer Band haben – und dass es 20 Jahre lang dauern wird, bis die nächste Band aus Witten kommt, die so was machen wird – in diesem Sinne sind wir wirklich unterbezahlt!
Kareem: Gutes Schlusswort!

(Lakmanns LP „Aus dem Schoß der Psychose“ erscheint am 29. Jänner 2016)

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