Spilif schreit, dass alles perfekt ist, singt „Strawberry Fields Forever“, aber im Vergleich zu den Beatles heißt es bei ihr nicht „Nothing is real“. Spilif steht fest im Leben. Dennoch stellt sie sich auf ihrem Album „Elouise“ nostalgisch die Frage, wer wohl heute an den Küchentischen ihrer alten WGs sitzt. Ein Gespräch über „böhmische“ und andere Träume, die Magie von Live-Performances und und warum es manchmal reicht, wenn es einfach nur regnet.

The Message: Schon bei deinem letzten Album hast du Pop-Rock-Klassiker zitiert, jetzt hören wir Anspielungen auf Pink Floyd und die Beatles. Was macht den Reiz dieser alten Songs aus?
Spilif: Ich bin mit diesem Sound aufgewachsen. Mein Vater war in den 80ern Vinyl-DJ. Bei uns liefen ständig Billy Joel oder Led Zeppelin. Ich bin in erster Linie Hörerin und liebe diesen Sound. Es ist mir wichtig, nicht „nur“ Rap zu machen, sondern zu zeigen, dass man nicht stocksteif in seinem eigenen Genre schwimmen muss.
Cool. Und er hat dann aufgehört, mit Vinyl aufzulegen, als die CDs gekommen sind?
Er hat mit dem Auflegen aufgehört, als ich gekommen bin (lacht). Dann haben meine Eltern ein Haus gebaut und das DJing war wohl nicht mehr so lukrativ. Aber die Plattensammlung steht jetzt bei mir zu Hause, ich habe sie quasi schon vererbt bekommen. Mein Vater hat alles digitalisiert, kommt aber ab und zu noch zum Hören vorbei.
Hört er auch deine Musik?
Er hört meine Sachen, findet aber eigentlich, ich sollte singen. Er ist kein großer Rap-Fan, das „Rappigste“, was er hört, ist Patrice.
Alles klar. Hast du selbst einen All-Time-Lieblings-Song?
Wahrscheinlich „Vienna“ von Billy Joel. Oder „Shelter from the Storm“ von Bob Dylan. Ich finde, beide Songs sind sehr wholesome. Von der Message her, aber auch von der Melodie und wie die Songs entstanden sind. Sie sind für mich wie ein Flashback an mein jüngeres Ich und lösen sofort nostalgische Feelings aus. Ich hör auch Mac Miller zum Beispiel immer noch sehr gerne.
Mac Miller? Hast du ihn von Anfang an verfolgt?
Ja, auch die alten Mixtapes. Am besten gefällt mir aber „Swimming“ und seine neueren Sachen. Er war unglaublich musikalisch, hat viele Instrumente selbst eingespielt und sehr melodisch gerappt. Diese Verbindung von Musikalität und Rap hat mir immer sehr gut gefallen – ähnlich wie bei Loyle Carner.


„Ich finde, hin und wieder ein kleines Bier und einen „Böhmischen Traum“ – da habe ich nichts dagegen.“
Spielst du selbst Instrumente?
Ich habe lange Trompete bei der Blasmusik gespielt. Und ich kann ein paar Chords auf der Gitarre und auf dem Klavier. Aber dass ich wirklich etwas gut spielen kann, würde ich nicht behaupten.
Aber damals bei der Blasmusik hast du das volle Programm mitgemacht?
Ja, mit Umzug in Tracht und allem, was dazu gehört. Ich bin in einem Dorf in Tirol groß geworden, da gehst du entweder zu den Schützen oder zur „Musi“. Das war damals ein Selbstläufer: Die Musikkapelle hat eine Trompeterin gebraucht.
Und dein Vater?
Er spielt Flügelhorn in der Musikkapelle.
Okay, cool, das eine muss ja das andere nicht ausschließen.
Warum auch? Ich finde, hin und wieder ein kleines Bier und einen „Böhmischen Traum“ – da habe ich nichts dagegen.
Auf dem Song „Halt den Moment an“ bekommt man ein paar Hints: Du bist ein nostalgischer Mensch, richtig?
Ja, ich bin nostalgisch, das stimmt. Aber ich bin auch schon Mitte 30. Vielleicht kommt das mit dem Alter, dass man ein bisschen nostalgischer wird? Ich lebe zwar nicht in der Vergangenheit, habe aber schon eine romantisierte Vorstellung von alten Zeiten. Bei „Halt den Moment an“ geht es ja unter anderem darum, wer jetzt in den WGs wohnt, wo du und deine Freunde früher waren. Es ist spannend, 10 oder 15 Jahre zurückzublicken. Das heißt nicht, dass ich wieder 20 sein will, aber ich schwelge gerne in der Erinnerung.
Gleichzeitig ist deine Musik sehr positiv. Geht das für dich zusammen – Nostalgie und Optimismus?
Absolut. Ich glaube nicht, dass Nostalgie etwas Pessimistisches oder Negatives ist. Ich bin total fein damit, wo ich gerade bin in meinem Leben. Ich denke, es bringt nichts, pessimistisch zu sein. Wenn dann doch etwas Negatives passiert, ist es halt so. Aber ich gehe grundsätzlich davon aus, dass alles schön wird.

Auf dem Track „Das letzte Gefecht“ sagst du, dass du oft in die Schublade „Feel-Good-Music“ gesteckt wirst. Stört dich das?
Nein, es ist die Wahrheit. Jeder, der das sagt, hat es schon verstanden. Bei „Das letzte Gefecht“ ging es eher darum: Nach dem ersten Album ist man ein bisschen reingekommen in die Industrie. Wir haben halt gerappt, weil Rappen cool ist. Irgendwann standen dann Steuererklärungen und Jour-Fixes am Programm. Da war ich ein bisschen angepisst. Aber ich bin nicht von Grund auf Anti-Industrie.
Ein bisschen Anti bist du aber schon noch?
Ich stehe da ganz neutral dazu. Es geht nicht ohne und man muss sich halt ein bisschen arrangieren. Ich habe das ein bisschen abgelegt, aus Prinzip anti zu sein.
Wie war der Prozess bei dem aktuellen Album im Vergleich zum ersten?
Exakt genau gleich. Wir gehen immer fünf Tage mit der Band ins Studio. Ich schreibe die Songs – ich würde mal sagen, zu 80% gibt es die Lyrics bereits. Meistens schreibe ich auf Beats, die Rudi, mein Bassist, macht. Dann versuche ich, der Band diese Beats zu erklären, in meinem „Nicht-Studierten-Jargon“. Wir sind alle in einem Raum, jammen, komponieren und nehmen das Grundgerüst direkt auf. Die finalen Vocals nehme ich dann erst ein halbes Jahr später auf.
Gefühlsmäßig ist der Song „Elouise“ der persönlichste auf dem Album. Kannst du ein bisschen was davon erzählen?
Das ist der wichtigste Song, den ich je geschrieben habe. Im Grunde ist es ein Liebeslied an die Frauen in meinem Leben. Ich habe auch tolle Männer um mich, aber Frauenfreundschaften sind etwas Spezielles. Da kannst du am Küchentisch ein Thema 17.000 Mal aus 18 verschiedenen Perspektiven besprechen, ohne verurteilt zu werden. Egal ob bei meiner Oma, meiner Mama oder meinen Freundinnen. Ich kann mich melden, wenn es mir schlecht geht, aber auch anrufen, wenn was richtig Cooles passiert – zum Beispiel: „Hey, die geben mir vielleicht den Amadeus!“ Da gibt es keinen Neid, sondern nur Unterstützung. Das wollte ich schon lange mal zu Papier bringen.
Du kommst ursprünglich vom Dorf. Hast du diesen weiblichen Support auch in der Musikszene so erlebt?
Ich glaube, am Land ist das schon nochmal etwas anderes. Als ich mit Rap angefangen habe, war das ein reiner Männerverein. Du musstest „ein Bub unter den Buben“ sein. Das waren alles liebe Leute und ich habe in der Szene keinen Sexismus erlebt, aber ich war oft allein. Meine Verbindungen hatte ich deshalb fast immer außerhalb des Rap-Kosmos. Das hat sich erst in den letzten Jahren gewandelt.
Würdest du sagen, du hattest Glück mit deinem Umfeld?
Das ist interessant. Ich würde es lieber umdrehen und sagen: Vielleicht haben die anderen Pech. Ich schätze mich glücklich, aber ich würde es gerne so framen, dass das der Normalzustand sein sollte.


„Ich setze mich da wirklich hin wie bei einem Office-Job: Beat an, Schreiben.“
Kommen wir zu einem anderen Thema: Auf einem Track rappst du darüber, wie du Ideen auf eine Restaurant-Serviette schreibst. Ist das ein klassisches Beispiel, wie dir Inspiration für Songs kommt?
Nein. Ich bin nie irgendwo und mir fällt eine Line ein und schreibe sie dann irgendwo auf. Das entspricht nicht der Realität, da war nur der Reim so schön (lacht). Für mich ist Rap ein Handwerk. Wenn du das professionell machen willst, kannst du nicht auf den Kuss der Muse warten. Ich setze mich da wirklich hin wie bei einem Office-Job: Beat an, Schreiben. Ich versuche, das Handwerk so zu beherrschen, dass ich in jeder Stimmungslage abliefern kann – auch wenn mich ein Beat mal nicht sofort „kickt“. Ich habe jetzt auch immer wieder Songwriting-Camps gemacht.
Welche Art von Songwriting-Camps sind das? Wirst du da eingeladen?
Ich habe meinem Management aktiv gesagt, dass ich das machen will. Meistens geht es da gar nicht um Rap, sondern um Pop-Produktionen. Aber ich glaube, als Rapperin habe ich da einiges beizutragen: Mit Flow-Patterns oder wie sich was reimt. Das ist im Pop oft ein bisschen simpler. Was auch interessant ist, ist, dass du dein eigenes Ego zurückschrauben musst. Du kannst was vorschlagen, aber man ist mehr im Hintergrund.
Hast du das schon immer so gesehen – Rap als Handwerk?
Nein, angefangen habe ich aus Leidenschaft. Die ersten EPs, die wir gemacht haben, waren eher Richtung „Von der Muse geküsst“ und irgendwie zusammengestückelt. Aber seit etwa fünf Jahren betreibe ich das schon eher als Handwerk.
„Wenn ich jetzt eine Zeile habe, die nur aus vier Wörtern besteht, dann muss das schon eine coole Zeile sein.“
Vermisst du diese Herangehensweise irgendwo?
Nein, ich vermisse es überhaupt nicht. Das hat damals gut in die Zeit gepasst, aber wenn ich mir die alten Sachen heute anhöre, merke ich: Ich habe jetzt die Hörer:innen mehr im Ohr. Ich bin reduzierter geworden. Am Anfang war vieles ohne Punkt und Komma. Ich habe zum Beispiel mal Amewu gesehen – einer der genialsten Rapper überhaupt – aber ich konnte ihm live kaum folgen. Deshalb versuche ich, bewusst Gedankenpausen einzubauen. Damit man mal kurz verschnaufen und überlegen kann, was ist da überhaupt gesagt worden.
Ist es das auch, was du bei Mac Miller so schätzt? Dass es mehr Luft zum Atmen gibt?
Absolut. Ich glaube, das ist die hohe Kunst. Wenn ich jetzt eine Zeile habe, die nur aus vier Wörtern besteht, dann muss das schon eine coole Zeile sein. Wenn sie so frei steht. Manchmal kann man sagen, es regnet. Es muss nicht immer der Himmel weinen. Manchmal kann man es ganz simpel ausdrücken und dann reicht es auch.
Das Thema spielt wahrscheinlich auch für deine Live-Performances eine Rolle.
Total. Die Songs der letzten zwei Alben live zu spielen, ist viel „gemütlicher“ als bei den alten Mixtapes. Man muss sich das erst beibringen: So zu schreiben, dass es auch live funktioniert. Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich an einer Stelle ein „Aber“ oder ein „Doch“ verwende – alleine schon wegen der Phonetik. Du musst wissen, wie du rappen musst und wo du Pausen setzen kannst.


Das passt gut zum nächsten Punkt: Neben der „Feel-Good“-Schublade wirst du oft als „Live-MC“ bezeichnet.
Also „Live-MC“ ist für mich das schönste Kompliment, das man mir geben kann. Um das geht’s: Ich mache das alles, damit ich live rappen kann.
Es gibt ja auch die andere Seite – Artists, die Live-Auftritte gar nicht mögen. Wie würdest du diesen Leuten erklären, was dir das Live-Spielen gibt?
Ich glaube, in uns allen steckt ein kleines Kind, das gerne hört: „Bravo, das hast du gut gemacht.“ Live-Spielen gibt mir diese emotionale Bestätigung. Ich sehe direkt, was die Musik auslöst: Leute umarmen sich, weinen, tanzen. Das fehlt mir beim Streaming – da sehe ich nicht, was die Leute zu Hause fühlen. Ich will mit meiner Musik etwas auslösen, und live spüre ich das am besten.
Das heißt, du brauchst die direkte Resonanz?
Genau. Natürlich ist es eine unnatürliche Situation, sich vor so vielen Menschen zu präsentieren – ähnlich wie früher bei Referaten. Ich habe live auch schon oft „reingeschissen“, den Text vergessen oder Hänger gehabt. Aber das Publikum war immer lieb. Diese Angst, dass etwas Schlimmes passiert, habe ich verloren. Mir passiert da nichts. Das würde ich auch gerne allen mitgeben, die sich noch nicht trauen.
Hast du als Zuschauerin ein Konzert im Kopf, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Noga Erez beim Reeperbahn Festival war irre. Ich durfte in Vorarlberg Support für sie spielen, das war toll. Dann Sa-Roc und Evidence. Evidence hat beim Hip Hop Kemp gespielt. Er hat die „Weatherman“-LP performt und während des Sets hat sich fünfmal das Wetter geändert – das war fast heilig.
Hast du eine Traum-Location, wo du gerne auftreten würdest?
Elbphilharmonie.
Ok, wow.
Das ist mein voller Ernst. Ich möchte gerne in die Jazz-Häuser, ins Staats- oder Landestheater. Einfach irgendwohin, wo die Stühle mit rotem Samt überzogen sind.
Hast du in einem ähnlichen Setting schon mal gespielt?
Nein, nie. Aber one day! Auch wenn das bedeutet, dass das Publikum sitzen muss. Wir würden die Musik dann einfach so arrangieren, dass das Sitzen völlig in Ordnung ist.
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