Wenn man auf der Suche nach den Anfängen von Hip Hop in Österreich ist, kommt man an einer Persönlichkeit mit Sicherheit nicht vorbei: Katharina Weingartner. Die gebürtige Vorarlbergerin brachte die Kultur Ende der Achtziger hierzulande erstmals an eine breitere mediale Öffentlichkeit und blieb in ihren Reportagen aus New York gleichzeitig kritisch. Sie institutionalisierte die „Tribe Vibes & Dope Beats“ Sendung ab 1990 (damals noch auf Ö3) im österreichischen Rundfunk. Darüber hinaus schrieb sie über die selbe Thematik für die „Spex“ und zeichnete für die Gründung des Kölner Hip Hop Sublabels „Rhythm Attack Productions“ (1987) verantwortlich. Außerdem war da noch die Geschichte mit dem ersten österreichischen Rap LP Release: „Austrian Flavors“. Aber lest und hört selbst was die Radio-, und Filmmacherin zu sagen hat…
Wie bist du in den Achtzigern erstmals in Kontakt mit Hip Hop gekommen?
Ich war schon sehr früh Jazzfan, hatte eine Riesenjazzsammlung und habe auch Schlagzeug gespielt. Meinen ersten richtigen Job hatte ich beim deutschen Jazz Label „Minor Music“. Das gibt es heute noch. Im Zuge dieser Arbeit bin ich unter anderem zum „New Music Seminar“ nach New York gefahren. Ich bin dort erstmals mit Hip Hop in Kontakt gekommen und war von der Kultur und Musik gleich hin und weg gerissen. Ab dem Moment habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass das die Zukunft ist. Was sich dann ja bewahrheitet hat. Beim „New Music Seminar“ habe ich zufällig auch DJ DSL und Sugar B getroffen, die damals noch bei den Moreaus und einer Gruppe namens „Edelweiss“ oder so waren (lacht).
Wie ist es dann beim Label weitergegangen?
Gleich danach bin ich dem Chef und Gründer von „Minor Music“, Stephan Meyner, in den Ohren gelegen ein Hip Hop Sublabel zu gründen. Das war der Beginn von „RAP – Rhythm Attack Productions“ (Anm.: seit 1987). Für den europäischen Markt haben wir unter anderem „Boogie Down Productions“ und „Cold Crush Brothers“ herausgebracht. Und wie hat diese eine Band noch einmal geheißen… eine der ersten deutschen Hip Hop Gruppen überhaupt? Genau:„LSD“.
Etwas später, 1989, ist dir dann die Idee für eine der ersten Hip Hop Radiosendungen in Europa gekommen?
Ich bin mit der Idee für „Tribe Vibes&Dope Beats“ zu Werner Geier gegangen, der einer der meist geschätzten Musikjournalisten Österreichs war. Er war damals Musikchef der „Musicbox“ -Sendung, die auf Ö3 bis zur großen Programmreform (Anm.: 1994) täglich gelaufen ist. Die „Musicbox“ hatte einen legendären Ruf, war aber auf Gitarrenmusik konzentriert, wenn man das so sagen kann. Werner Geier war eigentlich gleich Feuer und Flamme. Dann habe ich DJ DSL dazu geholt, der war damals 19 und ist als DJ erfolgreich bei Scratch – und Mix Wettbewerben aufgetreten. So ist es los gegangen: Ich habe die Reportagen und Interviews gemacht und DSL die Musik dazu geliefert. Unsere wöchentliche Sendung dauerte anfangs eine Viertel Stunde innerhalb der einstündigen „Musicbox“. Später haben wir zusammen mit Werner Geier eine ganze Stunde bestritten.
Tribe Vibes & Dope Beats Unity Show with A Tribe Called Quests Low End Theory by the message mag
Hatte Werner Geier, der ja etwas später auch zum „Tribe Vibes&Dope Beats“ Team dazu gestossen ist, damals bereits einen eigenen Zugang zu Hip Hop?
Er war zu dem Zeitpunkt ein eingefleischter Rocker, totaler Nick Cave Fan und so. Aber er hat ganz einfach an uns geglaubt und den Mut gehabt. Ich meine, was heisst da Mut? Das war ja schon höchste Zeit! Österreich war völlig hinten nach. Der „Falter“ hat Hip Hop verschlafen und ansonsten gab es vor allem üble Sprüche über die Musik. Die Herren von der „Musicbox“ haben halt gemeint, das klinge alles gleich und sei alles so langweilig. Es waren ja bis auf die Sekretärin alles Männer in der Redaktion. Damals habe ich auch noch bis 1990 parallel für „Rhythm Attack Productions“ gearbeitet. Ich bin mit unseren Releases für den europäischen Markt von BDP und den anderen von einem Radiosender zum nächsten gefahren, um die Platten zu promoten. Dabei habe ich oft ziemlich rassistischen Blödsinn gehört…auch in Wien.
Gab es nach den ersten Sendungen Rückmeldungen von den Hörern, oder ward ihr euch unsicher wie „Tribe Vibes&Dope Beats“ beim damaligen Ö3 Publikum ankommt?
Da gab es ganz positive und negative Rückmeldungen. Es ist mir immer so vorgekommen, dass die Zuhörer aufgeschlossener gewesen sind, als die Redaktion. Die waren sehr auf ihre Spezialgebiete, von den Rolling Stones bis Nick Cave konzentriert, sicher alles Spezialisten und hochkarätige Musikkritiker, aber sie hatten ein festgefahrenes Bild von dem, was schwarze Musik zu sein hat. Diese Hip Hop Revolution haben sie mit Ausnahme von Werner Geier nicht ganz verstanden.
Hattet ihr schlussendlich auch persönlichen Kontakt zu den Hörern, von denen die positiven Reaktionen kamen?
Es gab viele Leute, vor allem am Land, die richtig dankbar waren, dass sie durch die Sendung diese Musik hören konnten und uns auch häufig Briefe geschickt haben. Damals gab es sonst keine wirklichen Möglichkeiten an Informationen über Hip Hop und die Musik selbst heran zu kommen. Ich habe auch später immer wieder Leute kennengelernt, die sich zu der Zeit jede Sendung auf Tape aufgenommen haben. Für die war das wie der wöchentliche Gottesdienst. Wie zum Beispiel Functionist aus Gmunden, der ja dann Tribe Vibes weitergemacht hat. DJ Cutex war aus Hollabrunn oder Mistelbach, glaube ich. Total Chaos aus Tirol…
Wie ist es dann zur Idee des „Austrian Flavors“ Samplers gekommen?
Wir wollten unbedingt, dass Stefan (DJ DSL) live spielt. Bis dahin hat er seine Mixes immer auf Band zu Hause geschnitten. Wir sind schließlich auf die unglaublich revolutionäre Idee gekommen, dass wir gerne zwei Plattenspieler in ein Studio stellen würden. Zu dieser Zeit musste man im ORF noch dem Techniker die Platte reichen, der hat sie dann auf den Plattenteller gelegt und die Nadel drauf getan. Selbst durftest du die Nadel auf keinen Fall auf das Vinyl drauf setzen. Dennoch bin ich mit der Bitte zu unserem Abteilungsleiter Rainer Rosenberg gegangen. Er hat schließlich zugesagt, aber nur unter der Bedingung, dass wir selbst das Geld für die Turntables auftreiben. Also erzählte ich bei AKG und Technics, dass wir die neue coole, hippe Sendung wären. Technics war interessiert. Es gab im Rundfunk noch keine Werbung und die einzige Möglichkeit von ihnen Unterstützung zu bekommen war, eine Aktion zu starten, bei der Technics prominent vorkommen würde. Ursprünglich wollten wir nur einen Contest mit dazugehöriger Abendveranstaltung organisieren. Einige Zeit später hat es sich beim Rundfunk natürlich auch durchgesetzt zwei Turntables im Studio zu haben und damit aufzulegen.
Eigentlich habt ihr nur einen Aufruf dazu gestartet, Tapes mit eigenen Musikaufnahmen einzusenden, um die Teilnehmer des Contests daraus auszuwählen? Vom Vinyl Sampler war da noch nicht die Rede?
Genau. Wir waren dann aber überrascht, wie viele Einsendungen tatsächlich gekommen sind. Es gab ein paar Herausragende, es war aber auch unglaublich viel Mist dabei. Ich kann mich noch genau an diese Riesenschachtel mit den vielen Kassetten in der Redaktion erinnern. Darunter waren aber wie gesagt einige vielversprechende Sachen von damals noch völlig unbekannten Leuten, wie Peter Kruder, Shadee, Total Chaos, DJ Cutex und vielen anderen. Da hat man schon gemerkt, dass es eigentlich schon eine Szene gibt in ganz Österreich (Anm.: am Sampler vertreten: Innsbruck, Graz, Hall in Tirol, Gmunden, Feldkirch, Mistelbach, Neulengbach, Mürzzuschlag, Wien). Dieser Trend wurde allerdings von der medialen Seite verschlafen. Die Leute waren ja schon voll bereit dafür.
Zu der Zeit haben wir ich in Deutschland bereits die „Rhythm Attack Productions“ Platten verkauft, aber auch nie mehr als 4000 Platten von einem Release losbekommen. Bei der „Spex“, wo ich ab 1989 über Hip Hop geschrieben habe, gab es schon viel länger eine entsprechende Rezeption. Ich glaube meine Arbeit dort war der Hauptgrund, warum ich überhaupt bei der „Musicbox“ Beiträge machen durfte. Leute wie Blumenau und Miesgang sind damals immer wieder mit der „Spex“ vor dem Mikrofon gesessen und haben den HörerInnen einfach daraus vorgelesen!
Wie kam es dazu, dass die New Yorker Pete Rock & CL Smooth, die damals noch kurz vor ihrem großen Durchbruch standen, als Headliner des Contests im Volksgarten aufgetreten sind?
Die waren zu der Zeit sehr up&coming. Wir haben sie in der Sendung vergöttert. Es war dennoch schwer, sie zu einem Konzert in Europa zu bewegen, ohne Geld und große Konzertagentur im Rücken. Für „Rhtythm Attack Productions“ habe ich aber bereits zuvor für vereinzelte amerikanische Musiker und Musikerinnen Konzerte in Deutschland organisiert. Das ging vor allem anfangs total in die Hose, da ist wirklich so gut wie niemand gekommen. Wir haben dann immer gehofft, dass vielleicht doch irgendwelche amerikanischen GI´s vorbeischauen, oder so. (lacht)
Wie war die Reaktion von Pete Rock&CL Smooth bei und nach der Veranstaltung?
In dem Moment, wo sie gemerkt haben, wie gut die Stimmung ist, waren sie voll dabei und begeistert. Sie haben ja davor nichts über Europa gewusst, auch nicht, dass es hier schon so abgeht. Wie die Leute sie bei ihrem Konzert so geliebt haben, war sicher überraschend für sie.
Beim Contest saßen ja unter anderem Falco und Markus Spiegel in der Jury. Die hast wahrscheinlich nicht du organisiert, sondern Werner Geier?
Ja klar, von der österreichischen Musikszene hatte ich überhaupt keine Ahnung. Die organisatorische Federführung bei den Arbeiten am Sampler hat Werner Geier gehabt, ich war da nicht involviert. Aber ich war selbst beim Contest, obwohl ich schon in New York gelebt habe.
Dope Beats Freestyle Contest in Vienna at Volksgarten 7.12.1991 by the message mag
Pete Rock&Cl Smooth concert in Vienna at Volksgarten 07.12.1991 by the message mag
Von New York aus hast du auch das „Tribe Vibes“ Programm gestaltet?
Ich habe mir dort in meinem Wohnzimmer ein Studio gebaut und alles was dort kreucht und pfleucht rein gezerrt und interviewt. Die Bänder habe ich dann per Post nach Wien geschickt.
Was mir bis heute absurd vorkommt, ist dieses exotistische Interesse am Hip Hop. In der Vorstellung vieler Leute war Hip Hop gleichbedeutend damit, dass die schwarzen Exoten kommen und sich aufführen. Die Art, wie das bewertet wurde. Dass das nicht eine intelligente, avantgardistische, progressive, neue Musikrichtung war, mit irrsinnig viel Potential. Sondern es waren halt immer die N´s. Für viele Leute waren das sowas wie „Negroe Shows“. Das war sehr lang sehr rassistisch besetzt. Hip Hop wurde unter dem Gesichtspunkt einer ethnischen Differenz beäugt. Und nicht als innovative kulturelle und politische Ausdrucksform, wie ich es immer wieder gepredigt habe. Ich glaube viele haben mich damals als sehr anstrengend empfunden, weil ich stets versucht habe diese Zusammenhänge aufzuzeigen.
Wie hast du Karl Petermichl in Erinnerung, der damals die „Musicbox“ Sendungen und auch die Aufnahmen zum „Austrian Flavors“ Sampler technisch betreut hat? Heute ist er ja zum Chef der Technischen Leitung im Rundfunk aufgestiegen…
Er war gemeinsam mit Chrisitan Sodl, der uns auch immer sehr unterstützt hat, eine echte Ausnahme. Ein extrem guter Tontechniker, der sich für Hip Hop wirklich interessiert hat. Er war sogar einmal bei mir in New York zu Besuch und hat sich vor Ort in den Studios ein paar Wochen lang angesehen, wie die Leute dort arbeiten.
Ich glaube 92. Das war eine Livesendung, in der er uns gefragt hat, ob er mitmachen darf. Eine Unity Sendung haben wir irgendwann auch gemacht. Er hat sich dann über lange Zeit sehr leidenschaftlich mit Hip Hop beschäftigt. Eine Zeitlang war auch Mikey Kodak in unserem Team. Er hat über Reggae und Verwandtes berichtet.
Wie hat dich Werner Geier beim Radiomachen beeinflusst?
Sein Zugang zur Musik und wie er damit gearbeitet hat. Vor allem wie er mit Sounds umgegangen ist und seine Stimme eingesetzt hat. Was für ein Tüftler er war und wie besessen von seiner Arbeit, was er alles wusste, was ihn begeisterte, sein Engagement. Dieser Perfektionismus. Deswegen mache ich, glaube ich noch immer Radio und das sehr gerne.
Was machst du jetzt für Radiosendungen?
Seit 1994, also seit dem Ende der „Musicbox“ mache ich Radiofeatures unter anderem für den WDR: Mich hat die Art von Radio wie sie auf FM4 (Anm.: 1995 gegründet) gemacht wird, nicht so interessiert. Ich wollte so arbeiten, wie es mir Werner Geier gezeigt hat. Bei FM4 sind ja viele doch eher selbstdarstellerisch unterwegs.
Was wären da die Hauptunterschiede?
Es ist eine Idee des Produzierens, die dem Radiofeature näher ist. Also mit Sounds, Inhalten und Stimmen etwas Neues zu kreieren. Fast in Richtung Hörspiel würde ich sagen. So wie auch im Hip Hop oft gearbeitet wird. Und das mache ich beim WDR, zum Teil für Ö1. Bei FM4 gibt es ein ganz anderes Programm, kaum Politisches, wenig Kanten und Brüche und für so etwas gar kein Budget. Um eine Stunde eines Radiofeatures fertigzustellen brauche ich drei, vier Monate.
Sonst bist du ja momentan hauptsächlich im Dokumentarfilm (Anm.: pooldoks.com) tätig?
Ja, aber davon kann man nur schlecht leben. Beim Radio verdiene ich besser. Außerdem ist es viel unkomplizierter. Beim Radio gehe ich mit meinem Mikro nach Absprache mit der Redakteurin in die Welt hinaus, während es beim Film jahrelang dauert, bis man die Finanzierung zusammen hat.
Stehen deine Radiofeatures auf WDR noch in einem Hip Hop Kontext?
Die Musik selbst ist schon noch oft Hip Hop und auch die Themen. Ich habe beispielsweise einen Film gemacht, „Sneaker Stories“, der begleitet drei Jugendliche und ihre Leidenschaft zum Basketball auf verschiedenen Kontinenten und die Verflechtungen mit der globalen Sneakerindustrie. Zum Film haben wir auch eine eigene Radioversion gemacht. Sie wurde von Ö1 und dem WDR co-produziert und der Hip Hop durfte sogar drinnen bleiben. Früher musste ich für Ö1 die Hip Hop Musik raus nehmen. Anscheinend kann man auf einem seriösen Sender wie Ö1 noch immer keinen Hip Hop spielen. Dass da solche Unterschiede gemacht werden ist mir unverständlich. Vor allem nachdem ich 15 Jahre lang in Amerika gelebt habe.
Hast du dann noch die Weiterentwicklung von „Tribe Vibes“ verfolgt?
In New York konnte ich es nur schwer hören. Aber ich glaube, dass wir eine andere Art von „Tribe Vibes“ gemacht haben, eine andere Art von Beiträgen. Ich glaube nicht, dass „Tribe Vibes“ später noch diese politischen Ambitionen gehabt hat, wobei mich DJ DSL früher auch schon kritisiert hat, weil er meinte, dass die Politik die Hörer nicht so interessieren würde. „Tribe Vibes“ hat aber auch später, im Gegensatz zu uns, die österreichische Hip Hop Szene viel stärker in die Sendung rein gebracht.
Welche gesellschaftspolitische Bedeutung misst du Hip Hop bis in die Gegenwart bei?
Ich glaube, dass es Barack Obama ohne Hip Hop nicht gäbe. Es gäbe Michael Jordan und auch die vielen schwarzen Filmstars nicht… Aber die Hip Hop Industrie und die durch sie verbreiteten Stereotypen sind auch daran beteiligt, dass in manchen Bezirken Brooklyns 85% der schwarzen Bevölkerung arbeitslos sind und ein ebenso großer Teil der Häftlinge in den Vereinigten Staaten Afro-Amerikaner sind. Das sind zwei Seiten der Medaille.
Text&Interview: Jan Braula
Fotos: Katharina Weingartner, El Coca, Jan Braula
Dr. Dre bei Tribe Vibes&Dope Beats 1993 by the message mag
Online Version des „Austrian Flavors“ Artikels unserer 41. Ausgabe.
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