Zeichen setzen mit Zeichensätzen. Mag Rap, Reisen und gutes Essen.
Wer dachte, dass sich Audio88 und Yassin (Interview) nach ihrem Album „Normaler Samt“ wieder mehrere Jahre Zeit für neuen Output lassen würden, hat sich gründlich getäuscht. Mit „Halleluja“ erscheint von den zynischen Soziophobikern zwar kein Album, aber immerhin eine solide EP über das eigene Label Normale Musik. Neben Hass auf Szene und Gesellschaft werden diesmal auch sakrale Töne angeschlagen. Produziert wird unter anderem von Torky Tork, Fid Mella und Dexter, was sich äußerst positiv auf die Vielseitigkeit und die Bandbreite der beiden Rapper auswirkt.
Das Machwerk beginnt mit dem titelgebenden „Halleluja“ und kann wahlweise als Moralkatalog für die Generation Y, oder aber tiefgreifende Infragestellung moralischer Heuchelei verstanden werden. Jedenfalls machen Audio88 und Yassin keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen (fast) alle Vertreter der Spezies Mensch. Jedenfalls solange diese tun, was sie tun. Der Beat stammt von Dexter und unterstreicht die Erhabenheit der beiden Vokalartisten. Diese stellen in ihren Parts Regeln für ein funktionierendes Zusammenleben auf, um in der Hook lieber gleich alle in den Himmel zu schicken. Ein elegant-anderer Ansatz der Gesellschaftskritik, der mit Zeilen wie „Esset euren Döner draußen und nicht in der U-Bahn“ glänzt. Mit „Asiabox“ folgt ein Rundumschlag gegen eine Szene, die seit dem Release von „Normaler Samt“ noch whacker geworden zu sein scheint. Der Track strotzt vor Anspielungen an das Vorgängerwerk, beziehungsweise die sprachlichen Eigenheiten, die dieses geprägt haben. Wunderbar zynische Kommentare über die Verwertungslogik der Industrie und die inhaltliche Belanglosigkeit sowie fehlende Glaubwürdigkeit von Deutschrap im Allgemeinen. Das Instrumental dazu stammt von Torky Tork, der Sound pendelt zwischen dem, was der durchschnittliche Europäer für asiatische Musik hält, und subtilem Westernklang. Eine überraschend organische Synthese.
„Eure Beats klingen wie Hausaufgaben von der SAE,
viel Lärm um nichts und andere große Themen“
(Audio88 auf „Asiabox“)
Bemerkenswert sind die beiden Solotracks „Jammerlappen“ (Yassin) und „Weshalb ich Menschen nicht mag“ (Audio88), die inhaltlich eine wichtige Rolle einnehmen, da sie untypisch tief in das Seelenleben der Protagonisten blicken lassen. Yassin beschäftigt sich mit seiner eigenen Unzufriedenheit und Trägheit, was direkt und wütend in einem offenen Brief an sich selbst, auf einem äußerst düsteren Instrumental umgesetzt wird. Audio88 dagegen holt zum Rundumschlag gegen die ihn umgebende heuchlerisch-unsolidarische Gesellschaft aus und setzt damit fort, was auf „Schellen“ bereits so viel Wirkung zeigte. Zeilen wie „Und dann redet ihr von Stolz, aber meint damit nur Goethe, aber niemals Sachsenhausen„, treffen die derzeitige Renaissance des Nationalen mitten ins Herz. Audio88 schafft Zusammenhänge und Bilder, über die viele Widersprüche erst sichtbar werden.
„Gnade“ mit Nico von K.I.Z. und „K.R.A.U.M.H.“ mit doZ9 stellen die einzigen beiden Features dar, wobei das mit Nico in der Hook eine deftige Fortführung religiöser Referenzen darstellt, während alle drei Verses relativ frei gestaltet sind. „K.R.A.U.M.H.“ dagegen kann als eine Hommage an C.R.E.A.M. verstanden werden, Doz9 liefert einen überaus starken Part ab und macht Lust auf das bald erscheinende zweite T9-Album. Audio88 nimmt sich die Freiheit, auf thematische Beschränkungen zu verzichten. Die Unlustigkeit des Kapitalismus wird auf einem für „Halleluja“-Verhältnisse sehr vordergründigen Beat jedenfalls äußerst treffend auf den Punkt gebracht.
Mit „Beat Konducta Brandenburg“ wird noch mal feste auf den modelltypischen Whack-MC eingeprügelt, wobei ein extrem hintergründiges Instrumental von stimmigen Cuts in der Hook ergänzt wird. Beide Rapper spielen hier ihre speziellen Stile aus, einige Statements brennen sich schon beim ersten Hören in den Präfrontalen Cortex. „Beat Konducta Brandenburg, Hauptsache MPC, Fortschritt fordert Opfer und ihr pflastert seinen Weg„, so müssen Zeilen-Enden punchen! Als Schlusspunkt wurde der Track „Schellen“ gewählt, welcher ja bereits im vergangenen Jahr mit Video erschienen ist. Was auf den ersten Blick ein bisschen nach Recycling aussieht, stellt einen würdigen Schlusspunkt dar: Kompromisslos werden die sprachliche Verrohung sowie die Folgen dieser thematisiert. Dabei wird der Finger gleich in mehrere Wunden zugleich gelegt.
Fazit: Audio88 und Yassin legen mit „Halleluja“ eine überaus gelungene Platte vor, was im Speziellen daran liegt, dass beide ihre Stärken perfekt ausspielen können. Dazu tragen auch die überwiegend minimalistischen Instrumentals +/-75 Bpm bei, die den Texten jenen Platz geben, den sie brauchen. Dass dieses Machwerk bezüglich Dichte und rotem Faden nicht ganz an „Normaler Samt“ heranreicht, sei ob der Laufzeit und der Betitelung als EP dahingestellt. Für riesige Vorfreude auf das, was folgen wird, reicht es aber allemal.
Übrigens: Dass die oft eher schleppenden und düsteren Tracks auch live ausgezeichnet funktionieren, beweisen Audio88 & Yassin dieses Wochenende beim Hip Hop Open Austria (hoffentlich) auf ein Neues.
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