Deschek vom Message. Gebts ma an grünen Avatar heast!
„Diagnose Zuckerschock“ lautete unser Titel, als Ernst Palicek nach einigen Jahren Pause mit einer Single auf die Bildfläche zurückgekehrt ist – ließe sich auch gut auf die parallel erschienene „Most Süß“-EP von JerMc & food for thought ummünzen. Dass im September auch abseits davon einiges erschienen ist, zeigt das neue Austro Round-up.
Text: Simon Nowak, Francesca Herr, Simon Huber, Mira Schneidereit, Michi Koffler & Anna Hager
Duzz Down San Compilation 2020
Nach einigen ruhigeren Jahren ist Duzz Down San heuer gefühlt das mit Abstand aktivste Label in hiesigen HipHop-Gefilden. Kaum eine Ausgabe des Austro Round-ups kam ohne ein Release aus diesem Dunstkreis aus. Diese Serie setzte sich im September auch dank der jährlichen Label-Compilation fort. Mit gewohnt hohem Anspruch an Soundästhetik haben 33 Artists aus dem inneren Kreis sowie dem erweiterten Umfeld 27 Tracks gestaltet. Der Querschnitt reicht von Boombap- und Electronic-Beats über Grime-Banger und Crew-Representer, Pop-Ausflüge zu einer abschließenden Klavier-Ballade.
Indirekt war The Message übrigens Auslöser für „Inkonsequent“ – eine Nummer, bei der Def Ill zum Selbstdiss ansetzt. Wie es dazu kommt? In Folge eines Insta-Postings über Sexismus im Deutschrap führten Jay Miracho & Yolo Ferrari mit dem Linzer eine Videodebatte über sexistische Trigger- und Füllwörter, die selbst in dessen antisexistischen Tracks und Parts vorkommen. Das typische Punchline-Leo wollten sie ihm als Legitimierung nicht durchgehen lassen, zumal misogyne Hasswörter auch dadurch stetig reproduziert werden und bei vielen jungen Rap-Fans nach wie vor als selbstverständlich gelten – während Gewalt gegen Frauen immer noch ein großes Problem darstellt. Letztlich entstand ein vertonter Diskurs, Def Ill gelobt Besserung.
Wiener Bänger Knaben – Scheiß auf die Hook
Ähnliches ist von den Wiener Bänger Knaben nicht zu erwarten, sie sind quasi die Antithese zur Political Correctness im Rap. „Schoaf gschossn wird da“ – mit diesen Worten und begleitenden Gunshots liefern Dr. Punani, Fancy Felicious und Unxund gleich im Intro von „Scheiß auf die Hook“ eine Vorwarnung. Wie der 2018er-Vorgänger „Betoniert“ ziert eine Taube das Cover. Was von den 16 Tracks der Landstraße-Donaustadt-Connection zu erwarten ist? Die geballte Power von Nonsense-, Drogen-, Fußball-Lines, Punchlines und sonstigen deppaten und witzigen Textfetzen mit Wien-Bezug. „Ohne Message, ohne Sinn und sowieso ohne Generier“, beschreiben sie ihr Schaffen selbst schon ganz gut. Mit diesem Rezept knüpfen sie auf Banger-Beats und smootheren Pendants an ihr Erstlingswerk an. Sie bleiben durchwegs unterhaltsam und sorgen immer wieder für Schmunzler – auch wenn’s dabei oft tiaf zugeht und dem grün-weißen Autor dieser Zeilen etwas Zähneknirschen abverlangt, über die Didulica-Lines hinwegzusehen. Ein paar der Highlights: „Buntes Mosaik“, „Schloss Schönbrunn“, „Warlords aus Kinshasa“ & „Mach 1 schnellen Schuh“.
Samura Loré & Devaloop – Of Passionate Nature
Stilistisch oft irgendwo zwischen Neo-Jazz zu leidenschaftlichem R’n’B, beweisen Samura Loré und Devaloop schon zu Beginn, dass sie nicht nur „Ready“ sind. Das Paar scheint dazu bereit, auf eine größere Aufmerksamkeit hinzuarbeiten. Den Grundstein legen sie mit ihrem ersten gemeinsamen Album „Of Passionate Nature“ allemal. Während Devaloop bisher hauptsächlich als HipHop-Produzent anzutreffen war, wagt er sich auch durch die 2016 begonnene Zusammenarbeit mit Samura Loré in andere musikalische Räume. Die Beats am Album bewegen sich von bereits beschriebenem Neo-Jazz und R’n’B bis hin zu Trap, kehren aber immer wieder zu den Wurzeln im 1990er HipHop zurück.
Samura Loré schwebt über die mechanisch klingenden Beats hinweg und sorgt für modernen Soul. Wie gut die Zusammenarbeit über die Genregrenzen hinweg funktioniert, beweist „With Every Breath“. Besondere Aufmerksamkeit bekommt der Track auch durch das gelungene Rapfeature von Devaloops Langzeit-Kollegen JamalJabiby, auch bekannt unter dem Produzenten-Alias Mr. Käfer. Durch das Album zieht sich ein regelrechtes Ensemble der hiesigen Musikszene und verschafft so jedem Song ein gewisses Eigenleben. Weitere Unterstützung gibt’s beispielsweise durch food for thought auf „Stories for the Ocean“ an der Gitarre oder durch Magdalena Müller-Hauszer auf „Ademu“ an der Violine. Dabei spitzt sich die Power mit jedem Song zu und entlädt sich letztlich mit „Every Homie Knows“ in einer starken Dance-Nummer.
Savi Kaboo – Afterglow
Tracks auf Englisch, Videos auf Zypern gedreht – weitere Informationen zur aufstrebenden Sängerin/Rapperin Savi Kaboo sind rar gesät, die Musik ist aber besonders in Anbetracht der Tatsache, dass es erst seit diesem Jahr Songs zu hören gibt erstaunlich professionell. Innerhalb einiger Monate entstand eine umfangreiche Diskografie. So ist „Afterglow“ bereits das vierte Projekt der in Wien ansässigen Weltbürgerin. Wie schon bei vorhergegangenen Projekten entstanden die acht Tracks in Kooperation mit dem Wiener Produzenten prodbypengg, dem Hausproduzenten von Bibiza. „Afterglow“ behandelt vorwiegend Liebes- und Beziehungsthemen, wobei es zum fließenden Übergang zwischen gesungenen und gerappten Partskommt. Die HipHop-Sozialisation, die sie bereits seit frühester Kindheit erfahren hat, ist auf jeden Fall schwer überhörbar.
Hightauer – Xeno EP
Oldschool-Beats, Soul, Reggae – all das ist auf der neuen EP „Xeno“ von Hightauer zu finden. Der selbsternannte karamellbraune Hirte Seins liefert uns eine abwechslungsreiche EP mit einigen Featuregästen wie Yko und RAN DMC. Auf Tracks wie „Skibi D“ oder „MusikMachenImBlock“ mit Soulcat E-Phife und Marie als Unterstützung geht es ungezwungen und groovig zu. Auf „Wachsein“ wird Hightauer seinem Namen gerecht, nomen ist wohl doch auch oft omen. Ernster gibt er sich etwa auf den Tracks „Skit1“ und „Schattentans“, wo er Themen Rassismus und Xenophobie anspricht – unter anderem auch die Frage, mit der PoC so häufig konfrontiert werden: „Where are you really from?“. Neben „MusikMachenImBlock“ und „Skibi D“ ist auch „Moderne Sklaven“ mit einem Video versehen – untermalt von kryptischen Bildern. Die Beats lieferten diesmal Jahcop, Empty C und Kapitel Cool, gerappt wird auf Deutsch, Englisch und Mundart. Insgesamt sorgt der Afro-Österreicher für eine gelungene EP mit mehr als einem Banger – trotz des eher zurückgelehnten Sounds.
Wal de Mar – Museum EP
Auf der „Museum“ EP stellt Wal de Mar seine persönlichen und musikalischen Facetten wie bei einer Vernissage aus. Er orientiert sich namentlich wie visuell an vergangenen Epochen und Künstlern. „F ein Label“ orientiert sich etwa am Futurismus. Der Track fällt moderner als der Rest aus, bedient sich an mehr Autotune und betont Wal de Mars DIY-Mentalität. Die restlichen Beats sind „down to earth“, akustische Instrumente verleihen der EP einen melancholischen und romantischen Gesamtvibe. Auf „Glücklich“ rappt Wal de Mar auf einem Gitarrenbeat über Müdigkeit und den Hustle und antwortet auf die Frage, ob er glücklich ist mit „Ich glaube nein“. Auf „Klimt“ vergleicht der Rapper ein Mädchen mit einem Klimt’schen Gemälde. Der Beat stammt dabei nicht von Wal de Mar, sondern von Serving up a plate.
Mit „T“ liefert Wal de Mar das Highlight der EP. Während das Video vom stimmungsvollen und farbreichen Impressionismus inspiriert ist, handelt der Song von Fehlern und Zukunftsängsten. Auf einem Klavierbeat rechnet Wal de Mar mit sich selbst ab und bietet einen tiefen Einblick in sein Innenleben. „Ohne Love“ ist das Schlusslicht der EP und sorgt als melancholischer Liebessong für einen gebührenden Abschluss. Mit „Museum“ hat Wal de Mar eine schöne Konzept-EP geschaffen, die kompromisslos auf Emotionen zielt und vergessen geglaubte Gefühle aufleben lässt.
Pirmin & Mo Cess – Koan Sinn EP
Bereits im April durch den angeblich „ersten und letzten Rage-Beitrag“ und titelgebenden Track „Koan Sinn“ angeteasert, erschien nun die gleichnamige EP der Tiroler Duzz Down San-Member Mo Cess (Rap) und Pirmin (Beats). Offenbar hat Mo Cess doch noch mehr Themen, über die es sich aufzuregen lohnt. Pirmins trippige Downtempo-Produktionen bieten dabei die perfekte Untermalung für Mo Cess‘ Sudereien, denen man als Nicht-Tiroler leider nicht immer perfekt folgen kann. Das ist aber auch gar nicht nötig, wird die Stimmung schließlich allein durch den Flow im Dialekt transportiert, ohne jedes einzelne Wort zu verstehen.
Uncle Kareem – Moti EP
Nach seiner Debüt-EP Anfang des Jahres ist Uncle Kareem mit drei weiteren neuen Tracks zurück – mit weniger Autotune, dafür mindestens genauso vielen Emotionen. „Moti“ heißt die zweite EP, die unser Innsbrucker Lieblingsonkel veröffentlicht. Für die Produktion war wieder Jamalito zuständig. Durch die drei Tracks zieht sich eine düstere und ruhige Stimmung, statt harten Beats setzt er auf Gitarre und Klavier. Wie es die lateinischen Titel schon im Voraus verraten, geht es dabei vor allem um negative Gefühle – Zorn, Machtlosigkeit und Schmerzen, um den Versuch ein besserer Mensch zu sein und darum, dass das oft einfach nicht funktionieren will. Vor allem, wenn einem dabei die eigene Vergangenheit im Weg steht. Einseitige Beziehungen und falsche Freundschaften helfen da auch nicht weiter.
Koko Tai – Flugmodus / Knowhere 2 Go
Aufsehen erregte Koko Tai erstmal 2016 mit dem Track „Klagenfurt„. Und das wars dann auch für die nächsten paar Jahre. Umso überraschender, dass im August nicht nur die „Gegenwind“-EP erschienen ist, sondern kurz darauf „Flugmodus“ und „Knowhere 2 Go“ mit jeweils drei Tracks gefolgt sind. Bei ersterer rappt der Kärntner über Liebeskummer, das Alleinsein und besingt vom Ross aus das eigene Selbstmitleid. Zusätzlich sehnt er sich auf „Knowhere 2 Go“ davon, endlich von der Musik leben zu können. Seinem Dilemma verleiht er in „Oabeiten Gehn“ Ausdruck: „I konn ned oabeiten gehn / Wenn i Musik mochen sollt„. Das ganze führt so weit, dass er in „Angst“ schon für 100 Euro zu beten beginnt. Insgesamt schafft Koko Tai in den sechs Tracks vielleicht keine tiefgründige, aber durchaus zugängliche Welt. Interpretationsspielraum gibt es aber allemal. Die Zeit, in der es „nur“ für einen Cloudrap-Track über die Hauptstadt am Wörthersee reicht, sind jedenfalls vorbei.
Wavyfrisch – Moods of Wavyfrisch
Mit „Moods of Wavyfrisch“ liefert Wavyfrisch, wie der Name der EP schon vermuten lässt, eine Achterbahn der Gefühle. Der Sound bietet viele Soul- und Funk-Elemente, die er häufig auf Synth-Beats auslebt. Dass sich der Vorarlberger zu diesen Musikstilen hingezogen fühlt, macht er unter anderem auf „KHMS“ mit der Line „Sie sind am trappen, aber keiner hat mehr Soul“ klar. Die Beats stammen von criminal_hellokitty und filin, auch ein Saxofon-Solo von Gabriel Gächter hat es auf die EP geschafft. Auf den insgesamt sieben Tracks rappt Wavyfrisch über seine Moodswings, die Belanglosigkeit von Smalltalk und wie down er und seine Gang sind. Auf „Außerhalb der Box“ zeigt der Rapper philosophische Ansätze. Sonst hat die EP keinen besonderen Tiefgang oder ein Konzept, das die Tracks zusammenhält – außer den durchgängig funkigen Vibes. Als einziges Feature ist Rapkollege Bane vom Lake auf „Small Talk“ vertreten. Textlich sicher noch mit Luft nach oben, doch wer auf die Kombination von Funk und Rap steht, findet hier bestimmt den ein oder anderen Track.
Makko – Aus dem Block, für den Block
Eigentlich aus Berlin, aber kürzlich beim Heatvienna-Podcast zu Gast war Makko. Im September erschien sein zweites Album nach dem Debüt „Leb es oder lass es“, das im März erschienen ist. Aus der leichten, spätsommerlichen Atmosphäre und den reflektierten lyrics ergibt sich ein angenehm fließendes Hörerlebnis. Das Album klingt abgerundeter und einheitlicher als sein Vorgänger, auch wenn es thematisch gesehen weniger Tiefgang bietet. Der Wunsch des Rappers nach künstlerischem Progress und Veränderung sowie das persönliche Verlangen nach „immer mehr“ ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album. Makko erwähnt zwar seinen „Tanz mit Satan“, doch bleibt optimistisch und selbstsicher und möchte sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten. Dass er mit dieser authentischen Einstellung auch andere von sich überzeugen kann, zeigt sich in der Videosingle „Bunte Farben“. Ein gemeinsames Tape mit toobrokeforfiji ist bereits angekündigt.
Honorable Mentions
Crispies – Death Row
Nach zwei Jahren ohne Veröffentlichungen melden sich die Crispies mit der definierten Single „Death Row“ zurück. Die Lyrics bilden eine gewisse Unzufriedenheit mit Machtverhältnissen und Misstrauen „den anderen“ gegenüber ab. Die Vermischung von verschiedensten Genreelementen aus Punk, Rap und Pop geben dem kritischen Text gegenübergestellt einen energetischen und catchigen Sound. Gemeinsam mit dem Track ist ein Musikvideo erschienen, in dem sich ein Balaclava-tragender Mann auf einem leeren Platz bewegt und sich am Ende in einer Schlinge wiederfindet, die von einer ebenfalls maskierten Frau gehalten wird.
Philiam Shakesbeat feat. Def Ill – KlickKlack
Zweieinhalb Minuten dauert es und Philiam Shakesbeat und Def Ill haben nicht nur zusammengefasst, was nach wie vor vor der „Festung Europa“ passiert, sondern auch, warum es passiert. Am meisten stört sie in „KlickKlack“ das kollektive Schweigen, denn „wenn ihr Minderheiten killt, ist jeder Mittäter, der schweigt„. Der Track ist musikalisch keine Meisterleistung, aber darum geht es in dem Fall wirklich nicht. Die beiden zeigen zwar fleißig mit dem Finger, geben sie aber auch die Möglichkeit, einfach all jene zu unterstützen, die tatsächlich tagtäglich versuchen, Menschen zu helfen und vor dem Ertrinken zu retten. Bis Ende diesen Jahres nämlich gehen alle Einnahmen durch den Song direkt an Sea-Watch. So einfach kann’s gehen und wir lieben es.
Eine Menge weiterer neuer Singles gibt es wie gewohnt in unserer Spotify-Playlist zu finden.
Du möchtest mit ebenfalls mit einem Release im Austro Round-up vertreten sein? Schicke uns gerne deine Infos an [email protected] – wir hören überall rein.
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