Anna Groß (als eine Mitbegründerin) und Lisa Gabriel sind seit vielen Jahren für den Verein cultures interactive (in der Folge: CI) als politische Bildnerinnen in Deutschland unterwegs, beide arbeiten in diesem Rahmen in unterschiedlichen Formaten und Projekten mit Erwachsenen wie auch Jugendlichen zusammen. 2017 waren sie erstmals in Wien am Institut für Freizeitpädagogik, um in einem zweitägigen Fortbildungsworkshop für JugendsozialarbeiterInnen verschiedene Zugänge zu politischer Bildung über Jugendkulturen, in diesem Fall am Beispiel von HipHop, vorzustellen. Dabei verfolgen der Verein wie die über 10 fixen und 70 freien MitarbeiterInnen einen sehr spannenden Ansatz in der Jugend(-kultur)arbeit, über den im folgenden Interview einiges zu erfahren ist. CI ist aber längst nicht das einzige Betätigungsfeld der beiden: Groß ist unter anderem auch Veranstalterin und (Mit-)Gründerin des Labels „Springstoff“, Gabriel als DJane und als Betreiberin des Web-Portals „noboysbutrap.org“ aktiv. Im Mittelpunkt ihrer Anstrengungen steht, Mädchen und Frauen in Jugendkulturen im Allgemeinen, aber besonders im HipHop sichtbar zu machen und zu fördern. Aufgrund ihrer vielfältigen Hintergründe ging das Gespräch konsequenterweise immer wieder über das Thema Jugendarbeit hinaus, ohne es jedoch aus den Augen zu verlieren. Denn die Potentiale und Bedeutung der HipHop-Kultur in der sozialpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen wie der jugendkulturellen Bildung sind heute unbestritten.
Bei cultures interactive (im Folgenden: CI) wird versucht, über viele Jugendkulturen wie zum Beispiel Punk, Techno oder Reggae politische jugendkulturelle Bildung zu machen. Warum eignet sich besonders HipHop für die politische Jugendkulturarbeit?
Anna Groß: Die Grundidee bei CI ist jugendkulturelle Bildung, das heißt mit Jugendlichen über lebensweltliche Ansätze zu politischen Themen zu diskutieren, um dann in die Praxis überzugehen. Da ich bei CI als Jugendkulturtrainerin nicht nur für den Bereich HipHop, sondern auch für viele andere Jugendkulturen zuständig bin, kann ich dem gar nicht so zustimmen, dass HipHop besonders für die Jugendkulturarbeit geeignet wäre. Eigentlich eignet sich für unseren Ansatz der jugendkulturellen Bildung jede Jugendszene, die sich aus einer Do-It-Yourself-Kultur entwickelt hat. Wichtig an dieser Stelle ist zu sagen: Wenn man über einen jugendkulturellen Ansatz mit jungen Menschen arbeitet, sollte man selber eine Szeneaffinität und -verbundenheit haben und das vor allem auch reflektiert betrachten können. Wenn man eine Szene nur unreflektiert abfeiert, dann wird es schwierig, damit in die politische Bildung zu gehen. Wenn es aber die Möglichkeit gibt, einerseits eine Leidenschaft für die Jugendkultur zu haben und andererseits aber auch differenziert und reflektiert darüber zu sprechen und auch vermitteln zu können, dann ist eigentlich jede Jugendszene dafür geeignet. HipHop ist nur so wahnsinnig vielfältig, innerhalb von HipHop existieren durch die vielen Elemente schon wieder viele eigene Kulturen, zu denen man mit Jugendlichen arbeiten kann. HipHop ist dazu auch noch eine sehr sprachgewaltige Musik, in der viel passiert und sich so viel Inhalt transportieren lässt. Leider auch viel Scheiße, aber und gerade über beides lässt sich sehr gut sprechen. Nichtsdestotrotz ist der Jugendkulturansatz bei CI ganz klar, dass es jede Jugendszene mit sich bringt und jede Szene Anknüpfungspunkte mit politischer Bildung hat.
Lisa Gabriel: Ich würde schon sagen, dass sich HipHop besonders für meine Arbeit eignet. Und zwar für mich auf zwei Ebenen: Zum einen holt der Sound und die Energie von Rap-Musik Leute ab, die sich in vielen Momenten in ihrem Leben Scheiße fühlen. Das ist die Musik, die mich selber in Jahren von Depression und innerer Aussichtslosigkeit immer wieder am Abend ins Leben zurückgepumpt hat. Das kann für mich nur Rap-Musik, das kann nur die Kombination von eingängigen Beats mit relativ einfachen Rhythmus und der Sprache obendrauf. Vielen Jugendlichen, mit denen ich arbeite, geht es auch so. Da bin ich in meiner Erfahrung verstrickt und das ist deshalb für mich eine Brücke zur Verständigung mit den Jugendlichen. Zweitens ist HipHop für mich ein Ort, wo explizit über Gewalt geredet werden kann. Und wenn ich mir die HER-STORY von Rap ansehe, ist das für mich die einzige Musik, wo explizit über Gewalterfahrungen von Frauen gesprochen wird, also über Erfahrungen mit rücksichtsloser Sexualität, als alleinstehende Frau oder Alleinerzieherin in der Großstadt oder Sexismus in der Öffentlichkeit. Für mich ist HipHop und Rap-Musik eine Plattform, wo das Platz hat und auch von männlichen Kollegen Anerkennung bekommt. Da wird hingehört. Das ist nicht nur ein Anknüpfungspunkt, sondern eine Art von Medikament. Da entsteht eine Kommunikation, die die Mainstream-Gesellschaft so nicht ermöglicht. Mädchen und jungen Frauen wird dadurch die Möglichkeit gegeben, sich eine ganz neue Welt zu erschließen.
Gute Rollenvorbilder braucht die Jugend
In vielen Jugendszenen sind Mädchen und junge Frauen unterrepräsentiert. Welche konkreten Modellprojekte habt ihr im Rahmen von CI schon durchgeführt, um mehr Mädchen und junge Frauen über jugendkulturelle politische Bildung für HipHop zu begeistern?
Anna Groß: Ganz aktuell gibt es gerade ein Projekt namens „Spot on, Girls“, das ist jetzt ein Jahr in Berlin gelaufen. Wir haben mit Mädchen mit und ohne Fluchterfahrung, aber durchaus mit verschiedensten Migrationsgeschichten, zu HipHop und Skateboarden gearbeitet. Dabei wurde versucht, Mädchen aus Mädchentreffs und Notunterkünften, die in deren Nähe angesiedelt waren, über und mittels HipHop bzw. Rap- und Tanz-Workshops miteinander bekannt zu machen. Das ist das erste Projekt von CI, in dem wir uns explizit nur der Mädchenarbeit widmen. Das heißt nicht, dass vorher keine Mädchenarbeit bei CI stattgefunden hätte, denn viele aus dem fixen Team und den freien MitarbeiterInnen bringen schon Perspektiven und Erfahrungen aus der Mädchenarbeit mit ein. Seit den ersten Tagen von CI haben wir insbesondere Mädchenförderung im Blick bei allen Projekttagen und Aktionen. „Spot on, Girls“ ist aber das erste reine Mädchenprojekt, war sehr erfolgreich und wird jetzt auch im zweiten Jahr vom „Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung“ gefördert. Ab Herbst finden regelmäßig zweimal pro Woche in verschiedenen Mädchentreffs in Berlin HipHop- oder Comic-Workshops statt, das können die Mädchengruppen entscheiden. Wir verfolgen wieder den Ansatz, geflüchtete Mädchen in die Mädchentreffs einzuladen und mithilfe von Methoden zu arbeiten, die über das gemeinsame Erleben und Mitmachen zum Austausch über HipHop anregen sollen. Im Vordergrund steht aber vor allem die Frage, was es eigentlich heißt, heute Mädchen in Berlin zu sein, unabhängig von Herkunft oder Flucht- und Migrationsgeschichte.
Lisa Gabriel: Für mich bedeutet der Umgang mit Sexismus im HipHop nicht, ausschließlich mit Mädchen zu arbeiten. Ich arbeite zwar sehr gerne mit Mädchengruppen, aber meistens mit gemischten Gruppen zu dem Thema. Dabei versuche ich, jungen Männern andere Identifikationsangebote zu machen, zum Beispiel ihnen Zugang zu verschaffen zu einer ausdruckstarken Rapperin. Dabei empfinden auch junge Männer eine Stärke, zu der sie sich hingezogen fühlen, können dadurch ihr Begehren verändern und suchen dann vielleicht auch Kontakt zu einer anderen Form von Weiblichkeit. Gleichzeitig ist zu sagen, dass in Workshops mit gemischten Gruppen die erste Aufmerksamkeit für mich bei den Mädchen liegt und ihre Interessen aufgegriffen werden sollen. In einem Workshop kann es dann passieren, dass ein junges Mädchen ihr Coming-Out hat, dann lege ich das nicht zur Seite und rede auch nicht mehr mit der Gruppe über Homophobie, sondern werde mit dem Mädchen Musikvideos von lesbischen Rapperinnen anschauen, damit sie Vorbilder findet. Das ist sehr wichtig, gute Rollenvorbilder aufzuzeigen, in denen sich Jugendliche wiederfinden, um ihnen zu zeigen, dass sie einen Platz in der Welt haben, so wie sie sind. Dann sind die Rollen nicht mehr so wirkmächtig, gerade für die Jungs, die dann merken, dass diese Rollen eigentlich nur Stress machen.
Ihr beide kümmert euch auch um Veranstaltungen, führt Blogs und vieles mehr, um feministische Positionen in Jugendszenen zu fördern und präsenter zu machen. Was genau macht ihr da?
Lisa Gabriel: Ich habe über die Jugendarbeit und die Arbeit bei CI hinaus eigentlich fast mein ganzes Leben in Feminismus investiert. Deswegen fällt es mir da schwer festzulegen, was ich außerhalb dessen mache. Aber was sich hier ganz konkret im Bezug auf HipHop anführen lässt, ist das Web-Portal „noboysbutrap.org“. Das Portal betreibe ich gemeinsam mit meinem Bruder und es ist „Work-in-Progress“. Angefangen hat es in meiner Jugend mit dem Mainstream-Debüt von Ms. Dynamite „It Takes More“. Das hat mich total mitgerissen und seither sammle ich als absoluter Nerd Rapperinnen, bisher sind 250 Künstlerinnen auf dem Blog zu finden. Ich lege auch ein eigenes DJ-Set unter dem Namen auf. Damit richte ich mich nicht gegen männliche MCs, ich bin Fan von einigen. Allerdings ist das wieder eine Frage dessen, wer meine Aufmerksamkeit bekommt.
Anna Groß: Neben CI mache auch ich ganz viel anderes. Ich habe unter anderem mit Freundinnen den Skateboard-Contest „Suck My Trucks“ gegründet. Ein Teil meiner Ehrenamtlichkeit ist es also, mich im Skateboarding für Frauen zu engagieren. Außerdem betreibe ich mit anderen Kollegen das Musiklabel „Springstoff“. Bei „Springstoff“ machen wir alles, was dich zum Springen bringt. Das Label gibt es schon lange und wir haben es uns in der jetzigen Konstellation zur Aufgabe gemacht, Frauen und trans- und intersexuelle Personen in der Musik und vor allem im HipHop zu fördern. Ich habe im Rahmen von Springstoff auch ein Workshopkonzept entwickelt, das sich „Feministisch feiern“ nennt. Da halte ich nicht nur Vorträge für feministische Kollektive, sondern etwa auch für Türleute und Partyveranstalter. Mit der Party-Reihe „Female Focus“ waren wir in unterschiedlichen deutschen Städten und haben damit dann Frauen beziehungsweise FemMcs und FemDJanes eine Bühne geboten. Diese Reihe war ganz klar HipHop-basiert, da war es auch wichtig, die Elemente zusammenzudenken.
Der „zeckige“ Ansatz
Springstoff ist in den vergangenen Jahren sukzessive gewachsen und hat den Ruf als ein politisch klar positioniertes Label. Kommt über das Label eigentlich nur eine bestimmte Spielart von Rap, in diesem Fall „Zeckenrap“ und linker Rap, raus? Sucht ihr nur aus dieser politischen Richtung nach Artists oder kommen die Künstler aus diesen Szenen zu euch aufgrund dieser politischen Haltung?
Anna Groß: Das ging in meinen Anfangsjahren schon in diese Richtung. Wir haben damals vor allen Dingen mit Sookee zusammengearbeitet. Zuerst haben wir noch das Label aus unseren Wohnzimmern heraus über Skype-Meetings betrieben. Irgendwann hatten wir unsere Gesamtstruktur mit Label, Bookings und Verlag aufgebaut und konnten ab diesem Zeitpunkt auch neue Artists aufnehmen. Das waren eben zu Beginn Leute aus dem Umfeld von Sookee, manche davon aus dem TickTickBoom-Zeckenrap-Kollektiv. Der Begriff „Zeckenrap“ war aber nicht von uns, sondern die Künstler, mit denen wir da zusammengearbeitet haben, bezeichneten sich selbst als „Zeckenrapper“. Nach dieser Anfangsphase erarbeiteten wir uns über die vergangenen sechs, sieben Jahre immer mehr Professionalität und Vielfältigkeit. Seit 2014 haben wir ein gemeinsames Büro. Von da an sind wir stetig gewachsen und wollten es ab diesem Zeitpunkt „richtig wissen“. Mein Label-Partner bei Springstoff, Rainer Scheerer, ist eigentlich Opernsänger und stark in der Techno-Szene verwurzelt. Er bringt dadurch schon ganz andere Leute zum Label. Was sie aber alle gemein haben: Sie unterstützen unseren Ansatz der Frauen*-Förderung und stehen für eine Gesellschaft, in der Diskriminierungen wie Rassismus und Sexismus verurteilt und bekämpft werden. Ich finde es persönlich wichtig, dass es „Zeckenrap“ gibt und die Leute zu supporten. Wenn man aber alleine beim Begriff „Zeckenrap“ bleibt, ist das eine Schublade, in die manche gesteckt werden wollen und andere nicht. Es gibt über „Zeckenrap“ hinaus vielen anderen politischen Rap, der sich aber nicht mit dieser Schublade identifizieren will und auch all diese Artists wollen wir unterstützen.
Welches konkrete Beispiel kannst du diesbezüglich nennen?
Anna Groß: Zum Beispiel konnten wir dieses Jahr Pyranja aufnehmen, die zwar politische Texte macht, aber eigentlich das Gegenteil von „Zeckenrap“ oder politischem Rap ist. An Pyranjas Beispiel lässt sich gut zeigen, dass sie nie passsende Strukturen vorgefunden hat und damit ein ähnliches Schicksal erlebt wie beispielsweise Cora E. oder auch viele andere Rapperinnen weltweit. Wir wollen ihr jetzt mit Springstoff diese Strukturen bieten. Und wir wollen vor allem darüber reden, was Musikbusiness überhaupt bedeutet. Was heißt es einen Vertrag auszuhandeln und zu unterzeichnen? Mittlerweile arbeiten wir mit Verträgen, weil man sich da schon im Vorfeld Gedanken darübermacht, wie man zusammenarbeiten kann und was da alles dazugehört. Wir gehen aber zuerst in die Gespräche und klären über das Musikbusiness auf. Das ist vielleicht unser „zeckiger“ Ansatz, eben nicht die Leute über den Tisch zu ziehen oder „Dirty Business“ zu machen. Gleichzeitig sind wir immer mitten im Struggle darüber, dass das Musikbusiness einer der schmutzigsten Bereiche im Kapitalismus überhaupt ist. Wo so viel Dreckiges mit so Schönem wie Musik und Kunst passiert. Wir versuchen das Schöne zu bewahren. Transparenz ist dabei ein wichtiges Stichwort.
Jugendkulturszenevertreter auf Augenhöhe mit AkademikerInnen
Viele linke Gruppen haben sich lange aus unterschiedlichen Gründen mit HipHop sehr schwer getan. Mittlerweile läuft HipHop aber in linken Jugendzentren und auf linken Demos. Was hat sich da in den vergangenen Jahren verändert?
Lisa Gabriel: Als ich mit dem Auflegen begonnen habe, war mein Freundeskreis sehr verankert in der linksradikalen Subkultur Berlins. Da lief am Wochenende bei den Partys meistens Punk oder Ska. Das hat mich aber überhaupt nicht berührt oder abgeholt. Dann fing ich selber bei Soli-Partys an, HipHop aufzulegen. Es gab davor viele Einwände wie ‚Das ist der volle Mackerscheiß‘, ‚Das ist voll gewalttätig‘ und so weiter. Nach meinen Sets gab es dann aber meistens nur positives Feedback. Aber ich kann dich bestätigen, es war nicht etabliert, es gab viele Vorurteile. Heute weiß ich, dass die linksradikale Subkultur in Berlin überwiegend aus Mittelschichtskindern besteht. Das ist aber nicht mein Background, meine Geschichte oder mein Lebensgefühl und -realität. Deswegen sehe ich die Entwicklung eigentlich kritisch, ich bin mir nicht sicher, was da gerade alles passiert. Da finden auch schräge Aneignungen und Identifikationen statt. Wichtig ist es aber genau hinzuschauen, was für ein Kontakt zwischen linksradikaler Subkultur und HipHop-Kultur stattfindet. Gleichzeitig bestand ein solcher Kontakt schon immer, aber in Form einer Auseinandersetzung. Es ist wichtig, diese aufrechtzuerhalten und nicht alle Probleme wegzuwischen. Die Frage, die sich für mich oft stellt, ist: ‚Was trifft da aufeinander?‘ Ich finde dieses Aufeinandertreffen aber durchaus spannend, denn ich habe das Gefühl, dass die Linke daran viel lernt. Feministische Politiken sind größtenteils nicht einmal akademisch, sondern Ausdruck von Selbstbehauptung, gerade von Frauen aus der Unterschicht. Wenn das dann auf eine ausformulierte, dezidierte Gesellschaftskritik trifft, hat das viel Potential. Wichtig ist dabei, dass die Begegnung auf Augenhöhe stattfindet und der Diskurs nicht so überkomplex geführt wird.
Anna Groß: Da lässt sich auch die Brücke zu CI schlagen. Die Grundidee bei CI war immer, dass die Jugendkulturszenevertreter auf Augenhöhe sind mit jenen, die einen akademischen Hintergrund haben. Das hat mich immer bei CI fasziniert, dass die Aneignung von Wissen von der Straße genauso als Wissen anerkannt wird wie jenes Wissen, das an den Universitäten vermittelt wird.
Anna, neben deinen vielen anderen Tätigkeiten bei Springstoff bietest du unter dem Punkt „Education“ auch den Vortrag „Stabile Deutsche“ zum Themenkomplex Rechts-Rap, NS-Nazi-Rap und Grauzonen-Rap an. Dieser basiert auf der Broschüre „Deutschrap den Deutschen?“, die du 2015 mitgestaltet hast. Du zählst zu einer der wichtigsten Expertinnen zu diesem Komplex im deutschsprachigen Raum, verfolgst und beobachtest die Szenen intensiv. Was ist in Deutschland da gerade Stand der Dinge?
Anna Groß: Vorab ist zu sagen: Es gibt nicht so etwas wie eine homogene Rechts-Rap-Szene, voriges Jahr gab es das erste Mal überhaupt ein reines Rechts-Rap-Konzert in Thüringen. Es ist wichtig für mich, dass es einen Unterschied gibt zwischen – meist männlichen – Menschen, die sich als klassische NS-Rapper bezeichnen und denen, die so etwas wie nationalistischen Rap machen. NS-Rap ist ganz eindeutig von der Szene für die Szene. Das sind Leute, die in der Szene verankert sind und Propaganda machen wollen. Bis vor Kurzem war das nicht besonders erwähnenswert. Gruppen wie das N’Socialist SoundSystem beispielsweise gingen aus der Rechts-Rock-Band Häretiker hervor, da ging es nur darum, für die Szene zu rekrutieren. Aber 2016 war für mich ein besonders ereignisreiches Jahr in Hinblick auf NS-Rap, weil neben MaKss Damage gleich mehrere Protagonisten in Erscheinung getreten sind wie Komplott, Chris Ares und (King) Bock.
„Mein Klopapier ist Schwarz-Rot-Gold“
Für weniger „Eingeweihte“ in dieser Debatte, um wen handelt es sich bei diesen Protagonisten?
Anna Groß: Komplott rappt für die Identitäre Bewegung. Chris Ares kommt aus München und ist für die AfD unterwegs, schlägt regelmäßig Leute zusammen und ist mit der NPD verwoben, kommt also ganz eindeutig aus neonazistischen Kreisen. MaKss Damage hat nach Verzögerungen 2016 ein Album unter dem Titel „2033“ herausgebracht, worauf Zeilen zu finden sind wie ‚Ich bin N-A-Z-I-MC‘. Schon 2012 hat er – und macht er bis heute – Rekrutierungs- und Demomobilisierungstracks gemacht, er lässt sich von Ansgar Aryan seine Musikvideos finanzieren und produzieren. Und mit ihm hat auch (King) Bock zusammengearbeitet, zum Beispiel auf der „Hausdurchsuchungs-EP“. Sie haben die EP so genannt, weil aufgrund ihrer Aktivitäten eine Hausdurchsuchung stattgefunden hat und ihre Computer beschlagnahmt wurden. Allerdings tauchten die nach einer Zeit wieder auf, alles war noch auf den Computern vorhanden, sie wurden nicht angeklagt oder angezeigt, sie konnten einfach weitermachen. Und Bock hat jetzt wieder neue Tracks rausgebracht, wo es wieder um die Glorifizierung der Wehrmacht und die Hinführung in die Nazi-Szene geht. Da trägt er auch Thor-Steinar-Klamotten.
Was willst du den TeilnehmerInnen deiner Vorträge mitgeben?
Anna Groß: Bei meinen Vorträgen geht es vorrangig gar nicht nur um NS-Rapper. Zwar muss man das Thema ernst nehmen und beobachten, viel gefährlicher sind aber meiner Meinung nach Anknüpfungspunkte mit Mainstream-Rappern, die erfolgreich sind und eine inhaltliche Verzahnung aufweisen, die Richtung NS-Rap hindeutet und bis hin zu NS-Rap als Rekrutierungsmittel geht. In meinen Vorträgen betone ich ganz stark diese Linie von Männlichkeit, über Deutsch- und Weiß-Sein bis hin zu NS-Rap. Wenn jemand dauernd in Deutschtümelei schwelgt wie beispielsweise Fler, der sich selber als ‚Stabiler Deutsche‘ bezeichnet und von der ‚Neuen Deutschen Welle‘ spricht. Da geht es meistens um „Deutsch-Sein“ in Abgrenzung zu allem anderem, bei Fler gibt es eigentlich nur zwei Inhalte: ‚Ich bin ein Mann‘ und wenn ihm dann nichts mehr einfällt noch ‚Ich bin ein Deutscher‘. Dann legitimiert er diese Aussage über seine türkischen und iranischen Freunde. Aber im Unterschied zu ihm machen sie das aus einer Position heraus, um sich gegenüber einer deutschen, rassistischen Mehrheitsgesellschaft zu empowern. Fler kommt aber aus dieser Mehrheitsgesellschaft und hat eine Bühne und ein Label hinter sich, das sich darüber freut, mit ihm den nationalistischen Markt abdecken zu können. Dann pumpen weiße, deutsche Jungs die Songs und finden es geil, sich für ihr Deutsch-Sein nicht schämen zu müssen. An der Stelle wird es für mich problematisch und da gilt es, kritisch zu intervenieren. Das Gleiche gilt für Gruppen wie Pedaz und Blut & Kasse mit „Deutsch“. Aber auch Leute wie Samy Deluxe auf „Dis wo ich herkomm“, wo er mehr oder weniger sagt, dass sich die „Ausländer“ schön anpassen und integrieren sollen in Deutschland finde ich problematisch – obwohl er jetzt glücklicherweise wieder andere, kritischere Töne anschlägt wie „Mein Klopapier ist Schwarz-Rot-Gold“ (lacht). Aber man sollte sich die Mühe machen, bei jedem Einzelnen, vor allem größerem Act und bei jedem Track, genauer hinzuschauen und hinzuhören.
Gibt es deines Wissens lokale Szenen, in denen nur Rechts-Rap oder Nazi-Rap gehört wird bzw. hast du schon mal mit Jugendlichen zusammengearbeitet, die nur solche Musik hören?
Anna Groß: Ich habe zu dem Thema viel geforscht und ich kann sagen: Niemand, aber wirklich niemand, aus der rechten Szene hört nur rechte Musik. Die hören alles, von Helene Fischer über Marteria bis hin zu Max Giesinger. Also die ganze Pop-Rutsche rauf und runter. Und da kann ich dann aus der Perspektive der Rechtsextremismusprävention andocken. Die Jugendlichen, mit denen wir diesbezüglich zusammengearbeitet haben, haben sehr spannende Playlists, die eigentlich die Radio-Charts abbilden und dazwischen ist dann ein Track von MaKss Damage oder Störkraft. Nicht einmal der krasseste Nazi hört nur Rechts-Rock oder Rechts-Rap.
Lisa Gabriel: Ich finde es zwar wichtig, sich mit NS-Rap auseinanderzusetzen, aber man sollte sich vor allem mit Rassismus im Deutsch-Rap auseinandersetzen, denn das betrifft fast die gesamte HipHop-Szene in Deutschland. Und Rassismus ist vielschichtig und ausdifferenziert. Die Debatte dazu ist ziemlich flach im deutschsprachigen Raum. Da wäre es gewinnbringend, offensivere Diskussionen zu führen.
Welche Ansätze oder Gegenstrategien verfolgt ihr im Umgang mit Nazi-Rap und in eurer Arbeit mit Jugendlichen?
Anna Groß: In vielen Jugendszenen gibt es bei Vereinnahmungen durch Nazis die Strategie, es einfach totzuschweigen. Aber ich halte diesen Vortrag, weil man darüber reden muss. Wenn man das Problem im Blick hat, kann man auch damit arbeiten. Wenn man so tut, als wenn nichts wäre, dann wird die Szene größer. Was aber noch wichtiger ist, ist das Aufzeigen von Alternativen. In der Präventionsarbeit gilt es den Horizont junger Menschen, die aus rechten Familien kommen oder rechtsaffin sind, mit positiven, neuen Erlebnissen und Erfahrungen zu erweitern, vor allem mit guter Musik. Ich will mit vielen coolen Beispielen aufzeigen, dass es auch andere Zugänge zum Leben und andere Perspektiven auf die Welt gibt.
Lisa Gabriel: Jugendliche brauchen Begegnung, sie brauchen Konfrontation mit den Lebenswelten von anderen Jugendlichen und sie brauchen das Handwerkszeug, um damit umgehen zu können, dass es soziale Ungleichheit, Ausgrenzung und Rassismus gibt. Das bekommen sie in der Regel in der deutschen Gesellschaft nicht. Dadurch, dass die Gesellschaft so rassistisch ist, bekommen auch die Heranwachsenden selten die Kompetenzen, Weitsicht und Selbstverständlichkeiten vermittelt, die es braucht, um damit umzugehen, dass jedes Kind in einer anderen Lebenswelt groß wird, andere Lebensbedingungen hat, dass es Diskriminierung gibt und man sich dagegen positionieren kann. Ich versuche jungen Menschen hier ein Vorbild zu sein und ihnen zu helfen, eine eigenständige Orientierung zu finden, zu der sie auch stehen.
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