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Zwischen vielen Stühlen // EsRAP Interview

Zwischen vielen Stühlen // EsRAP Interview

Im Rahmen einer Heimspiel-Releaseshow am Wiener Yppenplatz haben EsRAP Anfang Juli ihr neues Album live präsentiert. Der Nachfolger des 2019 erschienenen Debüts „Tschuschistan“ heißt „Mamafih“, benannt nach einem alten türkischen Wort für „jedoch“ und „trotzdem“. Thematisch bewegen sich die neuen Tracks auf gewohntem Terrain, an der Herangehensweise hat sich dennoch einiges geändert. So sind die Texte oft weniger offensiv und wütend, dafür gefühlsbetonter, mit tiefergehenderen Fragen und mehr Sprachwechseln ausgestattet. Auch musikalisch haben sich EsRAP etwas aus ihrer Komfortzone bewegt. Esra und Enes experimentieren mehr als bisher mit ihren Stimmen, weichen die Rap- und Gesangsrollen auf. Die von Testa produzierten Beats haben dem charakteristischen HipHop-Arabeske-Pop-Mischmasch ein Update verpasst.

The Message: Esra, dein erster HipHop-Bezug war mit Ciko Baba von den Bludzbrüdern, du hast in den späten 00er-Jahren an einem von ihm geleiteten Workshop teilgenommen. Was hat er dir mitgegeben?
Esra:
Es ist sehr emotional. Über ihn war meine allererste Begegnung mit Rap, davor habe ich nur Gedichte geschrieben. Er war der erste, der sich mit mir hingesetzt hat. Es waren sonst nur Männer im Team. Er hat sich extra mit mir getroffen und mir immer geholfen, wenn ich was gebraucht habe. Ich habe ihn auch danach immer wieder gesehen. Ich habe ihn bisschen wie einen Baba, einen erwachsenen Bruder gesehen. Er war ein super Rapper und ein super Mensch.

Gab es danach noch Berührungspunkte mit den Bludzbrüdern oder mit Stonepark?
Esra:
Wir haben Stonepark gehört und kennen sie, aber es gab nie eine Kooperation. Sie waren damals schon richtig professionell als Rapper, wir waren Anfänger. Es wäre komisch gewesen. Jetzt wäre ein Zeitpunkt, wo ich sagen könnte: ‚Lass ein Feature machen‘. Das wäre glaube ich auch beidseitig okay. 

In einem Interview habt ihr gesagt, dass euch danach bis auf Kid Pex niemand aus der Szene unterstützt hat. Warum glaubt ihr war das so?
Esra:
Ich glaube die Rapszene ist sehr unter sich gewesen. Obwohl sie sehr offen aussieht, ist sie bisschen verschlossen. Kid Pex war der Erste, der gesagt hat: ‚Hey, ihr macht’s gute Mucke‘. Und er hat voll supportet. Du hast in Österreich diese Gruppierungen von Rappern und Rapperinnen, die untereinander nichts zu tun haben. Zum Beispiel ein Kid Pex, der der Tschuschenrapper ist – genauso wie Yugo. Aber sie werden sich selten begegnen. Kid Pex und ich haben die gleichen Orte gehabt. Slav, Yugo, Eli Preiss und so weiter begegnen sich auch an ihren Orten. Kid Pex supportet eher die Leute, die im Radio nicht gespielt werden. Manche kriegen den Support eh schon, da muss man nicht mehr so viel machen. Die Clique ist für Leute da, die sich sonst nicht so anhalten. Rap ist ja auch das.

Ihr habt in den vergangenen fünf, sechs Jahren viele Shows gespielt. Stimmt der Eindruck, dass sich das eher über die Kunst- und Kulturecke außerhalb der HipHop-Welt ergeben hat? Oder durch das Studium von Esra?
Esra:
Ich glaube auf jeden Fall auch. Ich wüsste gar nicht ob ich solange Musik gemacht hätte, bis die anderen draufkommen. Das ist ein Problem von vielen Jugendlichen, wenn sie von keiner Community aufgenommen werden. Ich merke es selber, wir geben ja auch Workshops. Du beginnst Musik zu machen, machst Tracks, aber jemand muss dich aufnehmen. Sonst machst du es vielleicht paar Jahre und dann hörst du auf. Es hat definitiv mit dem Studium zu tun.

Ab wann hattet ihr den Eindruck, oft als „Quotentürken“ gebucht zu werden?
Esra: Vor allem als ich damit begonnen habe, Sachen zu kuratieren – auch vorm Popfest paar Kleinigkeiten.

Hat es euch gestört?
Enes:
Es war kein Problem. Wir machen gern Musik und treten gern auf, warum soll man da jammern? Natürlich ist es cool, nur als Musiker eingeladen zu werden. Aber es ist halt so. Mir ist das Auftreten viel wichtiger als 100.000 Klicks oder so zu haben. Die beflügeln mich nicht so.

Ihr seid mittlerweile seit 12, 13 Jahren als EsRAP aktiv. Wie groß ist euer Anspruch, irgendwann davon zu leben?
Esra:
Ich will solange es geht Musik machen. Es ist definitiv mein Ziel.

Foto: Tim Cavadini

Ihr seid bei Springstoff, einem deutschen Label. Die türkische Sprache dringt am neuen Album stärker durch als bisher. Inwieweit mit dem Hintergedanken, auch im Ausland mehr Leute zu erreichen?
Esra:
Ehrlich gesagt war es nicht so bewusst. Wir haben drei Jahre an diesem Album gearbeitet. Wir lieben einfach diese arabesken, orientalischen Elemente. Klar gibt es Erwartungen von Leuten. Viele Leute, die uns auf Deutsch nicht verstehen haben gesagt: ‚Macht’s doch mal einen türkischen Song‘. Es war auch ein Anliegen von uns. Ich erwarte mir aber nicht, dass der türkische Markt darauf anspringt. Vor allem in Österreich schauen viele, die Musik machen nach Deutschland oder in die Türkei. Ich hoffe, dass sie mal darauf aufmerksam werden. Aber ich würde ungern dort hingehen und was machen. Ich bin eigentlich sehr glücklich in Österreich, dass ich hier Musik mache.

Enes: Ich würde mir wünschen, dass auf Spotify aktiv zugehört wird und die Leute zum Beispiel bei Shows die Songs auswendig können. Das wäre das nächste Level.

Wobei ihr eine Sprachbarriere schafft. Durch die vielen Wechsel in den Tracks geht sich das wohl nur für türkischstämmige Leute im deutschsprachigen Raum aus.
Enes:
Ja, das stimmt schon.

Haltet ihr es für realistisch, mal in der Türkei stattzufinden?
Enes:
Dort würde es eh nicht laufen. Das muss man realistisch sehen. Die Wunden, die wir hier tragen, existieren dort nicht so. Wenn wir hier übers Fremdsein rappen, verstehen die das dort nicht. Mero hat ja auch paar popmäßige Sachen auf Türkisch gemacht. Irgendein leerer Text mit vielen Wörtern. Das läuft dort. Aber mit einer Message über die Wunden der Migration?

Wie ist es generell sprachlich? Verstehen die Leute in Istanbul euch, oder nehmen sie es eher wie einen alten Dialekt wahr?
Esra:
Ich glaube sie verstehen es schon. Als Austrotürken reden wir ein ziemlich okayes bis gutes Türkisch. Sobald wir reden merken sie sicher, dass wir nicht dort leben. Man hört es eher vom Stil raus, wir verwenden ja noch ganz andere Melodien.

Eure Tracks beinhalten oft klare Botschaften, aber kaum böse Worte. Wie bewusst achtet ihr drauf, keine „Explicit Lyrics“ zu droppen?
Esra:
Uns hören viele Jugendliche. Es ist ultra schwierig. Könnten wir schon machen, mir taugt es auch, aber harte Lines ohne Sexismus abgeben? Das Beleidigen an sich ist schwierig, ohne gleichzeitig andere zu beleidigen. Für mich ist Rap mehr Stories erzählen und dafür brauche ich das nicht unbedingt. Ich habe paar Songs, wo ich zum Beispiel Scheiße oder irgendwas mit dem Mittelfinger sage. Dann kommt ein Kind und sagt: ‚Esra, du hast das und das gesagt‘. Ich denke mir: ‚Shit, mich hören ja auch Kinder‘. Es macht mich auch nicht cooler oder gefährlicher. Ich beleidige auch auf der Straße und im Alltag niemanden und versuche einen guten Umgang zu haben. Auch im Rap.

Ist es nur wegen den Kindern? Oder auch, weil ihr sehr viel in der Kulturbubble und bei Leuten stattfindet, die sonst wenig mit Rap am Hut haben?
Esra:
Klar, auch. Ich weiß nicht wie es wäre, wenn ich in einer ganz typischen HipHop-Szene drin wäre. Ich glaube es würde gar nicht zu gut ankommen, wäre zu soft. Aber es ist auch bewusst wegen dieser Szene so. Klar hat es was gemacht, dass wir schnell politisiert wurden und von dieser Kunstszene aufgenommen wurden. Es ist ein ganz anderes Bewusstsein, was Rap angeht, was ich sagen oder nicht sagen darf oder sollte.

Enes: Es war aber auch schon vorher. Du hast sicher schon auf Türkisch dieses Schimpfwort „Amana koyum“ gehört, das man oft einfach so beim Reden verwendet. Ich war mit 14 Kindern mit türkischen Wurzeln in der HTL. Alle haben so gesprochen. Irgendwann sprichst du halt auch so. Esra hat dann gesagt: ‚Enes, hör damit auf. Das passt nicht‘. Ich mag es ja auch nicht, so schiach zu reden.

Esra: Das Wichtigste war mir glaube ich, authentisch zu sein. Ich habe damals Gangsta-Rap in Österreich nicht so geil gefunden, weil ich mir gedacht habe: ‚Hä? Das ist kein Ghetto wo Männer bewaffnet herumgehen. Lass uns über ernstere Themen reden!‘ Über Rassismus, Sexismus und andere Themen, die akut in Österreich passieren. Aber nicht Ami-Rap abschauen und so tun, als wäre die Lebensrealität die Gleiche.

Wenn du von Authentizität sprichst: Habt ihr auch manchmal das Gefühl, dass ihr euch selber in eine Stereotyp-Ecke reindrängt? Läuft man irgendwann Gefahr, zur Karikatur von sich selbst zu werden?
Esra:
Das weiß ich nicht. Was ich interessant finde: Ich erzähle oft wie ich bin und Leute fassen es als Ironie auf. Aber es ist ja ernst gemeint, wenn ich sage, ich fahre mit dem Benzer. Es ist so eine Sache, wie es aufgenommen wird. Aber das mit dem Authentisch sein, ob wir es zu sehr zu einem Stereotyp machen?

Wenn man den Anspruch hat, authentisch zu sein, aber viele Stereotype erfüllt. Wie authentisch ist das dann?
Esra:
Dass es dann gezwungen authentisch ist und wir es vielleicht zu sehr als Muster nehmen? Könnte gut sein. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

Enes: Ich glaube wenn man aktiv versucht, authentisch zu bleiben, schafft man es nicht. Es kommt immer auf die Leute an. Es ist ja auch cool und menschlich, mal nicht authentisch zu sein.

Gilt das auch für Tracks?
Esra: Es wäre zu anstrengend, etwas vorzuspielen. Man kann es machen, klar. Es ist das gleiche wie bei Schauspielern oder bei Leuten, die einen Rap-Charakter schaffen und sich reinversetzen. Da bin ich bisschen kritischer, ich denke das ist nicht Rap. Es muss halt bewusst sein, dass es eine Kunstform ist. Aber Rap war nach meiner Analyse her immer authentisch. Das Leid war authentisch.

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Foto: Tim Cavadini

Du schreibst wissenschaftliche Arbeiten über Rap in Österreich. Was untersuchst du konkret?
Esra:
In der Masterarbeit wollte ich über Leute schreiben, die ich kenne, die uns geprägt haben oder die wir gefeiert haben. Sua Kaan, Stonepark und so weiter. Die sind nirgends archiviert. Du hörst von ihnen nur durch Mundpropaganda. Als ich im Internet geschaut habe, gab es sehr wenig. Ich wollte mir anschauen, wo Rap in Österreich, vor allem was Migranten angeht, wirklich entsteht. Eher in Gemeindebauten und den Außenbezirken. Die Arbeit geht darum, zu analysieren, was in den Außenbezirken und Gemeindebauten passiert, wo man teilweise zu viert, zu fünft wohnt. Die haben draußen in einem Keller unsichtbar ihre Studios. Da teilt sich keiner ein Studio mit einem Nino aus Wien oder Voodoo Jürgens – was ich machen könnte, weil ich jetzt in dieser Bubble bin. Ein Ahmet aus dem 21. Oder 12. macht es halt eher im Zimmer. Das interessiert mich.

Wie gehst du vor?
Esra:
Ich werde viele Interviews machen. Auch was Stadtpolitik angeht würde mich interessieren: Ottakring verändert sich. Es werden neue Straßen und Gebäude gebaut. Wie viel achtet man auf Migrationspolitik, wie viele Leute haben eine Migrationsgeschichte? Es gehört zu Rap und ist wahr – fast alle fahren ein Auto. Die Ottakringer Straße ist eine Autozone, wo wir angeben können, unser kleines Leben. Jetzt fallen Parkplätze weg, es ist eine 30er-Zone. Man versucht Österreich grün zu machen, was ich liebe. Aber wenn man es grün macht, macht man es auch weiß.

Kennst du das Buch „HipHop aus Österreich“ von Frederik Dörfler-Trummer?
Esra:
Ne, habe ich nicht gelesen.

Ihr gebt selber regelmäßig HipHop-Workshops. Seit wann?
Esra:
Ganz früh, nach dem ersten Song eigentlich. Ich habe Workshops gegeben, obwohl ich damals nicht gewusst habe, wie Rap funktioniert. Ich war 19 oder so. Wir waren ja selber im Jugendzentrum. Es gab Interesse von vielen Frauen, wir haben bald damit angefangen und mittlerweile in fast jedem Jugendzentrum, aber auch in Schulen und Unis Workshops veranstaltet.

Wie hat sich das Vermittelte in dieser Zeit verändert?
Esra:
Ich glaube das Einzige, was sich wirklich verändert hat ist, dass Jugendliche jetzt viel bewusster sind. Sie reden aktiv über Sexismus, Rassismus, Bodyshaming, ob man Tschusch sagen darf und so weiter.

Kommen wir zum neuen Album: Ihr habt früher viel auf Beats von Freshmaker gemacht, diesmal hat Testa alles produziert. Ihr habt mal gesagt, dass Enes meist die Melodieidee bringt und der Produzent es ausführt. Ist das immer noch so?
Enes:
Diesmal war es nicht ganz so. Wir haben schon Vorschläge gemacht und circa gesagt, welche Richtung wir haben wollen. Dann hat Testa es produziert. Das habe ich interessanter gefunden. Es macht mir mehr Spaß, wenn ich einen fertigen Beat habe und was dazu denke. So habe ich mehr Möglichkeiten.

Esra: Man kennt es ja: Rapper sind stundenlang im Studio – vielleicht woanders, in Österreich nicht so. Weil wenn du kein Homestudio hast oder nicht bei Freunden aufnimmst, musst du zahlen. Das ist schwierig, wenn die Leute nicht so viel Geld haben. Dann kaufst du halt einen Beat, mietest dich kurz im Studio ein, nimmst es auf und schickst es weiter für Mixing und Mastering. Mit Testa konnten wir viel Zeit im Studio verbringen, zu dritt am Album arbeiten. Wir haben ihm Referenzen geschickt, er hat uns Sachen vorgeschlagen und viel Rat gegeben, ob ich rappen oder singen soll. Wir haben zum ersten Mal darauf geachtet, wirklich auf den Beat zu hören. Davor war es so: Es gibt den Beat, Enes singt, ich rappe. Wir wollten das nicht mehr so strikt trennen.

Enes hat auf einer Single erstmals gerappt. Bei Esra ist dieses „Reinschrei-Rappen“ schon auf „Tschuschistan“ viel weniger geworden. Euer Stimmeinsatz hat sich generell ziemlich verändert. Aufgrund von Tipps von außen?
Esra:
Ja, das habe ich öfters gehört. Ich habe mir die Sachen selber angehört. Sie waren auch einfach zu laut. Nicht unbedingt zu aggressiv, aber es hat oft nicht zum Beat gepasst. Diesmal mit den House-artigeren Beats war mir klar, dass es was Smootheres braucht. Ich habe auch ganz anders geschrieben, mich mich flow- und tonlagenmäßig aus der Komfortzone rausbewegt. Deshalb hat es mir auch bisschen Angst gemacht. Es war die Frage: Was mache ich da? Ist es cool oder nicht? Kopiere ich wen? Ich habe immer gesagt, ich kann schreien oder es smooth machen. Testa hat dann gesagt: ‚Mach halt mal‘ und danach, was besser passen könnte. Ich vertraue Enes und Testa musikalisch, deshalb habe ich ihre Vorschläge angenommen. Enes singt im Intro auch anders als sonst. Er hatte auch das Gefühl, dass es nicht mehr er ist. Testa und ich waren so: ‚Nein, tu es bitte, es ist richtig gut. Es hat was Ziehendes, Melancholisches‘. Deshalb gibt es auch von Enes Sachen, die nicht „er“ sind.

Könnt ihr paar Referenzen nennen, die ihr Testa gezeigt habt?
Enes:
Beatreferenzen vor allem von türkischen Musikern wie Gazapizm. Aber auch von RAF Camora, da gefällt mir dieser „Gelebt“-Beat extrem.

Esra: Überhaupt viel Deutschrap. Von Capital Bra definitiv. Sonst auch türkischen Rap von Ezhel und alte Lieder, zum Beispiel von Müslüm Gürses.