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Kid Pex: Vermittler zwischen den Welten

Kid Pex: Vermittler zwischen den Welten

Vor eineinhalb Jahren hat Kid Pex einen Ehrenpreis bei den damals erstmals verliehenen Message Awards erhalten. Es war sein soziales Engagement abseits der Musik für die humanitäre Initiative „SOS Balkanroute“, mit der er die Jury überzeugte, einen zusätzlichen Preis für seinen zivilgesellschaftlichen Beitrag zu verleihen. Was sich seitdem getan hat und wie es angesichts des Ukrainekrieges mit den geflüchteten Menschen entlang der südosteuropäischen EU-Genzen ergeht, hat uns Kid Pex in einem Interview erzählt.

„Solidarität kennt keine Grenzen“ steht auf dem T-Shirt von Kid Pex. Das Banner, das zwei Kolleginnen gerade zusammenrollen, trägt die Aufschrift „Solidarität mit allen, egal woher“. Das Team von SOS Balkanroute möchte damit auf die Zwei-Klassen-Solidarität aufmerksam machen. Die Unmenschlichkeit entlang der Balkanroute, vor allem in Bosnien und Kroatien, sei derzeit aufgrund des Ukraine-Krieges aus den Medien verschwunden. „Es macht mich unglaublich traurig, zu sehen, wie ungerecht unsere Welt zu Menschen ist, die vor den gleichen Bomben fliehen. Nur weil sie eine andere Hautfarbe haben, bekommen sie nicht die gleichen Zugangsmöglichkeiten“, sagt Kid Pex. Seit Wochen versucht er, das Interesse der österreichischen Bevölkerung am Schicksal von Geflüchteten entlang der Balkanroute aufrechtzuerhalten – mit Geschichten in den sozialen Medien, Informationsveranstaltungen und der Teilnahme an Talkshows. Kürzlich hat das Benefizkonzert im Wiener WUK stattgefunden: Künstlerinnen und Künstler wie Yasmo & die Klangkantine, A.Geh Wirklich!?, MC Schlechter Rapper, Snessia, Heckspoiler und Thomas Maurer sind ehrenamtlich aufgetreten, um Spenden zu sammeln und die Initiative wieder ein wenig ins Rampenlicht zu rücken. „Die Leute sind extra aus Linz für drei Stunden angereist um bei Garderobe oder Kasse zu helfen und mit dem Nachtzug zurückgefahren“, erzählt Kid Pex. „Und das alles, um einen Beitrag für Menschen zu leisten, die in unserer Gesellschaft nicht mehr sichtbar sein sollen.“ Das Konzert im WUK war die bisher größte Benefizveranstaltung von SOS Balkanroute, wird in dieser Form aber nicht mehr so schnell stattfinden, da es Wichtigeres zu tun gäbe. „Es war aber auch gut, um den Helferinnen und Helfern, die sonst in Lagern schlichten und sortieren, einen schönen Abend zu ermöglichen und coole Bands zu sehen“, sagt der Organisator.

Foto: Manuel Domnanovic

Alles auf Anfang

Kid Pex kam selbst mit acht Jahren als „halber Kriegs- und halber Wirtschaftsflüchtling“ von Zagreb nach Wien und erlebte als Kind die Wirren des Jugoslawienkrieges genauso wie Rassismus von seinen österreichischen Lehrern. Schon immer politisch interessiert, ging er als Jugendlicher zu den Donnerstagsdemonstrationen gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung, engagierte sich Jahre später für Geflüchtete, die 2012 in der Votivkirche strandeten. Sein Song „Recht auf Leben“ mit A.Geh Wirklich!? wurde zu einer Art Hymne für die protestierenden Flüchtlinge, Radiosender wie FM4 spielten erstmals seine kroatischen Raptexte. Getrieben von den Erlebnissen in der Flüchtlingshilfe, fuhr er 2019 ins bosnische Flüchtlingslager Vučjak. „Auf einer alten Müllhalde haben die EU-Verantwortlichen die Leute einfach wie Abfall weggeworfen. Vučjak war vernichtend“, sagt er heute. Als er jedoch die bosnischen Frauen gesehen hat, die laut Kid Pex selbst nicht viel hätten und dort die einzigen Hüterinnen der europäischen Menschenrechte seien, war das ein Wendepunkt in seinem Leben. Dass diese Reise allerdings der Beginn einer neuen Lebensaufgabe werden würde, wusste er damals noch nicht. „Ich dachte, ich helfe vielleicht einen Winter, durch die Sammelaktionen im 5. Bezirk ist dann aber alles ins Rollen gekommen.“

„Nicht alleine schwierige Schlachten schlagen“

Heute blickt Kid Pex auf zwei Jahre SOS Balkanroute zurück, auf Auszeichnungen wie den Ute-Bock-Preis oder den Oberösterreichischen Solidaritätspreis und rund 55 Hilfstransporte nach Südosteuropa. Seit Kurzem hat er in einer leerstehenden Wohnung im 18. Bezirk ein Büro gefunden – der Vermieter stellt diese inklusive Strom und Gas als Spende zur Verfügung. Hier verbringt er offiziell 20 Stunden die Woche damit, Sach- und Geldspenden zu lukrieren, zu netzwerken, mit den lokalen HelferInnen – etwa mit den „Frauen in Schwarz“, bosnischen Antikriegsaktivistinnen – zu kommunizieren. „Es ist nicht so, dass ich oder jemand anderer von uns mit dem magischen Zauberstab aus dem Westen kommt. Es sind die Frauen vor Ort, deren Hilfe, Arbeit und Verantwortungsbewusstsein, die die SOS Balkanroute ausmachen. Sie sind es, denen wir vertrauen, die sich vor Ort am besten auskennen und die Entscheidungen in Schlüsselmomenten treffen“, sagt Kid Pex. Er sei kein Sanitäter, kein Traumatherapeut und kein Asylrechtsexperte. Vielmehr sehe er sich als Vermittler, ähnlich wie sein Bekannter Willi Resetarits, Mitbegründer von Asyl in Not und SOS Mitmensch, einer war.

Foto: Peter Provaznik

Staatliche oder städtische Förderungen bekomme SOS Balkanroute nach wie vor nicht, es sind große Organisationen wie die Caritas oder die Volkshilfe, die phasenweise mit der humanitären Initiative kooperieren. Umso wichtiger ist laut Kid Pex das Engagement der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die Enormes leisten und das Ganze am Leben halten würden. Dabei hebt er besonders die Unterstützung der Franziskanischen Schwestern aus Simmering hervor. „Sie haben uns extrem viel geholfen, waren auch mit uns in Bosnien unterwegs, sie sind beeindruckend.“ Aber nicht nur christliche Glaubensgemeinschaften unterstützen Kid Pex bei seiner Arbeit, auch muslimische Imame unterstützen oder laden die Helfenden zum Iftar ein. Er wolle sich nirgends die Türe zumachen und über Grenzen hinweg mit Menschen zusammenarbeiten. Auch MusikerInnen-Kollegen wie Kreiml & Samurai waren bereits als „Zeitzeugen“ bei mehreren Hilfstransporten vor Ort und haben mit den von Honigdachs gesammelten Spendengeldern Großeinkäufe bezahlt. „Es ist schön, wenn wir eine Brücke für viele sind und zusammenführen“, sagt Kid Pex. Diese Brücken seien auch zwingend notwendig, um effektiv und nachhaltig in einem Land wie Bosnien und Herzegowina Hilfe zu leisten. „Es ist zwar ein souveräner, aber kaputter, kriegstraumatisierter Staat und es ist schwierig, vor Ort die richtigen Netzwerke zu haben.“

„EU baut Gefängnisse“

Die Situation in Südosteuropa sei gerade im Umbruch, immer mehr Flüchtende kämen nach Serbien, Ungarn und Rumänien, die Zahlen in Bosnien gingen hingegen zurück. Sonst habe sich kaum etwas geändert, „es gibt noch immer keine große Hilfsinfrastruktur, weshalb wir mit Rechtsberatungszentren, Non-Food-Items und anderen lebensnotwendigen Gütern wie Schlafsäcken unterstützen.“ Von den EU-Institutionen und -Regierungen ist Kid Pex nach wie vor enttäuscht. „Die EU-Gelder werden in abgeschottete Lager investiert, so wie aktuell Lipa eines ist. Im Umkreis von 25 Kilometern findet sich kein Supermarkt – wenn die Menschen in die nächstgelegene Stadt marschieren, werden sie von der Polizei eingesammelt und mit Gewalt zurück ins Lager gebracht“, erzählt Kid Pex von seinen Erfahrungen. Deshalb unterstütze SOS Balkanroute auch wilde Camps, wo Menschen unabhängig und unter freiem Willen Entscheidungen treffen können. Dass die Hilfe seiner Initiative auch vor Ort ankommt, ist sich Kid Pex sicher. „Der Bürgermeister von Bihać hat in einem Interview gesagt, dass es ohne SOS Balkanroute schon zu einer humanitären Katastrophe gekommen wäre. Das ist ein Eingeständnis“, sagt er. Das sei auch sein Antrieb, weiterzumachen, aufzuklären und „geschickter zu sein als die Waffen des Systems.“

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Nisvet Porić (SOS Balkanroute)

Was er sich von nationalen Regierungen und EU-Institutionen wünsche? „Dass sie Verantwortung übernehmen, die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention respektieren und nicht illegal Menschen zurückschieben. Dass sie Frontex abschaffen, dieses ganze System der Unmenschlichkeit und der Menschenrechtsverletzungen eliminieren.“ Denn solange wir nicht ein inklusive System schaffen und uns die Welt neu überlegen würden, solange werde es hausgemachte Krisen geben, ist sich Kid Pex sicher. Solange werde er auch mit SOS Balkanroute weitermachen. Wie sich die Initiative entwickelt, werde allerdings auch stark davon abhängen, wie sehr österreichische Gesellschaft und Politik Verantwortung übernehmen. „Bisher geht das österreichische Steuergeld in die offiziellen Lager, die Gefängnissen gleichen, es geht nicht um Konzepte.“ Vor über einem Jahr habe SOS Balkanroute dem Außenministerium bei einem Meeting einen Forderungskatalog überreicht. „Wir müssen ständig das Gleiche wiederholen und kommunizieren. Das macht müde, öffnet aber auch manch Menschen die Augen und sie solidarisieren sich“, sagt Kid Pex mit erschöpfter, aber auch zufriedener Stimme. „Wir schaffen das nur gemeinsam, nicht in Blasen.“

Foto: Nada Kloss (Courage)

Karriere nur zweitrangig

Um sich neben seinem Engagement für SOS Balkanroute den Lebensunterhalt leisten zu können, tritt Kid Pex nach wie vor als Rapper und Moderator auf, schreibt weiter an seinen Texten und releast im Herbst sein neues Album. „Ich habe so viel Musik gemacht, wie möglich war – aber ich hatte wirklich Wichtigeres zu tun“, sagt er. Die Texte werden auf Deutsch sein, die Botschaften politisch wie auch privat. „Ich habe auch Liebesbeziehungen verarbeitet oder über meine Zeit geschrieben, als ich an meiner Wirbelsäule erkrankt war. Ich gebe ein paar Sachen preis, die ich noch nicht erzählt habe.“ Über Featuregäste wie EsRap oder Yasmo freue er sich besonders. Rap ganz aufzugeben, käme für Kid Pex nicht in Frage. „HipHop war immer eine Heimat für mich, wenn ich zerrissen war zwischen unten und oben, im Geiste noch in meiner Heimat und in den Kriegswirren des ehemaligen Jugoslawien und andererseits in Wien, wo in den 90er-Jahren viel mehr antislawischer Rassismus als heute war.“

Kid Pex spielt heuer am 25. Juni am Donauinselfest auf der Friedensbühne. Bereits am 17. Juni erscheint seine Videosingle „Abfoi“.