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Deutschraps Unschuldslamm und die Doppelmoral // Kommentar

Deutschraps Unschuldslamm und die Doppelmoral // Kommentar

Wenn die Doppelmoral ein Zuhause hätte, dann wäre es wohl Deutschrap. Künstler wie Gzuz und Bausa werden systematisch aufgrund ihrer sexistischen Lines ausgegrenzt. Radiosender boykottieren ihre Songs, DJs verzichten in ihren Sets auf sie, und spätestens wenn das Wort ‘Sexismus’ fällt, zeigen alle Finger auf obig genannte. Kritische und aufgeklärte Diskurse zu diesem Thema sind wichtig, ihnen muss Raum gegeben werden. Während einige Rapper regelmäßig – und meist auch zu Recht – an den Pranger gestellt werden, bleibt die, ebenfalls durchaus verdiente, Kritik bei vielen anderen Künstlern oft aus. Allerdings bleibt die Kritik bezüglich dieses sensiblen Themas nicht nur außen vor, Sexismus wird geradezu in Schutz genommen.

Echauffierte man sich kürzlich noch über Fler, so irrelevant erscheint plötzlich die Kritik an Haftbefehl. Wir sitzen hier zu zweit. Wir beide sind Frauen. Wir beide sind Haftbefehl-Fans, und das Ganze hat weniger per se mit ihm zutun, als mit der einhergehenden Ungerechtigkeit gegenüber anderen Künstlern, die regelmäßig aufgrund ihrer Texte Rechenschaft ablegen müssen.

So schrieb der Spiegel:

‘Es ist aber falsch, vom Azzlack-Rapper aus Offenbach die Sensibilität eines Gender-Studies-Studenten zu erwarten. Fällt es mir jedes Mal auf, wenn er „Fotze“ sagt? Ja. Stört es mich? Jein.’

Spiegel

Uns allen ist bewusst, dass auch z.B. Gzuz kein Gender-Studies-Student ist, auch Bausa ist das nicht. Dieser Argumentation zufolge, dürfte man also von fast keinem Deutschrapper Sensibilität gegenüber Seximus erwarten – trotzdem tun wir’s. Warum? Weil wir uns nicht nur im Uni-Hörsaal, sondern auch im alltäglichen Leben eine Wortwahl gegenüber Frauen erwarten, die weder beleidigend, verachtend noch diskreditierend ist.

Warum wird Haftbefehl in dieser Debatte also in Schutz genommen? Ganz einfach: Subjektive Sympathien.

‘Ist das, was er gibt, deutlich mehr als das, was stört? Auf jeden Fall. Empowerment muss nicht per se politisch korrekt sein’

Spiegel

Gut. Bedeutet das also, dass zum Beispiel Christian M., der ehrenamtlich in einer integrativ geführten Einrichtung arbeitet, bei Familienfesten rassistische Witze von sich geben darf, weil sein positives Engagement mehr gewichtet wird als sein Rassismus? Bedeutet das also auch, dass Summer Cem sagen darf, dass er ‘Bitches in der ganzen scheiß Republik hat’, weil er junge Künstler unterstützt und seine Songs bei einem Millionen-Publikum Anklang finden? We don’t think so.

Um noch mehr Komplexität in die Thematik zu bringen: Als die Psychologin und HipHop-Podcasterin Helen Fares auf Instagram ein Video veröffentlicht, in dem sie Verschwörungsmythen aus psychologischer Sicht erklärt, gibt sich MC Bomber in den Kommentaren und später per Direktnachricht äußerst menschenverachtend, beleidigend und sexistisch. Er bezeichnet sie und Salwa Benz öffentlich als „unreife Mädels“, schreibt ihr, sie sei „primitiv“. In einem Kommentar von ihm heißt es, er werde sich bemühen, sich „geschlechtlich umzuwandeln, um auch in die Rolle vorpubertierender Frau*innen zu schlüpfen, um die Welt mit ihren traurigen Äuglein zu betrachten“. Purer Sexismus, dazu Trans-Feindlichkeit.

Das Echo? Kaum zu hören. Denn das Paradoxe an der Sache: MC Bomber hat studiert, gilt als ironisch-intellektuell, als Kunstfigur. Seine Texte sind sexistisch, seine Äußerungen außerhalb der Musik in jüngster Vergangenheit ebenso. Unter dem Deckmantel seiner Kunstfigur wird sein reproduzierter Sexismus durchgewunken, weil immer noch alle mit ihren Fingern auf den asozialen Typen aus Hamburg zeigen. Was hier greift, ist wieder mal schlichtweg die Doppelmoral, in der Deutschrap zu wohnen scheint.

Die Doppelmoral

Haftbefehl wird in Schutz genommen, weil er die Sprache der Jugend spricht, weil er das Sprachrohr der Straße ist. Das ist Gzuz auch, lediglich für eine etwas andere Zielgruppe. Das bedeutet aber nicht, dass dies die Beiden von ihrer Schuld befreit. Um zu verdeutlichen, dass sich hier der Weizen nicht von der Spreu trennt, eine kleine Gegenüberstellung.

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Gzuz: ‚Knall sie einfach in der Parklücke weg, wichs’ ihr in die Fresse, und frag sie wie’s schmeckt’

Haftbefehl: ‘Ich häng im Interconti ab, mit 3 Biatch. Ich hab’ eine Türkin, 2 Latinas. 3 Schlampen – 3 Vaginas. 

Gzuz: ‘Optimal, lass sie blasen will kein’ Kuss von dieser Schlampe, ja die Wirklichkeit sieht anders aus.’

Haftbefehl: ‘Ich schmeiß 100 Gramm Schnuff in die Luft im Club, und schrei’: ’Schlampe atme ein’. Ich schick die Nutten druff und sie tanzen auf Kommando Mambo No. 5’

Ob es hier einen großen textlichen Unterschied im Bezug auf dieses sensible Thema gibt? Eher nicht. Man kann von niemandem erwarten, in allen Bereichen immer richtig zu handeln. Aber was wir sehr wohl erwarten dürfen, ist dass man auf ALLE Künstler, die sich diskriminierend äußern hinweist, und nicht Künstler A verteufelt, und Künstler B, welcher die gleichen Äußerungen trifft, in Schutz nimmt. Wenn also Gzuz‘ Schlampen ficken nicht okay ist, sollte es Haftbefehls Schlampen ficken eben auch nicht sein.

Text: Sophie Krumböck & Chiara Sergi