Zu Halloween treffen wir Die Orsons im Backstage-Bereich der „Grellen Forellen“ zum Interview. „Wir hatten gerade Off-Day“, meint Tua, als wir uns begrüßen. Er lässt das wie eine Entschuldigung klingen. Tua singt irgendetwas, Bartek liegt auf der Couch und sagt, er würde gerne das ganze Interview über so liegen bleiben, setzt sich dann aber doch auf. Maeckes und Kaas stoßen zu uns dazu, wir finden uns alle auf der Couch ein. Unsere Fotografin weist Die Orsons kurz darauf hin, dass sie während des Interviews Fotos machen wird. „Können wir das Licht dunkler machen?“, ruft Tua scherzhaft. Ein Gespräch über die großen Themen Liebe, Politik und Deutschrap.
Wir haben euch das letzte Mal 2012 interviewt. Damals wart ihr etwas verärgert, dass sich die Österreich-Termine eurer Tour schlecht verkaufen. Nehmt ihr euch so etwas heutzutage immer noch zu Herzen?
Tua: Wir nehmen es immer noch so persönlich. Aber mittlerweile sind wir auch professioneller und lassen es nicht mehr so raus.
Bartek: Wir nehmen’s leicht.
Heute ist Halloween, da wird es nicht anders ausschauen, oder?
Tua: Wien ist nach wie vor nicht unsere größte Stadt, obwohl Wien, die Heimat eines Teils der Band ist, insofern …
Bartek: Polen!!!
Tua: Genau. Also außer Barteks Heimat, Kaas’ Heimat und meiner (lacht). Aber wir lieben die Stadt sehr, wir haben damals ja auch unser Video (2010 zu „Kim Kwang Seok“, Anm.) hier gedreht. Es ist eine tiefe, innige Liebe, die teils einseitig ist. Ein tiefes, inniges, halb unglückliches Verliebtsein in Wien.
Habt ihr auch schöne Erinnerungen an Wien?
Tua: Ja, ja! Jeder einzelne Mensch, der jemals auf einem Orsons-Konzert war und jemals dorthin kommen wird, ist ganz ausgesprochen schön. Das sind mitunter die schönsten Mom… Momenschen der Welt.
Bartek: Ein Momensch?
Tua: Ein Momensch ist eine Mischung aus Moment und Mensch. Ein Momensch.
Bartek: Ein Momensch!
„Wir waren irgendwie schon immer Aliens, auch ein bisschen aus freier Entscheidung heraus“
– Tua
Euer neues Album „Orsons Island“ ist ein Konzeptalbum. In Zeiten, in denen Playlisten dominieren, eine riskante Entscheidung. Maeckes, du hast einmal in einem Interview gesagt, es ist euch wichtig, das zu machen, was ihr wollt und dabei weniger auf den Zeitgeist zu hören. War das im Nachhinein betrachtet die richtige Entscheidung?
Maeckes: Es ist immer die richtige Entscheidung das zu machen, wo dich die kreative Energie hintreibt. Das kann man auch abgleichen mit der Außenwelt, aber nicht angleichen.
Könnt ihr den neuen Sound von Deutschrap feiern, obwohl ihr euch damit vielleicht nicht identifizieren könnt?
Tua: Wir haben nach wie vor genauso viel Verachtung für das HipHop-Game, wie wir sie immer hatten. Wir waren irgendwie schon immer Aliens, auch ein bisschen aus freier Entscheidung heraus. Wir sind einfach super schnell gelangweilt, wenn irgendetwas schon dreimal gemacht wurde. Dann machen wir es auf keinen Fall noch ein viertes Mal. Das ist gleichzeitig auch ein Umkehrschluss: Uns ist das dann zugleich so egal, dass wir es auch nicht hassen. Es ist so, wie wir es in unserem Track „Dear Mozart“ darlegen: Wir finden’s perfekt, auf so eine ganz weirde Art und Weise. Wie würde man bei euch sagen? Is‘ scho‘ recht.
Maeckes: Das geht sich eh aus.
Tua: Ist in Ordnung, macht ihr mal eure, wir machen unsre eigene Spur – immer schon hervorragend, wie meine Figur.
Ihr streitet euch des Öfteren, es gibt immer wieder Überlegungen, die Band aufzulösen. Es gibt die Vorstellung vom Großen und vom Kleinen: Solange man sich im Großen noch liebt, kann man so oft man will im Kleinen streiten, das wird sich nicht auf das große Ganze auswirken. Trifft das bei euch zu?
Maeckes: Ja. Meine Unterschrift steht da drunter. Unsere Unterschriften stehen da drunter.
Tua: Ja. Unsere Unterschriften, aber drei werden von mir durchgestrichen und ich ersetze sie mit dem Wort „Pimmel“. Es ging aber auch nie um unsere Freundschaft, sondern immer nur um die Band. Freunde waren wir immer. Aber du musst dir das so vorstellen wie ein Familientreffen: Es ist schon schön, die Leute zu sehen, aber nach einem halben Tag reicht es dann auch schon wieder. Den anderen halben Tag kriegt man dann noch mit viel Alkohol rum und am nächsten Tag, wenn man dann aufsteht…
Bartek: … freut man sich, dass die jetzt auch wieder wegfahren.
Glaubt ihr, dass es anderen Bands genauso geht, die das aber einfach nicht öffentlich thematisieren?
Bartek: Ja, die thematisieren das einfach weniger. Wir thematisieren das auch zu viel, mich kotzt es auf jeden Fall schon an.
Maeckes: Wir machen es auch nicht mehr.
Tua: Wir machen es nicht mehr, aber jetzt macht ihr es!
Ihr macht alle mehr oder weniger auch solo Musik. Worauf legt ihr den Fokus? Auf die Band oder auf eure Solo-Projekte?
Tua: Also ich, weil ich dir so viel antworte…
Bartek: Bei mir erübrigt sich ja die Frage. 100 Prozent Orsons.
Tua: Bei mir hat es sich über die Jahre hinweg gewandelt. Es ist ein gegenseitiges Begrüßen beider Projekte. Ich habe es heuer ganz geballt erlebt. Beides hat seine Glanzseiten, genauso wie seine Schattenseiten. Ich bin mittlerweile an einem Punkt, an dem ich es einfach geil finde, dass es beides gibt und dass auch beides nebeneinander bestehen kann. Zu gleichen Teilen. Um deine Frage noch zu beantworten, wie ein ekliger Politiker.
Bartek: Ich wollte auch noch irgendwas mit Politiker sagen…
Tua: Das ist auch so Zeitgeist, dass man „eklig“ vor das Wort Politiker tut.
„In einer Zeit, in der man immer alles haben und überall hinfliegen kann, ist Liebe ein bisschen schwierig“
– Maeckes
In einem Juice-Interview habt ihr gesagt, ihr wolltet das Chaos, das ihr immer verursacht, visuell etwas aufräumen. Seid ihr euch selbst immer noch zu chaotisch?
Maeckes: Nein. Ich finde, wir sind jetzt in uns viel aufgeräumter als wir waren, aber natürlich kommt immer so ein Stück Chaos durch. Weil wir halt vier Köpfe sind, mit vier Köpfen weiß man nie genau, wo es hingeht. Wir können uns voll gut absprechen, aber es ist trotzdem immer ein Ding.
Tua: Und zwei Köpfe sind immer am Arsch.
Maeckes: Aber wir haben auf jeden Fall das unnötige Chaos weggemacht, das übrige Chaos ist genug.
Tua: Und du, Kaas? Was sagst du so?
Kaas: Boooooaahh… Ich wollte gerade was sagen, jetzt kann ich nichts mehr sagen. Das ganze Interview über.
Euer Song „Bessa Bessa“ ist ein sehr vager Liebessong. Das Video dazu handelt von Roboterliebe, ein Thema das heutzutage gar nicht mal so utopisch ist. Inwieweit ist das Videokonzept eine ernsthafte kritische Auseinandersetzung mit der Thematik?
Tua: Ich würde einmal kurz den Regisseur ans Telefon holen: Markus Winter.
Maeckes (tut so, als wäre ein Ast sein Telefon): Ja, hallo?
Tua: Herr Winter, hier wurde eine Frage gestellt: Wie meinten Sie das mit dem Video?
Maeckes: Ich wollte mit dem Video nur noch einen weiteren Aspekt hinzufügen: Der Aspekt, der in dem Lied ist, reicht auch völlig aus. Dann habe ich mich aber gefragt, wie man das Gefühl, das da in der Musik drin ist, transportieren kann und dem auch noch etwas hinzugeben kann, was vielleicht nicht auf den ersten Blick in dem Song ist. Ich kam dann sehr schnell auf diese KI-Sache. Durch das Video hat das Lied jetzt auch den Aspekt, dass man alles „On Demand“ haben und alles kontrollieren will. Das funktioniert halt nicht mit Liebe, deswegen ist der Track so ein vager Liebessong. In einer Zeit, in der man immer alles haben und überall hinfliegen kann, ist Liebe halt ein bisschen schwierig. Sehr, sehr viele Menschen zwischen volljährig und Mitte dreißig tun sich extrem schwer, sich festzulegen. Für all diese Menschen ist dieser Song.
Tua: Der Song passt auch gut an der Stelle ins Konzept von unserem Album, weil wir ja im Künstlichen anfangen. Mit „Grille“ und „Dear Mozart“ behandeln wir den Zeitgeist, das Feiern, vielleicht den Eskapismus. Von dort hanteln wir uns im Album weg in Richtung des analogen Lebens. „Bessa Bessa“ ist die Auseinandersetzung mit der Phase der scheinbaren, schnellen, kurzen Feuerwerks-Welt.
Maeckes: So die schnelle Lösung.
Tua: Es gibt auf dem Album zwei Verliebtheitssongs. Der eine ist „Hin und Her“, der andere „Bessa Bessa“. Das eine ist wie ein Rausch, der am nächsten Morgen zum Kater führt, das andere ist ehrlicher.
Bartek: „Das Geschenk“ ist auch noch ein bisschen über das Verliebtsein.
„Ich finde, Musik muss nicht immer politisch sein, es kann auch einfach nur Musik sein“
– Bartek
Tua, 2012 haben wir mit dir über das „Human Extinction Movement“ geredet. Damals hast du gemeint, nicht die Anzahl der Menschen auf der Welt sei das Problem, sondern das Problem sei, dass diese sich „behindert verhalten“.
Tua: Oh Gott, hab ich das so gesagt?
Ja.
Bartek: Wie ein ekliger Politiker halt.
Das ist mittlerweile sieben Jahre her. Glaubt ihr, dass wir unser Verhalten verbessert haben? Heutzutage ist das Thema noch weitaus aktueller als 2012 …
Tua: Also ich glaube, dass ich erstmal das Wort „behindert“ rausstreichen würde und dass ich mein Verhalten hoffentlich schon ein bisschen seit 2012 verbessert habe. Eigentlich meinte ich natürlich unser unvorteilhaft gewähltes Verhalten: Das haben wir kein bisschen verbessert. Es ist aber spannend zu sehen, wie bestimmte Themen, die ganz offensichtlich die wichtigen Themen sind, zum Beispiel der Umweltschutz, ins Zentrum des öffentlichen Interesses rücken. Diese Themen sind auf einmal ganz stark, obwohl sie noch vor drei Jahren als Themen der Linken verlacht wurden. Um für uns als Band zu antworten: Das treibt uns natürlich auch beim Songs schreiben um. Bei den Shows erzählt Kaas auch, dass der Song „Schneeweiß“ in dem Gewand dieses Themas stehen kann. Also bis jetzt hat sich nichts nachhaltig verbessert, aber ich glaube auch nicht, dass das so schnell gehen kann.
Nervt es euch, dass man als Musiker in Interviews immer wieder mit gesellschaftlichen oder politischen Themen konfrontiert wird und jeder eine klare Positionierung erwartet? Muss man sich positionieren?
Bartek: Mich nervt das. Musik muss nicht immer politisch sein. Es kann auch einfach nur Musik sein. Natürlich ist es wichtig, dass es politische Bands gibt. Aber es wäre schlimm, wenn jeder Musiker denken würde, er müsse jetzt einen politischen Song machen und dann macht man einen Song über irgendwas, das man gerade in der Bravo gelesen hat.
Tua: Ich sehe das anders. Es hat sich viel entwickelt in den letzten zwei, drei Jahren. Ich verspüre immer mehr den Drang, Stellung zu beziehen. Vielleicht liegt das daran, dass es lauter wird. Ich hatte aber auch viele Gespräche mit Leuten, die mir gesagt haben, dass meine Musik ihnen etwas bedeutet, das lässt mich natürlich darüber nachdenken, wie ich denn meine Meinung in meinen Songs äußern sollte. Zum Beispiel dann so, wie bei euch 2012 ganz bestimmt nicht! Mir ist ein größeres Bewusstsein dafür gewachsen, dass ich so etwas gewählter machen muss.
Auf „Dear Mozart“ sagt Maeckes: „Zum Beispiel ist Grumpy Cat gestorben/Oder anderswo herrscht Krieg/Weshalb ziemlich viele Afghanen und Syrer gerade zu uns nach Europa fliehen/Worauf alte Politiker irgendwo auf Ibiza die Minibars leeren/Für die illegale Wiederwahl/Diese Na- ach, was sag ich da, Nazis?/Wolfgang, du weißt ja nicht einmal wer Hitler war“. Das ist ja schon eine Mischung aus Spaß und Kritik. Was ist euch wichtiger?
Tua: Erstmal sind wir eine Band, die ziemlich weit links steht. Das liegt daran, dass wir alle mehr oder weniger Migrationshintergrund haben, dass wir super multikulti aufgewachsen und in unserem Geschmack auch voll weltoffen sind. In unserem ganzen Sein reisen wir gerne und begrüßen neue Kulturen. Darüber hinaus ist es tatsächlich sehr schwer, uns vier unter einen Hut zu bekommen. Auch bei politischen Entscheidungen haben wir oftmals eine große Dialektik, sodass wir als Band nicht genau einen Standpunkt festmachen können.
Bartek: Aber Nazis hassen wir alle. So viel Politik muss sein.
Tua: Nazis finden wir alle scheiße, da sind wir uns einig. Aber wir haben uns auch schon deswegen die Finger verbrannt. 2012 haben wir den Song „Horst und Monika“ gemacht, den haben wir einfach dumm und unvorteilhaft geschrieben. Wir wollten die richtigen Sachen machen, haben aber die falschen Worte gewählt. Da haben wir auch gemerkt, dass man mit so etwas viel Schaden anrichten kann. Deswegen sind wir in der Hinsicht vorsichtiger geworden. Wenn aber einer von uns für etwas richtig brennt, dann wird dem auch nachgegangen: Sei es Maeckes mit „Viva Con Agua“ oder unsere Spendenaktion bei „Musik Bewegt“, letztens waren wir auch in Ostdeutschland und haben dort Sachen gemacht. Es wird auf jeden Fall mehr, weil wir schon merken, dass wir etwas tun müssen.
Euer Song „Ewigkeit im Loop“ handelt von den Fehltritten eurer Karriere. Durch die Öffentlichkeit, in der ihr steht und die Digitalisierung, wird vieles dokumentiert und festgehalten. War es für euch ein Zeichen von Stärke, öffentlich für eure Fehler einzustehen?
Maeckes: Der Song ist mehr eine Entschuldigung. Jeder, der sich wirklich krass für etwas schämt, würde wahrscheinlich kein Lied darüber machen und das damit noch einmal hervorholen. Wir wissen, dass es völlig okay ist auch einmal Fehler zu machen und einmal dumm zu sein. Man wächst ja.
Tua: Klar haben wir hin und wieder dummes Zeug geredet in unserem jungen Unverstand …
Maeckes: Und wir werden es wieder tun.
2009 habt ihr den Song „The Message“ gemacht, auf dem ihr in eurer eigenen Sprache rappt. Den Song könnte man heutzutage wieder als aktuell und kritisch sehen, oder?
Maeckes: Stimmt.
Tua: Nein, der Song hat damals keinen Sinn gemacht und macht auch heute keinen Sinn. Hat nicht Sokrates mal gesagt, dass die Jugend ganz furchtbar ist? Ich bin vor ein paar Jahren mit unserem DJ Jopez im Zug gesessen und wir haben ganz normal übers Beatmachen geredet: „Weißt du, wenn du den Reverb umdrehst und die Stereo splittest und man dann quasi nur den linken Kanal nochmal reverbed“ … dann kam ein alter Mann zu uns und meinte: „Wer redet denn so? Was ihr mit der deutschen Sprache macht!“. Das will ich dazu antworten.
Kaas, möchtest du noch abschließende Worte sagen?
Kaas: (schüttelt den Kopf)
Tua: Du kannst zwei von meinen Antworten einfach Kaas zuteilen.
Bartek: Esst mehr Fleisch! Das sind immer meine letzten Worte.
Tua: Schlagt Bartek auf die Fresse. Das sind immer meine.
Bartek, ernst gemeint oder nicht?
Tua: Bei mir: Je nachdem, ob seine Antwort ernst gemeint ist.
Bartek: Das will ich umkommentiert stehen lassen.
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