Im Zentrum ist eine der ganz wenigen Diskussionssendungen im ORF. Letzten Sonntag wurde sie mit „Der Kampf um den Hanf“ betitelt. Von der Nutzpflanze Hanf war freilich nie die Rede, sondern nur von ihrer bewusstseinsveränderenden Nutzung. Mit Ausnahme der 21-jährigen Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, lieferte keiner der eingeladenenen Diskutanten Lösungsvorschläge für eine Überarbeitung der momentanen Gesetzeslage. Folglich wurde in der einen Stunde auch nicht über Pro und Contra von konkreten Reformierungsmöglichkeiten Richtung Entkriminalisierung beziehungsweise Legalisierung diskutiert. Dafür lud man hingegen eine der ATV Super Nannys als Kinder- und Familienexpertin ein, ließ den über sechzigjährigen ÖVP-Gesundheitssprecher von „Eingerauchten“ schwadronieren, umgekehrt aber den Suchmittelgesetz-kritischen Rechtsexperten Alois Birklbauer und den praktizierenden Arzt Kurt Blaas kaum zu Wort kommen.
Ingrid Thurnher leitet die Sendung mit einem Joint in der Hand ein: das wäre der „Stein des Anstosses“ – nämlich „(…) eine mit Cannabis versetzte Zigarette“. Dass Hanf seit Jahrhunderten, in manchen Kulturen seit Jahrtausenden, nicht nur als Droge und Medizin, sondern auch und vor allem als Nutzpflanze für die Seefahrt, Bekleidung, Papier und vieles weitere genutzt wird, wird verschwiegen. Pikant wird der Sendungstitel „Der Kampf um den Hanf“ außerdem, wenn in der Diskussion kein einziges Mal der Begriff Hanf verwendet wird, sondern meist nur von Marihuana und manchmal von Cannabis die Rede ist. Der Titel wird noch um einiges zweideutiger, wenn man sich vor Augen führt, dass das US Department of Agriculture 1942 „Hemp for Victory“ („Hanf für den Sieg“) veröffentlichte, einen an die Landwirte gerichteten Propagandafilm zum Anbau von Hanf. Der deutsche Reichsnährstand zog nur kurze Zeit später nach: „Die lustige Hanffibel“ wurde 1943 veröffentlicht. Was hier natürlich nicht als Argument für Marihuana geführt werden soll. Allerdings lässt dies alles zwei Hypothesen zu: entweder hatten die zuständigen ORF-Redakteure keine Ahnung von diesen beiden Kriegsveröffentlichungen, die den Anbau von Hanf propagierten und dachten der Sendungstitel „Der Kampf um den Hanf“ wäre „catchy“, oder sie wussten davon und es störte sie trotzdem nicht.
Dass jene Sendung ein weiterer Schritt Richtung Boulevard und Tratschjournalismus war, zeigte sich noch an zahlreichen weiteren Umständen. Zum Beispiel dadurch, dass der ORF Sandra Velásquez (Jg. 1968) einlud. In der Sendung wird sie als Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin vorgestellt. Was in diesem Fall mit Sicherheit nicht zufällig verschwiegen wird: auch der Boulevardsender ATV nutzt bereits seit Jahren ihr vermeintliches Expertentum: sie ist nämlich eine der beiden Super-Nannys in einem dort laufenden Sozialporno-Formate. Eines der vielen Beispiele dafür, dass der ORF etwa nicht versucht, sich durch qualitative Sendungen von der privaten Senderkonkurrenz abzusetzen, sondern das Spiel der Privaten mitspielt: mit möglichst geringem Aufwand eine möglichst hohe Quote zu erzielen. Für konkretes Wissen und tatsächliche Zusammenhänge ist da kein Platz.
Wahrscheinlich wird man sich auch gedacht haben: „Letzte Im Zentrum Sendung vor der Sommerpause, es ist eh WM, wozu großartig Mühe machen? Intressiert doch eh keinen!“. So wundert es auch nicht, dass in die Sendung kein bekennender Marihuana-Konsument eingeladen wurde und mit Ausnahme von Julia Herr alle anderen fünf DiskussionsteilnehmerInnen zwischen 45 und 60 Jahre alt sind. Sprich genau jene Generation, die heutzutage weltweit die Regeln und Gesetze bestimmt und für die weiters Marihuana zum größten Teil nach wie vor etwas Exotisches, nicht selbst Erfahrenes ist. Ganz im Gegensatz zu der Altersgruppe, in die Julia Herr fällt.
Ingrid Thurnher (Jg. 1962) ist es dann auch nicht zu leger und salopp, die SJ-Vorsitzende zum Einstieg zu fragen, „Ob sie denn schon mal habe“, „Und wie das denn damals so gewesen sei mit Cannabis“. Auch als Julia Herr vollkommen zu Recht diese persönliche Frage abblockt, fragt Thurnher mit einem Lächeln im Gesicht noch mehrmals nach. Anscheinend wird Julia Herr aufgrund ihres Alters nicht ernst genommen. Darin dürfte sie schon Erfahrung haben: ihre eigene Parteigenossin Gabriele Heinisch-Hosek (Jg. 1961) schmiss sie vor einigen Monaten in der Manier einer schlechten Lehrerin von der offenen Bühne. Die konkrete Zukunftsvorstellung der Sozialistischen Jugend darf Julia Herr Im Zentrum erst nach 40 Minuten ausführen: sie tritt für eine Legalisierung von Marihuana, allerdings nur unter staatlicher kontrollierter Abgabe ein, näher ins Detail darf sie nicht gehen, da Thurnher gleich nachfragt, ob sie dies auch für härtere Drogen befürworten würde. Davor kommen noch zwei andere überaus oft zu Wort, die die Diskussion in Richtung Minderjährige und deren Drogenkonsum lenken, heimische Growshops und Amsterdamer Coffeeshops in einen Topf werfen, und dann natürlich auch noch Parallelen zwischen Marihuana, Kokain, Heroin und Alkohol suchen wollen: Sandra Velásquez (Jg. 1968) und der ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger (Jg. 1952).
Zweiterer spricht kontinuierlich von „Eingerauchten“, „Zugekifften“ und „chronischem Einrauchen“. Seine Argumentation ist auch sonst kaum sachlicher: Er traut sich zu wetten, dass es nach einer Legalisierung dreimal so viele Marihuana-Konsumenten in Österreich gäbe und die Psychatrien voll mit ihnen wären. Auf diese Wette geht freilich niemand ein. Überhaupt werden viele „Was wäre, wenn’s legal wäre“-Horrorszenarien in den Raum geworfen, ohne davor zu klären, wie diese Legalisierung aussehen solle: kontrollierte Abgabe oder komplett freier Markt, ab welchem Alter, in welcher Menge undsoweiter. Weiters ist es Rasinger nicht zu blöd, zu argumentieren, dass im Besonderen die Österreicher ein Suchtproblem hätten. Er wolle nicht dafür verantwortlich sein, wenn zum Alkohol und Nikotin noch eine dritte Volkssucht dazukommen würde.
Sandra Velásquez (Jg. 1968) geht in der Diskussion im Gegensatz zu Julia Herr vom Mikrokosmos ihrer eigenen Person und Familie aus. Die entscheidende Frage in der Diskussion sei, ob man denn Kinder habe oder nicht und „Sie haben ja keine, nehme ich an!“, meint sie dann noch in Richtung Julia Herr. Die zweite besorgte Frau in ihrem Alter, Ingrid Thurnher, lässt sie weiterreden und die Diskussion entgleiten: in weiterer Folge wird gar nicht mehr nur über Marihuana, sondern verallgemeinernd über Drogen und ihre Gefahren für Jugendliche erzählt.
Erst nach einer halben Stunde versucht der praktizierende Arzt und Obmann des Vereins „Cannabis als Medizin“, Kurt Blaas, auf die Marihuana konsumierenden Erwachsenen anzusprechen. Seine Expertise, wonach Marihuana zwar abhängig, aber nicht süchtig machen könne, wurde von Velasquez, Rasinger und Thurnher gekonnt ignoriert. Auch sonst darf er nicht mehr wirklich zu Wort kommen. Ähnlich wie der Rechtsexperte Alois Birlbauer (Jg. 1965) von der Uni Linz, der das derzeitige Suchtmittelgesetz in seiner Gesamtheit und vor allem das derzeitige Strafausmaß für die Haltung und den Konsum von Marihuana Pflanzen in aller Deutlichkeit infrage stellt. Auch dies wird geflissentlich ignoriert und nicht näher darauf eingegangen.
Ingrid Thurnher will dafür zum Abschluss noch etwas Anderes „ganz, ganz dringend“ aufklären: Im Anfangs gezeigten Joint war gar kein Marihuana drinnen. Ohne irgendeine Art von Resümee oder gar Ergebnisse aus der Diskussion zu liefern, leitet sie zur nächsten Sendung über: Sie fragt, ob sich die Zuseher eigentlich noch an den Safaripark Gänserndorf erinnern würden und verabschiedet sich daraufhin in die Im Zentrum-Sommerpause.
Es ist beschämend, auf welchem niedrigen Niveau im ORF über Marihuana diskutiert wird und von welch niedrigem Wissensstand ausgegangen wird. Dennoch wird nicht das Feld von vorne aufgerollt, sondern einfach irgendwo, mittendrin, wie es dem Boulevard und dem Durchschnittsösterreicher halt so passen könnte. Bereits vor 40 Jahren sang Ambros eine Hymne auf das Mädchen Marihuana, Georg Danzer vor 35 von der mitunter aufhellenden Wirkung von Haschisch, Falco widmete vor 30 Jahren die B-Seite seiner „Der Kommissar“-Single Ganja. Dennoch muss man sich in der österreichischen Gesellschaft auch heute noch berechtigte Sorgen machen, stigmatisiert und kriminalisiert zu werden, wenn man sich als Marihuana-RaucherIn outet. Im Zentrum hat statt aufzuklären, das Seinige dazu beigetragen, ebenso wie der am folgenden Tag in der Heute-Zeitung erschienene Artikel von Joachim Lielacher. Sein unglaublicher Titel: „Von Polizei erschossen: Räuber war völlig bekifft!“.
Die Sendung ist noch bis Samstag über die ORF-Videothek abrufbar.
Kommentar: Rob Naitkom
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