„Erst mal vorab, ich bin gar nicht gut in diesem Reden, deswegen habe ich hier auch einen Zettel liegen“, entschuldigt sich die leicht schüchterne Sängerin Amilli nach dem Spielen ihres ersten Songs als Supportact von AnnenMayKantereit. Das Porgy & Bess in Wien ist heute restlos ausverkauft. Das Publikum setzt sich aus Mädchen, die pünktlich eine Stunde vor Beginn vor der Bühne sitzend warten, und anfang-bis-mitte-zwanzigjährigen Studenten zusammen, die wirken, als hätten sie den heutigen WG-Küchen-Abend gerne gegen einen Besuch im Porgy & Bess eingetauscht. Amillis Sound ist angenehm ruhig, irgendwie authentisch und fügt sich perfekt in die hier vorherrschende Stimmung.
„Die Vögel scheißen vom Himmel und ich schau‘ dabei zu. Und ich bin hier und allein – Marie wo bist du?“, fragt beziehungsweise singt Henning mit seiner markanten und unverwechselbaren Stimme zu Beginn. Das Publikum singt, brüllt die Refrains der Songs, tanzt mit. Aber nicht nur das Publikum gleicht am heutigen Abend einer sehr tanzfreudigen Zuhörerschaft, sondern auch Henning, Christopher, Severin und Malte sind sich keineswegs zu schade, um gemeinsam mitzusingen und im Kollektiv zu tanzen. Und bei jedem Song versprühen die vier so viel Sympathie und wirken bei dem, was sie hier auf der Bühne gerade tun, so ehrlich, dass jeder Song – egal ob fröhlich oder traurig – voller Emotionen ans Publikum transportiert wird und dieses das auch definitiv zu spüren bekommt.
„Vielen Dank! Es ist sehr selten, dass Leute auf Sitzplätzen aufstehen und tanzen. Ich weiß das zu schätzen“
Von Starallüren kann man bei AnnenMayKantereit eindeutig nicht sprechen. Während Henning performt, winkt er hin und wieder Fans aus dem Publikum zu, entschuldigt sich bei zwei Gästen am Balkon, dass sie aufgrund ihrer Sitzplätze leider ständig vom Licht der Bühne geblendet werden und gelegentlich verspielt sich Christopher auf der Gitarre. Das nimmt ihm jedoch niemand hier übel, im Gegenteil: Alle lachen und klatschen anschließend. Auch die anderen Bandmitglieder nehmen den Fauxpas gelassen und mit Witz. Alles wirkt locker, leicht und einfach nur ehrlich. Die Jungs, die hier auf der Bühne stehen, haben bei all dem Erfolg, der Arbeit und dem Stress scheinbar dennoch nicht das verloren, worum es im Endeffekt gehen sollte, was das Wichtigste ist: Die Liebe zur Musik.
„Jetzt wird es ein bisschen serious. Wir haben uns vor sieben Jahren gefragt, wie man ein Lied über Tod schreiben kann und jetzt haben wir es geschafft“
Während Songs wie „Jenny Jenny“ oder „21, 22, 23“ zum Tanzen anregen und als Stimmungsmacher dienen, durchlebt die Atmosphäre im Laufe des Abends alle möglichen Emotionen. Alleine sitzt Henning am Klavier, es ist dunkel im Porgy & Bess, nur ein einziger Scheinwerfer ist auf ihn gerichtet. „Und ich sitz schon wieder barfuß am Klavier“, singt er ins Mikrofon, anfangs ist es noch ganz still im Saal, doch schon bald stimmt das Publikum mit ein. Wie Henning dort am Klavier sitzt, von einer verflossenen Liebe erzählt, die Menge mitsingt – all das erscheint wie ein intimer emotionaler Moment, den alle hier gemeinsam erleben, spüren, wertschätzen. Denn Musik verbindet.
„Das ist immer so seltsam, weil wir sind auf Tour und wir spielen die Lieder jeden Abend und dann denkt man, man spielt sie jetzt endlich mal ohne Pipi und den Augen und dann macht es plötzlich Klick und es passiert wieder. Das ist ganz grausam“. Spürbar sind die vielen unterschiedlichsten Gefühle, die sich im Laufe des Abends zugetragen haben, denen hier in kleiner Runde Platz geschenkt wird. Tanzen, weinen, lachen. Mal ist es ganz ruhig – fast schon unheimlich ruhig – und alle lauschen den letzten Akkorden der Gitarre, mal tobt und bebt die Menge förmlich.
Als Zugabe präsentieren die Jungs einen neuen Song – nicht auf der Bühne, sondern von der anderen Seite des Saals aus: „Am Anfang dachtet ihr, ihr habt ’nen scheiß Platz und jetzt habt ihr den besten Platz“. Gemeinsam wird selbst zu dem neuen, noch unbekannten Lied gesungen, der Refrain bleibt im Gedächtnis. „Ich will ein Meer zwischen mir und meiner Vergangenheit, ein Meer zwischen mir und allem was war“.
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