Das „FM4 Frequency Festival“ feiert dieses Jahr seinen 18. Geburtstag. Dabei lässt sich rückblickend eine jährliche Komfortsteigerung für das Publikum konstatierten, die auch dieses Jahr nicht ausbleibt. Das stressvermeidende „Cashless-Pay“ gehört zwar nicht zu den Neuerungen, feierte das Bezahlsystem schon vergangenes Jahr Premiere. Vor der „Space Stage“ sind daher auch diesmal links und rechts je eine Tribüne aufgebaut – wovon die linke nach wie vor für die „normalen“ Festivalbesucher zugänglich ist (und was sich anscheinend nach wie vor nicht bei allen umgesprochen hat). Die größte Neuerung am Gelände ist schließlich die „Green Stage“. Richtige LED-Screens zur Übertragung gibt es zwar leider immer noch nicht, die Alternativlösung wirkt dafür aber imposant: Um die Bühne herum ist die Stage mit großflächigen weißen Quadraten ausgekleidet, darauf wird entweder das Bühnenbild oder die Show projiziert. Der ganze Effekt kommt allerdings erst ab dem Abend zum Einsatz.
Tag 1 – Donnerstag
Für alle HipHop-Fans ist Donnerstag der stärkste Tag. Bis auf den Schlussact Bastille ist die „Green Stage“ heute zur Gänze in Raphand. Den Startschuss gibt Noname, bekannt durch ihr formidables Debüt-Mixtape „Telefone“ und ihrem charmanten „Boiler Room“-Gig in Kapstadt. Die Amerikanerin steht mit einer unglaublichen Leichtigkeit auf der Bühne, rappt sich klar durch die Verse, tanzt und lässt sich von der eigenen Musik mitreißen. Durch die Bandkonstellation gleicht der Auftritt einem Wohnzimmer-Gig einer Studentenband. Schlagzeug, Keys, eine Backgroundsängerin – auffällig: keine Gitarre, dafür ein fünfseitiger Bass sind zu sehen und zu hören. Der Sound driftet oft ins Jazzige ab. Gemeinsam jammen statt strikt eine Setlist abarbeiten, so lautet das Motto. Noname stellt vor den Songs sicher, dass auch wirklich alle die Refrains mitsingen können. Nur mehr Publikum, das hätte sie sich eindeutig verdient. Doch die vielleicht 200 Anwesenden sind dafür – trotz Hitze – höchst motiviert und so laut wie ein Vielfaches.
Wesentlich mehr Zuschauerandrang herrscht bei Little Simz. Sie steht mit einem Schlagzeuger, Keyboarder und ihrem DJ auf der Bühne, zu einem Remix von Missy Elliotts „Get Ur Freak On“ stellt sie diese auch gleich namentlich vor. Little Simz ist mit vollem Einsatz bei der Sache, steckt wahnsinnig viel Power in ihre Performance und legt großen Wert auf die Interaktion mit dem Publikum. So wartet sie mit dem Anstimmen des letzten Songs geduldig, bis auch wirklich alle ihre beiden Hände in der Luft heben. Dabei ist sie sich auch nicht zu Schade, manch einzelnen nochmals persönlich dazu aufzufordern. Großes Lob an den Sound, die Anlage klingt wesentlich besser als in den Vorjahren und ist auch bei Little Simz sehr gut eingestellt. Die Boxen halten den harten Beats wunderbar Stand und übersteuern nicht.
Noch voller wird es schließlich bei Trettmann. Der Chemnitzer feiert im Zuge seiner „DIY“-Show dieses Jahr sein „Frequency“-Debüt und die Massen beweisen: Er ist mittlerweile im Mainstream – und in Österreich – angekommen. Das Bühnenbild dominieren Aufnahmen von grauen Hochhäusern, das Gesamtbild ist in monochromer Farbgebung gehalten. Bis auf seinen DJ ist Trettmann allein auf der Bühne. Zu Beginn ist er eher schlecht zu verstehen, was das Publikum aber nicht weiter stört, da es mindestens ebenso textsicher wie der Rapper selbst ist. Trettmann springt von der Bühne in den Fotograben, direkt zu den Fans. Er sucht den Kontakt und will auch wissen, woher alle kommen: „Auf drei schreit ihr alle den Namen eurer Stadt oder eures Dorfes„. Und leitet so die Hymne an seine Heimatstadt ein: „Grauer Beton“. Er präsentiert sein aktuelles Video zu „Billie Holiday“, stoppt aber nach einer Minute, um mit dem gesamten Publikum den Song von Neuem zu singen.
Währenddessen befüllen Käptn Peng & die Tentakel von Delphi den ersten Wavebreaker vor der „Space Stage“. Auch sie sind längst kein Geheimtipp mehr, waren auch schon die letzten drei Konzerte in Wien ausverkauft. „Wir waren ja schon einmal da, aber das ist kein Vergleich zu heute“ – Peng wirkt sichtlich überwältigt. Sie sind auch diesmal wieder mit ihrem gesamten Ensemble an potentiellen Musikinstrumenten angereist: das selbstgebaute Schlagwerk mit Besen, Glöckchen, Kontrabass, Gitarre, dem Kinderkeyboard und Bruder Shaban, unter anderem als DJ tätig. Käptn Peng & die Tentakel von Delphi schließen bekanntlich gerne Freundschaft, weshalb sich das Publikum auch einen kollektiven Namen aussuchen soll, damit sie alle auf einmal ansprechen können.
Aus den Vorschlägen filtert Peng kurzerhand „Fred“ als Vornamen, der Nachname ist willkürlich aus dem „ABC“ zusammengesetzt und er ist sich selbst nicht sicher, wie er ihn aussprechen soll. Im Gegensatz zu den üblichen Konzerten besitzt ihre Show diesmal keinen wirklichen roten Faden. Sie schaffen es aber, dass jeder Song zwar für sich spricht, alles im Gesamten aber ein stimmiges Bild liefert. Wie immer nutzen Peng und Shaban auch diesmal die Gelegenheit, um kurz ein paar Worte ans Publikum zu richten: Man solle den Rechten da draußen nichts glauben und wenn ihr einen seht, „dann geht offen auf ihn zu und gebt ihm tiefe Zungenküsse! Wenn da 40 Oberkörper freie, behaarte Männer machen, trauen sich die Rechten nie wieder irgendwas zu tun“. Challenge accepted?
Kein „Frequency“ ohne Yung Hurn. Bis vergangenes Jahr noch auf der „Weekender Stage“, darf er nun seinem Erfolg entsprechend auf eine größerer Bühne. Massen strömen auf die „Green Stage“ zu, im vorderen Bereich stehen die Zuschauer eng aneinander gedrängt. Platz zum Tanzen ist erst weiter hinten. Hierfür wäre die „Space Stage“ wohl besser gewesen. Links und rechts hat Hurn seinen eigenen Namen auf die weißen Flächen projiziert. Er rotiert in Wordart-Outlook um die eigene Achse. Im Bühnenhintergrund laufen Videos mit.
Das Highlight: Zwei ein paar Meter hohe, aufblasbare Männchen sind zu seinen Seiten platziert. Hierzu gab es bereits Gerüchte und tatsächlich ist eines davon mit dem Gesicht des Trash-Gottes himself bedruckt! Aber die gute Performance kann nicht den schlechten Sound kaschieren. Yung Hurn ist sehr schwer zu verstehen, lediglich in den vordersten Reihen ist er laut genug. Trotz aller Show und Selbstinszenierung deshalb ein eher ernüchterndes Konzert. Positiver Sideeffect: Gespräche sind problemlos und die Stimme schonend möglich. Yurn Hurn ist hier die Hintergrundmusik seines eigenen Konzertes.
Ordentlich Gas geben dann Die Antwoord auf der „Space Stage“. Auf der Bühne ist ein Armenviertel mit Wellblechhütten aufgebaut, das Bild setzt sich über die LED-Screens fort. In den Hütten sind nochmals kleinere Bildschirme angebracht, sie zeigen abwechselnd Flammen oder kleine Zeichentrickfiguren mit obszönen Gesten. Yolandi Visser, Watkin Tudor Jones und god erwecken ihren einzigartigen Zef-Sound zum Leben.
Die harten Raplines sind begleitet von pulsierendem Hardstyle, sie mischen stetig düstere Klänge darunter und brechen schließlich wieder in hellem, schnellen Elektro aus. Sie werden begleitet von ihrem DJ und den exzessiven Bewegungen ihrer beiden Tänzerinnen. Jeder Song erhält seine eigene beeindruckende Lichtershow, die Laser sind auf das Riesenrad gelichtet und das Gelände wird zu einem einzigen Rave. Es gab zu Beginn keine Erwartungen an Die Antwoord – aber wenn, wären sie eindeutig übertroffen worden.
Gorillaz verbergen dann einen kleinen Flashback auf den Auftritt in der Wiener Stadthalle im November: Damon Albarn ist zweifelsohne ein großartiger Künstler und hat mit den Gorillaz ein einzigartiges Projekt geschaffen. Als Liveshow funktioniert sein Auftritt in der Form allerdings nicht. Die LED-Screens hätten viel mehr Freiraum zum Spielen gelassen, werden aber kaum verwendet. Nur im Hintergrund laufen Musikvideos mit. Albarn bemüht sich sehr, seine Musik so gut es geht umzusetzen, als One-Man-Show funktioniert dies aber nicht. Mutmaßungen auf ein Wiedersehen mit Little Simz bestätigen sich nicht. Dafür holt Damon das legendäre (ja, hier voll zutreffend) Trio De La Soul auf die Bühne. Klassiker wie „Clint Eastwood“ und „Feel Good Inc.“ funktionieren auch hier problemlos, für eine überragende Show ist das aber zu wenig.
Tag 2 – Freitag
Weniger geballt sind die HipHop-Acts am Freitag. Quasi eine kleine Verschnaufpause zum Vortag, wer so will (und braucht). Dafür scharrt RIN auch bei 31°C in der prallen Sonne ein beachtliches Publikum vor die „Space Stage“. Eine Computerstimme dröhnt aus der Anlage, fordert mehrmals zu Mosh-Pits auf und sogleich bilden sich über das Bühnengelände verteilt vier größere Circles.
RIN versucht mit dieser Einleitung sein Programm in drei Parts zu unterteilen und präsentiert dabei unter anderem seinen neuen Track „Dior 2001“. Das Publikum ist sichtlich begeistert, drückt die Freude in Form von neuen Mosh-Pits aus und unterstützt RIN beim Rappen. Insgesamt funktioniert RINs vorhergehendes Album „Eros“ aber etwas besser als „Planet Megatron“. Hoffnungen auf einen Auftritt von Yung Hurn werden enttäuscht: Anders als auf dem „Splash!“ und dem Frauenfeld, wo die beiden gemeinsam „Bianco“ performte, lässt sich der Donaustädter heute nicht blicken.
RAF Camora & Bonez MC treten dann mit altbekannter Bühnenshow auf. Einziger Unterschied: Sie dürfen mit ihrer Treppe dieses Jahr auf die „Space Stage“. In Anbetracht des riesigen Erfolgs der beiden ohnehin mehr als gerechtfertigt. Zur bewährten Setlist wird nur „500 PS“ ergänzt.
Selbstverständlich darf auch eine Instagramstory bei Bonez wieder nicht fehlen. Während er in die Menge filmt, schallen ihm begeisterte „187“-Rufe entgegen. Obwohl (oder gerade wegen) der Recycle-Performance liefern Raf und Bonez eine recht solide Show ab und stellen das Publikum mehr als zufrieden. Es feiert die Rapper mindestens genauso sehr wie diese selbst es tun. Dennoch wäre es nicht notwendig, Songs mehrmals zu spielen. Material hätten Raf und Bonez schließlich genug vorzuweisen.
Macklemore genießt das bisher größte Publikum der beiden Tage. Bereits kurz nach Beginn sind alle Tribünen zur Gänze voll und jede*r versucht, so weit wie möglich an den Rapper heranzukommen. Der enge Kontakt zu seinem Publikum steht bei Macklemore an vorderster Stelle. Er erzählt breitwillig aus seinem Leben und wirft das Obst aus dem Backstage in die Menge – „because why does everybody think I’d eat this? It’s nice, but I am not that healthy. So, who wants a banana?“.
Für „Dance Off“ holt er wieder zwei Fans aus dem Publikum. Wobei er zum Tanzstil des ersten nicht mehr als „dude, that was terrible“ sagen kann, bei dem unkontrollierten Gehopse, abseits jeglichen Rhythmus. So holt sich der zweite Kandidat den Sieg mit dem „Floss Dance“. Auch Macklemore ist immer noch mit seinem Gemini-Programm auf Tour, ändert die Show aber etwas ab und passt sie an das Festival an, wodurch er nicht 1:1 dasselbe Konzert wie im April liefert.
Fazit: Das „Frequency“ bot wieder ein buntes Programm auf – das trifft im Großen wie im Kleinen zu, wenn man die vielen unterschiedlichen HipHop-Strömungen, die diesmal ihren Platz im Line-up fanden, betrachtet. Leider konnten wir nicht jede Show sehen. Aber vieles, was wir uns reinziehen konnten, war von hoher Qualität, insbesondere die Shows von Noname und Die Antwoord. Da macht es auch nichts, dass die prominenten Gorillaz unter den Erwartungen blieben – und manchmal der Sound versagte, wie bei Yung Hurn. Das „Frequency“ war auch in der 18. Ausgabe ein Erlebnis. Und die großflächigen weißen Quadrate auf der Bühne, die haben sich definitiv ausgezahlt.
Im Beitrag ist nur eine kleine Auswahl unserer Fotos. Alle Bilder gibt’s hier.
Weitere Fotos vom Festival:
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