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Wie eine Villa auf den Kanaren: Tua mit „EDEN“ // Review

Wie eine Villa auf den Kanaren: Tua mit „EDEN“ // Review

Schon der Blick auf das Cover ist ein deutliches Indiz dafür, dass Tua (38) auf seinem vierten Solo-Album „EDEN“ einiges anders gemacht hat. Für „EDEN“ hat er sich nämlich dazu entschieden, seine vertraute Corporate Identity ad acta zu legen. Der Grund: Das melancholische Schwarz-weiß-Korsett hätte für dieses Album nicht mehr gepasst. Neben dem Cover leuchteten daher auch alle Video-Auskopplungen in satten Farben – und müsste man „EDEN“ mit einer Farbe assoziieren, die Wahl würde auf ein sonniges Gelb fallen. Ein Kontrastprogramm zu den Grautönen der Vergangenheit.

Stellt man sich „EDEN“ als eine große Villa auf den Kanaren vor – für die Inselgruppe hat Tua ein Faible entwickelt – dann ist der Opener „Weit und blau“ das lichtdurchflutete Foyer: Die sonnigen Klänge einer Akustik-Gitarre, House-Percussions und Alfred Hitchcocks Definition von Glück als Outro bilden den Eingangsbereich mit Wohlfühl-Ambiente.

Der folgende, opulent eingerichtete Raum hat ein Türschild mit dem Titel „Geld“: Mit einem ausgezeichnet passenden Feature-Auftritt von RIN und einem Handpan-Sample von Malte Marten ausgestattet, ist der Song der ideale Soundtrack für alle, bei denen sich nach Jahren der Entbehrungen endlich der Blick auf den Kontostand lohnt: „Alles ist gut, die Dürrejahre vorbei“, stellt Tua fest. Diese feierliche Stimmung setzt er auf „So gut es geht“ fort: Hier bahnen die Klänge einem sofort den Weg in dalmatische Hafen-Discos, die Luft duftet nach Salz, das sich mit dem scharfen Geruch des Šljivovicas vermischt. Das Leben ist gut!

Wie das „U“ in „Tua“

Wer danach denkt, in dieser Tonart ginge es weiter, wird überrascht. Stimmungstechnisch spiegelt das Album das „U“ in „Tua“ wider, es geht auf und ab, und das Stimmungsbarometer geht für eine Weile nach unten. Diese Entwicklung kündigt sich schon bei „So gut es geht“ mit dem Outro „Alles gut, alles gut, alles klar/Fragst dich nur ab und zu, ob das alles war“ an. Die Sonnenstrahlen erreichen nicht alle Zimmer der Villa.

Der finstere Gebäudeteil beginnt mit „Mehr sein“. Mit einem an Yann Tiersen erinnernden Piano-Intro und mehreren Beat-Wechseln ist „Mehr sein“ der vielschichtigste Song auf „EDEN“; eigentlich sind es drei Songs in einem, wie Tua auf Instagram erzählte. Hier lernen die Hörenden zum ersten Mal die Figur Gianna kennen, die noch eine wichtige Rolle auf dem Album einnehmen soll. Inhaltlich geht es um den großen „Hustle“ des Protagonisten, der alle Energie dafür aufbringt, etwas zu schaffen – als Bestätigung gegenüber seinem Umfeld, aber auch gegenüber sich selbst.

Bei all den Anstrengungen bleibt nicht nur, aber auch die Beziehung zu Gianna auf der Strecke. „Verzichtest auf dein Leben, gut, dann mach das/Ich schreib‘ auf deinen Stein, dass du’s geschafft hast“, stellt Feature-Gast Nura fest. Damit sorgt sie für einen kleinen Gänsehaut-Effekt, weil sie die Message des Songs mit wenigen Worten auf den Punkt bringt.

Verlangen nach den Ausreißer-Momenten

Giannas Warnungen finden keinen Anklang, die Beziehung scheitert – und der Protagonist zieht anschließend durch die „Südvorstadt“, um die Trennung mit „Straßenquatsch“ zu verarbeiten. Der stimmungstechnische Nadir ist dann auf „Echte Leben“ erreicht, wo die Brutalität des monotonen Alltagsleben zuschlägt. Im Protagonisten brodelt es. Seine Gedanken kreisen um die Frage, was nun dieses „echte Leben“ sei. Ist das „echte Leben“ jenes mit Windelwechseln und anderen Verpflichtungen – oder waren es doch diese Ausreißer-Momente von einst?

Mit der Monotonie des Alltags will sich der Protagonist nicht abfinden, wie sich in „Herr Aber Aber“ zeigt, das gar ein wenig Sade-Vibes versprüht. Er will wieder die Peak-Momente erleben, koste es, was es wolle. „Mit dem Kopf durch die Wand“ lautet das Motto. Nach diesem Track geht es stimmungstechnisch wieder aufwärts, wir erreichen die Zimmer, deren Fenster Richtung Meer zeigen.

Das erste dieser Art nennt sich „Niederlande“. Tarek K.I.Z. schaut als Gast vorbei, die Stimmung ist allerdings noch ein wenig getrübt, der Blick auf das Meer nicht vollends gegeben. Einerseits entspannt die sanfte Gitarren-Line, andererseits herrscht das beklemmende Gefühl vor, irgendwo in den Amsterdamer Grachten verloren gehen zu können. Obwohl beim Ausflug in die Niederlande nicht alles perfekt ist: Es ist besser als der Alltagstrott, wie Tarek K.I.Z. als Conclusio in seinem Part feststellt.

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Tua wie die Nockis

Die Stimmung bessert sich dann nochmals auf „14.000 Tage“, dessen Titel auf die 28.000 Tage anspielt, welche die durchschnittliche Lebenszeit eines Menschen ausmachen: Über einem gechoppten Saxofon zeigt sich Tua im Einklang mit dem Ist-Zustand und versöhnt mit der Gegenwart. Jetzt sind wir bei den Zimmern mit ungetrübtem Meerblick! Der nächste Stimmungsaufheller folgt mit „1in1Million“, das ursprünglich als Heiratslied angedacht war und Indie-Klänge serviert.

Ähnlich hell erklingt „Santa Cruz“. Dem Ort auf den Kanaren mit dem schwarzen Sandstrand wurde ja schon so manches Lied gewidmet, genannt sei hier der Schmuse-Gassenhauer „Der schwarze Sand von Santa Cruz“ von den Kärntner Nockis. Inhaltlich ist Tua gar nicht so weit davon entfernt, sein „Ich bin so froh dass es sich gibt“ kommt der Cheesyness gefährlich nahe. Musikalisch geht es aber nicht schunkelig zu: „Santa Cruz“ ist vielmehr ein Ambient-Stück, das an den Sound von Tom Krells How To Dress Well erinnert.

Der emotionale Höhepunkt wird dann mit dem Closer „Im Garten“ erreicht, wo Tua über einem Gitarren-Loop sein Resümee zieht. Die Villa auf den Kanaren hat schließlich einen pittoresken Garten: Dort angekommen, ist (fast) alles perfekt – wenn nicht doch noch manchmal diese kleine Sehnsucht nach einem anderen Leben hochkommen würde. Ein mitreißender Schlusspunkt eines Albums, das einer Berg- und Talfahrt gleicht, bei dem die positiven, sonnigen Momente aber deutlich überwiegen. Bei einem „U“ muss man schließlich nur einmal einen Strich nach unten machen.

Fazit

In Tuas „EDEN“ trifft oftmals poppiger, aber stets feingliedriger Sound auf großteils tiefgründig gehaltene Lyrik über das Leben. Einige Kitsch-Ausflüge sind auch enthalten, die Tua aber stets in einem musikalisch aufregenden Setting einbettet. Die Gesangs-Parts sitzen, die Rap-Parts sowieso, und manchmal reicht es auch, wenn er fast nur spricht. Die richtigen Featuregäste runden dieses Werk ab, das in der Diskografie Tuas den Beginn einer neuen Ära markiert – und beweist: Veränderung ist nicht immer schlecht. In seiner Villa auf den Kanaren fühlt sich Tua hörbar wohl.

4 von 5 Ananas