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Casper schwimmt sich frei: „nur liebe, immer.“ // Review

Casper schwimmt sich frei: „nur liebe, immer.“ // Review

Nostalgie steht weiterhin hoch im Kurs – diesen Eindruck dürften all jene gewonnen haben, die sich Ende November Kim Franks (41) Echt-Dokumentation „Echt – Unsere Jugend“ angesehen und das neue Album „nur liebe, immer.“ von Casper (ebenfalls 41) angehört haben. Es ist ein schöner Zufall, dass die Dokumentation über die erfolgreichste deutsche Pop-Band der frühen 00er-Jahre und das neue Album eines Künstlers, der einen ähnlichen Trubel um seine Person seit den 10er-Jahren erlebt, fast zeitgleich veröffentlicht wurden. Zwei Projekte, die ähnliche Gefühle beim Rezipienten auslösen – und sich in den Themen gleichen.

Es ist naheliegend, dass es bei „Echt – Unsere Jugend“ sehr viel um die Vergangenheit geht. Überraschender, dass auch Caspers sechstes Studio-Album, das ein Jahr nach „Alles war schön und nichts tat weh“ erscheint, über weite Strecken thematisch auch dort angesiedelt ist. Für seinen Doku-Streifen hat Kim Frank aus 240 Stunden unveröffentlichter Privat-Aufnahmen zurückgegriffen. Damit ließ er nicht nur das Bandleben, sondern auch das Erwachsenwerden Revue passieren.

Nicht auszuschließen, dass Casper sich ebenfalls von alten Aufnahmen inspirieren hat lassen. Ein Indiz ist schließlich das Album-Cover, das einen Schnappschuss aus seiner Kindheit zeigt. Das Foto entstand, als der damals elfjährige Benjamin Griffey auf Besuch bei seinem Vater in Statesboro, Georgia war. Ein für Casper mit Nostalgie verbundenes Foto.

„nur liebe, immer.“ startet nach dem Instrumental-Intro aber nostalgiefrei mit „echt von unten/zoé freestyle“. Hier beschreibt Casper seinen Werdegang – vom kargen Leben im amerikanischen Trailerpark, als Trina und Trick Daddy Elternfunktionen übernahmen, hin zu einer Gegenwart mit ausverkauften Stadien und von ihm abgelehnten Deals, „für die du morden würdest“. Caspers Version von Drakes „Started From the Bottom“ – oder Tuas „Vorstadt“, je nachdem. Casper-typisch beginnt beim Hörenden gleich wieder ein Film im Kopf zu laufen.

Casper beim Performen in der Wiener Stadthalle
Foto: Alex Gotter

Diese Qualität spielt er auch beim beschwingten Electro-Song „falscher zeit, falscher ort“ aus, der von der unbeschwerten Teenager-Zeit handelt: Eine Zeit, in der man noch ohne wirkliche Konsequenzen dummes Zeug anstellen konnte. Eine Zeit, die man in einem späteren Lebensabschnitt aber gerne verklärt. Nostalgie eben.

Entfremdungen

Das gilt auch für „immer noch nervös“, auf dem sich Casper den Gefühlen widmet, die eine Jugendliebe bei ihm auslöst; was wiederum ebenfalls an ein zentrales Kapitel in der Echt-Doku, nämlich die Beziehung zwischen Kim Frank und Enie van de Meiklokjes, erinnert. Von Enttäuschungen persönlicher Natur handelt „wimpernschlag“, die ebenso in Kim Franks Rückschau Eingang gefunden haben wie Panikattacken, mit denen sich Casper auf „sowas von da (hellwach)“ auseinandersetzt.

Nachdenklich fällt „luft holen“ aus. Hier befasst sich Casper unter anderem mit dem Entfremden von alten Freunden und spricht damit vielen aus der Seele: Ab einem gewissen Alter fällt es oft schwer, das Versprechen einzulösen, sich mit den alten Freunden doch einmal auf ein Bier zu treffen. Ein Versprechen, bei dem insgeheim alle Beteiligten wissen, dass daraus nichts wird, man es trotzdem aber immer wieder versucht. Auch die ehemaligen Bandmitglieder von Echt können hier mitreden, wenngleich ihnen mittlerweile regelmäßige persönliche Treffen gelingen.

Eine andere Form der Entfremdung gibt es auf „bist du noch da?“ zu hören: Hier steht das sich anbahnende Ende einer Liebesbeziehung im Fokus. „bist du noch da?“ ist damit einer der wenigen Songs ohne wirklichen Vergangenheitsbezug.

Antithese zu „Hinterland“

Den gibt es auf „Sommer“ mit CRO. Musikalisch sorgt der „Sommer-Hit der Herzen“, wie Casper diesen beim AllGood-Podcast mit Jan Wehn bezeichnete, mit seinem 2012er-Vibe für nostalgische Gefühle: „Sommer“ ist ein unbekümmerter Feelgood-Song mit einem Mellow-Mac-Miller-Type-Beat, der mit CRO den passendsten Feature-Gast aufweist.

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CRO ist zugleich das einzige Feature auf dem Album, das eine für Casper untypische Laufzeit von knapp unter 30 Minuten hat. Man hört, dass „nur liebe, immer.“ ursprünglich als Mixtape gedacht war und sich dann zu einem Album entwickelte: Die Songs greifen kaum ineinander, sind nicht wie Glieder einer Kette, sondern weitgehend unabhängige Entitäten, deren Gemeinsamkeiten zufällig erfolgt sind. Die Antithese zu „Hinterland“, sozusagen.

„nur liebe, immer.“ ist eben Caspers lockerstes Album, bei dem er je nach Lust und Laune singt oder straight rappt. Hier schwimmt er sich frei von irgendwelchen Zwängen, sei es lyrisch oder musikalisch. Frische Impulse kamen unter anderem von Hardy X, der das Musik-Jahr 2023 vor allem via Nina Chuba geprägt hat.

Besagter Hardy X war auch am emotionalen Album-Highlight beteiligt: der sehnsuchtsvollen, von einer Akustik-Gitarre getragenen Bielefeld-Ode „verliebt in der stadt die es nicht gibt“. Textlich spielt Casper auf diesem Track ein wenig mit der ulkigen Bielefeld-Verschwörungstheorie, zelebriert dabei aber vor allem seine Heimatliebe. Wie passend, kommt der Begriff Nostalgie vom lateinischen „Nostalgia“, was so viel wie Heimweh bedeutet.

Fazit

Mit „nur liebe, immer“ liefert Casper das unverkopfteste Album seiner Diskografie. Die Songs sind Casper-untypisch kurz, viele beschäftigen sich mit der Vergangenheit, was dann doch ein wenig nach Konzept riecht, obwohl es so nicht gewollt war. Kim Frank zog mit der Dokumentation einen Schlussstrich unter dem Kapitel Echt. Für Casper ist „nur liebe, immer“ hingegen kein abschließendes, sondern lediglich ein weiteres Kapitel in seinem künstlerischen Gesamtwerk, das zeigt: Casper muss nicht immer alles „zerdenken“, Casper kann auch locker starke Songs machen.

4 von 5 Ananas