"The hardest thing to do is something that is close…
Die Spannung auf einer üblichen Grammy-Verleihung hält sich im Regelfall in Grenzen: Im Akkordtempo werden stets Preise vergeben, nette Performances abgeliefert und nach Skandälchen Ausschau gehalten, damit die mediale Öffentlichkeit in den Tagen danach auch etwas zu berichten hat. Dass 2017 ein wenig aus dem Rahmen fallen würde, war zu erwarten. Immerhin werden die Vereinigten Staaten nun von Donald Trump regiert – und der hat in der Kunstwelt nicht sonderlich viele Freunde. Kritik an Präsident Trump fand bei der Verleihung auch statt, wenngleich nur selten direkt.
Dabei ist es schwer vorstellbar, dass Donald Trump vom Weißen Haus aus den 59. Grammy Awards beiwohnte. Seine Reaktion hätte er sonst schon längst via Twitter verbreitet – wie bei Meryl Streep, deren klug formulierte Kritik bei den Golden Globes Trump mit einer Herabwürdigung ihres schauspielerischen Könnens konterte. Nicht unwahrscheinlich, dass die Reaktion auf die klare Botschaft von A Tribe Called Quest ähnlich ausgefallen wäre. Die Band, gemeinsam mit Busta Rhymes und Anderson .Paak performend, gedachte nicht nur ihrem verstorbenen Mitglied Phife Dawg, sondern nutzte die große Aufmerksamkeit auch für kritische Töne gegen den US-Präsidenten. So ließ sich Busta Rhymes, wie Tribe-Mastermind Q-Tip Moslem, nicht die Chance nehmen, vor der Darbietung des Tracks „We the People“ eine paar scharfe Zeilen an Trump zu richten:
I just want to thank President Agent Orange for perpetuating all of the evil that you’ve been perpetuating throughout the United States. I want to thank President Agent Orange for your unsuccessful attempt at the Muslim ban.
Damit nicht genug, griffen A Tribe Called Quest und Kollegen auf Statisten verschiedenster Ethnien zurück – und beendeten ihr Set mit einem eindeutigen „Resist!“. Das stärkste Statement gegen Trump, wenngleich nicht das einzige: Katy Perry ließ Politik in ihre Kleiderwahl einfließen und wählte ein Armband mit dem Schriftzug „Persist“, Jennifer Lopez betonte noch einmal die Bedeutung, als Künstler seine Stimme zu erheben, und Paris Jackson erinnerte an die Proteste aufgrund der Dakota Access Pipeline. Insgesamt nette Gesten, aber nicht denkwürdig – im Gegensatz zur Performance des Tribe, die zwar nicht den gleichen Impact wie die Rede von Meryl Streep aufwies, aber am deutlichsten den Spirit der Straßenproteste auf die Showbühne brachte.
Proteste zeichneten auch die Grammys im Vorfeld aus, Frank Ocean etwa boykottierte die diesjährige Verleihung und reichte seine Veröffentlichungen gar nicht ein. Der Grund liegt im seltsamen Gebärden der Jury in den vergangenen Jahren, die sich in teils äußerst wunderlichen Entscheidungen äußerte – denen nicht selten der Mief des Rassismus anhing (siehe Tweet). Zum Wundern war auch manch Preisvergabe dieses Jahr, insbesondere Beyoncés schwaches Abschneiden (zwei Preise bei neun Nominierungen) sorgt für Diskussionsstoff. Statt Beyoncé war die Britin Adele die große Gewinnerin des vergangenen Abends: Bestes Album, bester Song, beste Single, beste Solo-Darbietung – alle Preise in den wichtigsten Kategorien gingen nicht auf Beyoncés, sondern Adeles Konto. Adele, die bei ihrer Gedenk-Performance an George Michael mit ähnlichen Tonproblemen kämpfte wie im vergangenen Jahr, fühlte sich sichtlich unangenehm dabei, so dass sie ihre Laudatio mit viel Lob an Beyoncé schmückte. Wobei die Jury-Entscheidung pro Adele durchaus nachvollziehbar erscheint – schließlich gehört sie zu den wichtigsten Vertretern des Pop und verfügt über eine Stimme, die ihresgleichen sucht. Die Preise für Adele waren zwar wenig riskant, aber nicht unbegründet.
2013 – mumford over frank 2014 – daft punk over kendrick 2015 – beck over beyonce 2016 – taylor over kendrick 2017 – adele over beyonce
— very festive tweets (@adam_lewis) 13. Februar 2017
Eine positive Überraschung waren hingegen die Auszeichnungen für Chance the Rapper, der neben den begehrten Preis als Newcomer des Jahres (mit Kontrahenten wie Anderson .Paak oder, nun ja, The Chainsmokers) und für die beste Rapdarbietung auch jenen für das beste Rapalbum einheimste – das „Life of Pablo“ seines Mentors Kanye West ging leer aus. Eine Entscheidung mit viel weniger Wirbel als jene im Jahr 2014, als Macklemore und nicht Kendrick Lamar den Preis für das beste Rapalbum verliehen bekam. Neben Chance the Rapper ging Drake beinahe unter, der unter anderem den Preis für die beste Rap-Nummer mit nach Kanada nahm.
There’s nothing more Grammys than giving best rap song to the song that contains the least actual rapping — Otto Von Biz Markie (@Passionweiss) 13. Februar 2017
Insgesamt waren die Grammys 2017 zwar spannender als zuletzt, viel wird aber nicht von der Gala hängen bleiben. Nicht einmal der misslungene Auftritt von Lady Gaga und Metallica. Und Peinlichkeiten der Marke Twenty One Pilots, die ihren Preis als bestes Pop-Duo ohne Hosen entgegennahmen, sorgen für gute Gründe, warum man darüber nicht wirklich traurig sein sollte. Nur an A Tribe Called Quest, daran wird man sich erinnern. Zu Recht.
Ausgewählte Preisträger:
Album of the Year: „25“ von Adele
Record of the Year: „Hello“ von Adele
Song of the Year: „Hello“ von Adele
Best New Artist: Chance the Rapper
Best R&B Performance: „Cranes in the Sky“ von Solange
Best Rap Performance: „No Problem“ von Chance the Rapper, Lil Wayne, 2 Chainz
Best Rap/Sung Performance: „Hotline Bling“ von Drake
Best R&B Album: „Lalah Hathaway Live“ von Lalah Hathaway
Best Urban Contemporary Album: „Lemonade“ von Beyoncé
Best Rap Song: „Hotline Bling“ von Drake
Best Rap Album: „Coloring Book“ von Chance the Rapper
Best R&B Song: „Lake by the Ocean“ von Maxwell
Best Music Video: „Formation“ von Beyoncé
Best Dance/Electronic Album: „Skin“ von Flume
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