"The hardest thing to do is something that is close…
Zwar bereichert Haiyti die Deutschraplandschaft erst seit wenigen Jahren, ihren Drang zur Veränderung hat sie aber in dieser kurzen Zeitspanne bereits äußerst intensiv ausgelebt. So versuchte sie sich zunächst unter dem Alias Ovadoz als Schwester von Gangsta Boo auf synthieschweren Memphis-Instrumentals, kredenzte anschließend als Money-Boy-Affiliate Dealer-Trap mit dicker Hose auf bouncenden Beats von AsadJohn oder GEE Futuristic, bevor mit Die Achse Emo-Dark-Trap geliefert und Geschichten von alkoholgeschwängerten Nächten zur Rehabilitierung von gescheiterten Beziehungen von der Seele geschrieben wurden. Und nun? Nun produziert sie mit Kitschkrieg im Verbund wieder etwas ganz anderes.
Aber diesmal sehr verständlich, ist „Montenegro Zero“ die bisher wichtigste Zäsur in der Karriere der Chefin von der Reeperbahn (sorry Olivia Jones). „Montenegro Zero“ wird nämlich nicht als loser Spotify-Release veröffentlicht, sondern erscheint mit dicker Unterstützung von Universal. Major-Release, die erste. Dafür wurde auch optisch an der Veränderungskurbel gedreht: Die Dealerklamotten wandelten sich zu feinen italienischen Gewändern, die Pulle wurde zum Champagnerglas. Kurzum: Als hätte Guido Maria Kretschmer Haiyti einmal einkaufen geschickt und ihr das Motto gegeben: „Style dich für dein erstes Majorrelease wie Audrey Hepburn“. Dafür kassiert sie schon einmal 10 von 10 Punkten, Wandlung geglückt.
Das Vorhaben, musikalisch auch die volle Wertung zu erzielen, glückt jedoch nicht ganz. Dabei war natürlich beeindruckend, wie stilsicher sich Haiyti in der ersten Video-Single „100.000 Fans“ visuell bei „Tanz mit Laibach“ von der slowenischen Sarkasmus-Kapelle Laibach bediente. Den Song machte das eindrucksvolle Video aber nicht wirklich besser. Der wirkt schließlich so, als wüsste Haiyti nicht, wie sie nach vielversprechenden Beginn die restlichen Minuten füllen sollte. Ein Schicksal, das einige Tracks auf „Montenegro Zero“ mit „100.000 Fans“ teilen, vor allem „Haubi“ und „Bitches“ fallen in dieser Hinsicht auf. Und da wäre noch „Serienmodell“, das sich zudem noch unerträglich in den Gehörgang bohrt. NDW lässt grüßen, Erinnerungen an „Kleine Taschenlampe brenn'“ werden geweckt. Furchtbar glatt.
Doch an vielen Stellen weiß Haiyti ganz genau, welche Knöpfe sie für einen stimmigen Song drücken muss. „Berghain“ strahlt etwa wie einer jener Klunker, die mittlerweile an ihren Fingern Platz finden. In besagter Nummer widmet sie sich DEM Berliner Club schlechthin, ohne jemals dessen Inneres gesehen zu haben. Aber nicht, weil Türsteher Sven Marquardt von einer Haiyti nach Yelp-Rezept „Schwarzes Outfit, vor allem schwarzer Schal“ wenig überzeugt war, sondern weil das Berghain sie bis dato nicht wirklich interessierte. Dank der spannenden textlichen und musikalischen Verpackung das Highlight der Platte. Ebenfalls zu den gelungenen Nummern zählen die Hymne aller Schutzgeldeintreiberinnen, „Mafioso“, die Rich-Kid-Saga „Bahama Mama“, die herzzerreissende Ballade „Gold“ und der Gangsta-Knaller „Kate Moss“. Das Zusammenspiel zwischen Text und Song funktioniert an diesen Stellen nämlich ausgesprochen gut. Dazu kommt, dass Haiyti das Hookexperten-Game der Migos’schen Spielart deutlich besser beherrscht als viele ihrer Kollegen. Das klingt bei ihr einfach gut und nervt kaum.
Als eher nervig entpuppt sich an manchen Stellen hingegen das schrille Organ von Haiyti, ihr Einstieg bei „Gold“ ist dahingehend schon eine richtige Herausforderung, die Autotune-Effekte helfen hier nur wenig oder verschlimmern das Ganze sogar. Umso besser die Entscheidung, „Montenegro Zero“ mit lediglich 12 Tracks auszustatten. Eine längere Spielzeit hätte sich schnell als anstrengend gestaltet. Das liegt allerdings nur an der Stimme, an der sich schon in der Vergangenheit die Geister geschieden haben. Die Beats hingegen: Eine unbestrittene Wucht, was wieder einmal vom Kitschkrieg-Kollektiv hier zusammengebraut wurde. Dabei schielten Kitschkrieg sowohl in die musikalischen Sphären der Karibik, ohne erneut die tausendste Version des mittlerweile stinklangweiligen Afro-Traps abzuliefern. Nein, der Kitschkrieg-Sound ist weitaus facettenreicher und reicht von Garage-Einflüssen über Kuduro-Spielereien bis zu – ja, wirklich – Country für „American Dream“. Eine Klasse für sich, wenngleich das Raue, das Kantige, wie bei den Produktionen von AsadJohn für Haiyti vorhanden, fehlt. Alles großartig, aber den Straßenschmutz vergangener Veröffentlichungen vermisst man trotzdem.
Fazit: Haiyti hat mit ihrem Major-Debüt ein Album abgeliefert, mit dem sie sich sofort die Herzen des Feuilletons sichern konnte. Auf einer Weise verständlich, bei diesen wuchtigen, vielseitigen Produktionen und der Eingängigkeit, die viele ihrer Songs aufweisen. Mit ihrer jüngsten Wandlung hat sie jedoch auch komplett die charakteristischen Unebenheiten in ihrem Stil beseitigt. Nach dem musikalischen Fruchtsäurepeeling klingt das alles zwar „big“, aber stellenweise äußerst glatt. Deswegen ist „Montenegro Zero“ ein Album mit vielen gelungenen Pop-Songs auf einem gewaltigen musikalischen Produktionsniveau, denen jedoch einige Versatzstücke textlicher Ideenarmut entgegenstehen und das den Charme alter Tapes nicht mehr vorweist. Veränderung eben. Guido Maria Kretschmer würde dafür die 7-Punkte-Karte ziehen, von uns daher 3 1/2 Ananas.
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