Now Reading
„Mich stört, dass kaum Gegenwind kommt“ // Sheyla J Interview

„Mich stört, dass kaum Gegenwind kommt“ // Sheyla J Interview

Alle Fotos von Moritz Nachtschatt.

Abseits von Hektik und einer Gesellschaft, „die manchmal ein bisschen unterkühlt ist, enthüllt Sheyla J im Interview mit The Message ihr persönliches  Rezept zu einem positiven Lebensgefühl, spricht über Selbstbestimmtheit, die Macht der Gesellschaft, Dinge zu verändern, die Rolle der Medien in diesem Kontext und warum Musik endlich als Dienstleistung begriffen werden muss.

Interview: Francesca Herr & Ronja Neger

The Message: Wie bist du in die Hip-Hop/R’n’B/Soul-Schiene geraten?
Sheyla J: Wird wahrscheinlich damit zu tun haben, welche Musikrichtung zu Hause gespielt wurde. Schlager gab’s dort nicht (lacht). Bei mir waren es eben R’n’B und Soul. Da habe ich viel von meiner Mutter mitbekommen.

Von Anfang an Soul?
Ja. Was eben in den 90ern so gespielt wurde. Hängen geblieben bin ich dann mehr im R’n’B, Soul & Pop-Bereich. Weil mir der dann auch am meisten gefallen hat und ich mich damit am meisten identifizieren konnte.

Dein Künstlername ist Sheyla J., der Name deiner Band ist Sheyla Jamz. Oft sind ja bei Solo-Auftritten aber trotzdem andere Bandmitglieder dabei. Wo liegt da die Trennlinie? Gute Frage. Das lässt sich nicht wirklich gut trennen, weil die Bandbesetzung mittlerweile nicht konstant ist. Mit wem und in welcher Form ich Musik mache, ändert sich. Bei der Release-Party meines neuen Solo-Albums war die Band zum Beispiel auch aus verschiedenen Leuten zusammengestellt. Besonders wenn jemand zum Beispiel nicht in Wien ist, muss man improvisieren.

Du hast dein neues Album „Facetten“ diesen September herausgebracht, das letzte größere Werk davor war 2010 die EP „Ich gehe weiter“. Was hast du in der Zwischenzeit gemacht?
Kurz nach der EP war ich in einer Entwicklungsphase und lange auf der Suche nach Leuten, mit denen ich Live-Musik machen konnte. Das hat sich als schwieriger herausgestellt als ich dachte. Die Suche nach den Musikern hat einfach gedauert – und als ich sie gefunden habe, spielten wir live. Studiomäßig ist in der Zeit eher weniger passiert.

Du warst ja auch am Donauinselfest.
Genau. Aber wir spielten auch viele kleinere Geschichten, im B72 zum Beispiel. Die typischen Wiener Lokale eben. Studioaufnahmen habe ich bei Kollabos und Zusammenarbeiten mit anderen Künstler*innen zwischendurch schon gemacht, die eigenen Sachen aber erst wieder mit dem neuen Album.

Wie kam es zur Entscheidung, wieder ein Album zu machen?
Das hat sich eigentlich so ergeben. Ich hatte schon länger vor, etwas Neues zu releasen, aber dachte dabei eher an eine EP. Dann hatte ich aber so eine kreative Phase, ur den Schreibfluss. Ich habe dann die Beats bekommen und so hat es sich ergeben, dass dann doch mehr Nummern entstanden sind als geplant. Was die Beats angeht, hatte ich ja tollen Support von Doni Balkan, Amaro Moralez, PMC Eastblok und Manilo. Da habe ich mir gedacht: ‚Wenn das so ist: Album!‘

Schreibst du dann nur die Texte oder auch die Musik?
Ich schreibe die Texte. Es ist meistens so, dass ich Beats anhöre und dann darauf schreibe. Wenn ich einen Schreibfluss habe, aber gerade keine Beats da sind, dann bekomme ich so ein paar Akkorde irgendwie auch selber hin für die Melodie. Aber hauptsächlich texte ich.

Spielst du denn ein Instrument?
Na, leider nicht. Ich habe mir einmal eine Gitarre zum Geburtstag geschenkt und dachte mir, wenn sie schon einmal da ist, vielleicht passiert dann irgendetwas. Aber die steht nur da und sieht schick aus. Mini-Keyboard geht schon eher, da braucht man nicht so viel Geduld wie mit der Gitarre.

Wenn du sagst, du hast sehr viel live gespielt, warst du dann auch unterwegs als Straßenmusikerin?
Nein, also ohne Hut, nicht um Geld damit zu machen. Eher im Sommer draußen gemeinsam Musik machen und so. Aber muss ich auf jeden Fall einmal ausprobieren!

„Musik soll als Dienstleistung anerkannt werden“

Hast du das Konzept „U-Bahn-Stars“ der Wiener Linien mitbekommen? Was hältst du davon?
Nicht besonders viel. Am Anfang fand ich das cool, einmal ein bisschen etwas Lebendiges in der Stadt. Als ich dann aber gesehen habe, dass man nicht entlohnt wird, im Gegenteil, auch noch Anmeldegebühr zahlen muss, war das für mich so typisch für Wien. Du bist nicht einmal versichert, wenn jemand deine Instrumente fladert. Der angebliche Gedanke dahinter war ja eigentlich, das Sicherheitsgefühl in der Stadt zu stärken, das Klima zu verbessern. Man erfüllt sozusagen einen Auftrag. Dass das nicht als Dienstleistung anerkannt wird, spiegelt ein wenig die Einstellung zu Musiker*innen wieder.

Glaubst du nicht, dass es aber vielleicht eine riesige Chance für Leute sein kann, die ganz am Anfang stehen? Am Karlsplatz oder am Westbahnhof stehen ja immer unglaublich viele Leute und schauen zu.
Ja schon, aber dass es eine Chance sein kann, bedeutet nicht, dass es nicht entlohnt werden sollte. Es gibt ja auch Plätze in Wien, die gebührenfrei sind – das heißt, das kann man ja so und so machen. Aber bei diesem Projekt der U-Bahn-Stars denk ich mir, dass es da an Wertschätzung den Musiker*innen gegenüber fehlt. So etwas verhindert auch, dass man aus der Musik mehr erschaffen kann, als nur ein „Hobby“.

„Wir haben nie wirklich gelernt, auf unsere Bedürfnisse zu schauen“

Du bist eine sehr positive Person, in deinen Texten geht es oft um das in die Zukunft schauen, „den Stein hochheben“. Also gerade hier in Wien, was sind deine Techniken oder Orte, die deine positive Energie erhalten?
Es ist nicht immer leicht, vor allem in einer Gesellschaft, die manchmal ein bisschen unterkühlt ist. Man kann jedoch schon sein, wer man sein will, wenn man eine bestimmte Überzeugung/gewisse Werte hat – auch fürs Miteinander. Wenn man Überzeugungen wirklich verinnerlicht, geht die positive Stimmung damit einher. Im Sudern war ich nie besonders gut. Wenn mich etwas gestört hat oder ich mich unwohl bei etwas gefühlt habe, habe ich das relativ zeitnah geändert oder anders gemacht. Ich halte langes Jammern und Verharren nicht so gut aus.

Eine, die anpackt quasi.
Ja, schon. Ich versuche auch das Positive zu behalten und das Schlechte vorbeiziehen zu lassen.

Im Interview mit Radio Orange vergangenes Jahr hast du gesagt, man muss zwischenmenschlich mehr tun, um Probleme zu lösen und nicht erst im Nachhinein drüber reden. Welche Präventivmaßnahmen setzt du oder würdest du vorschlagen für die Gesellschaft?
Da müsste man ziemlich, ziemlich weit hinten ansetzen, von klein auf. Ich habe das Gefühl, dass wir ein bisschen ‘rangezüchtet werden auf eine Art und Weise, die uns nicht weiterkommen lässt. Da rede ich zum Beispiel von gewissen Frauen- und Männerrollen oder anderen gesellschaftlichen Erwartungen, die man versucht zu erfüllen. Das sind alles so Dinge, die uns blockieren in unserer Weiterentwicklung. Wie soll ich mich weiterentwickeln, wenn eines der wichtigsten Ziele im Leben die Erfüllung eines Rollenbildes oder von Erwartungen sind. Das rennt natürlich meistens unterbewusst, beeinflusst uns aber alle in unserem Tun. Oder bei der Kinderfrüherziehung, dieses Belohnungs-/Bestrafungssystem, da gehen mir so viele Sachen durch den Kopf. Das würde wohl den Rahmen hier sprengen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass wir es nie wirklich gelernt haben, auf unsere eigenen Bedürfnisse zu schauen. Mehr eine „Es ist halt so“- Mentalität. Du kriegst es gar nicht angelernt, Sachen für dich selber zu hinterfragen, ob das, wie es ist, dir überhaupt taugt. Vor allem als Kind und als Jugendlicher lebt man diese Einstellung oft so mit, ohne für sich zu checken, ob man das eigentlich wirklich möchte. Dabei glaube ich, dass genau die jungen Jahre die beste Phase ist, um sich zu entwickeln. Wenn man einem Kind von Anfang an ein gesundes Selbstwertgefühl mitgibt und es lernt, selber zu hinterfragen und nachzudenken und auf seine Gefühle zu achten und in seiner Mitte zu sein – dann wird es später wahrscheinlich nicht notwendig haben, auf andere herabzusehen oder einzudreschen. Seien es Themen wie Sexismus, Rassismus, Homophobie. Wir sollten viel früher lernen, bei uns selbst zu bleiben.

Das passt gut zu dem Lied „Verzerrtes Bild“ aus deinem neuen Album, in dem du singst „Jeder kämpft für sich allein, bis dann der Vorhang fällt, dann ist es zu spät und uns fällt wieder ein, die Scherben vor denen wir jetzt stehen, ja das waren wir ganz allein.“ Ist das ein Appell an mehr politische Aktivität/Partizipation? Dass die Politik eine größere Aufgabe erfüllen muss?
Ich weiß nicht, ob Politiker*innen da die richtigen Ansprechpersonen sind. Bei denen sind zu viele Eigeninteressen im Spiel. Denen geht es eher darum, Wähler*innen zu bekommen. Ich meine das Lied „Verzerrtes Bild“ eher gesellschaftskritisch. Die wirkliche Macht und die wirkliche Weltgestaltung liegen bei der Gesellschaft selbst. Würden die Leute erst einmal checken, dass die Leute „da oben“ viel weniger zu sagen hätten, wenn wir alle an einem Strang ziehen, dann würde die Welt schon ganz anders ausschauen. Aber von dem sind wir leider noch weit entfernt. Grundsätzlich würde ich sagen, dass jeder einzelne Mensch seinen Teil zu einem Miteinander beitragen soll und jeder macht das dann so, wie er es eben gelernt hat.

Wie politisch aktiv bist du in diesem Prozess?
Ich war eine Zeit lang sehr aktiv, aber momentan habe ich mich ein wenig zurückgezogen. Ich versuche immer für die Dinge, die mir wichtig sind, einzustehen. Eines der Momente, an die ich mich gerne erinnere, ist zum Beispiel die Demo „Mensch sein in Österreich“.

Besonders in diesem Kontext sticht ja der Song „Allein“ heraus, in dem es offensichtlich um den Nahost-Konflikt geht. Findest du, dass Kunst und Musik die Aufgabe haben, solche Sachen zu verarbeiten und in die Welt zu tragen?
Naja, Aufgabe… also wenn, dann muss es schon authentisch sein. Es nur zu machen, weil es so sein sollte, ist nicht so cool. Wenn das Thema einen Menschen bewegt und er etwas dabei empfindet und das in seine Kunst verpackt, ist das auf jeden Fall etwas Gutes. Aber ich erwarte jetzt nicht, dass jedes Album irgendwie so ein Lied drauf hat. Für mich persönlich ist es ein Riesenthema und auch ein bisschen Psycho-Hygiene, solche Texte zu schreiben: Einerseits will man es natürlich sichtbar machen und gleichzeitig hilft das Niederschreiben einem, auch selbst damit umzugehen.

 „Die Medien sind zu verantwortungslos mit ihrer Rolle“

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozess?
Eine riesige. Eine viel zu große Rolle. Sie nutzen ihre große Rolle nur nicht verantwortungsbewusst.

See Also

Wie könnten sie diese verantwortungsbewusst nutzen?
Wäre zunächst einmal leiwand, wenn nicht ständig so eine Panik verbreitet werden würde. Oder wie wär‘s einmal mit Wahrheit erzählen, ethnische Zuschreibungen fallen lassen, ich meine, in was für einer Zeit leben wir? Die Medien haben eine wichtige Rolle, einen Megaeinfluss und gehen trotzdem oft sehr verantwortungslos damit um. Was mich auch stört, ist, dass da kaum Gegenwind kommt. Keine anderen Zeitungen, die die Dinge anders berichten, am besten gratis wie es die Schundblätter auch tun. Ich habe eh einmal eine kleine Gratisausgabe vom Standard oder so in die Hand gedrückt bekommen, aber das könnte viel vehementer gemacht werden.

Es gibt viele linke Uni-Blätter, die gratis sind.
Es wäre halt auch angenehm, wenn es nicht immer um links-rechts geht. Wie soll ein Heute-Leser eine „Linkswende“ in die Hand nehmen? Geht sich wohl schwer aus. Irgendetwas in der Mitte, das nicht so viel fantasiert, wäre cool. Blätter, die innere Ängste stärken und schüren haben wir wohl mehr als genug.

Du arbeitest viel mit den Leuten rund um PMC Eastblok zusammen. Musikalisch schon ein Unterschied. Wie funktioniert das denn so? Ihr habt ja alle einen unterschiedlichen Umgang mit Frust und seid auch so recht verschieden, könnte man behaupten.
Es gibt verschiedenste Ventile, um Sachen herauszulassen, das kann ja jeder für sich selbst entscheiden, wie er das tut. Klar, musikalisch gesehen sind meine Texte und mein Stil vielleicht ein anderer, das heißt aber nicht, dass man nicht gemeinsam Musik machen kann. Zum Beispiel bei der „Wien“-Nummer mit Manijak und Esref sieht man, dass verschiedene Stile gut zusammenpassen können und auch beim Zusammenarbeiten mit anderen Teilen der Crew kann ich nur von guter Produktivität und Kreativität sprechen. Abgesehen davon, verstehe ich mich einfach super mit ihnen. Das sind Menschen, die ich einfach sehr, sehr schätze.

Was sind denn generell deine Ventile, um Druck abzulassen?
Ich rede sehr viel und schreibe sehr viel. Aber es geht ja nicht immer um Trauer, um die böse Welt oder so, ich singe und texte einfach unglaublich gern. Das kann ganz verschieden sein, auch das neue Album ist ja sehr vielseitig.

Die Musikvideos machst du auch selber?
Nein, ich kann ein bisschen schneiden, aber nicht profimäßig. Ich versuche nur so gut ich kann, mich da einzubringen. Ansonsten hab ich aber eh viele unterstützende Leute um mich herum, die mir zur Seite stehen wie Doni Balkan, Esref, Tieferschnitt und gute Freunde und Freundinnen. Alles kann man auch nicht alleine machen.

Wie wichtig ist ein Musikvideo für einen Song? Ist das wirklich nötig oder geht es da mehr um Spaß?
Heutzutage schon. Es ist halt wichtig, in einer Zeit, wo die Leute neben der Musik noch etwas anschauen möchten. Tu ich ja auch gern. Ich denke ohne Musikvideo ist es mittlerweile nun einmal noch schwieriger, Aufmerksamkeit zu bekommen.

Glaubst du, das ist heute wichtiger als vor den Zeiten von YouTube?
Ich weiß nicht, kommt mir schon ein bisschen so vor. Aber vielleicht nehme ich das auch nur so wahr. Ich kann mich noch erinnern an Zeiten, da hat MTV noch Musik gespielt. Hat sich auch viel verändert. Grundsätzlich glaube ich aber schon, dass die Musikvideokultur mehr geworden ist, mehr als damals. Wir haben jetzt auch sowas wie eine Selfmade- und Tutorial- Generation, deshalb gibt es noch mehr Content.

Weitere Fotos:

View Comments (0)

Leave a Reply

Your email address will not be published.