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Aus der Vergangenheit gelernt // Hinterkopf Interview

Aus der Vergangenheit gelernt // Hinterkopf Interview

Wien ist ein Dorf. Ein Satz, der immer wieder fällt. Auch beim Treffen mit Hinterkopf, der sich schon im Vorgespräch ergriffen zeigt. Der Auslöser liegt rund 20 Jahre zurück, als der Rapper und Pianist als Flüchtlingskind frisch in Wien war. Damals konnte Martin Nowak, der Vater des Interviewers, bei ihm die erste große Begeisterung für Musik auslösen. Als Musiklehrer in einem Gymnasium war er quasi Hinterkopfs erster Mentor, lange bevor dieser seine künstlerische Laufbahn eingeschlagen hat.

Wir befinden uns im Hauptquartier von CBD Johnny. Jenem Business, das Hinterkopf in den vergangenen Jahren aufgebaut hat – mit seinem Wegbegleiter und Manager Alexander Redl, Matthew und Raphael Richter. Es liegen arbeitsintensive Jahre hinter Hinterkopf, der sich eine Zeit lang nur bedingt auf Musik konzentrieren konnte. Mittlerweile gelingt es ihm wieder mehr, für Solo- und Crewprojekte. Ein erster Auszug ist seine EP „Reflexion“, die in enger Studio-Zusammenarbeit mit Jokah entstanden ist und Ende November erschienen ist. Im Interview gibt es einiges aufzuarbeiten – persönlich und musikalisch.  

Schattenspiele mit Hinterkopf. Fotos: Daniel Shaked

The Message: Kurz nachdem du nach Wien gekommen bist, konnte mein Vater dich für Musik begeistern. Wie ist das genau abgelaufen?
Hinterkopf:
Wir waren zuerst in Traiskirchen, dann sind wir nach Wien ins Caritas-Haus in der Robert-Hamerling-Gasse gekommen. Dort hat eine Frau namens Meli Lichtenstein den Kontakt zu Schwester Beatrix, der Schuldirektorin der Friesgasse, hergestellt. Meine Schwester und ich durften in der Unterstufe zwei Jahre umsonst dort hin, obwohl es eine Privatschule ist. Im Musikunterricht habe ich deinen Vater kennengelernt. Er hat damals eine Hymne für die Schule geschrieben, ich habe sie gehört und kann sie noch immer auswendig spielen. Er hat mir viel Spaß beim Klavier spielen gezeigt, es hat so cool geklungen. Er hat auch immer so nach oben geschaut, weil er es so fühlt. Das war einer der ersten Momente, wo ich gesagt habe: Ich will Musiker werden. Ich habe ein absolutes Gehör, das hätte ich ohne Leute wie ihn oder Fritz Fichtenbauer, der mich danach in einer anderen Schule unterrichtet hat, nie rausgefunden. Sie haben mich für mein Leben inspiriert. Ich hatte sonst nichts, keine Verbindungspunkte zur neuen Stadt. Die Musik war ein erster Catcher. Dadurch habe ich Österreich und Wien lieben gelernt.

Bevor du nach Wien gekommen bist, hattest du aber schon ein Miniklavier, oder?
Als es in Albanien so schlimm geworden ist, dass mein Vater keine Geduld für Reinredereien mehr hatte. Im Bürgerkrieg haben wir das große Haus verlassen müssen, wir waren den ganzen Tag zusammen in einer kleinen Wohnung. Mein Papa hat mich nicht mehr ausgehalten und hat gesagt: ‚Mach die Pappn zu! Ich muss grübeln, nachdenken‘. Ich habe nichts verstanden, war ein Kind. Er hat mir aber dieses Miniklavier gegeben, ich habe viel herumgespielt und es hat mich sehr vergnügt.

Wie hast du die Kriegserlebnisse generell mitbekommen und aufgearbeitet?
Zu der Zeit spielerisch. Meine Mama hat zu mir und meiner Schwester zum Beispiel gesagt: ‚Legt’s euch hin!‘ Dann haben wir gespielt, wer länger liegen bleibt. Es wurde damals viel Blind durch die Gegend geschossen, es hätte auch was durchs Fenster kommen können. Vor fünf, sechs Jahren ist mir zum ersten Mal klar geworden, dass ich ein kleines Trauma mitgenommen habe. Es gibt einige Lettn in meiner Psyche, die deswegen Existieren.

Kannst du die festmachen?
Ich bin sicher innerlich öfter misstrauisch, manchmal auch leichtgläubig und sehr offenherzig.

Aber das sind zwei Pole. Das Misstrauische und Leichtgläubige.
Ich glaube sehr ans Gute und hasse Hass. Ich habe das Gefühl, dass ich Parameter in meiner Birne habe, die schon bisschen zu viel, zu oft den traurigen Ausgang einer Geschichte gesehen haben. Ich bin kälter geworden. Ich spüre es schnell, wenn mir Ratten begegnen oder jemand, bei dem ich das Gefühl habe, dass er mir nix Gutes will.

Hast du noch Bezugspunkte nach Albanien?
Es gibt paar Verwandte, die nicht geflohen sind. Aber der Großteil meiner Verwandtschaft ist irgendwo anders in Europa. In Deutschland, Belgien, Italien, sehr verstreut. Natürlich sind auch viele Albaner in die Kriminalität gerutscht – was machst du in einem Land, wenn du wo hinkommst und dort in der untersten Schicht bist, die Sprache nicht kannst und Geld brauchst? Ich weiß es sehr zu schätzen und bin dankbar, dass ich in Österreich die Chance hatte, etwas anderes zu erfahren. Ich bin sehr viel mit österreichischen Freunden aufgewachsen. Dieses Albanien-Ding bleibt natürlich manchmal gleichzeitig in der Birne. Aber ich bin keiner, der aufwacht und einen Flashback bekommt.

Zurück zur Musik: Du bist als Jugendlicher bei Stonepark gelandet, hast mit Ali Capone viel produziert und ihn als ersten Mentor abseits der Musiklehrer erwähnt. Was hat er dir mitgegeben?
Ur viel. Dass man immer das Gesamtding sehen muss. Die Bedeutung von Marketing und den Sachen, die du rundherum beobachten musst. Er hat mir viel erklärt und mir die Augen aufgemacht, dass es oft nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Sein wichtigster Satz war vielleicht: ‚Nimm nie Koks!‘ Er hat mir viele Türen geöffnet, weil er an meine Musik, meine Beats geglaubt hat und dafür bleibe ich ihm ewig dankbar. Leider ist der Kontakt zu ihm ziemlich abgebrochen.

Gescheiterte Freundschaften und Musik-Partnerschaften ziehen sich bei dir ja bisschen durch. Zuerst bei Stonepark, dann bei 21 Recordz, die Zusammenarbeit mit dem Rapper Ciaz aus Berlin, zuletzt Jiggytown mit Adem Delon. Worauf führst du das zurück?
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es an mir liegt. Ich habe immer versucht, das Positive zu sehen, aber oft nicht alle Infos gehabt. Bei Stonepark war ich ganz jung, eher ein außenstehendes Mitglied. Ich habe mit Ali intensiv produziert und es waren Sachen geplant, die dann nie rausgekommen sind. Dann kam die Zeit mit 21Recordz. Eine saftige junge Crew und eine coole Zeit. Ich habe „Simsalabimbo“ und „Kein Pardon“ produziert, es ist aber vor dem geplanten Album zerbrochen. Wegen Drogengeld und schlechter Kommunikation. Es lag eigentlich immer an der Kommunikation und den Egos. In Berlin hat es wegen eines ähnlichen Themas nicht funktioniert. Das mit Adem ist leider auch kaputtgegangen, obwohl wir mit Jiggytown einiges vorhatten. Unser letztes Gespräch war nicht so schön, aber es ist passiert. Ich kann mich nicht mehr zu ihm hinstellen und sagen: Machen wir Musik.

Welche Rolle haben Drogen generell gespielt?
Ich wünschte, dass meine Klasse bisschen weniger vorbelastet wäre. Ich habe einige Jahre in Breitenlee gelebt, es gab dort eine exzessive Kiff-Zeit. Mein jüngerer Cousin hat in Linz mal eine Tankstelle überfallen. Da ist mir klar geworden, dass ich als sein älterer Cousin, mit dem er viel abgehangen ist, ein schlechtes Vorbild war. Ich habe irgendwann verstanden, dass das alles keinen Sinn macht. Vor paar Jahren hat sich die Sache mit CBD Johnny ergeben.

Im Intro der EP spielt die Line „Der Handel war die letzte Hoffnung und der Umsatz das was zählt“ auf diesen Wandel an. Wie prekär warst du vorher unterwegs?
Ich war immer ein netter Mensch und habe mich nie in dunklen Kreisen zuhause gefühlt. Aber ich habe mit Gras zu tun gehabt. Mein bester Freund und ich waren komplett pleite. Wir haben mit Gras überlebt. Es hat auch eine Phase gegeben, in der ich keinen Schlüssel am Bund hatte. Die Line war so zu verstehen, dass CBD ins Leben gekommen und es plötzlich geheißen hat: Überleben wir finanziell als Mannschaft oder überleben wir nicht? Ich bin froh, das jetzt legal machen zu können.

Du hattest viel mit Drogen zu tun, den klassischen Dealerrap aber nie so richtig verfolgt. War ein bewusster Gedanke dahinter?
Ich hätte viel über Kilos rappen können – ich arbeite damit. Aber ich habe das Gefühl, dass die Szene vollgestopft mit Leuten ist, die das machen und hauptsächlich darüber rappen. Es ist nicht das, was ich als Künstler sagen will. Das haben mir Leute wie Matthew gezeigt. Er hat viele oage Sachen erlebt, rappt aber nicht darüber. Er hat einen Sohn und ist ein Vorbild, auch für mich. Ich habe irgendwann für mich beschlossen, dass ich Musik so machen will, dass ich sie in paar Jahren hören kann und mir sage: Es ist ein Spiegel. Ich möchte schöne Musik machen und meinen künftigen Kindern was hinterlassen.

Du hattest früher einige Gelegenheitsjobs – wie präsent war die Vision, mit Musik zu überleben?
Genau, ich habe teilweise irgendwelche Jobs gemacht. Ich war Kellner, Nachtwache, Revierfahrer, Koch und habe beim Bäcker gearbeitet. Aber ich war immer Teil eines Teams, das die Absicht hatte, neben dem Überleben was mit Musik aufzubauen. Ich hatte auch oft das Gefühl, dass es kurz davor ist, richtig loszugehen, wurde aber immer wieder eines Besseren belehrt. Am Anfang hat mir Ali geholfen, das Gesamtbild zu sehen. Dann hat mir 21Recordz einen anderen Einblick gegeben. Als ich in Berlin war, habe ich mein letztes Geld für Musik geopfert. Danach haben mich Alexander Redl und Matthew gefragt, ob ich bei CBD Johnny mitmachen möchte. Ich habe mich dafür entschieden. Ich habe gelernt, nie die Vision aufzugeben, mir was aufzubauen – mit Musik oder was anderem.

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(c) Philip Pesic

Welche Auswirkungen hatte das aufs musikalische Schaffen?
Ich musste zu 100 Prozent liefern und leisten. Deswegen ist einiges in der Musik zu kurz gekommen. Was geblieben ist, ist der Wille zu schreiben. Jetzt kommt langsam die Kraft dafür zurück und ich versuche, mir wieder größere Zeitfenster einzuplanen. Es ist einiges geplant und zum Teil schon fertig. Es kommen paar Singles, paar EPs, ein Album mit Lukas Antos, eines mit Christina Kosik. Ich arbeite viel mit Vearz zusammen. Ich baue jetzt auch langsam mit Alex Redl die Denkfabrik auf. Wir wollen eine Labelstruktur schaffen, sehen 2022 aber mal als reines Experiment.

Du bist als Künstler sehr vielseitig. Du rappst, spielst Klavier/Keyboard, singst Hooks, schreibst und produzierst Songs neben dem Hinterkopf-Projekt zum Beispiel auch als Mitglied des Pop-Projekts Christina Kosik & die Gangband. Welche Skills siehst du bei dir am stärksten ausgeprägt?
Ich würde sagen, Songwriting und das Ausdrücken meiner Gefühle. Klavier ist das stärkste Instrument, das ich spiele. Als Produzent bin ich sehr basic. Wenn ich mir Leute anhöre, die wirklich Produzenten sind, frag ich mich, ob ich mich selbst so nennen will. Ich kann meine Visionen circa runterproduzieren, aber hole immer einen Co-Produzenten, der sich reinflasht und die ganzen Regler versteht. Bei „Reflexion“ hat mir Jokah sehr viel Input und der EP den Schliff gegeben. Bei ihm sind die Aufnahmen entstanden. Ich habe mit ihm jeden Song ausproduziert, zum Teil auf meinen Beats, ein paar waren aus dem Internet zugekauft.

Siehst du die Selbstfindungsphase mit der „Reflexion“-EP abgeschlossen oder fängt sie erst wieder neu an?
Ich weiß, dass ich einen kleinen Teil abschließe, der wichtig war. Ich habe die vergangenen drei Jahre verarbeitet, viel alleine reflektiert und Tracks gemacht. Was jetzt beginnt, ist ein freierer Kopf. Ich will die Freiheit genießen, kreativ zu sein. Ich empfinde es als viel angenehmer. An jedem Tag, an dem ich im Studio bin oder mich mit Musik befasse, komme ich dem näher, was ich machen will. Freiheit beginnt, wo du sämtliche Vorstellungen und Erwartungen ans Produkt wirklich kurz hinwirfst. Ich war voreingenommen, als ich mit Ali gearbeitet habe – auch wenn es viel Spaß gemacht hat. Auch bei 21Recordz. Es gab immer Zielvorgaben. Am besten geht es aber, wenn du nichts erzwingen musst. Das funktioniert bei mir mit fünf Egos im Raum nicht. Wenn ich als Hinterkopf schreibe, dann ist es meistens sehr tief aus meinem Hirn greifend. Ein verschwommenes Schauen zwischen den Lichtern, irgendwo seine Erkenntnisse machen. Mir ist klar, dass Hinterkopf eine Nischenmucke ist. Ich habe mit anderen Projekten, bei denen ich involviert bin, schon viel mehr gerissen als mit Hinterkopf.

Was hast du aus dieser kreativen Freiheit schon mitgenommen? Geht es für dich mehr raus aus dem klassischen Rapspektrum?
Ich glaube das nächste Projekt wird bisschen schneller, rhytmischer, weil mehr Action in meinem Leben ist. Ich habe vor, es selbst weiter auszuproduzieren als „Reflexion“ und für den Feinschliff zu Jokah zu gehen. Ich will mit der Gitarre reinarbeiten, textlich Themen angehen, die mir peinlich oder unangenehm sind. Ich habe zum Beispiel Alligatoah oder die 257ers gehört. Leute, die technisch extrem gut sind und Rap auf eine lustige Art auseinandernehmen können. Es gibt viele Themen, man kann gut mit Ironie arbeiten. Mal schauen, wo es bei mir hinführt. Mir macht es auch sehr viel Spaß, live zu spielen. Mit Klavier, einer Liveband, dazu Gesang und Rap.

Was für peinliche Sachen meinst du?
Alles Mögliche, auch sehr persönliche Sachen. „8 von 10“ ist mein bisher persönlichster Track, das Verarbeiten einer siebenjährigen Beziehung. Ich habe dafür sicher 50 Textskizzen geschrieben, bis ich fertig war. Bei mir lebt viel zwischen den Gemütern. Die Launen können sehr intensiv und wechselhaft sein.

Wie viel Therapie steckt für dich in Musik?
Viel. Wenn nichts mehr geht, geht Musik. Ich glaube an die Macht der Musik. Sie ist für mich das Schönste auf der Welt, besser als Sex. Wenn du am Klavier sitzt und deine Synapsen überspringen, weil es dir so gut gefällt, dass du es direkt intensivierst und weitermachst.