Das Festivalgelände im burgenländischen Wiesen ist schon was ganz Besonderes: Überdachte Bühnen, ein Hang, von dem man von Hängematten aus perfekt das Geschehen auf der Bühne sehen kann und Zelten im Wald statt in plattgetretenen Feldern. Nachdem der Festivalveranstalter Ewald Tatar wegen einer Vertragskündigung heuer mit vier Festivals (darunter Lovely Days und Two Days a Week) aus Wiesen weggezogen ist, hat sich die Wiener Konzertagentur Arcadia Live die frei gewordenen Wochenenden geschnappt und neben einem Electro- und Indie-Festival auch den HipHop-Liebhabern einen Konzertmarathon beschert. Gleich an zwei Tagen spielen vor allem Deutschrap-Veteranen auf. Doch wird zuerst der etwas jüngeren Generation noch Vortritt gelassen. Beginnend – Huhnmensch und der böse Wolf mit feinsten „back to the basics“-Boombap aus der Seestadt, Chefket straight aus dem Flugzeug mit Rap & Soul im Gepäck, der Antilopen Gang, mit Drum-Set á la Mad Max, und den Selfmades von Genetikk, mitsamt abgewracktem Auto und ihren unverkennbaren Masken in der Nachmittagssonne. Dort sammelt sich das langsam zur Gänze ankommende Publikum – wobei von vielen der Rasen noch dem Beton vor der Bühne vorgezogen wird. Natürlich dürfen „Wünsch dir was“, „König der Lügner“ und „Yes Sir“ nicht fehlen – auch wenn man gar nicht wissen will, wie heiß es unter den Masken sein muss.
Oddisee und The Good Compny hängen währenddessen noch im Stau fest. Der Auftritt kurze Zeit später, durch schnelles Umdisponieren auf die kleinere Bühne verschoben, wird dafür der geheime Höhepunkt des Freitags. Selten funktioniert HipHop so gut und harmoniert so wunderschöne mit einer Live-Band – eine Rarität ohnegleichen, was für jeden auf der Bühne gilt. Oddisee animiert, rappt, singt und die Band legt instrumentalisiertes Feuer unter und über seine Rhymes. Natürlich war der Sound Ende vergangenen Jahres im Porgy & Bess besser, doch diesen Ansprüchen wird man auf einem Festival deutlich schwerer gerecht. Mit Tracks wie „Own Appeal“ und „Killing Time“ schaffte es der geheime Headliner des Freitags auch den letzten Tanzmuffel zum Bewegen zu animieren – keep fighting „The Good Fight“.
Tobi Tobsen und Das Bo bringen derweil den Funk aus Hamburg. Die Bühne wird zur Bar, am Tresen wird über die alten Zeiten schwadroniert. Verdammt lange her, die Conclusion. Die Hits funktionieren, doch wirkt es, als sei die Verbindung zwischen Künstler und Musik ein wenig eingerostet. Ein Nachruf auf die gute alte Zeit, auf die Fünf Sterne.
Die Jungs aus dem Reihenhaus von Blumentopf hingegen geben sich energetisch und, um die freshesten Bars zu spitten, immer noch beim Freestylen gegenseitig unterbrechend. Beim Topf also alles wie eh und je – enttäuscht von einem ihrer Konzerte zu gehen ist eigentlich unmöglich. Holunder brachte es vor Jahren stellvertretend für die Crew aus München auf den Punkt: „Schlecht zu rappen ist wie schwanger werden, kann mir nicht passier’n“.
Und die Beginner? „Ahnma„. Gänsehaut. Das Lied – oder besser die Hook des Festivals. DJ Mad thront auf der mehrstufigen LED-Bühne, auf der auch Tänzerinnen ihre Choreo zeigen. Eizi Eiz und Denyo begleitet von zwei Background-Sängerinnen, rappen sich durch die Klassiker: „Hammerhart“, „Gustav Gans“, „Fäule“, „Liebeslied“; und leaken nebenbei immer wieder Lieder ihres bald erscheinenden Albums „Advanced Chemistry“. Zugegeben, bei den Beginnern ist die Fallhöhe mehr als hoch. Doch wirken die neuen Lieder etwas überproduziert, wenn sich ein Reggaebeat in Dubstep verwandelt. Der Schritt, ältere Texte mit neuen Beats aufzuwerten, hält jedoch die Waage zwischen dem neuen und alten Sound. Die Show – fett. Die neuen Reime – so scheint es leider – nicht immer. Ein Drop jagt den nächsten Zweckreim. Stiftung Warentest war da vielleicht etwas voreilig, als sie dem „Testsieger“ Jan Delay eine 1,0 vergeben haben. Aber wer weiß, welche Perlen sich auf dem Album noch verstecken. Zum Abschluss des Konzerts leuchten rote Füchse auf der LED-Bühne, ein 18 Jahre alter Song ist der Höhepunkt des Abends.
Nach der rauschenden Party des Vortages inklusive eines starken Gewitters, kommt die Festivalgesellschaft am Samstag nur langsam in die Gänge. Yasmo & die Klangkantine kommen etwas zu früh für uns, Lance Butters geht sich dann aber doch aus. Der Ulmer beweist trotz großer Hitze und früher Stagetime, dass er ein starker Live-Künstler ist. Es folgen Texta, im Gepäck ihr neues Album „Nichts dagegen, aber“ und beste Laune. Dass neben den verdienten Urgesteinen aus Linz auch noch Blumentopf, die Beginner und 5 Sterne Deluxe am HHOA16 vertreten sind, ist aufgrund des höheren Altersschnitt im Publikum sicherlich kein Nachteil.
Die Finalphase des Knockout Rap Battle verspricht nach der starken Vorrunde vom Freitag Großes. Neben den üblichen Verdächtigen aus dem Großraum Wien sind unter anderem Muro und Tobi Nice aus dem Ruhrpott vertreten, es ist also alles für sehenswerte Battles angerichtet. Unerfreulicherweise wirken die meisten der acht verbliebenen MCs ein wenig zu verkrampft, was auf Kreativität und somit Qualität der Battles drückt. Ein im Vergleich zum Vortag ebenfalls schwächeres Publikum sieht schließlich zwei östereichisch-deutsche Duelle um die Finaltickets, wobei Fuchs MC und ARL auf der Strecke bleiben und der Titel in einer rein deutschen Begegnung ermittelt wird. Am Ende triumphiert Tobi Nice verdient gegen den zweifachen deutschen Meister Muro. Unterm Strich ein gutes Battle, wenn auch mehr Kreativität in der Gestaltung der Runden den Unterhaltungswert entscheidend heben könnten.
Es folgt mit Coup die größte Enttäuschung des Festivals. Zwei satte Rapper schieben sich unmotiviert über die Bühne, das Publikum ist entsprechend unmotiviert – es ist ein teuflischer Kreislauf. Schon alleine die Promophase des kommenden Albums „Der Holland Job“ ist bezeichnend für das Kollabo-Projekt der beiden Gangster-Rap Kings Haftbefehl und Xatar. Der Hype läuft nur halbherzig an und auch die Namens-Wahl scheint nicht förderlich – so wusste ein Großteil der Besucher nicht einmal, wer hinter dem Namen Coup steckt. Die beiden schlurfen in Jogginghose auf die Bühne und trotz beidseitiger Hit-Einlagen wie „Lass die Affen aus dem Zoo“, „CopKKKilla“ und „Ich rolle mit meim Besten“ sowie „Iz da“, „AON Crü“ und „Original“ mag keine wirkliche Stimmung aufkommen. Auch nicht auf der Bühne, auf der sicherheitshalber auch Securitys positioniert wurden. Haft und Xatar sind nicht für ihre Bewegungsfreude auf der Bühne bekannt und der AON-Boss muss auch immer wieder die Bühne zugunsten einer Abkühlung verlassen. Die gemeinsamen Songs „500“ und „Ich zahle gar nix“ überzeugen live leider nicht wirklich. Schade, zwei so hochkarätige Künstler, die sich beide gut und gerne alleine auch größer im Line-up unterbringen hätten lassen können, versagen fast auf kompletter Strecke. Dafür, dass sie das Rap-Game in Deutschland nun schon einige Zeit dominieren, sollten sie bessere Live-Präsenz und Fähigkeiten besitzen.
Der folgende Prinz Pi überzeugt deutlich mehr und gibt, wie zu erwarten war, eine Werkschau zum Besten, was vom Großteil des Publikums goutiert wird, vor allem, dass auch alte Beatfabrik-Tracks wie „Keine Liebe“ gebracht werden. Fiva rückt mit dem Phantom Orchester an und beweist eindrucksvoll, was mit Band im HipHop-Kontext möglich ist. Eine energetische Show, viel Interaktion mit dem Publikum sowie starke Freestyles, so macht man nachhaltig Werbung für sich!
Nostalgische Gefühle treiben eine enorme Menge an gut gelaunter Menschen vor die Main-Stage. Denn dort sollen jeden Moment die drei Plugs von De La Soul die Bühne beehren. Ein kleines Intro scratcht uns Maseo, bis seine beiden charismatischen Kollegen Dave und Posdnous das Trio komplettieren. Mit „Me, Myself and I“, „Saturday“ und „Ring Ring Ring“ kommt jeder Fan auf seine Kosten – und wenn Maseo für ein paar Parts hinter dem Pult hervorkommt, wird das Publikum zu einer tanzenden und kopfnickenden Masse. In einer ruhigeren Minute wird dem Großmeister J Dilla mit „Stakes Is High“ ein unvergessliches musikalisches Denkmal gesetzt. Die drei entstammen der Golden Era und können dieses Gefühl, unabhängig von ihrem doch schon fortgeschrittenen Alter, auf herzliche Weise weiterhin vermitteln. Ein musikalisches Schmankerl der Extraklasse, das zwar schon in die Jahre gekommen ist, aber noch lange nicht vergessen ist. Mit Dynamik und Witz wird das Publikum von Anfang an gefesselt und eingebunden, an großen Nummern der langen Schaffensphase wird nicht gespart. Die MCs sind durchgehend on point und haben sichtlich Spaß. Schwer zu toppen!
Für Audio88 & Yassin wechseln wir schließlich noch einmal zur Second Stage. Aufgrund der relativ kurzen Stagetime entscheiden sich jene, mit DJ Breaque vorwiegend die aktuelle EP „Halleluja“ zu präsentieren, was auf viel Zustimmung und flächendeckende Textsicherheit stößt. Neben musikalischen Highlights wie „Gnade“ und „Schellen“ lassen es sich die beiden nicht nehmen, einige mehr oder weniger ernste Statements zur politischen Situation in Österreich zu äußern. Geteilte Sorge ist halbe Sorge. Wie die beiden politisch sozialisiert sind, haben sie uns bei ihrem Wien-Gig vergangenen Herbst erzählt. Prinzipiell zeigen sich die beiden normalen Rapper nah am Publikum, das merklich aus vielen absoluten Fans besteht.
Als Schlusspunkt eines sowohl stilistisch als auch qualitativ abwechslungsreichen Tages darf Sido vor der mutmaßlich größten Crowd des Festivals seine quasi One-Man-Show zum Besten geben. Man kann vom Berliner mit der steilen Karriere persönlich und musikalisch ja halten was man will, aber seine Performance ist nahezu perfekt. Auf seine sympathisch unsympathische Art nimmt er das Publikum für sich ein, die VIP-Tribüne wird für zu wenig Bewegung geächtet. Mit Humor hangelt sich Sido in seinem Medley von Radio-Hits wie „Astronaut“ oder „Bilder im Kopf“ zu ruhigeren Nummern wie „Herz“ oder „Mein Block“ für die Aggro-Fans. Hit für Hit, nur manchmal mit Back-up, schneidet Sidos klare Stimme über die Beats und eine gigantische Bühnenshow ergänzt die starken Raps. Der Berliner wirkt weder satt noch lustlos – aus dem Sägeblatt-Rapper wurde ein Chart-Mogul, der hart aber auch Charts kann. Wir sind nun so alt, dass Sido ein Superstar ist.
Noch ein letztes Mal zurück auf der Second Stage schließen Bass Kartell aus Stuttgart gerade mit einem fürchterlichen Auftritt ab. Präsentiert bekommt man eine Synthese aus Schreien, Springen und Dubstepbeats. Nein, Danke! Einen doch noch krönenden Abschluss liefern schließlich die Waxolutionists, abermals Veteranen der österreichischen Szene, zu einem stimmigen Set, welches von Old-School dominiert wird.
Fazit: Das erstmals mehrtägige HipHop Open Austria ist gerade dabei, sich zu einem Fixpunkt im heimischen Festivalsommer zu etablieren. Der Auftakt in Wiesen war geprägt von Deutschrap, teils akustischen Problemen und einem Hitze-Regenschauer-Gemisch. Danke, dass auch erfolgreiche Rapperinnen ihren Platz im Line-up bekommen haben und danke, dass auch österreichische Acts wie Nazar, Ansa, der kurzfristig für SXTN eingesprungen ist, Appletree sowie Kreiml & Samurai ans Mic durften. Einziger Kritikpunkt bleibt wohl, dass irgendwie auf den derzeit so hoch im Kurs stehenden Cloudrap vergessen wurde. Mit beispielsweise Crack Ignaz im Line-up hätte man gleich einen österreichischen Gründervater im Repertoire gehabt. Aber auch österreichische Legenden wie Kroko Jack hätten das „Austria“ im Festivalnamen angemessen repräsentiert. Doch das ist Sudern auf hohem Niveau, das Festival ist eindeutig gelungen und hat trotz oder gerade wegen des starken Deutschrap-Fokus erstaunlich viele Menschen aus ganz Österreich angelockt.
Arcadia Live holt übrigens einige der Acts vom Line-up des HipHop Open Austria ab Herbst nach Wien: Blumentopf am 13. Oktober (Arena) Audio88 und Yassin am 27. Oktober (B72), Lance Butters und Ahzumjot am 27. November (Grelle Forelle) und Genetikk spielen am 22. März in der Arena. Und über Beat the Fish kommen die Beginner am 17. November ins Gasometer.
Fotos: Alexander Gotter & Daniel Shaked
Text: Michael Reinhard, edHardygirl14, Emil Delivuk & Julia Gschmeidler
Ähnliche Posts
- HipHop Open Austria '16 // Festival
Das HipHop Open Austria '16 kommt! Aller guten Dinge sind drei: So auch das nun seit drei…
- HipHop Open Austria '16 // Festival
Das HipHop Open Austria '16 kommt! Aller guten Dinge sind drei: So auch das nun seit drei…
- Erste News zum Hip Hop Open Austria 2016!
Erste News zum nächstjährigen Hip Hop Open Austria wurden veröffentlicht - und die können sich…