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XATAR Interview: „Da hab ich gemerkt, dass ich zum Rassist geworden bin“

XATAR Interview: „Da hab ich gemerkt, dass ich zum Rassist geworden bin“

Xatar by Daniel Shaked -2166

Mit den Worten „Der Mann ist eigentlich kein Gangster-Rapper, sondern streng genommen ein Rap-Gangster“ kündigte SternTV-Moderator Steffen Hallaschka jüngst einen Beitrag über Alles oder Nix-Boss XATAR an. Und tatsächlich: Was Realness anbelangt, können nur wenige mit dem Bonner Rapper, der es von unten nicht nur an die Spitze der Musikcharts, sondern auch der Spiegel-Bestseller-Liste geschafft hat, mithalten. Stichwort Goldraub. Aber Giwar Hajabi, so XATAR mit bürgerlichem Namen, entspricht keineswegs dem von Boulevard entworfenen Stereotyp eines deutschen Gangstarappers. Eloquent, ruhig und intelligent, so haben wir XATAR bei unserem Interviewtermin kennengelernt. Es entwickelte sich dabei ein hochinteressantes Gespräch über den Islam, Kurdistan, Provokationen im Rap und vieles mehr. 

Interview: Wanja Bierbaum & Thomas Kiebl
Fotos: Daniel Shaked

The Message: Hast du einen Bezug zu Wien, weil dein Vater doch hier studiert hat?
XATAR:
Ne, eigentlich gar nicht. Das war bevor wir geflüchtet sind. Er hatte hier ein Stipendium, 1978 oder so, aber nur für kurze Zeit. Er ist danach wieder zurück in den Iran. Da war noch nicht geplant, dass wir nach Europa kommen. Aber dann kam der Krieg.

Man sagt, dass du fünf Sprachen sprichst. Warum hast du dich bei deinen Texten für Deutsch entschieden?
Weil das meine Sprache ist.

Das grenzt natürlich den internationalen Erfolg ein.
Ich bin nicht in erster Linie auf Erfolg aus, sondern ich brauchte das. Das hatte keinen finanziellen Hintergedanken. Auf Englisch wäre das so unecht, Alter. Deutsch ist die Sprache, in der ich denke.

In deinem Buch („Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir„, Anm. d. Red.) zeigt sich, dass deine Integration nicht einfach war – von beiden Seiten: Für dich war es nicht einfach, dich zu integrieren und die Menschen haben dich nicht integriert. Was kann Deutschland tun, um die Integration voranzutreiben – vor allem jetzt, wo es wichtig wäre?
Dass Deutschland die Menschen aufnimmt, ist schon mal super. Das Problem war, dass andere Länder gar niemanden aufnehmen wollten. Wir machen selber viel Flüchtlingsarbeit. Das Einzige, dafür kann Deutschland nicht viel, ist die Bürokratie – bis man an den Punkt kommt, an dem man normal leben kann. Damit meine ich nicht eine eigene Wohnung, sondern dass man arbeiten kann. Es gibt in Deutschland nicht zu wenig Arbeit – aber der Weg dorthin ist schwer. Ich habe viele syrische Flüchtlinge kennen gelernt. Die haben krass Bock zu arbeiten und zu lernen – nach sechs Monaten können die schon Deutsch. Ich kenne Türken, die 30 Jahre hier sind und kein Deutsch können. Das kann für Deutschland sehr wertvoll sein. Die Bürokratie sorgt aber dafür, dass viele in eine Art Depression verfallen, weil sie eigenständig leben wollen – die wollen nicht einfach was ausgezahlt bekommen, die wollen selber für ihr Geld arbeiten. Nach langer Zeit geht so was an die Psyche.

Also sollte die Integration in den Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen?
Ja, natürlich! Auch die Integration in die Gesellschaft. Die Flüchtlinge dürfen oft ihren Lagerbereich nicht verlassen. Ich habe selber einen Cousin, der geflüchtet ist. Ich könnte dem alles besorgen in Hamburg – Job und Wohnung. Aber das klappt seit fast eineinhalb Jahren nicht. Klar, ist da eine Warteliste bei so vielen Menschen.

Celo rappt in Parallelen von der „kontradeutschen Leitkultur“. Kann Musik aus deiner Sicht bei Integration helfen?
Die Musik selber nicht. Erfolgreiche Musiker mit Migrationshintergrund können helfen, indem sie mit den Menschen reden. Das ist viel glaubwürdiger, wenn die mit den Jugendlichen reden, als wenn das ein Deutscher tut – da gibt es einfach weniger Vorurteile. Viele Rapper könnten da einiges tun. Prinzipiell erfolgreiche Leute mit Migrationshintergrund sollte man fragen, was bei ihnen Sache war.

Du warst auch mal in Frankreich mit deiner Familie. Funktioniert das anders dort?
Das weiß ich nicht. Ich war dort als Kind ein Jahr im Asylheim. Da kann ich mich aber nicht wirklich erinnern – aber es waren scheiß Umstände, das weiß ich noch. In England ist das aber ganz anders und auch in Schweden. Wir haben viele Verwandte in Schweden, die später nach Europa gekommen sind. Die waren nach zwei Jahren schon besser integriert als wir. Als Beispiel: Wir kommen aus dem Iran, sprechen aber Kurdisch. Das ist ein Dialekt, den die türkischen und syrischen Kurden nicht verstehen. Dort ist es so gewesen, dass jeder Ausländer einen Kurs in seiner Muttersprache belegen musste – für meine Cousine haben die extra einen Lehrer geholt. Die wollten unbedingt, dass die Sprache erhalten bleibt – weil das eine Bereicherung für Schweden ist.

In London hast du komplette Viertel, die zu einer ethnischen Gruppe belebt werden – wie Chinatown oder die Edgware Road. Das wurde bewusst so konzipiert – du gehst nach East London und hast den Gebetshof und ein pakistanisches Gebiet, so was hab ich noch nie gesehen. Die sehen die unterschiedlichen Kulturen als Bereicherung an. London ist da das Paradebeispiel.

In meinem Buch gibt es auch einen Moment, wo ich in London in einer International-Economics- Vorlesung an der Uni bin, da kam die Dozentin in einer Burka rein – in einen 600-Mann-Saal. Das war 2005, grad nach den Anschlägen an der Edgware Road und ich guck mich um und merke, ich bin der Einzige, den es juckt. Da hab ich gemerkt, dass ich zum Rassist geworden bin.

England hat durch die Kolonialisierung einen ganz anderen Umgang mit Einwanderern und der Islam wird auch schon lange von den Medien verteufelt.
Ja, das sowieso. Wenn jemand weiß ist oder europäisch aussieht, ist das alles nicht so schlimm. Das Orientalische und das Afrikanische ist aber wiederum schlimm. Ein weiser Mann namens Helmut Schmidt hat ganz ehrlich gesagt: „Wir haben einen ganz tief verankerten Hass auf Moslems – das geht bis zu Saladin zurück wegen den Kreuzzügen“. Das hat er ganz trocken so gesagt mit seiner Kippe im Mund. Der Hass ist einfach da.

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Im Gefängnis hast du zum Glauben gefunden. Was sind denn die wesentlichen Werte, die der Koran für dich vertritt?
Ich habe nicht zum Koran gefunden. Im Irak habe ich im Knast die Bibel gelesen – weil es das einzige englische Buch war und ich nicht Arabisch lesen kann. Das alte und das neue Testament – beide habe ich zweimal gelesen, weil ich drei Monate nichts zu tun hatte. Da habe ich das erste Mal Interesse für die Religionen entwickelt. Ich bin nicht religiös erzogen worden. Meine Eltern haben nicht an einen Gott geglaubt – mein Vater auf jeden Fall. In meiner Jugend hat sich das geändert, da konnte ich Zufälle nicht mehr als Zufälle sehen. Da habe ich angefangen zu glauben, dass da auf jeden Fall etwas ist, was die Dinge lenkt. Hier in Europa habe ich den Koran gelesen. Für mich habe ich festgestellt, dass das ein Dreiteiler ist – es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man sich erinnern soll, was am Anfang gesagt wurde. Es wurde einfach nur erinnert. Das war schon in der Bibel so, dass Jesus sagt, dass er hier ist, um euch zu erinnern, was die Älteren gesagt haben – und das passiert auch im Koran. Ganz im Wesentlichen ist gar kein Unterschied zwischen den Büchern. Der Unterschied ist, was die Menschen daraus machen – drei Religionen. Für mich ist das eine Sache: Es geht da um einen Gott, Propheten und um die Zehn Gebote. Alles andere ist von den Menschen instrumentalisiert worden.

Aber gerade hinsichtlich anderer Religionen wird im Koran oft bemerkt, dass Frauen und Andersgläubige unterschiedlich zu behandeln sind.
Das ist falsch – wenn man den Koran richtig gelesen hat. Da steht nichts von Christen – nur die Menschen, die an die Schriften glauben – zum Beispiel die Tora oder die Bibel – die Gleichen sind. Also müssen sie genauso geschützt werden wie ein Araber. Das wird nicht als etwas anderes dargestellt. Da steht sogar: Leute von anderen Religionsgemeinschaften, die Gutes tun, haben ihren Lohn beim Herren sicher. Aber da steht nicht, dass du sie töten sollst. Diesen Schwachsinn gibt es nicht. Was es aber gibt, sind Regeln für den Krieg. Da werden oft Dinge aus dem Kontext gezogen, derweil steht das nur für den Fall eines Krieges. Es ist gut, dass es Regeln für den Krieg gibt – Kriege wird es immer geben. Hier nicht, weil wir die Welt so lange ausgeraubt haben, dass wir jetzt alles haben, was wir wollen – und keiner sich traut, sich mit uns anzulegen. Das ist der Grund, warum wir hier am Chillen sind. Krieg ist ekelhaft und irgendwann verlieren die Leute den Sinn zur Realität. Meine Mutter hat mir erzählt, dass einer den sie kannte, im Krieg Ohren gesammelt hat. Der ist komplett verrückt geworden. Der hat von den Toten die Ohren an einem Band gesammelt. So etwas passiert im Krieg und wenn es da Regeln gibt, ist das nur gut!

Was Frauen angeht – wenn man das im historischen Kontext sieht, ist es so, dass sie bis zum Koran überall auf der Welt wie Vieh behandelt wurden. Frauen hatten nicht mal das Recht auf das Erbe ihrer Eltern. In der Zeit des Korans war es revolutionär für die Frauenrechte, da festgelegt wurde, dass Frauen am Erbe ihrer Eltern beteiligt werden – ein Drittel muss an die Frau gehen. Damit der Reichtum bei der Familie bleibt und nicht nur an die Männerlinie gebunden ist. Es hieß auch „nur noch“ vier Frauen, das war eine Begrenzung.

Wie stehst du zu Leuten, die sich wortgetreu an den Koran halten, ohne den zeitlichen und historischen Kontext in Betracht zu ziehen?
Das eigentliche Problem ist, dass die Leute, die falsch handeln, den Koran gar nicht gelesen haben. In Bonn, meiner Heimatstadt, gibt es eine starke Salafisten-Szene. Ich habe mit vielen von denen geredet und kann sagen: Die haben alle den Koran nicht gelesen. Sie sagen, der Koran ist zu heilig. Die lesen stattdessen eine Koran-Interpretation aus dem 12. Jahrhundert oder richten sich nach irgendeiner Schule. Aber das unterscheidet sich total von dem, was im Koran steht. Im Koran steht eine zentrale Message: Geh raus, tu Gutes und glaube an Gott. Das bezieht sich auf jedes existierende Gesetz. Zum Beispiel bei Diebstahl. Da steht, wenn du einem Dieb nicht die Hand als Strafe abhackst, erhältst du noch mehr Lohn vom Herrn, weil du Barmherzigkeit zeigst. Aber die Salafisten und Extremisten, die lesen das eben nicht. Als ich im Knast war, kam einmal ein Al-Kaida-Typ, der mich beim Beten beobachtet hat, zu mir und meinte, ich soll mit meiner Musik aufhören. Weil Musik im Koran verboten wäre. Die Stelle konnte er mit aber nicht zeigen, er hatte über den Koran keine Ahnung. Das steht da einfach nicht. Im Koran steht auch als Warnung, dass nach diesem Buch ganz viele Menschen kommen werden mit dem Ziel, neue Schriften über den Koran zu verfassen. Damit endet der Koran, und das bezieht sich auf die ganzen Interpretationen.

Wie reagierst du dann auf die Salafisten?
Das sind eben die, die den Koran nicht gelesen haben. Die Köpfe haben schon den Koran gelesen, aber die machen das systematisch. Viele meiner Freunde sind bei den Salafisten gelandet und in den Krieg gezogen – gegen meine eigenen Landsleute. Aber ich rede mit denen, und die sagen, dass der Koran nicht begreifbar sei für den normalen Menschen. Dafür gibt es extra Gelehrte. Aber der Koran fängt doch mit dem Wort „Lies!“ an und richtet sich an den Menschen direkt, nicht an irgendwelche Gelehrte.

Wie stehst du zur Satire gegenüber den Islam?
Ich finde es unangebracht. Wie wenn jemand deine Mutter beleidigen würde. Ich bringe ihn zwar nicht um, das ist es nicht wert, aber ich sorge dafür, dass er Schmerzen hat. Das hat mit Würde zu tun. Und da gibt es Grenzen. Da gehört die Familie dazu, die man zu respektieren hat. Wenn du Würde hast, machst du dich auch nicht über Behinderte lustig. Und das ist bei Religion genauso. Aber das betrifft alle Religionen, auch jene, die ich persönlich vielleicht für falsch halte. Wenn Leute felsenfest daran glauben, wie kann ich das dann auf die Schippe nehmen? Vor allem, wenn ich weiß, was danach passieren wird. Die bei Charlie Hebdo wussten genau, dass das pure Provokation ist. Dann finde ich es erst recht falsch. Wäre das Gleiche, wenn ich jetzt beim Kurden-Türken-Konflikt eine der beiden Seiten in einem meiner Songs verarschen würde. So etwas macht man nicht.

Xatar by Daniel Shaked -2189Gibt es auch für Provokation Grenzen im Rap?
Finde ich schon. Es gibt Leute, die das trotzdem machen. Ich finde das bescheuert. Aber wo soll das hinführen, wenn wir gar keine Grenzen mehr haben? Wir sind im zivilisierten Westen mittlerweile sogar an einem Punkt angekommen, an dem es als peinlich erachtet wird, wenn jemand von Stolz redet. Aber Stolz ist eigentlich kaum was anderes als Würde. Jeder spürt es. Wenn ein Polizist zu dir kommt und auf offener Straße verlangt, dass du dir deine Hose nach unten ziehst, weil er irgendeinen Verdacht hat. Dann spürst du etwas im Kopf, was dich stört. Und das ist Würde. Sie ist, je nach Erziehung, unterschiedlich bei den Menschen ausgeprägt. Aber sie ist da. Und wo soll das hinführen, wenn wir keine Grenzen mehr haben?

Wenn du an die Situation in Vorderasien momentan denkst: Hast du den Traum von einem unabhängigen kurdischen Staat?
Das wäre schön. Ich bin kein Nationalist und gebe diesem ganzen Nationalisten-Zeug nicht viel Beachtung. Aber du wächst als Kurde in einer Umgebung auf, in der dir eingeredet wird, dass deine ganze Kultur, deine Sprache, die Art wie man auf Hochzeiten tanzt, eigentlich alles, nicht existiert. Und das ist schwer zu fassen, weil der Mensch einfach nach Identifikation sucht. Umso größer ist der Hunger auf etwas, womit man sich identifizieren kann –  eine eigene Polizei zu haben, Schulen, in denen Kurdisch gesprochen wird und einen eigenen Staat. Als ich im Irak war, kurz vor meiner Festnahme, war ich im autonomen Gebiet. Da habe ich zum ersten Mal kurdische Polizisten gesehen und Straßen, die nach unseren Freiheitskämpfern benannt wurden. Das war ein Riesengefühl. Es wäre ein Traum, wenn es in Zukunft einen kurdischen Staat geben würde.

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(c) Philip Pesic

Bero Bass meinte, es sei eine Verpflichtung, sich zu seiner kurdischen Identität zu bekennen. Wie siehst du das?
Viele nennen sich jetzt Kurden, haben sich aber vorher nicht bekannt. Die hoffen, wenn sie dieses Kurden-Ding fahren, Erfolg zu haben. Aber bei den türkischen Kurden erfolgte eine extreme Assimilation, die können die kurdische Sprache gar nicht mehr. Weil die Sprache verboten wurde. Wie in der DDR, da wurde der Nachbar zum Lauschen angesetzt. Und wenn dann wer Kurdisch gesprochen hat, wurde er am nächsten Tag verhaftet.

Erdoğans Umgang mit der kurdischen Minderheit steht immer wieder in der Kritik, aktuell im Zusammenhang mit der HDP. Wie sollte die Europäische Union hier reagieren?
Dass es die HDP überhaupt so weit geschafft hat, grenzt an ein Wunder. Es gab schon so eine Situation in den Neunzigern, als es eine kurdische Partei in das Parlament geschafft hat. Am Tag der Vereidigung wurden die alle festgenommen und sind ins Gefängnis gekommen. Das wiederholt sich aktuell wieder. Ich befürchte, dass der Vorsitzende der HDP (Selahattin Demirtaş, Anm. d. Red.) entweder umgebracht wird oder in den Knast kommt. Anders kann ich mir das nicht vorstellen. Der wirkt zu sympathisch, auch auf viele Türken. Darauf kommen viele nicht klar. Es ist einfach zu krass, was in der Türkei abläuft, das weiß sowieso jeder. Die EU, auch Deutschland als wichtigster Staat, könnte auf den Tisch hauen. Nur ist Deutschland auch von der Türkei, ein sehr starker NATO-Partner, abhängig. Alleine aufgrund der geografischen Lage – der einzige Grund, warum die Türkei überhaupt bei der NATO ist. In Zeiten, in denen Russland militärisch immer stärker wird, nimmt die Bedeutung der Türkei zu. Und darin liegt das Problem. Im Endeffekt spielt es für die USA oder Europa keine Rolle, wer dort den Präsidenten stellt. Ob Islamist oder Kommunist, ist egal. Hauptsache, er ist hörig, wenn Russland mal frech wird.

Zudem sind die ökonomischen Verflechtungen untereinander bedeutsam.
Genau. Der Export ist sehr stark in der Türkei – es herrscht eine gegenseitige Abhängigkeit. Und wie wir wissen, war Ökonomie immer wichtiger als Menschenrechte. Auch für den Westen. Deswegen habe ich keine großen Hoffnungen. Weil ich weiß, dass am Ende des Tages alles für die Türkei entschieden wird. Das habe ich schon zu oft gesehen. Da wird das Verhalten eines Herrn Erdoğan nichts ändern. Die haben schon in den Neunzigern monatelang alles bombardiert, mehr Dörfer plattgemacht, mehr Zivilisten getötet. Auch damals hat niemand was gesagt.

Im Video zu „Interpol.com“ erscheint im Intro ein Zitat von Che Guevara: Es gibt nur eine Sache, die größer ist als die Liebe zur Freiheit. Der Hass auf die Person, die sie dir wegnimmt!“ Wie bist du darauf gekommen?
Ich suche gerne nach Zitaten. Das Che-Guevara-Zitat trifft auf jeden Fall auf die Situation zu, wenn du im Gefängnis sitzt, weil dich jemand verraten hat. Da ist der Hass auf diese Person sehr groß. Man könnte sogar selbst dafür sorgen, dass diese Person im Gefängnis sitzt. Aber dann wäre man selbst ein Verräter. Der Hass wird dadurch noch größer, weil man weiß, dass der Mensch draußen rumläuft und sein Leben genießt. Obwohl er weiß, dass du ihn auch verraten kannst. Aber er ist sich sicher, dass du das nicht tun wirst, weil er dich kennt. Das macht den Hass sehr groß. An diesen Momenten kannst du nichts machen, nur daran denken: Wenn meine Ketten aufgehen, werde ich mich rächen.

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Hast du manchmal die Befürchtung, dass du auf die Goldraub-Geschichte reduziert wirst und deine Musik ein bisschen in den Hintergrund rückt?
Nein, es hätte schließlich so laufen können, dass ich nach der Goldraub-Sache aus dem Knast komme und ein schrottiges Album abliefere. Dann wäre auch keine Anerkennung da. Ich bin immer froh, wenn ich von Künstlern Anerkennung bekomme. Weil die interessiert der Goldraub nicht. Wenn der Song oder das Album nicht gut ist, feiern die das nicht. Egal, was da medial abgeht. Nach dem Knast habe ich gefühlte tausend Anfragen bekommen – für Dokumentationen, Berichte und Filme. Hab ich durchgehend abgelehnt. Zuerst wollte ich immer mein Album rausbringen. Ich habe nur mit Hip-Hop-Medien über das Album gesprochen, obwohl mich Talkshows haben wollten. Aber da war das einzige Thema der Goldraub. Jetzt aber ist die Sache anders, weil es nun um mein Leben geht. Da werde ich in Zukunft bei einigen größeren Sachen im Fernsehen auftauchen.

Aber nicht so wie bei der Bluff“ damals, oder? Wie kam es eigentlich dazu?
Da war einfach ein Kanacke aus Bonn, der sehr viel auf den Straßen unterwegs war, aber gar keine Ahnung von der Rapszene, dem Mediengeschäft und dem Business hatte. Das war ich. Ich hatte damals gerade mein erstes Konzert hinter mich gebracht und da war das „Bluff“-Team schon dabei, wegen der Vorgruppe. Die waren voll baff und konnten gar nicht glauben, was da abgeht. Wir bekamen dann das Angebot für eine Reportage, die wir auch gemacht haben. War dann zu heftig. Die konnten es nicht ausstrahlen, weil das eine Nummer zu hart für deren Publikum war. Aber stattdessen wollten die mit mir den „Bluff“ drehen. Ich war einverstanden, wusste damals aber noch nicht, was mir schadet und was nicht. Heute wirst du mich sicher nicht mehr beim „Bluff“ sehen (lacht).

Wie stehst du zum inflationären Gebrauch des Begriffes „31er“ in der Deutschrap-Szene?
Der „31er“ findet eigentlich nur beim BtMG (Betäubungsmittelgesetz, Anm. d. Red.) statt, aber heute meinen die alles damit. Ist ein anderes Wort für Verrat, das im alltäglichen Slang genutzt wird. Und das wegen eines Songs, den ich damals gemacht habe, groß geworden ist. Ich kannte den Paragrafen vorher nicht, habe erst in den Akten gelesen, dass der so heißt. Ich finde es cool. Hauptsache, andere Wörter werden benutzt.

DerIch trage Mantel„-Spruch hat sich ziemlich etabliert. Nervt dich das schon manchmal?
Nein, ich finde es selber lustig. Gerade, weil er nicht vom Anfang an so geplant war. Wir haben einfach untereinander gesprochen, aber wollten das nicht nach außen tragen. Da gibt es einige Sachen, auf die das zutrifft (lacht). Ich glaubte auch nicht, dass das so funktioniert. Finde ich einfach lustig und nervt mich auch gar nicht. Alles cool.

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