Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
„Mir ist das komplett egal, violett, grün, wir sind alle farbenblind“, entgegnet Huhnmensch, als er für seinen Kaffee mit Kardamom ein Austria-Häferl serviert bekommt. Der Landstraßer Rapper mit dem ornithologischen Künstlernamen, sein rappender Beatmacher Emil F. und sein Zwillingsbruder DJ Stanley Stiffla sind hereingeflattert, um über das neue Album „Nicht alles was Flügel hat fliegt!“ zu sprechen. „Es war unglaublich schwierig, ein Fleischtray zu finden, das quadratisch ist“, berichtet Emil F. über die Idee der Cover-Komposition. Die eigens angefertigten Puppen in Hühnergestalt starren uns dabei einfoliert auf dem Cover entgegen. Dabei war eigentlich gar keine CD-Produktion geplant, Vinyl ist doch der meisten Musikschaffenden Vorliebe. Aufgrund finanzieller Überlegungen und der geringen Vorkommen von Kassettenrekordern, ist es aber dann doch die Compact Disk geworden. Passend zu den eingepackten Hühnerpuppen am Cover ist auch eine Einkaufsliste beigelegt, die die 17 Tracks deklariert. „Wir haben ein paar Simpsons-Folgen lang geschnitten und gepickt, dabei ist auch viel kaputtgegangen“, gesteht ein belustigter Huhnmensch, der eigentlich „Hände wie Boxhandschuhe“ hätte. Auf die Frage, ob er seine Artgenossen auch verspeist, bekommen wir eine überraschende Antwort. „Ich war mal Vegetarier, aber früher gab es nur Hotdog-Stände. Betrunken wollte ich dort nachts nicht nach einem Stück Brot fragen. Dann hab ich ein Käsekrainer-Hotdog reingehaut und jetzt bin ich wieder überzeugter Fleischesser“.
Eine nächtliche Reise mit Stoffhühnern erlebt man auch im ersten Video zum Album, „Für imma & eklig“. Gedreht wurde unter anderem im Einbaumöbel, wo vor Kurzem die Releaseparty zum Album stattgefunden hat. „Das ist ein guter Ort in Wien, ich geh selber oft hin!“, erwidert MC Huhnmensch. Einen speziellen Gast hatte er sich für diesen besonderen Abend auch ausgesucht: Pierre Sonality aus dem Funkverteidiger-Kreis. „Ich liebe den Scheiß. In Deutschland sind das die Beats und der Style, den ich am besten find. Die Sample-Auswahl, die Geschwindigkeit, der Rapstyle – die Ästhetik“, beschreibt Huhnmensch seine Sympathien für die Leipziger-Magdeburger Crew. Eigentlich hätte er seinem Bruder Stanley Stiffla, der seit drei Jahren für die Fear le Funk-Veranstaltungen in Wien verantwortlich ist, ganz idealistisch die Stieber Twins vorgeschlagen. Aber mit Pierre Sonality hat er auch ins Schwarze getroffen. Ganz allgemein gehe es bei der Veranstaltungsreihe darum, dass die Party fett ist und nicht darum, ob man damit reich werden kann. So sind in den letzten Jahren bereits 9th Wonder, Brous One oder Figub Brazlevic für die Veranstaltung nach Wien gereist.
Neben dem Livespielen und Songschreiben hat Huhnmensch aber noch ein Talent: das Freestylen. Mal im Einbaumöbel, dann wieder beim Invitational-Battle im B72, bei dem er letztes Jahr unverhofft bis ins Halbfinale gekommen ist. „Absichtlich mach ich bei so etwas nicht mit. Ich war nur zufällig dort und es ist wer ausgefallen, Faun hat moderiert und mich quasi raufgepusht. Battlen ist auch nicht wirklich mein Metier“, erzählt Huhnmensch die Anekdote vom Battle-Event. Freestylen sei chillig zum Abschalten, durchs Freestylen komme er auch auf dope Reime. Obwohl das Battlen angeblich nicht sein Fach sei, hat er doch schon früh damit angefangen. So beim Mixery Raw Deluxe Battle 2001, wo er noch mit Dreadlocks und anderem Künstlernamen, gegen Dauawelle gekämpft hat. Im Finale waren dann doch Joshi Mizu und Sourcingah von der Hörspielcrew.
Zehn bis 15 Jahre ist es auch her, dass Huhnmensch mit seinen damaligen Schulkollegen Panta Rhei gegründet hat, eine selbsternannte Schülerband, die es bis auf eine FM4 Soundselection und zu einer Amadeus Nominierung 2003 geschafft hat. Die Nummer „Jochen & Agathe“ hat ihnen auch den Spitznamen „Gummibärlirapper“ eingeheimst. „Man kann das aber nicht mehr mit dem vergleichen, was wir heute machen, das ist eine andere musikalische Welt“, meint Produzent Emil F. zu dem damaligen Projekt. „Das war eine dope Zeit, die Musik ist jetzt aber besser“, fasst es Huhnmensch zusammen.
Neben dem ehemaligen Panta Rhei-Mitglied Pi Papo aka Hacklerberry Pi, der jetzt Songwriter-Musik macht, ist auch der langjährige Musikgefährte Qwer aka Ole Zett auf „Nicht alles was Flügel hat fliegt!“ vertreten. Der gebürtige Darmstädter ist als Ole Zett nun auf dem deutschen Label postrap, das von Misanthrop gegründet wurde und auch bald ein Konzert in Wien organisieren wird. Die österreichische Hauptstadt, das ist für den gebürtigen Wiener Huhnmensch übrigens in „Fear da Neigbhour“ ein verstrahltes Gebiet. „Da ging’s mir um die Atmosphäre, ich denk ur oft in Bildern, BioShock, Far Cry, dann kommt verstrahlt raus. Das Bild hat mir gefallen.“
Dabei definiert der Landstraßer MC, der im Kunsthistorischen Museum arbeitet, auch gleich seine musikalische Idealvorstellung: „Das Ziel sind dope Bilder mit fetten Rhymes“. Diese postapokalyptische Stimmung projiziert Huhnmensch aber nur auf auf diese eine Nummer, sonst mag er Wien und vor allem den dritten Bezirk: „Das ist ein richtiger schöner Wohnbezirk. Wenn einer deppat is, bin’s ich.“ Auch der Gründungsmythos der Huhnmensch-Clique beruht auf diesem Viertel. Noch viele Jahre vor der Mall in Wien Mitte gab es einen „beschissenen Mc Donalds“, bei dem die damals 14-Jährigen jeden Tag gechillt – und sich kennen gelernt haben.
Mehr von des Huhnmenschens Lebensgeschichte hört man auf dem Album „Nicht alles was Flügel hat fliegt!“, das sich nach einigen EPs (die letzte war „Die fabelhafte Welt der Amnesie„) in die Diskografie des Rappers einordnet. Auf 17 Nummern – angeblich genauso lang, wie ein gefülltes Hühnchen bei 180° im Rohr braucht – erzählt der Huhnmensch über seine Stadt, das Granteln und die Bequemlichkeit („Sofa, Couch, Tisch, weiter reicht meine Sicht nicht“). Feature-Gäste sind Böser Wolf, die ehemaligen Panta Rhei-Mitglieder Hacklerberry Pi und MENt sowie Ole Zett und Alesth The 3st. Mit dem Bösen Wolf tritt Huhnmensch übrigens auch am 30. April beim Rap Against Festival am Wiener Karlsplatz auf, mehr Konzerte werden folgen.
Text: Julia Gschmeidler
Fotos: Daniel Shaked
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