JerMc und food for thought haben das Herz am süßen Fleck, das wissen wir spätestens seit der „Most Süß„-EP. Am 19. November ist die Fortsetzung, zugleich das erste gemeinsame Album der beiden erschienen. Aber es ist nicht immer leicht, süß zu sein – das wird auf “Most süß 2: Mehr als nur süß” schnell klar. “Ja ich wär gerne nur süß, aber bin mehr als nur süß, manchmal sauer, manchmal wütend, alle Geschmäcker in mir”, heißt es auf dem Titeltrack. Mehr Geschmäcker sind aber nicht unbedingt etwas Schlechtes. Auf 12 Tracks liefern uns die beiden den feinsten Gourmet-Rap mit Lines über Selbstzweifel, Sorgenfalten, toxische Männlichkeit und Li Ziqi.
Für ein Interview treffen wir JerMc und food for thought im Heiße Luft-Studio im 5. Bezirk. Angekommen im Creative Cluster aka Die Schule, dauert es keine fünf Minuten, bis wir heißen Kräutertee serviert bekommen. Beim gemütlichen Kränzchen reden wir über das Ausbrechen aus dem Österrap-Mikrokosmos, das Cringen zu Facebook-Posts von vor ein paar Jahren, über den Übergang von Boombap zu Trap und warum Rap jetzt Pop ist, über die richtige Mischung zwischen ulkig und cool und darüber, warum es besser ist, mit Essen zu flexen als mit Autos.
Interview: Michi Koffler & Simon Nowak
The Message: JerMc, auf Twitter und in deinen Tracks dringt immer wieder durch, dass dich die Stagnation bei der Reichweite sehr beschäftigt. Glaubst du liegt es eher an der Musik selbst oder an der Vermarktung?
JerMc: Auf Twitter ist es natürlich extra überspitzt. Ich weiß es nicht. Ich würde gerne den Chef von Musik fragen, er soll es mir sagen. Ich würde dann wahrscheinlich nichts ändern, aber ich wüsste es gerne. Wir sind viel zu tief drinnen. Jeden Freitag siehst du: Das machen die anderen und das hast du nicht gemacht. Du musst dich die ganze Zeit vergleichen. Oder du schaust weg und es kann sein, dass du unabsichtlich was machst, was wer anderer vor dir gemacht hat. Es ist wichtig, die Szene im Auge zu behalten, aber schwer, sich nicht zu vergleichen. Wir reden die ganze Zeit darüber. Am Ende spielt es auf FM4 überdurchschnittlich viel von uns und man kann sich eh nicht beklagen. Aber ich könnte auch „the biggest star in Austria“ sein und würde sicher einen Weg finden, es negativ zu sehen.
Ist es ein Anspruch, aus dem Österrap-Mikrokosmos auszubrechen? Also arbeitet ihr aktiv darauf hin?
food for thought: Wenn man andere Leute hört, die nach den Sternen greifen und sagen: ‚Mein Ziel ist, mit dem und dem irgendwann einen Song zu machen‘ – alleine diese Einstellung ist vielleicht das Problem. Wir versuchen das was wir machen, so gut wie möglich zu machen. Wenn es mehreren Leuten, die uns nicht kennen gefällt, ist es umso besser. Aber es ist immer noch mega nischig. Es wäre ein Bonus. Aber dass es einen Hype bekommt? Darüber bin ich schon lange hinweg.
JerMc: Ich glaube das Problem ist, dass alles gekoppelt ist. Wenn es irgendwo in der Musik die Möglichkeit gebe, dass man davon leben kann und niemand einen hört, würde ich sie nehmen. Aber je mehr Leute du erreichst, desto besser kannst du davon leben und daran führt kein Weg vorbei.
food for thought: Dein Gehalt wird daran gemessen, wie viele Follower du hast. Wer dich promotet oder bookt, schaut zuerst wie viele Follower du hast. Da ist egal, wie lange oder wie gut du es machst. Ich verstehe es ja – es geht um Geld und du kannst niemanden buchen, der keine Leute zieht. Bei uns ist es auch bisschen das Alter. Als das Gefühl angefangen hat, dass wir gute Mucke machen, kam Corona dazu und wir konnten keine Konzerte spielen. Eigentlich haben wir eh erst unser erstes Ding rausgehauen, aber wir haben das Gefühl, dass wir es schon seit hunderten Jahren machen und es nicht klappt. Nach außen kennt uns kein Schwein. Mittlerweile denke ich mir: So viel wie möglich machen, damit ein Ding irgendwo poppt.
Ist es bei dir auch ein über Wasser halten? Als Produzent ist das tendenziell ja leichter möglich.
food for thought: Natürlich, ich hab gut reden. Wenn etwas mit einem nicht gut funktioniert, kann ich für jemand anderen produzieren. Das Gesicht kannst du dir natürlich nicht abschminken und neue Künstler erstellen.
JerMc: I’ve tried (lacht).
food for thought: Natürlich kannst du dir Aliasse zulegen. Was bei dir glaube ich sogar gut funktioniert hat. Dyin Ernst war damals noch die Diskrepanz zwischen Boombap und Trap – mit dem einen macht er das Alte, mit dem anderen das Neue, das natürlich bisschen interessanter ist. Aber es ist eine Person. Wenn du zum Beispiel die Stimme nicht geil findest, muss viel passieren, damit sich die Meinung ändert. Ich habe das Privileg, dass ich switchen kann. Ich kann Pop produzieren oder Metal machen, es würden halt andere Leute feiern. Dafür stehst du als Produzent nicht so im Rampenlicht und musst dir die Kohle oder Vorschüsse bei den Artists erkämpfen.
„Das Nervigste an meinem Leben ist die Gewissheit, dass es nicht so weitergehen kann“
JerMc, du arbeitest daneben geringfügig. Ist steigender finanzieller Druck ein Thema?
JerMc: Dazu hab ich eh schon einen Tweet-Entwurf (lacht). Das Nervigste an meinem Leben ist die Gewissheit, dass es nicht so weitergehen kann. Ich finde es gerade super chillig. Ich mache viel Mucke, hackl am Abend und das auch nicht jeden Tag. Mit DJ-Sachen kann man auch wieder bisschen Geld verdienen. Wenn ich wüsste, dass ich so weitermachen kann, wäre es ur chillig. Aber ich weiß, dass es irgendwann mehr werden muss, ich älter werde, alles teurer wird und so weiter. Dass sich diese Arbeit irgendwann mehr lohnen muss, macht eher den Druck. Da ist man wieder bei der Reichweite.
Hast du dir eine Deadline gesetzt?
JerMc: Naja, bis 30 mache ich auf jeden Fall weiter als könnte man das machen. Danach mal schauen. Aber ich glaube ich könnte nie aufhören, Mucke zu machen. Ich weiß nicht, wo die ganze Energie hingehen würde. Bis 30 probiere ich es noch mit der Brechstange, danach muss ich mir vielleicht was anderes überlegen (lacht).
Auf der „Most Süß“-EP hast du relativ zufrieden mit dir selbst gewirkt, aber es war ein Prozess, wenn man an “eher tiaf, aber eh ganz deep” zurückdenkt. Jetzt wirkt es wieder nicht so. Fängt dieser Prozess wieder von vorne an?
JerMc: Auf jeden Fall. Ich war am Anfang von „Most Süß 2“ noch viel zufriedener mit mir. Jetzt fängt das an zu bröckeln. Es ist glaube ich echt ein Zyklus. Mit 24 war ich so: ‚Okay, ich glaub ich hab’s raus und check,was man machen muss‘. Also nicht auf die Musik, mehr aufs Leben bezogen. Jetzt denke ich mir wieder, ich habe keine Ahnung, was ich mache.
Fällt es dir in Phasen, in denen du nicht so zufrieden mit dir bist schwerer, die Musik rauszubringen?
JerMc: Na, an der Musik zweifle ich nicht so. Also schon, vor allem kurz vor einem Album denke ich: Vielleicht lieber nicht auf die große Glocke hängen – besser schwarzes Cover wie Kanye West und an einem Mittwoch raus oder so (lacht). Das was ich auf Papier bringe, ist eigentlich noch das Beste an dieser Phase. Wenn ich es schaffe, es schön zu präsentieren und ich merke, dass ich ein Gefühl gut in Worte gefasst habe, ist es umso besser. Dann lohnt sich die schwere Phase bisschen mehr.
Wenn du persönliche Gedanken teilst, hast du irgendwann im Nachhinein das Gefühl, dass du oversharst, zu viel preisgegeben hast?
JerMc: Das letzte Mal beim ersten Album mit Gigolo D, „eher schiach aber eh ganz lieb“. Seitdem nicht mehr so. Ich weiß schon, dass es viel ist. Jeder hat zum Album gesagt, dass es so ehrlich ist. Es ist für mich aber meistens keine Überwindung. Ich frage mich nicht so, ob ich zu viel preisgebe, sondern eher, ob es so wirkt, dass ich etwas nur sage, um mich erst recht wieder selbst darzustellen.
Also Selbstzweifel über Selbstzweifel?
JerMc: Genau. Weil mittlerweile gefühlt jeder depressiv ist – man kann das auch auf cool ummünzen, was ich eigentlich nicht probiere. Ich will nicht dieses ‚Oh, mir geht’s so schlecht‘ machen. Aber es fällt mir generell nicht schwer, ich finde das eigentlich am geilsten. Mich interessiert Mucke nicht, wenn es quasi jeder gesagt haben könnte. Ich habe eher das Gefühl, ich muss noch mehr zeigen, weil mein Leben an sich nicht das Interessanteste ist, ich keine so oage Geschichte zu erzählen habe. Dann mache ich halt mein Innenleben bisschen sichtbarer, weil das was ist, mit dem Leute relaten können.
Hast du die Selbstmitleid-Lines bewusst rausgelassen? Oder dich beim Schreiben immer wieder dabei ertappt?
JerMc: Ja, aber ich glaube nicht einmal aktiv. Man wird halt älter. Wenn ich mir zum Beispiel alte Facebook-Posts anschaue, wie cringe die sind. Wenn ich früher „Mir geht’s so schlecht“ geschrieben habe, denke ich heute eher, dass es eh nicht so schlimm war. Auch weil es alte Sachen sind, man entfremdet sich davon, was man gesagt hat. Natürlich bin ich jetzt an einem anderen Punkt, es nähert sich von Album zu Album dem wie ich gerade bin an. Selbst wenn die Gedanken ein Jahr alt sind, ist es nahe dran. Bei „eher schiach, aber eh ganz lieb“ habe ich schon als wir es rausgebracht haben gedacht, dass ich es so nicht mehr sagen würde. Jetzt kann ich mir bei fast allem was ich gesagt habe vorstellen, es nochmal so zu sagen. Klar ist man wieder weiter, auch ästhetisch auf einem anderen Film, aber es ist schon die Selbstverwirklichung.
Das heißt, du musst vordenken, was du in Zukunft cringe finden würdest?
JerMc: Genau. Es ist wirklich so. Auch was dir jetzt vielleicht unwichtig vorkommt, was du sagen wollen würdest. Wenn du drüber nachdenkst: Muss das drin sein? Nein nicht wirklich. Ist es nur drin, weil du es jetzt cool findest, aber passt es überhaupt in den Track? Oder macht es den Track überhaupt besser? Das bedenke ich jetzt mehr mit.
Denkst du beim Schreiben eher an dich oder die, die es hören? Wenn es zum Beispiel um Mental-Health-Themen geht, machst du dir deine Reichweite als Rapper bewusst und sprichst gezielt Sachen an?
JerMc: Das ist mehr egoistisch. Ich probiere, was ich fühle, so gut wie möglich in Worte zu fassen und desto besser es in Worte gefasst ist, desto mehr werden es andere Leute fühlen. Plakativ würde ich sagen, ich schreibe für den einen Typen, der so wie ich ist und das genau so fühlt. Und ich glaube davon gibt es mehrere. Wir probieren grundsätzlich immer die Mucke zu machen, die wir selber gerade feiern und das ist bei den Texten genau das Gleiche.
Ihr habt euch vom Sound her in eine andere Richtung bewegt. Habt ihr mitbekommen, ob sich da was bei deinen Zuhörer*innen geändert hat – sind das jetzt eher neue Leute, jüngere Leute?
JerMc: Die Boombap-Heads sind auf jeden Fall weg, aber ob neue dazu gekommen sind, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich kriege jetzt nicht viele junge Follower oder so.
Wie bewusst war diese Entscheidung?
JerMc: Das war vor allem, weil ich das selber nicht mehr gehört hab. Ich habe keine Ahnung mehr, was Boombap-mäßig abgeht. Aber ich nehme an, dass Gefühl, das Boombap in mir auslöst, nicht weggeht. Nur macht es mir jetzt, wo wir mehr mit Melodien arbeiten und mehr gesungen wird, weil wir es musikalischer angehen, viel mehr Spaß. Im besten Fall mischt man es eh. Jetzt geht es halt nur in diese Richtung, weil wir es neu für uns entdeckt haben und es viel machen, aber irgendwann werden wir wohl die Mitte finden.
„Eigentlich passt man sich eh an, wir nörgeln nur mehr“
Auf dem neuen Album sind zu „süß“ andere Geschmacksrichtungen dazugekommen. Du verwendest generell gerne Essensmetaphern. Woher kommt das?
JerMc: Wir waren „Most süß“, das hat mit diesen Limos angefangen. Es wäre schade gewesen, das nur für eine EP zu machen. Beziehungsweise musste auf die EP noch so ein Werk kommen. Wir hatten die Idee für „Most süß 2“, ich bin auf „mehr als nur süß“ gekommen und dann ist das mit den Geschmäckern entstanden. Süß ist halt auch so ein Wort. Ich könnte jahrelang was dazu schreiben. Jedes Mal, wenn ich einen Reim brauche, suche ich mir eine Süßspeise, die sich reimt.
food for thought: Besser mit Essen flexen als mit Prunk oder Autos.
JerMc: Es sind meistens eh mehrsilbige Wörter und manchmal Sachen, die noch niemand benutzt hat. So wie andere halt flexen mit Mode und zeigen, was für einen guten Geschmack sie haben, kann man halt so zeigen, was man für ein Gourmet ist. Da sind die Optionen endlos. Ich kann mit Mode halt nichts anfangen. Mit Essen kann jeder relaten, noch mehr als mit Mode eigentlich, weil jeder isst.
Du baust mittlerweile auch selber Gemüse an, oder?
JerMc: Nicht sehr groß, nur am Balkon. Nächstes Jahr mache ich auf jeden Fall weniger. Heuer habe ich ein bisschen übertrieben. Es war das erste Jahr, ich war noch sehr motiviert.
Hast du aus deinen Anbauversuchen auch Track-Ideen gezogen?
JerMc: Ich hatte fürs Album ein Konzept für einen Track, was aber nichts geworden ist. Es gibt viel her für Metaphern. Aber man will nicht ulkig werden und das ist extrem gefährlich. Das 18-jährige Ich findet das wahrscheinlich ulkig, weil es so weit weg ist von allem anderen. Ich probiere das trotzdem auf cool zu machen.
food for thought: Man hat oft diese Gespräche darüber, wie zugänglich man sein will. Darf etwas dermaßen seine eigene Welt sein, dass man aufpassen muss, ob alles zu verstehen ist? Wenn man einen Track zehnmal hören muss, oder bei Lines Sachen googlen muss. Oder ist es einfacher, wenn man zwei, drei Sätze reingibt, in denen man seine Welt beschreibt und der Rest sind Floskeln, die man im eh im Rap kennt? Da muss man ein Mittelding finden, dass man zugänglich für eine breitere Menge ist und nicht nur für Leute, die Tee trinken, sich für süß halten und Sachen ablehnen, die sie negativ beeinflussen.
Also geht es um die Mischung aus Head- und Radio-Tauglichkeit.
JerMc: Ja, aber ich glaube wir hatten noch nie einen Track, wo wir so waren: ‚Uh, das ist jetzt bisschen dick aufgetragen, aber lass raushauen!‘ Es ist immer noch untergrundig. Es ist schon Pop, aber Rap ist jetzt halt Pop. Die Grenzen haben sich verschoben. Aber wir haben uns nie gedacht: ‚Uff, das könnte jetzt Helene Fischer sein, aber bringen wir es raus.‘ Eigentlich passt man sich eh an, wir nörgeln nur mehr und hören selbst immer poppigere Musik. Unser Geschmack verändert sich und damit auch die Mucke.
JerMc, du hast mal gesagt, dass du für JerMc und Dyin Ernst schon viel vorgeplant hast. Was steht als nächstes an?
JerMc: Als nächstes kommt ein Album von Dyin Ernst, da sind acht Tracks konzeptioniert. Aufnahmen, Mix und Master muss man noch machen und das dauert eh immer ewig, viel länger als man glaubt. Aber die Story ist da, es müssen nur die Tracks eingefügt werden. Vielleicht schaffe ich es, davor noch eine EP rauszubringen, so eine JerMc/Dyin Ernst-EP, wo sich bisschen mehr klärt, warum das zwei verschiedene Leute sind. Dann muss aber noch ein anderes Dyin-Ernst-Album kommen, um die Geschichte weiter zu erzählen. Und dann sind wir hoffentlich ganz woanders.
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