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Jilly – Plastikblume

Jilly – Plastikblume

Jilly Cover Front(SoundSpur Records/VÖ: 16.09)

Jilly ist der heimischen Rapszene bis dato wohl am ehesten durch Tracks wie „Rot-Weiße-Jungs“ oder „Rapstar“ ein Begriff. Schon bei diesen Releases hört man deutlich jene Stilmittel heraus, für die der Rapper aus Steyr steht: kraftvolle Stimme, schnörkelloser Flow und straighte, aber gleichzeitig aussagekräftige Themen. In dieses Schema passt auch ein Zitat von ihm auf dasistm.de: „Ich schreibe gerne Songs mit Konzept, ich mag zwar Battlerap auch wenn er abgeht, aber ein bestimmtes Thema in einen guten, interessanten Song zu packen, ist für mich die größere Herausforderung.“ Daneben ist Jilly auch als Beatmaker tätig, so war er beispielweise schon an Produktionen für Massiv und Luminance beteiligt. Nun kommt er mit einem 9-Track starken Mixtape namens „Plastikblume“ an den Start – und sorgt für eine positive Überraschung.

Wofür die Plastikblume in seinem Kontext steht, bekommt man auf Track 3 erklärt: Jilly rappt schwungvoll über abgehobene („sag warum bleibst du nicht am Boden, so wie Sneaker es tun“), selbstverliebte „Plastikblumen-Bitches“ (O-Ton von Jilly), die nur zu leicht den männlichen Organismus verwirren. Extravagante Schuhe, Nagellack und Lippenstift im Minutentakt auftragen, der fragende und gleichzeitig überzeugte Blick in den Spiegel: Plastikgehabe und eben nicht Natura. Jilly greift geschickt zahlreiche Klischee-Bilder auf, die den Track nicht nur lebensnah, sondern im Zusammenspiel mit der sehr guten Hook auch erfrischend witzig machen. Überhaupt, wer denkt, dass hier nur ein stumpfsinniger und abgelutschter Track über unerreichbare Frauen dargeboten wird, irrt sich gewaltig. Denn Jilly beweist mit einigen Lines auch eine kritische Ader, die den eigentlichen Sinn des Tracks offenbaren: „Hast du irgendwas auf Lager, das mich interessiert, außer deinen Möpsen, die du jedem hier präsentierst“. Am Pranger stehen Heidi Klum und Konsorten, die ganze verblendete Beautie-Industrie.

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Zu dieser Frauenthematik reiht sich gleich der nächste Track „Es ist vorbei“ ein: diesmal ein weniger lustiger Song, der von einer Trennung handelt und darüber, wie Jilly damit klarkommt – wenn auch nur langsam. Insgesamt wirkt dieser leider etwas zu aufgesetzt und auch der Gesangspart in der Hook („Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist vorbei“… usw.) kann nichts daran ändern. Mehr innovative und bildhafte Details aus der schmerzhaften Auseinandersetzung hätten gut getan, um wirklich ein nachhaltiges Gefühl für den Song entstehen zu lassen. Ein Punkt, den Jilly in „Sonne aufgehen sehen“ besser schafft: Schon in den ersten vier Zeilen erfährt man derart viel, dass man gleich Lust auf das Weiterhören bekommt.

„Sie hat ihre Sachen gepackt, denn sie will weg von hier.
Raus aus der Kleinstadt, es gibt keine Action hier.
Immer nur dieselben Typen wollen Sex mit ihr.
Überall schon rausgeworfen nach dem sechsten Bier.“

(Jilly in „Sonne aufgehen sehen“)

Wer hat nicht schon einmal daran gedacht, einfach abzuhauen, den täglichen und zermürbenden Stress endgültig hinter sich zu lassen. Anscheinend auch Jilly, denn die weibliche Person, um die sich der Track dreht, fasziniert ihn hörbar. Im Zusammenspiel mit dem smooth gesungenen Refrain und dem Beat von „Mario Beats“ bringt er die befreiende und gleichzeitig risikoreiche Stimmung gekonnt rüber. Dass Jilly neben thematischen auch eindeutig einen Hang zu Battle- und Representertracks hat, zeigen Songs wie „Seit den 90s“, „Wenn ich Rap“ und „Siegeszigarette“. Allesamt gut geflowte Tracks, die sich nicht in komplizierten Reimketten verheddern, sondern auf den Punkt bringen, was ihm wichtig ist: Jilly findet sich selbst fresh und hält herzhaft wenig von großmäuligen Rapper-Attitüden.

„Rapper reden und Hauptsache sie reden lang.
Hauptsache ich lebe lang, damit ich viele töten kann.
Ihr wart gefährlich nah am Raubkatzen-Gehege dran.
Jetzt seid ihr platt, doch wer sagt tausend Dank dem Elefant.“

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(Jilly in „Siegeszigarette“)

Wobei noch anzumerken wäre, dass man Elefanten wohl kaum in einem Raubkatzen-Gehege findet, egal: das Bild ist schön und die Beginner haben sich auch schon mal in der Tierwelt vertan. Der Rapper aus Steyr muss sich nicht durch eine demonstrativ aggressive Stimmlage in den Vordergrund spielen, er lehnt lieber lässig in der Ecke und raucht die Siegeszigarette. Natürlich im musikalischen Sinn gemeint. Auch sorgen die dahinterstehenden Produktionen von DJ Smochi und Mikel nicht für eine düstere Gangsterstimmung, sondern unterstreichen die lockere, überlegene Siegerpose. Wobei bei Jilly auch stellenweise Selbstironie durchschimmert: „Während alle andern starten, sitz ich hier und trinke Bier“. Einziges Manko bei eben diesem Track ist, dass anfangs noch dem exzessiven Alkoholkonsum gefrönt wird, um plötzlich den Twist zur Battlerei zu machen. Ein Schwenk, der für den Hörer zu schnell und unverständlich kommt.

Jilly sorgt auf dem gesamten Mixtape durchwegs für stimmungsvolle und –  so kommt es rüber – gut durchdachte Hooks. So auch auf dem Track „Nachtwerft“, der von der Ausdrucksweise und der Rhythmik etwas an die Song-Spielereien von Alligatoah erinnert. Da kann man sich schon mal auf der Straße ertappen, wie die Lippen ganz von allein die Refrain-Zeilen nachformen. Den Abschluss des Tapes bildet der mit einem Vocal-Sample unterlegte Track „Post“: singend erfreut sich Jilly über endlich mal gute Post, neben ständig eintrudelnden Inkasso-Briefen eine wahre Erlösung. Also schickt ihm ein gutes Feedback per eingeschriebenen Brief, er wird sich freuen und hat es dazu noch verdient. Er präsentiert sich zwar nicht als der ausgefeilte und verkopfte Songwriter, aber das braucht es in diesem Fall auch nicht. Das Mixtape hat mit neun Nummer genau die richtige Länge und kann durchgehend die Spannung halten. Es gilt Jilly auf jeden Fall im Auge zu behalten!

(NH)