Wenn er nicht gerade rappt, schreibt er. Zumeist über Rap.…
Für eine Gruppe handverlesener Rap-Pilger ist dieser Samstag ein Tag, erfüllt von Antizipation und Vorfreude. Besonders nachdem klar war, wie der Protagonist des Abends bereits in Berlin live abgeliefert hat. Umso erfreulicher, dass der in Untergrund-Kreisen hoch dotierte und weitaus respektierte kalifornische Rapper Jonwayne seinen Weg nach Wien gemacht hat. Auch Huhnmensch & Der böse Wolf haben die lange Reise aus der Seestadt ins tiefste Innere des Wiener Zentrums angetreten, ausgesandt, um der stetig wachsenden Crowd ordentlich Feuer unterm Hintern zu machen und den Launebarometer um etliche Zentimeter nach oben zu katapultieren. Mit ihrer erfrischenden Mischung aus Ironie, gepaart mit gekonntem Wortwitz und bouncigen Beats, ist die Verbindung zum Publikum auch sofort hergestellt. Das Vierergespann wirkt bestens eingespielt, die Energie innerhalb der Crew ist spürbar und verbreitet sich wie ein ansteckender Virus im gesamten Raum. Der HipHop-Geist ist eingekehrt. Nach einem kurzweiligen Programm und der standesgemäßen Zugabe verabschieden sich die vier und machen unter gebührendem Applaus die Bühne für den Mann des Abends frei.
Das ausverkaufte Flex Café ist mittlerweile zum Bersten gefüllt, die Anspannung im Publikum elektrisierend. Dann, endlich, der Mann, die Erscheinung, Jonwayne betritt die Bühne. Ausgelassener Beifall der Rap-Pilger, stoische Ruhe des Protagonisten. Bewaffnet mit einem Mic und einem Roland SP-404SX Sampler zückt der Rapper in ganz gekonnter Jonwayne-Manier den Zeigefinger und betätigt den alles entscheidenden Startschuss in Form eines Knopfdrucks. „Yo man uhm, are you Jonwayne bro?“, hallt es aus den Boxen, der Skit zu „Live From The Fuck You“. Immer noch kein Wort vom Rapper, der ganz beharrlich einen Bewegungsablauf nach dem anderen durchführt und wie ein Raubtier seine Beute fokussiert. Ein Schluck Wasser aus der Flasche, die neben dem Sampler für ihn zur Verfügung gestellt wurde, Festziehen der kunstvoll gebundenen Haarpracht, Aufsaugen der Atmospähre, dann plötzlich der Schritt hin zum Mic. Jonwayne entfesselt das unbändige Volumen seiner bassig vibrierenden Stimme, eine Stimme, die nur einem solchen Klangkörper wie dem von Jonwayne entspringen kann. Das Publikum ist außer sich.
Druckvoll strömt ein Bar nach dem anderen aus den Boxen, einer peitschender und deeper als der zuvor gespittete, direkt in die Ohren des Publikums, das von allerorts angereist kam, um nun für ihre Mühen mehr als ausreichend entschädigt zu werden. Der Flow sitzt perfekt auf den großteils selbst produzierten Beats des Kaliforniers. Dass die Bühne Jonwaynes Wohnzimmer ist, bezeugt nicht nur die einladend anmutende Ledercouch, die sich direkt hinter dem Rapper befindet, auch er selbst lässt keinen Zweifel daran und zieht sich in aller Gelassenheit seine Schuhe aus, sehr heimelig das Ganze. “No Hypeman, no unterlayered vocals”, Jonwayne fordert sein Publikum nicht auf, wie die Schafe ihre Hände in die Luft zu werfen, “People are smarter than that”. Er will ein Publikum, das zuhört. Und das tut es auch. Die Menschen hängen an seinen Lippen, jede Pause, jede Handbewegung hat Bedeutung. Was wir hier erleben dürfen, ist kein Rapkonzert, es ist die Predigt eines modernen Poeten, der die Dinge beim Namen nennt. “You’ve never seen a man so calm in your life”, in der Tat, er springt nicht auf der Bühne herum, er macht keine überschwänglichen Gesten, Jonwayne ist purer Rap in seiner rohesten Version. Gegen Ende der Show wird er sogar von einem seiner Pilger aus dem Publikum mit wehenden Händen vor herannahendem Ganjaschwaden beschützt, Jonwayne raucht nicht. “I’ve been sober for three years”.
Fazit: Was nach diesem eineinhalbstündigen Trip mit Zugabe, inklusive A-capella-Rap und tiefer, ehrlich gemeinter Wertschätzung für das eigene Publikum zu sagen bleibt? Jonwayne ist ein Ausnahmekünstler, der zu Recht eine Ausnahmestellung in einem Musikgenre genießt, dem zunehmend die eigene Identität verloren geht. Musiker wie er verkörpern die Seele von HipHop. Jonwayne hat mit dem Konzert seinem Namen alle Ehre gemacht und wir sprechen sicherlich für jeden im Publikum, wenn wir sagen: “Vienna always welcomes you, Jon”. Wir lassen diesen Mann nur ungern weiterziehen.
Das Interview mit dem kalifornischen Rap-Hühnen folgt in Kürze auf themessagemagazine.at
Fotos des Abends von Daniel Shaked:
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Wenn er nicht gerade rappt, schreibt er. Zumeist über Rap. Es gibt ihn auch als MILE XY, den Rapper, aber der schreibt nicht.