Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Er kann es noch immer. Bereits bei seinem Konzert im Flex Café vor etwa genau einem Jahr brillierte Fatoni als „ein vom Humor getriebener Entertainer, der aufgrund seiner langjährigen Bühnenerfahrung ein Meister seines Genres ist„, wie wir seine Stärken in unserer Konzertkritik zusammengefasst haben. Ein paar Unterschiede kann man dennoch ausmachen: Dieses Mal bespielt der gebürtige Münchner nicht mehr das Flex Café, sondern die Halle – immer wieder betont Fatoni dabei, wie sehr er die Verdoppelung des Publikums seit dem letzten Konzert in Wien zu schätzen weiß und dass wohl das nächste Mal das Gasometer dran sei, wenngleich man auch sehr schnell in der Gosse landen könnte. Und noch etwas ist anders: Support-Act Juse Ju liegt heute nicht krank im Bett, sondern stimmt die Leute auf eine ausgeklügelte Mischung aus Rap, Kabarett und rumsende Beats ein. Mit seiner „Band“, einem SP-404SX-Sampler auf einem Barhocker, rappt, freestylt und tänzelt er in einem NMZS-Shirt vor einer Juse-Ju-Leuchtreklame und betont immer wieder, dass er der beste Freestyler aus Kirchheim an der Teck sei. Das wird wohl stimmen. Neben Songs wie „Untergrund bedeutet“ und „German Angst“ möchte der Wahlberliner aber noch etwas loswerden und stichelt in Richtung The Message, weil in unserer Review zum Antilopen-Gang-Konzert seine Support-Show nicht ganz so positiv dargestellt wurde. „Wo ist dieser Typ von The Message, er kriegt auf die Fresse„, freestylt er etwa mit einem süffisanten Unterton.
Abgesehen von der Freundschaft zwischen Fatoni und Juse Ju versteht der Konzertbesucher recht schnell, warum Letzterer als Verstärkung mit auf Tour ist. Ähnlich wie Fatoni, garniert Juse Ju seine Show mit humorvollen Momenten und scheut nicht davor zurück, sich auch selbst einmal nicht ernst zu nehmen – wenngleich ihm das Zusammenspiel aus Komik und Rap nicht ganz so leichtfüßig und ungezwungen gelingt wie bei Fatoni das kurz darauf vorzeigt.
Wie bei seiner letzten Show in Wien schreitet Fatoni auch dieses Mal mit Boombox und Frauenstimme vom Tape auf die Bühne, begrüßt die „Geburtsstadt Falcos, Kreislers und Senta Bergers“ und kündigt an, das Flex wegflexen zu werden. Mit dabei ist „Partylegende und Stammgast im Café Einhorn„, DJ V.Raeter an den Decks. Obwohl sogar die Setlist und der Ablauf der Show teils deckungsgleich mit der vor einem Jahr ist, feuert der „Benjamin Button des Rap auf Deutsch“ sofort die Stimmung in der gut besuchten Halle an, schlüpft für „Semmelweisreflex“ in einen weißen Arztkittel und erklärt – typisch Deutsch – für „32 Grad“ den Barhocker mit einem Handtuch für sein eigen. Mit einer Jeansjacke, wie sie laut Fatoni Ender der 70er-Jahre mit Comics am Rücken bedruckt war, springt er in den für ihn geformten Kreis und huldigt Edgar Wasser, mit dem er unter anderem das Album „Nocebo“ und das brandneue Video zu „DA.YO.NE“ erarbeitet hat. „Wir werden nie so cool sein, wir können das nur nachahmen!„, spricht Fatoni noch einmal die goldenen 70er an, deren Relikt seine Jacke ist.
In rasanter Geschwindigkeit ballert Fatoni einen Hit nach dem anderen raus, greift auch mal zur Gitarre, um „Lassensiemichkünstlerichbindurch“ vom „Modus“-Mixtape zu performen, während V.Raeter mit dem Tamburin zum Takt klatscht. Immer ganz wichtig: Die Schmähs – die Fatoni als halber Österreicher schon ganz schön „authintisch“ rüberbringt – und die Interaktion mit dem Publikum. Egal, ob beim Freestylen, in der Cypher, als Moderator zwischen den Songs oder beim Stagediven – Fatoni hat seine Hörerschaft im Griff wie Martin Rütter seine bellende Klientel in der Wiener Stadthalle.
Den Abschluss bestreiten Juse Ju und Fatoni dann wieder gemeinsam und betonen, keine Mainstream-Band, sondern Wissenschaftler zu sein. Immerhaben sie die „Gravitationswellen“ entdeckt und sind immer noch im „Modus„. Wall of Death inklusive. Mehr Stimmung geht nicht. Den Abschluss-Track „Schlafentzug“ garniert Fatoni dann noch mit einer großen Portion Lokalkolorit – rappt er doch auf den Beat von „Nachtschattengewächs“ von den Waxos und Manuva, einem „ganz schönen, alten Song aus Wien„.
Fazit: Fatoni ist als Live-Act eine Klasse für sich. Neben Wortwitz, Charme und Beatbrettern wie von Dexter und Enaka ist es aber vor allem der politische Anspruch, den kaum ein anderer Rapper so wie Fatoni in ein Konzert einbaut. Das beginnt mit einer erbetenen Spende an Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt am Eingang und geht weiter mit den politischen Texten in den Songs oder Zwischenmoderationen, ohne dabei dem Zeigefinger-Soziologie-Vortrags-Swag zu verfallen. Auch Juse Ju schlägt in eine ähnliche Kerbe, wenn er Xavier Naidoos neuen Song mit einem neuen Terroranschlag in Deutschland vergleicht und vom postfaktischen Zeitalter spricht, in dem es nicht einmal mehr gewiss ist, ob es überhaupt einen Mond gäbe. Am DJ-Pult klebt ein „FCK AFD“-Sticker, anhand eines kleinen Experiments macht Fatoni deutlich, was Widerstand im Dritten Reich bedeutet hat. Bitte mehr von dieser abwechslungsreichen Show, die sich stellenweise wie ein tanzbares und dennoch kritisches Rap-Kabarett anfühlt.
„Oida, wow“ – um einen von seinen Lieblingssprüchen zu zitieren – Fatoni hat noch eine Ausgehempfehlung für alle Wiener HipHop-Interessierten:
Weitere Fotos vom Konzert:
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.