Warum hier über einen Jazzer wie Kamasi Washington schreiben? Weil er mit Snoop Dogg tourte und auf dem Flying-Lotus-Label Brainfeeder veröffentlicht, außerdem einen Song hat, der so heißt wie dieses Magazin. ‚The Message‚ ist in Washingtons Fall instrumental. Und ob man bei Jazz von Songs oder Sessions spricht, eine Kontroverse.
„My name is Kamasi Washington. You guys ask for fun tonight? Here we go!“ So beginnt der 1981 in Los Angeles geborene Saxofonist seine Show im Wiener Konzerthaus. Washington ist eine Erscheinung wie sie in der Partitur steht – in Gestus, Style und Story. Seinen Kindheitsfreund hat er als Posaunist dabei, seinen Vater (Sopran-Saxofon) auch. Eine Lady (Patrice Quinn) singt und swingt. Ein Kontrabass (Miles Mosley), Keyboards (Brandon Coleman), zwei Schlagzeuge (Tony Austin und Ronald Bruner) und eben das zentrale Tenor-Saxofon im Gospel-Mantel.
Mit 13 gründet Kamasi Washington seine erste Band, die man beim Jazz eventuell Formation nennt. Er hört den gleichaltrigen Ryan Porter Posaune spielen („so soulful and deep!„) und ist von den Socken, fragt: „Where did you learn to play like that?“ Porter (13): „Oh, man. I’ve always been like this.“
Washingtons Anekdoten zwischen den Songs (weniger Sessions) sind wohltemperierte Einblicke in ein elaboriertes Künstlerleben. Die Stücke dann ebenfalls mehr als ordentlich. Geradezu fulminant. Zusammen mit den ambitionierten Lichttechnikern und dem Rahmen des Konzerthaus-Saals wird das Ganze zum sakralen Erlebnis. Washingtons Kompositionen heißen ‚Truth‚, ‚Change of the Guard‚ und ‚Harmony of difference‘. Er spricht über Diversität, die nicht nur toleriert, sondern zelebriert werden sollte und darüber, dass wir viel zu oft vergessen, wie schön wir eigentlich sind. Wie stimmig und wohl auch authentisch das alles ist, so atheistisch bleibt man – was aber schon beim großen John Coltrane nicht im Weg stand, sich auf innere Reisen zu begeben.
Wie freakige Priester predigen diese radikalen Instrumentalisten ihre Botschaften in die heilen Hallen. Höhepunkt des fast zweistündigen Abends ist das Schlagzeug-Duett (!). Ein wortloses, dafür handgreifliches Streitgespräch zwischen Himmel und Hölle. Kamasi Washington schafft es nicht nur, virtuose Musiker zu verkuppeln, sondern auch ein Publikum zu generieren, das mindesten so bunt ist wie die Outfits auf der Bühne. Auf Washingtons Konzerten trifft man seine Deutschlehrerin, seinen Dealer, den Besserwisser aus dem Plattenladen, Götter und Gottlose. Seine Botschaften bezüglich Vielfalt und Co. schaffen hier die Emanzipation aus hohlen Worthülsen zu kleinen Oldschool-Utopien. Allein für diesen Riss in der vielzitierten Blase ist Mr. Washington zu ehren. Beziehungsweise anzubeten. Dieser Jesus of Jazz.
Am 22. Juni 2018 erscheint sein neues Album. Es heißt ‚Heaven and Earth‘.
Text: Tom Reider
Ähnliche Posts
- Jazz in Eisenstadt // Nova Jazz & Blues Night Festival
Seit 2008 veranstaltet Barracuda Music/Skalar das Nova Jazz & Blues Night Festival. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen…
- Jazz Samples mit Frühlingsduft: FloFilz live
Fotos: Niko Havranek FloFilz ist zurück in Wien! Dabei verschlägt es den Musikstudenten und gefeierten…
- Jazz in Eisenstadt // Nova Jazz & Blues Night Festival
Seit 2008 veranstaltet Barracuda Music/Skalar das Nova Jazz & Blues Night Festival. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen…