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Friends mit den eigenen Unsicherheiten // Kerosin95 Interview

Friends mit den eigenen Unsicherheiten // Kerosin95 Interview

Seit 2019 taucht Kerosin95 regelmäßig mit Videosingles in den Austro Round-ups auf. Ein lauter Start in die Rap-Szene, der vor allem durch eine bedingungslose Ehrlichkeit viel Anerkennung bekommt, entwickelte sich schnell zu einem vielseitigen Projekt, für das sich auch musikalisch schwer Grenzen ziehen lassen. Am 19. März erschien „Volume 1“, das Debüt-Album von Kerosin95. Hinter dem Album steckt ein Kraut-und-Rüben-Mix aus Pop-, Indie- und Rap-Sounds. Entstanden in einem Jahr während und zwischen Lockdowns, das wie Kerosin selbst sagt, aber tatsächlich dazu beigetragen hat, dass das Album so überhaupt entstehen konnte.

Frisch getestet und bei heißem Tee unterhalten wir uns im Hauptquartier von Ink Music übers Debütalbum und einige Hintergründe, die musikalische Sozialisation zwischen fadem Schlagzeugunterricht und den Anfängen von Kerosin95, den Zusammenhang von Musik und Selbstreflexion, den Umgang mit Unsicherheiten und über die Richtung, in die sich Kerosin künftig bewegen könnte. Weiters besprechen wir, wie das Sichtbarmachen queerer Identitäten mit spannenderen Line-ups einhergehen kann.

Interview: Francesca Herr & Simon Nowak
Fotos: Philipp Detter

The Message: Du machst seit einigen Jahren in diversen Konstellationen Musik. Das Projekt Kerosin95 ist 2019 vergleichsweise spät dazugekommen. Was war ausschlaggebend dafür, dass du damit in die Rap-Schiene gehst?
Kerosin95:
Es war gar kein Plan. Eine Liebe von mir hat mich dazu motiviert, ein neues Projekt anzufangen, mit dem ich mich in den Rap traue und auf Deutsch schreibe. Ich hab davor ja immer englische Texte geschrieben. Dann hab ich geschaut, was passiert. Nach einem halben Jahr hab ich gemerkt: ‚Ok, FM4 findet‘s auch cool‘ und gedacht: ‚Na gut, dann mach ich noch einen Song‘ – dann noch einen und es sind immer mehr Leute darauf angesprungen. Dann war mir klar, dass ich es jetzt gscheit aufziehe.

Warum der Wechsel auf Deutsch?
Ich weiß nicht, ich hab‘s einfach probiert. Zuerst hatte ich bisschen Vorurteile, aber im Rap ist es für mich ein passendes Format, um bestimmte Sachen zu reflektieren. Mittlerweile fühle ich mich wohl damit.

Anfangs war Kerosin95 ein reines Rap-Projekt. Du hast auch mal erwähnt, dass dich Rap immer schon begleitet hat. Inwiefern?
Ich konsumiere und höre die Musik schon lange. Als Kind bleibt man schnell bei Destiny’s Child oder Lauryn Hill hängen. Meine Mama ist sehr musikalisch und hat mir schon als Kind eine coole Bandbreite gezeigt. Viel Jazz, aber eben auch Lauryn Hill und andere coole Rapper*innen.

Wer hat zuerst angefangen Musik zu machen – Ines oder du?
Ich habe ja zwei Schwestern, Ines und Doris. Ines macht auch hauptberuflich Musik. Wir sind alle von meiner Mum als Kinder gepusht worden und hatten das Privileg, dass sie uns in den Musikunterricht gesteckt hat. Wirklich Bock hatte ich nicht, mit sechs Jahren in einen klassischen Klavierunterricht zu gehen, aber sie hat das voll gefördert.

Wie bist du dann zum Schlagzeug gekommen?
Ich habe mit sieben zusätzlich damit angefangen. Klavier war ein wenig fad. Wir hatten eine oldschool-klassische Klavierlehrerin – aber auch der Schlagzeugunterricht war ziemlich lame. Ein alter Lehrer, der einem nur Märsche lehrt – ich habe vier Jahre lang nur das gespielt. Irgendwann durfte ich sogar die Bee Gees spielen! Ich habe mir gedacht, wenn ich eine coolere Person gehabt hätte, hätte ich viel coolere Sachen gespielt. Aber ich bin zehn Jahre lang in dieser Musikschule mit mäßigem, faden Musikunterricht picken blieben. Nach dem Umzug nach Wien hat mich der Phat Jam dazu gepusht, Musik zu machen. Also nicht „Für Elise“ am Klavier, sondern mit anderen Leuten. Ich war mit 18, 19 regelmäßig bei den Sessions, habe wieder zum Schlagzeug spielen angefangen, mich getraut. Daraus sind verschiedene Formationen und Bands entstanden – und jetzt bin ich da und hab viel zu viele Projekte (lacht).

Bei einem der ersten Interviews als Kerosin95 meintest du, dass viel aus der Wut heraus entstanden ist. Mittlerweile wirken die Tracks generell sehr gefühlsbetont. Wie hat sich das über die Zeit entwickelt?
Gefühle sind ja ein Spektrum, da ist Wut auch mit dabei. Die Wut ist eine von vielen Sachen und wichtig, weil wohin sonst mit dem gonzn Schaß, wenn nicht in Texte und auf Bühnen und darüber reden? Aber eigentlich hat alles Platz. Bei diesem Album konnte ich viele traurigere Thematiken und Gefühle behandeln. Es hat alles Platz, was gerade Platz braucht.

„Ich kann einen Scheißtag haben und mir denken, ich will nicht auf die Bühne, aber Kerosin ist so ‚HEEEY‘“

Hat dir die Arbeit an Kerosin-Tracks aus schwierigen Phasen geholfen oder eher weitere Fässer aufgemacht?
Eigentlich ist es voll therapeutisch. Dann kann ich sagen, dass ich es in einem Song schön verarbeitet habe. Mit dem bin ich dann auch voll friends, auch wenn es voll der schiache Song ist. Aber so kann ich es gut embracen und das finde ich praktisch – statt einem Tagebuch schreibe ich einen Song.

Wie lange arbeitest du an solchen Songs?
Es hängt von den Inhalten ab. Wenn es ein funny Diss-Text ist – ich könnte bis an meine Lebensende dissen, da fällt mir immer genug Scheiß ein und es gibt viele Gründe – ist das unbegrenzt, ich muss nur irgendwann sagen ‚Ok, jetzt hör ich auf‘ und dann ist es ein Song. Bei zacheren Themen, wenn ich Ängste, Zerbrechlichkeit oder Selbstzerstörerisches aufarbeiten möchte, hat das einen Anfang und ein Ende. Dann will ich nicht lange darüber reden. Am Album sind Songs teilweise sehr kurztextlich, da wollte ich auch nicht mehr sagen, es hat so gepasst. Aber es wandelt sich ständig.  

Wie hat sich das Texten seit den Anfängen verändert?
Ich weiß nicht genau. Das Texten spiegelt ja mich selbst wider – und ich hab mich auf viele Arten verändert. Zwischen 20 und 30 ist es sowieso arg, egal ob mit oder ohne Kunst. Es ist so stressig, da kann man nur alles auf einmal aufarbeiten. Die Veränderung findet so krass auf vielen Ebenen statt und fließt auch ins Textliche ein. Ich werde hoffentlich reflektierter und checke mehr, auch mich selbst, oder bin auch mehr friend mit mir. Es hat sich alles verändert.

Sind die eigenen Unsicherheiten im Gegensatz zum Beginn auch schon weniger geworden?
Nein, ganz im Gegenteil (lacht). Ich habe das Gefühl, sie werden immer mehr, aber wir werden dafür immer mehr friends. Ich will nicht sagen: ‚Ma, die Unsicherheiten!‘, sondern ’Hey Unsicherheiten, kommt mal alle her, ihr dürft’s eh da sein!‘ Es ist eher so, dass die Sachen mehr Raum haben.

Wie reflektiert sich Kerosin als Kunstfigur oder welche Rolle hat hier die Figur?
Kerosin ist für mich die Figur, mit der ich mich mit Sachen auseinandersetzte. Das personifiziere ich und nenne es Kerosin, aber das bin halt eigentlich ich. Das ist im Endeffekt immer so, wie es alle anderen interpretieren wollen. Es ist nicht so, dass Kerosin voll die coole reflektierte feministische Person ist und Kathrin voll das Arschloch, wir sind schon noch eines. Für mich ist Kerosin die Erweiterung von ‚ich setze mich mit mir und der Welt auseinander‘. Ich sag dann halt, ich spreche mit Kerosin. Das ist praktisch. Ich kann einen Scheißtag haben und mir fünf Minuten vorm Konzert denken, ich will nicht auf die Bühne, aber Kerosin ist so ‚HEEEY‘. Dann zieh ich mir ein Kostüm an, schmink mich voll geil, bin auf der Bühne und es gibt eine Stunde lang Party. Es kann was Schönes sein, dass ich mich selbst so rausholen kann – oder Kerosin. Ich weiß selbst nie so ganz ob das klar ist (lacht). Ich versuche selbst zu verstehen, was es sein kann. Ich bin noch am Anfang von dem, was ich mit einer Figur in der Kunst machen kann, die ich selbst erschaffe und von der ich manchmal in der dritten Person spreche. Das ist ein wenig weird. Auf jeden Fall ist Auseinandersetzung mit so einer Figur lustiger, glaub ich.

Was nimmst du mit etwas Abstand aus dem Standard-Interview, das recht hohe Wellen geschlagen und eine Gender-Debatte ausgelöst hat, mit?
Für mich hat sich nur bestätigt, was ich vom Standard und von liberalen Medien halte. Dass Kämpfe scheiß anstrengend sind, meist verloren werden, schiach sind und die betroffenen Personen immer die Preise dafür zahlen müssen, wenn transfeindliche Leute ihren Lisa-Eckhart-Journalismus machen. Deshalb bitte: The Message, an.schläge, Missy und davon noch 20 mehr, dann schaffen es endlich alle. Der Standard wird auch draufkommen. Aber ich will sie hier nicht immer alle begleiten, der Standard muss sich auch selbst retten. Ich wünsche allen gute Besserung dabei, weil die großen Medien in Österreich sind wirklich sehr sad und peinlich in vielen Themen, sehr in den 80ern hängengeblieben.

„Es wäre cool, wenn nicht immer nur betroffene Personen dafür kämpfen und laut sind“

Dieses Denken ist ja in vielen Teilen der Gesellschaft verankert. Wie oft hast du schon resigniert?
Es ist nicht so, dass wir gar nichts daran ändern können. Ganz im Gegenteil. Aber ich kann nicht alleine die Arbeit machen. Ich kann keine Leute beeinflussen, die einen krass diskriminierenden Standpunkt haben, der steinmäßig verfestigt ist. Ich kann Leute nicht davon überzeugen, die zum Beispiel Lisa Eckhart voll geil finden, weil es so schwierig ist, da anzufangen. Aber ich kann mit Leuten reden, die offen sind, es kritisch hinterfragen wollen und sich vielleicht noch keine Gedanken darüber gemacht haben, aber keine schiachen Intentionen haben. Die sagen vielleicht: ‚Ich hab noch nie von genderqueer, genderfluid oder nicht-binär gehört, aber ich finde alle Leute sollten mit Würde und Respekt behandelt werden‘.

Generell wäre es cool, wenn nicht immer nur betroffene Personen, sondern auch cis-Personen dafür kämpfen und laut sind. So wie Dudes auch mal die Goschn aufmachen können, wenn‘s um Seximus geht oder sich zu Line-ups in Österreich aufregen, die immer gleich ausschauen – und nicht immer nur Frauen und FLINTA hackeln lassen.

Du hast mehrmals deinen Wunsch nach mehr Queerness in der Musikzene geäußert. Konntest du schon eine Entwicklung erkennen?
Ja, halt in einem Schneckentempo. Wir sind noch lange nicht dort. Von hundert Konzerten auf denen ich gespielt habe, gibt es vielleicht zehn oder fünfzehn, die für mich spannende Line-ups haben. Die restlichen schauen alle gleich aus. Ich finde das persönlich schrecklich langweilig. Ich schau mir die ganzen Bois dann nicht mehr an. Es könnte so viel cooler sein, aber da braucht es Veranstalter*innen und Booker*innen, die checken, dass sie diese Veränderung schaffen können. Sie müssen die Leute literally nur buchen, die sind ja da. Es gibt immer mehr FLINTAs, das ist wie eine Quelle, die sprudelt, besonders in dem Jahr – die Leute brauchen nur eine Bühne und müssen gebucht werden.

Kommen wir zum Musikalischen: Du bist sicher schon oft auf diesen Kraut-und-Rüben-Mix am Album angesprochen worden, also dass nicht so der rote Faden drin ist.
Ich finde irgendwie schon, dass ein roter Faden drin ist.

Ich meine eher den Sound als das Textliche und Thematische. Du bewegst dich ja irgendwo zwischen Rap, Pop und Indie.
Genau, vom Sound nicht unbedingt, aber im Gesamtkonzept vom Album. Mir war wichtig, den Geschichten den Raum und die Bühne zu geben, sie zu erzählen, wie es am besten passt. Dann ist es unabsichtlich ein 90s-Popsong, ein voll trappiger Song oder mal was Boombappiges geworden. Ich habe mir nicht gedacht: ‚Geil, ich bringe voll verschiedene Sachen rein.‘ Die Geschichten sind erzählt worden und ich habe gedacht, dass sie auf eine Platte kommen. Ich habe nicht gedacht: ‚Ich suche eine Metapher für die Gefühle hinter dem Album als Titel‘, sondern es ist Platte Nummer eins, „Volume 1“, fertig.

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Inwieweit warst du in die Produktion der einzelnen Beats eingebunden?
Bis auf zwei Songs habe ich circa die Hälfte mitproduziert. Ich bin nicht nur daneben gesessen, sondern habe Instrumente aufgenommen und eingespielt. Ich kann nicht selbstständig die krassesten Beats produzieren, weil ich das Handwerk noch nicht habe. Aber was akustische Instrumente angeht – nicht nur Klavier, Gitarre oder Keys, wir haben teilweise auch komische Sounds dazu genommen. Zum Beispiel von einem Stift, das haben wir noch getunt. Bei paar Songs wie „Meine Welt“ war Maximilian Walch am Werk, da habe ich nur den Text gemacht. Die künstlerische Leitung war bei mir, aber in enger Zusammenarbeit mit den Leuten – vor allem mit Manu Mayr, aber auch mit Marco Kleebauer, Max Walch und Mira Lu Kovacs. Die sind ja alle immer sehr busy, ich war überrascht dass sie Zeit hatten. Aber es hat geklappt.

Was war der Zugang?
Es ist viel auf die Art: ‚Schau ma mal, mach ma mal irgendwas‘ passiert. Wir sind nicht mit einer klaren Idee rangegangen, sondern es war alles bissl wuascht – auch zeitlich. Mir war egal, wann es fertig wird, wann es rauskommt und so weiter. Ich habe mir keinen Stress gemacht oder gedacht, dass ich eigentlich mehr Trap-Sachen machen müsste, wenn ich wen in der Deutschrap-Blase erreichen will (lacht) fuck, ist nur einer dabei, aber scheißegal!

Wen glaubst du wirst du erreichen?
Ich weiß nicht, ich glaube songweise verschiedene Leute. Ich habe es vielen Leuten gezeigt und nur ganz wenige Leute haben gesagt, dass sie mit jedem Song was anfangen können. Es ist ein Potpourri und die Leute suchen sich ihr Ding raus, das sie feiern.

Stichwort roter Faden: Ist es ein Thema, das Kerosin-Projekt stilistisch in Zukunft zu reduzieren?
Es wird sich eher noch erweitern (lacht). Aber ich weiß es auch noch nicht genau.

Was hast du am ehesten aus „Volume 1“ gelernt?
Dass ich mir Zeit nehme, chille und alles andere mache außer Musik und Arbeiten – Sims Queer spielen, Spazierengehen, was auch immer. Das Beste, das ich machen konnte war, viel weniger zu arbeiten. Dann wird die Arbeit auch schöner. Das was ich am schönsten am Album finde, hat eigentlich gar nichts mit dem Album zu tun, sondern dass ich mir mal was Gutes koche, mal zwei Wochen nichts aufnehme. Es tut der Musik glaube ich auch am besten.

Über welchen Zeitraum hat dir diese Work-Life-Balance gefehlt?
Die Frage ist eher, über welchen Zeitraum sie mir nicht gefehlt hat (lacht). März, April, Mai habe ich nicht gearbeitet, aber sonst weiß ich auch nicht, wie es mit dieser Balance geht. Es ist leider ein neverending topic.

Inwieweit haben dir die Lockdowns dabei geholfen?
Wenn ich nicht durch die Pandemie mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich das Album niemals gemacht. Mit My Ugly Clementine war es im Jänner und Februar 2020 eigentlich viel zuviel. Auch mit Kerosin. Wir haben zu allen Konzerten ja gesagt. Dann ist alles abgesagt worden und ich war so: ‚Cool, weil ich druck’s grad nicht mehr‘. Ich glaube ich habe in der Zeit gelernt, entspannter nein zu sagen. Solange ich Heizung und Strom habe und was Nices essen kann, passt’s voll. Ich muss sonst nicht so viel arbeiten und nichts beweisen.

Wenn du an neuen Tracks arbeitest, ist da schon ein klareres Konzept dahinter erkennbar?
Es wissen noch nicht viele, ich verrate es jetzt: Ich werde als nächstes was rausbringen, wo ich mit zwei sehr coolen Leuten zusammenarbeiten werde. Es wird als kleines Ding mit paar Songs rauskommen und da ist voll das Konzept dahinter. Also ganz was anderes als jetzt.