Deschek vom Message. Gebts ma an grünen Avatar heast!
Als wir uns mit Kinetical & P.tah und ihrem DJ B. Ranks verabreden, ist Improvisation gefragt. Zwischen einem vorangegangenen Termin und dem letzten Zug nach Linz, den Kinetical erwischen muss, gibt es nur ein kleines Zeitfenster, aber viel Redebedarf. Denn mit „Lift“ ist am 20. Oktober ein neues Album der Kombo erschienen. Nachdem wir in der Zollergasse beim zweiten Lokal-Versuch einen Tisch ergattern, plaudern wir im Schnelldurchlauf über den Nachfolger der Ende 2018 erschienenen „Ghost“-EP – und einiges mehr.
Club-Banger und sentimentale Lines
Dass die beiden Rapper technisch zu den versiertesten in Österreich zählen und eine Leidenschaft für UK-Bass-Sound und Club-Banger mit 140 BPM teilen, haben sie mit „Ghost“ unterstrichen. Diesmal haben sie darauf geachtet, etwas Abwechslung zu ihren Representern reinzubringen – auch wenn das den Vorab-Singles „Temperament“, „A.K.N.F.“, „Proper“ und „Für die Fam“ noch kaum anzuhören war. Doch dazwischen finden sich ruhigere Tracks wieder, die sich auch fürs daheim Hören anbieten. Immer wieder kommen nachdenkliche Lyrics zur Geltung – etwa auf „Jaded“ mit FACES-Feature oder „Calm“. Das mag an den gepickten Beats, die die jeweilige Stimmung vorgeben, aber auch an der persönlichen Entwicklung liegen. „Bei mir hat in den eineinhalb Jahren, in denen die Tracks entstanden sind, einiges mitgespielt – Trennung, lange Jobsuche nach dem Studium, nicht wissen wohin. Da war bissl eine grunddepressive Stimmung vorhanden. Vor ‚Ghost‘ war ich in Berlin nur auf Tour, Partys, Gigs und Raves. Da ist klar, dass was anderes rauskommt. Ich habe es vorher ja nie geschafft, so ehrliche Lyrics zu schreiben. Ich bin sehr stolz und froh, weil viele intime und persönliche Sachen Platz gefunden haben“, sagt Kinetical dazu.
„Bei mir sind es Dinge, die ich verarbeite, die aber eine Außenposition beziehen und die Selbstreflexion zulassen sollen“, knüpft P.tah an. Ihn führt eher der Zwang, sich damit auseinanderzusetzen, was auf Rap-Mainstreambasis funktioniert, zu nachdenklicheren Lines und Vibes. Als AHS-Lehrer hat er es alltäglich mit der Hauptzielgruppe zu tun, in kurzen Gesprächen mit den Schülerinnen und Schülern die Problematiken immer wieder thematisiert – und immerhin auch in Unterstufen-Klassen reflektierte Antworten von jungen Deutschrap-Fans bekommen. Die Lächerlichkeit, dass die Glorifizierung von Suchtmitteln immer noch so ein zentrales Rap-Thema ist, ärgert ihn dennoch genauso wie der leidige Seximus von reichweitenstarken Rappern wie Bonez oder Bausa. „Das sind Artists, die ich nicht so am Schirm habe. Wenn ich dann aber merke was die sagen, ist es mir mega unangenehm. Diese Vergleichsmomente – stehe ich wirklich in derselben Kultur?“ Schade findet er, dass die Kritik am Mainstream meist einseitig ausfällt – eben viel zu selten der Blick darauf fällt, wie viel Qualitätsvolles abseits davon schimmert und scheint.
Zwei Sprachen, zwei Flows, ein Guss
Auch wenn ihre Parts mitunter aus einer anderen Motivation heraus entstehen, finden Kinetical & P.tah lyrisch immer wieder zueinander. Ähnlich verhält es sich mit der Ausgestaltung der Raps, bei der es einige Unterschiede ist. „Wir haben nie den gleichen Flow, denken was das angeht anders. Wenn man die Parts nacheinander hört, ist es trotzdem stimmig“, meint Kinetical. Der markanteste Unterschied bleibt aber die Sprache – er rappt auf Englisch, P.tah auf Deutsch. Durch viele gemeinsame Hooks und kürzere Abwechslungen als bei „Ghost“ treiben die beiden den Deutsch-English-Crash diesmal noch mehr an die Spitze. Als Basis für die Parts stehen immer die gepickten Beats. „Wir sind beide sehr musikalisch denkende Leute. Das Instrumental gibt uns vor, welche Stimmung und Art von Song es wird“, sagt P.tah. Die wie gewohnt hochwertig produzierten Bass-/Grime-/Trap-Beats stammen von Produzenten aus dem erweiterten Umfeld. Beteiligt haben sich unter anderem OH91, Alllone, Deasus, Testa, Osive und food for thought.
Im Feintuning nimmt auch Mirac, in dessen Studio die Tracks aufgenommen worden sind, eine tragende Rolle ein. Diese geht darüber hinaus, den Beats der zahlreichen Produzenten einen roten Faden zu verleihen. „Es sind einzelne Sachen, die er uns beim Recorden sagt und soundtechnische Spielereien, bei denen er in die Produktionen von anderen eingreift – was Breaks oder ganz simple Melodiefindungen betrifft“, führt P.tah den Zusatz „Additional Dopeness“ aus den Credits näher aus. „Er ist nicht nur Engineer, sondern produziert selber und hat früher ja auch gerappt. Er hat viel Ahnung davon und denkt immer mit. Zum Beispiel wenn ich in der Booth stehe und es sich etwas nicht ausgeht, hat er gleich parat: ‚Das Wort sollt raus! Oder ‚dreh das vielleicht mal um!‘ Das habe ich bei keinem anderen Engineer“, ergänzt Kinetical. Insgesamt habe Mirac am meisten an „Live & Sane“, einem von ihm produzierten Track, herumgeschraubt – inklusive auf die Flows hingebaute Drums.
Live-MCs auf Abwegen
Nachdem im September die jährliche Blockparty von Duzz Down San im Auer-Welsbach-Park reibungslos ablaufen konnte, ließ sich ein zweiter geplanter Open-Air-Termin nicht mehr umsetzen. Angesprochen auf den Umstand, dass in absehbarer Zeit keine vernünftige Releaseshow möglich sein wird, reagieren die passionierten Live-MCs emotional. „Für mich war es immer eine Selbstverständlichkeit. Ich habe es nie in Frage gestellt, dass ich jede Woche gebookt werde. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren literally jedes Wochenende irgendwo einen Gig gehabt und vorher gar nicht an die Möglichkeit eines längeren Bühnenentzugs gedacht“, sagt Kinetical. Auch P.tah, der bei Blvze (zusammen mit B. Ranks) und den regelmäßigen Clubduzz-Nächten selbst mitveranstaltet, ist der Frust anzuhören: „Es ist ein ewiges Herumexperimentieren und Verschieben von Terminen ins Ungewisse und Unendliche. Eigentlich hat bei uns keiner mehr Bock aufs Thema, wann wir wieder normal spielen und auflegen können.“
Für Kinetical leide auch das kreative Schaffen unter dieser längeren Abstinenz: „Es passiert so viel in dieser Off-Zeit, wenn wir unterwegs sind – im Auto, im Zug, im Backstage oder im Hotel. In dieser eigentlich toten Zeit sind wir immer produktiv, machen organisatorische Sachen aus, planen Releases oder schreiben Lyrics. Es ist eine wichtige Inspiration, die jetzt fehlt – du musst es eben mehr erzwingen.“ Die frei gewordene Zeit an den Wochenenden hat der Linzer auch für ein lange geplantes Projekt genutzt: Mit Unterstützung eines Freundes und Tischlers ein Soundsystem bauen. Eine gute Anlage ist definitiv von Vorteil, um die druckvollen Tracks von „Lift“ aus den Boxen donnern zu lassen und damit in einem adäquaten Rahmen zu hören – wenngleich das in absehbarer Zeit eben eher das Wohnzimmer als der Club ist. Bis dahin bleibt die Vorfreude auf eine nachgelagerte Releaseshow, wann auch immer sie stattfinden können wird.
„Lift“ ist am 20. Oktober via Duzz Down San erschienen und ist digital erhältlich.
Parallel zum Release ist ein weiteres Video zu „Lift“ erschienen. Mit „No Break“ war diesmal eine etwas ruhiger vibende Nummer an der Reihe. Begleitet von Testa und gedreht von Mosch, haben sie einen sichtlich entspannten Tag bei einer Bootstour am Neusiedersee verbracht.
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