"The hardest thing to do is something that is close…
Mit viel Elan startete Little Simz in das Jahr 2020. Im Vorjahr begeisterte ihr drittes Studioalbum „GREY Area“ Kritiker*innen, Nominierungen für zahlreiche renommierte Musikpreise wie dem „Mercury Prize“ folgten. Neben ihren musikalischen Verdiensten konnte sie auch als Schauspielerin überzeugen: Die Rolle der „Shelley“ in der Netflix-Serie „Top Boy“ verkörpert die Mitt-20erin ausgesprochen gut. Doch dann kam Corona, das mit seinen Folgeerscheinungen Künstler*innen vor neuen Herausforderungen stellt.
Ohne Zweifel: Als Little Simz im absoluten Arbeitseifer zwischen 2014 und 2015 fünf Teile ihre EP-Reihe „Drop“ veröffentlichte, war die Welt noch eine andere. Auch die der Little Simz. Dementsprechend anders fallen die Inhalte auf dem sechsten Teil der Reihe aus. Man merkt, dass die Rapperin alle Empfindungen der vergangenen Monate in ihre Musik aufsog und sich nicht scheut, ihre Gefühle auszudrücken. Es ist diese Form der Authentizität, die Little Simz zu einer großen Künstlerin macht.
Zu ihren großen Stärken gehört ihre ausgeprägte Reflexionsfähigkeit. Die zeigt sie etwa auf dem Track „one life, might live“, auf dem die Londonerin mit Enttäuschungen abrechnet. In diese Richtung gehen auch „damn right“ und „you should call me mom“, die mit ihrer Nachdenklichkeit ganz dem 2020-Zeitgeist entsprechen. Little Simz schafft es, sich auf diesen Songs wie eine gute Freundin anzuhören, die einem intime Geheimnisse aus dem Seelenleben anvertraut.
Doch Little Simz kann auch anders. Auf dem Opener „might bang, might not“ gibt sie sich angriffslustig und selbstbewusst – wer sich mit „You ain’t seen no one like me since/Lauryn Hill back in the ’90s, bitch“ als Nachfolgerin der Fugees-Lead-Sängerin tituliert, muss von sich überzeugt sein. Auch die Ankündigung eines kommenden Meisterwerks im Closer „where’s my lighter“, auf dem sie von Sängerin Alewya unterstützt wird, ist kein Indiz für Zurückhaltung. Aber alles hat einen tieferen Grund, heißt es in diesem Track doch „I’m focusin‘ on my next masterpiece/Breakin‘ my back to make sure my family eats like“.
Wenngleich die Flows und Inhalte auf „Drop 6“ „GREY Area“-Niveau erreichen, ist die EP nicht gänzlich ohne Schwächen. Die liegen vor allem bei den Beats: Verglichen mit den dynamischen, mitreißenden Inflo-Instrumentals auf „GREY Area“ sind die Produktionen auf „Drop 6“, die Little Simz unter anderem gemeinsam mit Kal Banx oder BLK VYNL anfertigte, lediglich von unaufgeregter Mittelmäßigkeit.
Das Soundbild mit partiellen Garage- und Jazz-Elementen fällt äußerst zurückhaltend aus, die dunkle Bassline aus „might bang, might not“ oder das Piano auf „where’s my lighter“ sind schon die spärlichen Highlights. Deutlich unter Album-Niveau wie manche Hook, die mit simpler Repetition einer Zeile einen uninspirierten Eindruck hinterlässt. Auf einem Album hätte Simz noch deutlich mehr an den Songs gefeilt. „Drop 6“ ist deswegen lediglich ein musikalischer Zwischenbericht, entstanden in Simz‘-Wohnung. Ihr großes Können als Rapperin kann sie auf den 12 Minuten allerdings mehr als nur einmal aufblitzen lassen.
Fazit: „Drop 6“ ist das erste musikalische Projekt von Little Simz nach ihrem bisherigen Karriere-Höhepunkt „GREY Area“. Entstanden in den eigenen vier Wänden während des Corona-Lockdowns, sind die fünf Tracks jedoch nur eine Ergänzung in Little Simz‘ Diskografie. „Drop 6“ ist schlichtweg ein unbekümmertes LoFi-Projekt, dem es vor allem an herausragenden Produktionen mangelt. Simz selbst zeigt sich weiterhin in bestechender Form, Corona konnte ihren Elan nicht bremsen.
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