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Traisen statt Wienzeile // Johnny Aitsch Porträt

Traisen statt Wienzeile // Johnny Aitsch Porträt

Johnny Aitsch

Es ist nicht mehr weit bis zur Endstation, wir verlassen als letzte Fahrgäste den Bus. Blick nach links, Blick nach rechts, niemand zu sehen. Außer Johnny Aitsch, der am Gehsteig neben seinem Fahrrad steht und aus der Ferne zur Begrüßungsgeste ansetzt. Wir haben uns mit dem Wiener Rapper in seinem Grätzl verabredet, um über die am 07. August erschienene Solo-EP „Endlich“ zu reden – und finden uns in der St. Pöltner Stadtrandidylle wieder.

Nach dem obligatorischen Corona-Ellbogencheck und paar Knipsern vor dem Stations-Marterl bewegen wir uns in die Taverne ums Eck. Bei einem Krügerl gilt es zunächst, die Gretchenfrage zu klären: Was verschlägt einen Wiener nach St. Pölten? Der Zugzwang bei der Wohnungssuche und der Zufall, wie Johnny Aitsch erläutert: „Ich habe in Wien nix gefunden und deshalb spaßhalber in St. Pölten gesucht. Dann habe ich an einem Tag drei Wohnungen angeschaut, bin mit dem Rad vom Bahnhof hergefahren und habe das Marterl gesehen, das fand ich lustig. Dann war ich in der Wohnung mit Balkon, das hat gereicht“. Mittlerweile lebt er seit drei Jahren hier, Connections in die Provinzhauptstadt pflegte er aber schon vorher, etwa über entspannte Festivalbesuche im Kunst- und Kulturverein Lames.

Zu zaach für den Schweinehund

Johnny Aitsch

Schwenk zum Musikalischen. Auch hier gibt es einiges aufzuarbeiten. Denn wie der EP-Titel „Endlich“ andeutet, war es lange ruhig um Johnny Aitsch. Seit 2011 das zweite Wienzeile-Album „Höllensturz“ erschienen ist, war er nur vereinzelt als Featuregast auf Alben der alten Crew-Kollegen Kreiml & Samurai und Benisaiß zu hören – etwa auf den Tracks „Lignano“ oder „Ois hot a end“. Dass sich Johnny Aitsch nach der inoffiziellen Auflösung der Wienzeile schwer motivieren konnte, führt er auf den Wegfall gemeinsamer Sessions zurück. „Du hast dich getroffen, gequatscht, gefeiert und zur Gaude was geschrieben. Das war immer leiwand und fehlt mir bis heute“. Gleichzeitig wurde ihm der stetige Releasedrang von Kreiml & Samurai, der sich schon vor dem ersten „Schweinehund“-Album abgezeichnet hatte, zu viel. „Sie wollten gleich ein zweites Album bringen, ich lieber chillen“.

Ein Vorsatz, dem Johnny Aitsch für einige Jahre Taten folgen ließ. Eine derart lange Schaffenspause war aber nie geplant. Bereits zu Wienzeile-Zeiten arbeitete er an ersten Skizzen für Solotracks. In den Kopf gesetzt hat er sich die Debüt-EP vor etwa fünf Jahren, als er mit den Honigdachs-Labelkollegen durch Österreich tourte, sich mit Alligatorman anfreundete und bei ihm eine neue Studio-Heimat fand. Dort hat Johnny Aitsch die EP auf Beats von Robox, Final Cut, Stixx, Kapazunda, Benisaiß und Alligatorman aufgenommen.

Der letzte Rock ’n‘ Roller

Einige der sieben Tracks haben eine starke Rock-Note. Keine große Überraschung, inszenierte sich Johnny Aitsch schon Jahre vor dem gleichnamigen Track als „Der letzte Rock ’n‘ Roller“. Dass er sich nicht nur oberflächlich damit beschäftigt, wird auf „Antiheld“ klar, wo ein Sample der österreichischen Prog-Rock-Band Paternoster durchschimmert. „Ich habe die Platte gekauft. Paternoster war eine geile Band, das Album ist Hammer“, kommt der Rapper ins Schwärmen. Auch abseits davon hört er viel Rock aus den 1960er- und 70er-Jahren, oft mit psychedelischer Note: „Die Beatles habe ich schon als kleines Kind gehört. Auch The Doors haben mich begeistert, ich kann einige Lieder auswendig – wenn auch schlecht gesungen. Jimi Hendrix sowieso“. Neben den bekanntesten Namen nennt Johnny Aitsch auch Neil Young und Crosby Stills and Nash.

Johnny Aitsch

Die Affinität für die Klassiker ist auch darauf zurückzuführen, dass seine Wege, Musik zu entdecken, oldschoolig sind. „Wenn ich etwas kennenlerne, dann meistens über andere Leute oder zufällig übers Radio. Heute ist der Überfluss an Musik so groß. Es kostet viel Zeit, sich da durchzuhören. Ich höre lieber Sachen, die ich schon kenne, da bin ich auf der sicheren Seite“, sagt er. Obwohl er selbst Rap und Rock verbindet, sind Alben von Rap-Rock-Vorreitern wie den Beastie Boys oder Run DMC keine Kandidaten für Neuzugänge in Johnnys Plattensammlung. „Das haben Freunde von mir ur viel gehört, ist mir aber nie so leiwand rübergekommen. Ich war eher der Hippie, das war mein Zugang“.

Grüner Daumen statt Afterparty-Gelaber

Dem hippiesken Selbstverständnis entsprechend, hat Johnny Aitsch eine lange Phase des exzessiven Lebens und Feierns hinter sich. Diese kam mit dem Wohnortwechsel ziemlich abrupt zu einem Ende – noch vor der Geburt seines Sohnes. Mittlerweile seien ausgelassene Partys und damit verbundene Substanzen kein großes Thema mehr. „Es ist nicht mehr so interessant. Ich gehe gern arbeiten, auch wenn es ein 40-Stunden-Job ist, und komme dann Heim zur Familie. Das gibt mir viel mehr. Ich chille lieber mit ihnen zu Hause, als um 3 Uhr bei irgendeiner Afterparty dem hohlen Gelaber zu lauschen“.  

Den Konsum vergangener Tage verarbeitet Johnny Aitsch auf „Heroine“ – ein emotionaler Abgesang, bei dem er zwei Perspektiven einnimmt. „Der erste Part ist aus Sicht des Stoffes gerappt, der zweite so wie es für mich war“. Die geplanten Featuregäste DRK und 5 Finga hätten ihm abgesagt, da sie die Nummer für zu persönlich hielten.

Johnny Aitsch

Am meisten feiert Johnny Aitsch noch in Hütteldorf im Rahmen von Rapid-Spielen. Auch – oder gerade weil – die Mannschaft daheim nur selten zum Jubeln animiert. Das nicht immer einfache Verhältnis zum Club, das teils schöngetrunkene Stadionerlebnis und die dazugehörigen Emotionen kommen im Track „Farbenblind“ zur Geltung. Als einzige Featuregäste der EP ergänzen Nilo von Kopf an Kopf ab und Jonas Herz-Kawall von Diskoromantik, die mitunter neben Johnny Aitsch und zwei grünen Monobrother-Cousins im Block West anzutreffen sind. „Ich verliere natürlich ungern, aber ich sehe es noch am optimistischsten von den Leuten, mit denen ich hingehe“, meint Johnny. Der Startschuss zur Arbeit am Track? Kein Moment der unbegründeten Mission-33-Euphorie, sondern eine Heimniederlage gegen den damaligen Aufsteiger, eh klar. „Es war eine sehr schlechte Saison, wir haben gegen Hartberg verloren. Da habe ich dann gleich meine Zeilen geschrieben“.

Um das grün-weiße Fan-Plauscherl nicht ausufern zu lassen, führt uns Johnny Aitsch in seinen nahe gelegenen, kürzlich erworbenen Kleingarten. Während die Rapid-Gartenzwerge grüßen, der Hibiskus blüht und die Zucchini im Hochbeet schon vielversprechend aussehen, herrscht in der Mini-Hütte noch Sanierungsbedarf. Jetzt auch schon wurscht, bis zum nächsten Sommer bleibt noch Zeit.

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Kummt no wos?

Und die musikalische Zukunft? Darauf angesprochen nimmt Johnny Aitsch konsequent die „Schau ma moi“-Haltung ein. Wie schon nach den Wienzeile-Alben scheint er nicht den Drang zu verspüren, gleich weiterzumachen. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder was schreiben oder eine EP machen werde. Ich kann mir schwer vorstellen, nix mehr zu machen, aber ich seh‘s jetzt nicht so, dass ich mich in den nächsten Monaten hinsetze“. Wer weiß, vielleicht folgt ja 2030 „Endlich wieder“.

Etwas konkreter sind die Planungen zum ersten Video zur EP. „Ich habe mich schon mit David (munson productions, Anm.) wegen einem Video zu ‚Endlich‘ zusammengesetzt und wir haben uns paar Sachen überlegt. Aber es ist zeitlich grad nicht so leicht. Vielleicht kommt noch was“, bleibt Johnny Aitsch am Ende auch auf visueller Ebene vage.