Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
„Ich pack den Wahnsinn ins Wort und das Wort auf einen Beat – und zeige, dass hier Scheiße statt Milch und Honig fließt“. Stephan Roiss traut sich was. Nicht nur, dass er uns desillusioniert, der Linzer Musiker wagt sich in noch viel bedrohlichere Gefilde vor. Für sein aktuelles Album „&&&“ ist er nämlich in den Tiefen der Soundwelten versunken, hat in den versteckten Schatzkisten nach musikalischen Juwelen gesucht und daraus eine bunte Kette aus Perlen und Steinen gebastelt. Das Ergebnis erstreckt sich „quer durch die Genres – unhörbar, aber geil“, wie er es selbst bezeichnet.
Dabei ist er viel mehr als nur Rapper. Schriftsteller, Vokalist bei „Fang den Berg“ (“Wer behauptet, in seinem Leben alle Musik bereits irgendwann einmal gehört zu haben, dem ist definitiv noch niemals die Band Fang den Berg untergekommen.” MICA), Rapper bei „Äffchen & Craigs„, Perfomer, Journalist. Nebenbei veröffentlichte er 2012 die Erzählung „Gramding“ und gewann heuer den 1. Preis beim Literaturwettbewerb der Akademie Graz.
Bei so vielfältigen Aufgaben und kreativen Bereichen liegt es nahe, dass sich der Künstler nicht nur auf ein Genre begrenzen will. Angefangen als Sänger und Gitarrist in Bands, „die irgendwo zwischen FM4-affinem Akkustikrock und Hamburger Schule unterwegs waren“ hat sich sein Klangbild schließlich emanzipiert. „Ich habe aufgehört zu singen und begonnen zu sprechen und schreien“, erklärt Stephan Roiss seine musikalische Entwicklung. Über Noiserock und Progrock kam er schließlich zu HipHop – die Musik wurde ernsthafter.
Im Erstlingswerk der Trilogie „&&&“ befindet sich neben sphärischen Sprechpassagen, Breakcore und Freejazz auch ein Track, den wir niemandem vorenthalten wollen. „Milch und Honig“ heißt die Nummer, aus dem das eingangs erwähnte Zitat mit dem desillusionierten Schlaraffenland stammt. Der Beat dazu kommt von Dokta G.C, welcher bereits für Die Antwort oder Markante Handlungen produktionstechnisch aktiv war, der Text stammt von Stephan Roiss selbst.
„Rap und Lyrics stammen von mir. Zu behaupten, ich wäre MC, wäre dreist. Wenn ich Sprache mit Musik arbeiten lasse, dann ist es zumeist Spoken Word & experimentell to the max (klanglich und textlich).“
The Message: Worum geht es in deinem Buch „Gramding“?
Stephan Roiss: Es geht um Leben und Tod und andere Kleinigkeiten. Gramding erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der seinen Zivildienst im Altersheim leistet. Auf humorvolle Weise wird die Konfrontation mit dem Tod, mit Lebensmüdigkeit, mit Ekel verhandelt. Die Ex-Freundin des Zivildieners ist zudem unter Umständen schwanger von ihm. Während er also Tag für Tag mit Sterbenden arbeitet, droht ihm ein Kind. Und es „droht“ ihm tatsächlich, weil er ein Kind als Einschränkung und Belastung empfinden würde.
Bist du auch in der Poetry Slam-Szene aktiv?
Das werde ich oft gefragt und ich muss immer verneinen. Tatsächlich würden sich viele meiner Texte für Poetry Slams eignen. Ich habe eine Distanz zu diesem Format, die ich mir selber nicht ganz erklären kann. Vielleicht ist es einfach gekränkte Eitelkeit. Ich habe nämlich Ende des letzten Jahrtausends zum ersten und bis dato letzten Mal an einem Slam teilgenommen und bin nicht ins Finale gekommen, obwohl ich mich voll ins Zeug gelegt, mich bis auf die Boxershorts ausgezogen und das Mikro mit meiner Wassershow außer Gefecht gesetzt habe. (Smiley nach Wahl einfügen)
“Seine Wortarbeit kann man sich grob wie eine Mischung aus Jochen Distelmeyer, HC Artmann und Thomas Bernhard vorstellen“, schreibt The Gap über dich: Wie passend findest du das?
Sagen wir so: Ich kann es nachvollziehen. Ich bin ein Stück weit in der Hamburger Schule sozialisiert worden. Als Teenager hab ich mich in dieser Form von Melancholie recht daheim gefühlt. Auch in dieser intellektuellen Haltung, die nie streberhaft wirken wollte, sondern immer versucht hat lässig zu bleiben. Diese Pose – halb Seattle, halb Hörsaal – hat mich vor fünfzehn Jahren sehr angesprochen. Und wenn jetzt noch Spurenelemente dieser Sozialisation in meinen Texten zu finden sind, wundert mich das nicht. (Wobei ich lieber Tocotronic als Blumfeld gehört habe. Der Diskurs-Schlager der mittleren und späten Blumfeld war mir auch damals schon suspekt.) Meine Texte sind oft recht wütend, unversöhnt mit der Welt. Außerdem verwende ich sowohl Hochösterreichisch als auch Dialekt. Da ist der Sprung zu Artmann und Bernhard nicht weit. Und gelesen hab ich von den beiden ja auch das eine oder andere.
Warum hast du dich bei deinen Sound-Ausflügen auch ins HipHop-Genre gewagt?
In den letzten fünf Jahren hab ich mich vermehrt mit HipHop auseinandergesetzt. Anfangs interessierte mich nur der Umgang mit der Sprache. Die Musik fand ich fast immer uninspiriert und schablonenhaft. Aber ich bin halt auch aus einer „Szene“ (Noiserock / FreeJazz / Improvisation / Neue Musik) gekommen, in der ein klassisches Strophe-Refrain-Schema kaum vorkommt, 4/4-Takt gern als langweilig empfunden wird und allzu Eingängiges schnell unter dem Generalverdacht steht, banal zu sein. Mittlerweile hab ich meine Vorbehalte stark abgebaut. Und das lyrische Potential von HipHop schätze ich nach wie vor. Und als ich begonnen habe, HipHop als Hörer genießen zu können, war es ein naheliegender Schritt, mich selbst auf dieses Gebiet vorzuwagen. Was ich aber übrigens nach wie vor an 97% aller HipHop-Acts zum Kotzen finde, ist die latente oder offene Homophobie, der Sexismus, die Pseudorevolte. Wobei ich gleich dazu sagen möchte:
HipHop an sich ist hier nicht das Übel, HipHop ist nur ein sehr guter Spiegel der Gesellschaft.
Ist es wirklich ein Privileg in Österreich, wenn man als Hetero gesehen wird, wie du es in „Milch und Honig“ sagst?
Kurz: Es ist kein Privileg in Österreich als Hetero gesehen zu werden. Sondern: aus einer Fülle von Gründen bin ich privilegiert – und zwar global betrachtet; einer dieser Gründe ist, dass ich als Hetero gesehen werde. Ich sage an jener Stelle: „wirst als hetero gesehen / du hast nichts als Privilegien im herrschenden System“. Davor kommen aber noch einige andere Attribute: bin weiß, männlich, hab Zugang zu Bildung, keine körperliche Beinträchtigung, genug zu essen, lebe in einem reichen Land (kämpfe also nicht mit Armut, es gibt ein staatliches Auffangnetz, das besser funktioniert als an vielen anderen Orten, technologisch halbwegs dabei, usw.). Die Gesamtheit dieser Eigenschaften – und in Wahrheit sinds natürlich noch viel mehr – macht mich zu einem Privilegierten im herrschenden System, was durchaus nicht nur Österreich meint. Sprich: Global gesehen hab ich ziemliches „Glück“.
Das Patriarchat ist Realität, die Diskriminierung von Homosexualität ebenso, postkolonialer Rassismus detto. Als heterosexuell wirkender Mann mit weißer Hautfarbe entgehe ich vielerorts vielen Problemen, die andere Tag für Tag haben. Zudem bin ich zwar in Relation zum österreichischen Schnitt nicht reich, aber in Relation zum globalen Schnitt sehr wohl. Ich leide nicht an Hunger und ich kann problemlos eine Universität besuchen. Es gibt noch zuhauf privilegiertere Menschen als mich, aber mit Blick auf die Welt im Ganzen, bin ich Teil einer fragwürdigen, weil strukturell ausbeuterisch agierenden Elite.
In welchem Musikgenre kannst du dich am besten ausdrücken und am besten übermitteln, was du zu sagen hast?
Das kommt ganz darauf an, was ich sagen will. Oft verrät mir auch erst der Beat oder die Geräuschwand oder das Metalriff, was ich sagen will. Ich hab mittlerweile kaum noch Vorbehalte gegenüber kompletten Genres. In fast jeder Stilrichtung gibt es Acts oder zumindest Aspekte, die mir gefallen. Am liebsten sind mir aber die GrenzgängerInnen, die die Genre-Rubriken vermischen, ignorieren, zerbersten.
Was kann man in Zukunft von dir erwarten? Noch etwas im HipHop/Rap-Bereich?
Mit „Fang den Berg“ gehen wir im Frühjahr 2014 ins Studio, um unser drittes Album aufzunehmen. Aller Voraussicht nach wird das aber so gut wie nichts mit HipHop zu tun haben. Ein erster Release von „Äffchen & Craigs“ steht noch immer aus, wird aus organisatorischen Gründen – der Gitarrist lebt aktuell in den Niederlanden – wohl auch noch ein wenig dauern. Bis dahin kann man sich aber schon ein paar Roughmixes dieser Pseudo-HipHop-Formation auf Soundcloud genehmigen. Außerdem wird es zwei Nachfolge-Alben zu „&&&“ geben, also „&&“ und schließlich „&“. Auf beiden Platten wird es wahrscheinlich auch den einen oder anderen Ausflug nach HipHop Country geben. Ein reines HipHop-Album aufzunehmen reizt mich auch sehr. Früher oder später wird auch das sicher passieren. Also her mit den Beats. Bis dahin gibt es aber noch reichlich zu tun. Ich glaube inhaltlich-konzeptuell brauch ich mich nicht verstecken. Punkto Flow gibt es hingegen noch viel Luft nach oben, am Stimmausdruck darf gefeilt werden und auf die Reimtechnik hab ich auch bis dato kaum Wert gelegt.
Wie sehr würde sich das vom Sound von Äffchen und Craigs abgrenzen?
Deutlich. Die Beats wären viel mehr HipHop als bei Ä&C. Und ich würde meinen Job als MC in gewisser Hinsicht ernster nehmen. Es würde keine Persiflage sein, sondern straight, inhaltlich komplex, mitunter unmaskiert aggressiv. Außerdem würde ich mit einem reinen HipHop-Album nicht rausgehen, bevor ich nicht den Eindruck habe, dass ich als Rapper einen rundum guten Job mache. Das ist noch nicht der Fall.
Die beiden Songs sind Teil des 15-Track starken Albums „&&&„, welches Genregrenzen aufbricht und die Soundwelten ineinander verschmelzen lässt. Die CD steckt in einer Kartonstecktasche, welche in Leder eingenäht wurde. Dieses wierum wurde mit Lackbuchstaben besprüht – jedes Exemplar für sich also ein Unikat.
Alle weiteren Videos findet man auf Stephan Roiss‘ Youtube-Channel
Text und Interview: Julia Gschmeidler
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.