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„Wir haben auch alle iPhones“ // Neonschwarz Interview

„Wir haben auch alle iPhones“ // Neonschwarz Interview

Neonschwarz
Neonschwarz

2014 legten die „Zeckenrapper“ von Neonschwarz mit „Fliegende Fische“ ein überzeugendes Album vor, in dem Sozialkritik als auch Unterhaltung nicht zu kurz kamen. Nach dem Release dachte das Hamburger Quartett jedoch nicht an die erwartete Schaffenspause, sondern ging auf ausgedehnte Tour durch Deutschland und Österreich (in Wien konnte man Neonschwarz im B72 erleben). Vor der Realisierung der nächsten Projekte widmen die vier ihre Zeit zweierlei: Einerseits wurden in jüngster Zeit noch einige Videos zu Tracks aus „Fliegende Fische“ gedreht, andererseits sprachen sie mit uns über so verschiedene Ding wie musikalische Symbole, Partypatriotismus und iPhones.

Interview: Thomas Kiebl

The Message: Neonschwarz existiert schon seit einigen Jahren. Könnt ihr euch noch an den Entstehungsprozess der Band erinnern?
Neonschwarz:
Wir waren und sind zunächst alle Solokünstler. 2010 haben Johnny Mauser und Captain Gips ein Kollabo-Album gemacht, auf dem auch ein Song mit Marie Curry namens „On a Journey“ drauf war. Das könnte man als inoffizielle Geburtsstunde von „Neonschwarz“ bezeichnen. Wir waren uns gleich sympathisch und haben in der Folgezeit, zunächst noch unter unseren Solonamen, viele gemeinsame Konzerte gespielt. Irgendwann haben wir uns dazu entschieden, dem Ganzen einen eigenen Namen zu geben. Das Trio wurde dann noch mit Spion.Y erweitert. War ein logischer Schritt, schließlich unterstützte er uns bereits bei unserer EP-Releaseparty 2012, damals allerdings noch nicht als festes Mitglied.

Euer letztes Album heißt „Fliegende Fische„. Ungewöhnlicher Titel, welche Message steckt dahinter?
Fliegenden Fische“ sind eine Metapher für das Ausbrechen aus den Verhältnissen, die einem vorgegeben scheinen. Sie können das Element wechseln und einfach mal abheben und in den Himmel schießen – anstatt immer nur im trüben Wasser rumzugurken. Fliegende Fische zeigen ganz gut, dass nicht immer alles so sein muss, wie es ist. Dass es auch Überraschungen geben kann, es Neues zu entdecken und Abenteuer zu erleben gibt. Das haben wir auch vor, unser Floß ist jedenfalls gebaut.

„Fliegenden Fische“ sind eine Metapher für das Ausbrechen aus den Verhältnissen“

Wasser ist ein wiederkehrendes Element auf dem Album. Was verbindet ihr persönlich damit?
In Hamburg hat man natürlich ein spezielles Verhältnis zu Wasser, bei dem riesigen Hafen und dem Dauerregen. Mit Wasser verbinden wir auch so unterschiedliche Sachen wie braunes Elbwasser, Kälte und die Roughness der Nordsee, Urlaub am Traumstrand oder Wellness in der Badewanne. Und Trinken natürlich – bei Auftritten gerne ohne Sprudel.

Das Cover zeigt euch auf einem Floß. Habt ihr damit auch persönliche Erfahrungen gemacht?
Wir sind mit unserem Floß zusammen auf der Elbe ein bisschen rumgeschippert. Plötzlich kam uns ein riesiger Tanker entgegen – wir mussten dann sofort runterspringen und schnell an Land schwimmen. Da hatten wir echt ein bisschen Schiss. Das Floß haben wir danach nur noch fürs Covershooting betreten, war doch eine ziemlich heftige Erfahrung.

Was hat es mit den Samples aus „Nordsee ist Mordsee“ auf sich?
Bevor wir auf den Film gestoßen sind, hatten wir uns schon auf das Floß-Konzept geeinigt. „Nordsee ist Mordsee“ ist ein richtiger skurriler Film aus den siebziger Jahren, ziemlich sehenswert. Die Sprachsamples haben perfekt gepasst und tragen das Floßmotiv durch das Album wie ein roter Faden.

Johnny Mauser rappt auf „Verwandelt„: „Ganz egal wer du bist, aber deutscher Rap ist kacke/Und macht einen auf national/Fler, deine blauen Augen machen mich so sentimental“. Fler hat auf seinem vorletzten Album einen Track, in dem er seine Schwierigkeiten, als Deutscher unter Migranten aufzuwachsen, beschreibt („Stabiler Deutscher„). Könnt ihr diese Darstellung des „umgekehrten Rassismus“ nachvollziehen?
Selbst wenn es so etwas wie „umgekehrten Rassismus“ geben sollte – von uns hat das keiner erlebt – ist es einfach nur dumm, sich deshalb wieder auf seine Nation zu berufen und rumzuheulen.

Erkennt ihr eine gewisse „Salonfähigkeit“ von rechten Tendenzen im Rap?
Als salonfähig würden wir Rechtsrap auf keinen Fall bezeichnen, das wäre übertrieben. Es gibt jedoch Fälle, die man im Auge behalten und sich von ihnen abgrenzen sollte. Unser KollektivTickTickBoom hat eine Broschüre zu dem Thema rausgebracht, die können wir empfehlen. Relativ verbreitet sind mittlerweile Rapsongs, die mit nationalistischen Inhalten kokettieren, bekanntestes Beispiel ist der vorhin genannte Fler. Wenn sich deutsche Rapper in eine Opferrolle drängen und indirekt gegen Überfremdung hetzen und die „deutschen“ Werte hochhalten, finden wir das sehr unangenehm. Solche Leute haben für uns nichts mit der HipHop-Welt, wie wir sie lieben, zu tun. Salonfähig im Rap sind natürlich nach wie vor Homophobie und Sexismus, was wir ebenfalls nur ekelhaft finden.

„Die AfD ist die bürgerliche NPD“

Wie ist eure Meinung zur AfD, die in den letzten Monaten immer wieder für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat?
Ganz klar: Die AfD ist die bürgerliche NPD und wir verachten sie gleichermaßen.

Ein Phänomen, das insbesondere bei großen Fußballturnieren beobachtet werden kann, ist der sogenannte „Partypatriotismus“. Wo sieht ihr die Grenze zwischen dieser Form des Patriotismus und dem Nationalismus?
Nationalismus bringt immer Ausgrenzung mit sich. Wir sind Deutsch – du nicht. Wir würden nicht jeden Deutschland-Fußballfan als bösen Nationalisten bezeichnen, aber der „lustige Partypatriotismus“, von dem immer geredet wird, trifft eben auch nicht zu. Wenn im Rahmen der Fußball-WM wieder von „Spaghettifressern“ geredet wird und Leute aggressiv reagieren, wenn man nicht Deutschland supportet, dann hat das nichts mit entspanntem „Partypatriotismus“ zu tun. Übrigens finden wir auch Partypatriotismus nicht cool.

Die Rolle des Nationalstaates hat sich in Folge der Globalisierung geändert. Könnt ihr der Globalisierung positive Aspekte abgewinnen – oder überragen die negativen Auswirkungen?
Globalisierung ist ein ziemlich komplexes Phänomen, das weder zu hundert Prozent cool, noch zu hundert Prozent scheiße ist. Wenn es für Menschen leichter wird, sich frei auf der Welt zu bewegen und grenzüberschreitend zu kommunizieren, dann ist das auf jeden Fall gut. Das Fallen von Handelsbeschränkungen – insbesondere, wenn mächtige Staaten dadurch ihren Einfluss noch weiter ausbauen – muss man schon kritischer betrachten. In dieser Hinsicht birgt die Globalisierung auf jeden Fall viele Gefahren und hat wenig mit einer „Eine Welt“-Romantik, aber umso mehr mit Kapitalismus zu tun. Wenn nationalstaatliche Grenzen ihre Bedeutung verlieren, finden wir das auf jeden Fall begrüßenswert. Inzwischen gibt es aber, wie man in Europa gerade sieht, vielfach eine Rückbesinnung auf die Nation.

Ein Thema, das in den letzten Jahren im Deutschrap-Mainstream zugenommen hat, ist Religion. Wie steht ihr dazu?
Wir halten generell nicht viel von Religion und Aberglauben. Es soll jeder und jede glauben was er will, aber wenn es dazu kommt, dass sich Menschen versuchen mit ihren Glauben über andere zu stellen, wird es gefährlich. Nichts gegen Spiritualität, aber Religion hat in der Menschheitsgeschichte mehr Unheil, Tod und Krieg über die Menschen gebracht, als Gutes.

„Es gibt die Vermutung, dass wir abgehört und unsere Mails gecheckt werden“

Ihr seid bekannt für staatskritische Töne. Welche Meinung vertretet ihr zu den Überwachungsmethoden, die von staatlicher Seite zur Kontrolle der Bürger angewendet werden?
Gerade wird wieder gegen uns ermittelt, wegen des Songs „NazifreieZone„. Hier gibt es die nicht unberechtigte Vermutung, dass wir abgehört und unsere Mails gecheckt werden. Das ist wirklich beängstigend, vor allem in Zeiten von HoGeSa, Pegida und Co. Da wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Wenn im Verfassungsschutzbericht von MV (Mecklenburg-Vorpommern, Anm. d. Red.) mehr über unsere Labelkollegen Feine Sahne Fischfilet steht, als über den NSU, dann braucht man nicht mehr weiter nachzufragen, welche Richtung von staatlicher Seite aus als die gefährlichere gesehen wird.

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Im Oktober letzten Jahres wurde in Hamburg-Mitte über den Bau einer Seilbahn abgestimmt. Kritiker sahen im Seilbahn-Projekt eine weiter Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes und konnten die Mehrheit der Bewohner mit dieser Argumentation überzeugen. Eine gute Entscheidung?
Wie Rocko Schamoni mal sagte: „Alles, was dumm und scheiße ist, findet auf St.Pauli statt“. Überall fehlt es an Geld, besonders im sozialen Bereich. Da wirkt es geradezu ignorant und irgendwie ekelhaft, so viel Geld in ein weiteres Projekt zu stecken, das ohnehin niemand braucht. Zum Glück wurden in diesem Fall die Menschen mal direkt gefragt und konnten es verhindern. Ob das der Entwicklung, St.Pauli zu Disneyland machen zu wollen, nun entgegenwirkt, muss allerdings bezweifelt werden.

Wir haben auch alle iPhones – Luxus und „links“ sollten kein Widerspruch sein!

Als politisch offen links-bekennende Rapper: Was fällt euch zum Umstand ein, dass tausende Leute stundenlang vor Apple-Shops campieren, um eine Ware kaufen zu können, die sie nicht benötigen – ein Abziehbild dessen, wie sehr uns der Kapitalismus im Griff hat?
Wir haben auch alle iPhones oder irgendwelche anderen Smartphones, da wollen und können wir schlecht jemand dafür verurteilen. Wir finden diesen technischen Fortschritt auch gut. Konsumverzicht ist nicht der richtige Ansatz und hat nicht unbedingt was mit „links“ sein zu tun. Es geht eher um die Produktionsweise. Luxus und „links“ sollten kein Widerspruch sein. Unser Motto ist da eher: „Luxus für alle!

Viele Musikvideos ähneln mittlerweile schon Werbeclips. Habt ihr die Befürchtung, dass Rap zunehmend für Werbezwecke missbraucht wird und die Musik dadurch an Wert verliert bzw. ihr kritisches Potential einbüßt?
Eigentlich nicht. Wir stehen ja selber auf gut gemachte Videos. Wenn der Song eine starke Message hat, kann das auch ein Hochglanzvideo nicht zerstören. Im Gegenteil: Vielleicht kann man so auch mehr Menschen außerhalb unserer Seifenblase erreichen.

In „Seid ihr noch wach“ rappt Captain Gips: „Die Welt ist so kaputt, aber wir hören nicht auf zu hoffen„. Worauf hofft ihr?
Wenn man es auf das Maximum reduziert, hoffen wir auf eine Welt ohne Grenzen, Armut, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie etc.,  in der es allen Menschen besser geht.

Ihr habt eurem DJ mit „Ypsilon“ einen Song gewidmet. Wird den DJs im HipHop momentan zu wenig Beachtung geschenkt?
Ja, die DJs werden tatsächlich oft vernachlässigt, obwohl diese selbstverständlich genauso wichtig sind wie die RapperInnen. Das spielte irgendwie auch eine Rolle für den Song, aber in erster Linie lieben wir unseren DJ einfach und versuchten ihm das auf diese Weise zu zeigen. Außerdem wollten wir unbedingt ein Liebeslied auf dem Album haben :-). Auf dem nächsten gibt es dann vielleicht eines für Marie Curry.

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