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Ab in die Verdammnis mit Nord Nord Muzikk // Review

Ab in die Verdammnis mit Nord Nord Muzikk // Review

2019 Nord Nord Muzikk

Horrorfilme haben keinen guten Ruf. Es ist wahrscheinlich das mit am meisten Skepsis beäugte Filmgenre. Oft erscheinen die Filme als schnelle Billigproduktionen und verursachen mehr Lachen als Gruseln. Wenn sich HipHop dem Horror in jeglicher Form annimmt, dann ist kaum jemandem zum Lachen zumute. Schon gar nicht, wenn die Berliner Rapcrew Nord Nord Muzikk HipHops düstere Subgenre, Horrorcore, von den Toten auferstehen lässt. “Hexeh” heißt das neue Album von Cannibal Rob, Drama Kuba und Vorkkone, die man vor allem aus dem vor zwölf Jahren erschienenen “Neuruppin” zusammen mit K.I.Z. kennt. Mit “Neuruppin 2”, dem kleinen, gefährlichen Bruder, kündigten die Berliner ihr neues Album, das am 22. März erschien, an. Der Track erzählt von einer blutigen Verfolgungsjagd durch den Wald, die schließlich, ganz nach “Frontier(s)” von Xavier Gens, in einem Schweinestall endet.

Auf insgesamt 15 Tracks erzählen Nord Nord Muzikk absichtlich abstoßende und groteske Geschichten. Drama Kuba, Cannibal Rob und Vorkkone treiben die Elemente des Horrorcore an die Spitze und lassen sie dort ausbluten. Dabei sind die drei Rapper, die sich auf dem Album gerne als gnadenlose, vom Teufel angetriebene Mörder präsentieren, Experten in Sachen deutscher Horrorcore. In den USA der 80er-Jahre fand Horrorcore durch Ganksta N-I-P und die Geto Boys seine Anfangsstunde. Großen Einfluss auf Deutschrap sollte schließlich der Memphis-Sound haben, federführend dabei die Three 6 Mafia mit okkulten Texten, 808-Drums und zackiger Hi-Hat. Lean, Autos und Geld gibt es hier nicht. Gerappt wird auch auf diesem Album über den Teufel, Leichenschändung und brutales Morden. Dort überschreitet man nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks, sondern sprengt sie mit absichtlicher Hemmungslosigkeit. Das fühlt sich stellenweise wie ein Tritt in die Magengrube an.

Und genau hier liegt bereits die Stärke von “Hexeh”: Nord Nord Muzikk perfektionieren die düsteren, abstoßenden und grotesken Szenen, deren Bilder in Tracks wie “Grabstein”, “Kruzifix” oder “Schwarzes Plastik” (feat. Tarek K.I.Z.) fast schon zu klar vor dem Auge erscheinen. Jeder Track verursacht neues Kopfkino. Eine Geschichte, aus der man am liebsten wieder flüchten würde, wäre da nicht die Erzählkraft der drei Horror-Rapper. “Zuerst wird dumm gelacht, anschließend rumgemacht und nach dem Abschiedskuss das hübsche Mädchen umgebracht” hört man in “Schwarzes Plastik”, wenn Vorkkone davon erzählt, wie er eine junge Frau zuerst verführt und dann brutal ermordet.

Im Hause Gottes habe ich erzählt, dass du hier liegst. Doch nach meiner Beichte beging der Pfarrer Suizid

– Maxim K.I.Z., „Neuruppin 2“

Dem Album liegt eine stetig andauernde Grundspannung zu Grunde, “Hexeh” lebt nicht nur von den gekonnt platzierten Jumpscares in den Musikvideos zu “Neuruppin 2” oder “666/FFF”, sondern insbesondere von dem monotonen Rap seiner Protagonisten, gepaart mit gut durchdachten Details, die das mit Blut verschmierte Werk abrunden. Reingeholt wird man bei “Taufe” durch ein Babygeschrei, untermalt von einem bedrohlich wirkenden Männerchor. Immer wieder gibt es Referenzen zu verschiedenen Orten abseits von Neuruppin, so wie zum Beispiel in “Tegeler Fließ”. Auffallend ist dabei auch der gleichnamige Song zum Album. Mit sanfter Männerstimme ertönt “Hexeh” in der Form eines Kinderliedes, der mit einer Hänsel-und-Gretel-Referenz zu einem Horror-Track nieder schmettert: “In ihrem Haus aus Lebkuchen steht auf dem Herd ein Topf // Mit Möhrchen und Kartoffeln drin, in dem das Kindlein kocht”.

Gefesselt und geknebelt, vom Chloroform benebelt. Liegst du in meinem Kofferraum und betest, aber weißt, dass es zu spät ist.

– 666/FFF

Der wohl stärkste Track neben “Schwarzes Plastik” vereint dabei alle Schock-Elemente, die in “Hexeh” Stück für Stück aus dem Keller gezerrt werden: Das Video zu “666/FFF” zeigt drei zu Satan gewandte Frauen, die regelmäßig ins Morden verfallen. Maxim von K.I.Z. gibt sich dabei als eines der Opfer hin – und wird von den Frauen und ihren Kindern verspeist. Produziert wurde “666/FFF”, allgemein bekannt als der Teufelscode, von Nico K.I.Z. und Gee Futuristic. “Der Teufel befiehlt – ich führe aus” tönt es uns mit einem bedrohlichen Sound entgegen.

Die Thematisierung des Bösen verursacht durch Satan, der Gott und die Kirche wie ein winselnder Hund im Regen dastehen lässt, ist ein thematischer Schwerpunkt im Horrorcore, dem sich Nord Nord Muzikk hier intensiv gewidmet haben. Die vermeintliche Machtlosigkeit des Priesters (“Dein lieber Gott ist gerade nicht hier // Nur drei Jungs aus Nordberlin”) wird in den Bluttaten des Teufels sichtbar, gegen die auch das Beten zu Gott nicht hilft. (“Mutterficker glaub’ mir wenn wir erscheinen // Hilft kein Gebet oder Hände falten”).

See Also

Ich zieh in aller Ruh’ dem toten Schädel mit der Zange die goldenen Zähne aus dem Kiefer. Vom Teufel instruierter Late-Night-Creeper.

– Salem

Die Frage von Grenzen ist dabei im Horrorcore und auch bei “Hexeh” allgegenwärtig. “Hexeh” ist kein Album für den breiten Geschmack. Zu brutal und enthemmend sind die Bilder im Kopf, die beim Hören des Albums bewusst der Vorstellungskraft entlockt werden. Dennoch präsentieren Nord Nord Muzikk regelmäßig die tiefsten Abgründe einer Gesellschaft, auch wenn sie immer wieder auf Übernatürliches verweisen. Diskussionen über Grenzen sind auch im vermeintlich grenzlosen Horrorcore berechtigt und notwendig. Der Sound ist alltäglich, die Inhalte nicht, erklärte Cannibal Rob gegenüber Noisey.

Fazit: “Hexeh” ist nichts für schwache Nerven, dem sollte man sich bewusst sein. Vermutlich erklärt das auch, warum Horrorcore in Deutschland nach wie vor ein Nischen-Genre ist. Die perfekt ausgeklügelten Erzählungen, der monotone Rap der drei Berliner sowie die blutigen Geschichten, die mit kleinen Details auf die Spitze getrieben werden, machen “Hexeh” jedoch zu einem Vorzeigealbum des deutschen Horrorcore. „Ihr habt ein Monster erschaffen” schreibt Tarek von K.I.Z. auf Instagram und könnte das Album damit nicht besser beschreiben.

4 von 5 Ananas