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Oddisee stellt die Frage nach dem Antrieb: „To What End“ // Review

Oddisee stellt die Frage nach dem Antrieb: „To What End“ // Review

Nach fast zwei Jahrzehnten bei der Mello Music Group gründete Oddisee (38) vor zwei Jahren mit Outer Note sein eigenes Label. Ein Schritt, der aus monetären Gründen geschah. Kein böses Blut, im Gegenteil. Aber ein eigenes Label erschien dem aus Washington, D.C. stammenden und mittlerweile in Brooklyn, New York lebenden Künstler als das attraktivere Geschäftsmodell, wie er auf dem YouTube-Kanal Bedroom Beethovens erzählte.

Angesichts seiner Reputation in Untergrund-Kreisen ist die Label-Gründung kein Wagnis. Oddisee hat sich dort längst etabliert und kann eine Vielzahl treuer Anhänger*innen vorweisen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Sprung in die Mainstream-Bekanntschaft blieb bis dato aus. Auf Alben großer Namen sucht man Oddisee vergebens. An der Qualität seiner Musik liegt das nicht. Bei den Bedroom Beethovens begründete Oddisee dieses Nischendasein mit seiner introvertierten Persönlichkeit. Mit anderen zu connecten fiele dem Musiker mit sudanesischen Wurzeln schwer, und am liebsten würde er sowieso alleine produzieren.

Manchmal wäre es schlichtweg schlechtes Timing gewesen, wodurch sich Beteiligungen an Kanye Wests „Graduation“ (2007), an Kendrick Lamars „Good Kid, M.A.A.D City“ (2012) oder Dr. Dres „Compton“ (2015) zerschlugen. Traurig darüber sei er nicht: „If I’m able to make a living from my music, I’m happy”, so Oddisee. Hochmut gehört sicherlich nicht zu seinen Charaktereigenschaften. 

Suche nach dem, was uns antreibt

Hochmut findet man auch nicht auf seinem neuen Album „To What End“. Dieses ist der zweite Release auf seinem Label, nachdem 2020 mit der EP „Odd Cure“ der Einstand gefeiert wurde. In seiner fast opaken Diskografie ist „To What End“ Nachfolger des 2017er-Albums „The Iceberg“ und, je nach Zählweise, sein zehntes Solo-Studioalbum.

Der ursächliche Grund für die für Oddisee ungewöhnlich lange Zeitspanne zwischen „The Iceberg“ und „To What End“ ist privater Natur: 2017 wurde er zum ersten Mal Vater. Dieses Ereignis nahm er als Anlass für eine notwendige Pause, nachdem er mehr als ein Jahrzehnt 2 Projekte pro Jahr veröffentlichte und über 130 Shows spielte. Nach der Pause ging er wieder auf Tour, bevor die Corona-Pandemie losbrach und die Rückkehr zu seinem Albumsproduktionsrhythmus erschwerte.

All diese Umstände reflektiert Oddisee auf „To What End“, das als thematischen Schwerpunkt die Frage nach dem „Warum“ hat. Konkret begibt sich Oddisee auf die Suche nach den Gründen menschlicher Handlungen und erkundet, was wir Menschen alles in die Waagschale werfen würden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Das Elaborat davon sind 16 abwechslungsreiche Songs.

Dynamisches Soundbild

Abwechslungsreich, weil Oddisee eine Brücke von seinem bekannten Golden-Era-BoomBap zu etlichen anderen Genres schlägt: (80er-Jahre-)Funk („Already Knew“, „The Way“), Boogie („Try Again“) oder Neo-Soul („All I Need“) sind ebenso auf dem Album zu hören wie eine jazzige Kollaboration mit Bilal, „Work to Do“.

Mit „Bartenders“ und „Choices“ inklusive superbem Phonte-Part haben sich auch Beats auf dem Album eingenistet, die an J Dilla respektive 9th Wonder erinnern – passenderweise hat Gast Toine Jameson bei seinem Part eine Common-Referenz eingebaut („Envisioning to hear and after/ Listening to Van Hunt/ On a pursuit for truth, like it’s a manhunt”). Wiederkehrendes Element ist der Einsatz von Live-Instrumenten, die maßgeblich zum dynamischen Soundbild beitragen; besonders gerne greift Oddisee hier auf eine E-Gitarre zurück.

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Tiefgründiges von Oddisee

Abwechslungsreich ist auch Oddisees Performance als Rapper. Die zeichnet sich in einer Fülle an verschiedenen Flows und Geschwindigkeitswechseln sowie einer Menge an geglückten Wortspielen und Metaphern aus. Inhaltliche Ausrufezeichnen setzt er mit „People Watching“, auf dem er sich mit den Gegebenheiten als introvertierte Person im Musikgeschäft auseinandersetzt („Fresh up out depression got me feeling mello hype/I be sealing feelings like my dealings, hella tight“) und mit „Many Hats“, auf dem er Unsicherheiten, Panikattacken und Burnout in das Zentrum seiner Ausführungen rückt. „Many Hats“ ist dabei von seiner ersten Therapie-Sitzung inspiriert und steht exemplarisch für Oddisees selbstreflexive Fähigkeiten.

Sozialkritisch fällt „Ghetto to Meadow“ aus: Hier stellt sich Oddisee gemeinsam mit Ex-Roc-A-Fella-Signing Freeway die Frage, wie weit jemand gehen würde, um der Armut zu entfliehen. Ein Beispiel dafür, in welchen verschiedenen Konstellationen Oddisee der Frage nach dem „Warum“ nachgeht.

Mit „To What End“ setzt Oddisee den Hörenden also ein lyrisch anspruchsvolles Programm vor, bei dem er aber keine Antworten schuldig bleibt. Nach der Spieldauer von einer Stunde hat der Hörende ein gutes Bild von Oddisee – als Musiker, aber vielmehr noch als Menschen. Ein weiteres Argument dafür, dass „To What End“ qualitativ ganz vorne in der Diskografie Oddisees anzusiedeln ist.

Fazit

„To What End“ ist das Produkt eines Vollblut-Musikers mit großen Skills am Mikrofon, an den Reglern und den Instrumenten. Folgerichtig gibt es viel zu entdecken. Auf „To What End“ fügt sich alles zu einem herrlich zeitlosen Stück Musik, zu einem Grown-Man-Rap-Prachtexemplar zusammen. Ein vielversprechender Beginn für Oddisees Outer Note Label – und mehr ist auf dem Weg, denn: „So what’s next, I don’t know, I just know I won’t rest“, wie Oddisee im Closer „Race“ rappt.

4 von 5 Ananas