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„Mittelfinger, Fistbumps, fette Karren“ // Rapper lesen Rapper #5

„Mittelfinger, Fistbumps, fette Karren“ // Rapper lesen Rapper #5

Wohnzimmerfeeling bei Rapper lesen Rapper im Brut. Alle Fotos von Moritz Nachtschatt.

Ein weiteres Mal zeigt die Veranstaltungsreihe Rapper Lesen Rapper, dass die Vermengung von Rap und Literatur hervorragend funktionieren kann. Der Andrang ist bei der fünften Wien-Ausgabe gar so groß, dass die Veranstalter aus Platzgründen eine vor dem Eingangsbereich stehende Menschentraube wegschicken müssen. Das Brut im Künstlerhaus mag bezüglich Kapazität ein Upgrade im Vergleich zum Werk X Eldorado darstellen, in dem die vergangenen Lesungen stattgefunden haben, ist offenbar aber ebenso unterdimensioniert. Dennoch ist es erfreulich, dass die Reihe laufend wächst. Diesen Umstand merkt auch das eingespielte Moderatorenduo, bestehend aus DJ DWD und Fozhowi, zu Beginn an: „Wir sind gewachsen vong Sizigkeit her – #business.“ Die beiden starten das Abendprogramm mit Deutschrap-Gossip, geben dabei Props an Taktlo$$, den „Klaus Kinski des Raps“, bevor sie in eindrucksvoller Manier einen Bühnenskandal von Kollegah nachstellen. Foz, der offensichtlich kein Französisch kann, sorgt mit seiner cloudrapesken Interpretation eines edlen Textes des geschätzten Lyrikers Charles Baudelaire für ein frühes Highlight. Dem Werk aus dem 19. Jahrhundert tut die übersetzte Persiflage merkbar gut.

Mit dem Verweis, dass nun das Entertainment durch Infotainment ersetzt wird, begrüßt DWD daraufhin Mieze Medusa als erste (und einzige) Rapperin, die er als echte „Bücherwürmin“ darstellt. Zum Gespräch mit der Künstlerin wird der obligatorische Packerlwein angeschnitten und mit Freude eingeschenkt – was das Trinken des roten Gesöffs betrifft, zeigt sich die „Slam-Mama“ allerdings ein wenig gehemmt. Die sympathische Mieze stellt in Bezug zu ihrem Standard-Sommergespräch mit HC Strache im Jahr 2014 klar, dass sie rückblickend lieber boxen gehen würde. Neben klaren Worten über politische Rapper und rappende Politiker („HipHop überlebt das, Österreich vielleicht nicht“) bekommt sie auch viel Applaus für ihre Aussagen zum Transport der Battle-Rap-Kultur in den deutschsprachigen Raum. Dabei merkt sie an, dass die meisten deutschen Rapper in ihen Texten zwar ebenso gemein wie ihre US-amerikanischen Kollegen sind, meistens aber nicht ansatzweise an deren Genialität in den Wortspielen herankommen.

Nach einer angeregten Diskussion wandert Mieze Medusa von der Couch aufs Pult, um einen Text des französischen Rappers Oxmo Puccino vorzutragen, der sie an ihre frühen Berührungspunkte mit HipHop erinnere. Dabei merkt sie an, mit Französisch – ähnlich wie Fozhowi – auf Kriegsfuß zu sein. Allerdings habe ihr in der Schulzeit „Caroline“ von MC Solaar im Alleingang eine positive Note beschert. Etwa zwanzig Jahre später ist Mieze Medusa jedoch noch mehr aus der Übung. Ihren Vortrag des Oxmo-Puccino-Textes „Peur Noire“ hat sie dennoch frei übersetzt – Ergebnis ist ein Epos über „Schwarze Angst, bittere Reime oder Sterben vor Lachen.“

Als zweiter Gast schreitet DJ-Urgestein, Tribe-Vibes-Moderator und „HipHop-Connoisseur“ Phekt nach vorne. Der in Linz aufgewachsene Wahl-Wiener lässt die eigene HipHop-Geschichte revue passieren, wobei er kaum ein Element ausgelassen hat. Talentbedingt hat er sich jedoch schon früh aufs Auflegen sowie aufs Sprühen festgelegt. Die vielen Phekt-Tags in sämtlichen Backstage-Räumen hiesiger Locations kann er sich natürlich nicht erklären: „Ich weiß von nichts.“ Foz lenkt das Gesprächsthema anschließend auf etwas leicht Zugängliches – Weinvergleiche. Auf seine philosophische Frage, welcher Musiker mit dem eben eingeschenkten Packerlwein zu vergleichen wäre, wenn Nas auf einer Stufe mit Dom Pérignon steht, antwortet Phekt schlagkräftig und unter viel Beifall: „Money Boy. Ich trinke Money Boy!“ DJ Phekt nennt daraufhin Al Green, J Dilla und Kroko Jack („ein ungeschliffener Diamant mit Charisma, Skills, Delivery, Humor und eine Bühnensau“) als seine absoluten Favourites.

Phekt hat sich jedoch einen Text des Kaliforniers E-40 ausgesucht, den er als absolute Kultfigur und sprachlichen Innovator bezeichnet. Er bietet „The Weed Man“ in einer Mundart-Version dar, wobei er sich bemüht, die originalen Inhalte möglichst pointiert zu übersetzen. „Da Grosmau vom Vierzga-E“ sorgt somit für einige Schmunzler. Stellvertretend für die vielen auf Mundart-Reime übertragene Highlights gibt eine schöne Passage aus der „gscheaden“ E-40-Version einen guten Einblick: „Da letzte Streich hast Vaporizer, seitdem landen meine Hawara regelmäßig in Kraunkenheisa.“ Da zieht sogar der „Native-Dialektla“ Fozhowi seinen virtuellen Hut.

Es folgen die Schönbrunner Gloriettenstürmer, die dank ihrer unvergleichlichen Kombination von Schlager und HipHop „outside the box“ sind. DWD lädt das Duo zum Schlagerdampfer ein, der jährlich von Tulln ausgehend die Donau entlangfährt. Zu ihrem Selbstverständnis erwähnen die Stürmer, dass Schlager sehr alt in den Köpfen der Leute sei und von ihnen „aufgefresht“ werde. Auch am Schlager-Signature-Move („alles in Zeitlupe“) wollen die beiden arbeiten: „Mehr Mittelfinger, Fistbumps, fette Karren!“ Vor allem Stürmer 1 wirft mit launischen Aussagen umher – „Make Schlager great again!“ Angesprochen auf das Beefpotenzial mit K.I.Z., die kürzlich als Schwarzwälder Kirschtorten ähnliche, womöglich gebitete musikalische Wege gegangen sind, zeigen sich die Gloriettenstürmer abgebrüht: „Das lässt uns eher kalt, aber sie können uns gerne als Sprungbrett benutzen.“

Die Gloriettenstürmer tragen je einen Text vor. Den Beginn macht Stürmer 2, der mit dem „Backseat Freestyle“ alte Kendrick-Lamar-Lyrik in Originalversion darbietet. Der Text in Retrospektive, „als Kendrick noch radikaler war“,  hat durchaus witzige Züge. Stürmer 1 liest „Micjack“ von Kroko Jack und versucht dabei, trotz seines „Burgtheaterdeutsches“ die Dialektform beizubehalten. Einige Begriffe hören sich zwar etwas holprig an, dafür wird der im Original irre schnell heruntergeratterte Text in seiner Gesamtheit und Genialität verständlich.

Liebevoll mit Megaphon und einem 15-Sekunden-Countdown holt DWD das Publikum aus der kurzen Pause: „Ich werd‘ wieder Haltung einnehmen. Sie auch bitte!“ Nach einem Rückblick auf den ersten Teil, erscheint mit Gerard der nächste Bühnengast. Dieser sei noch etwas müde, schließlich war er am Vortag beim Amadeus Award. Dort habe er DJ Ötzi ein Feature mit den Schönbrunner Gloriettenstürmern, die zum Roster des von ihm und Ilias Dahimène gegründeten Labels Futuresfuture gehören, nahegelegt. Angesprochen auf das 2016 gegründete Projekt meint Gerard: „Ich sehe mich da eher als Coach und kreativer Berater, Ilias macht das Business.“ Also ein lieber Labelboss. Foz fragt, ob es schwieriger sei, in Europa einen Tonträger zu verkaufen, als eine Waffe in der USA. Daraufhin beichtet Gerard, ein großer Fan von Streams zu sein – „obwohl das alle so verteufeln.“ Bei CDs und Vinyl gebe es schließlich immer wieder Stress mit Presswerken. Auch Musikvideos finde er eher „nervig, weil die sind das Aufwendigste und Teuerste.“

Nachdem Gerard klarstellt, keinen Beef mit seinen ehemaligen Rooftop-Clique-Kollegen zu haben, liest er den bei ihm unter Vertrag stehenden Jugo Ürdens. Eine kurze Einleitung des Tracks „Österreicher“ bleibt aus, schließlich haben die Moderatoren keine Audiodatei bekommen. Jugo Ürdens, der selbst im Publikum sitzt, ruft rein: „Ich hab’s dir gestern noch geschickt! Scheiß Labelboss.“ Bevor Gerard den Text liest, weißt er darauf hin, dass es sich dabei um reine Fiktion handle. Schließlich rede sein Labelkollege im Song zwar davon, endlich Österreicher zu sein, besitze jedoch noch immer keinen österreichischen Pass: „Wer die Macht hat, gibt ihm bitte einen.“ Während des Vortrags liefert Gerard immer wieder Erklärungen zu Passagen, wobei er regelmäßig zum oben stehenden Jugo aufschaut.

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Der Abend neigt sich dem Ende zu, was bei DWD und Fozhowi für Wehmut sorgt. Doch die beiden haben als letzten Gast mit dem Rapper, Sprüher und Designer Sayne One noch ein „kleines Schmankerl.“ Der Salzburger erläutert seine Ursprünge als Rapper: „Englisch und Hochdeutsch woan ned meins. Beim Dialektrap hob i ma docht, booa wos ma do ois mochn konn!“ Sein 2012 releastes Album „Turbowabohu“ sei noch eine Mischung aus Deutsch und Dialekt, mittlerweile rappe er ausschließlich im Dialekt, allerdings sei er derzeit nicht gerade produktiv: „Im echten Leben geht’s dafür umso besser“, meint der Inhaber der Werbeagentur Kaleido. „A Werbehua„, wie ihn Foz bezeichnet. Sayne outet sich als großer Deutschrap-Fan, was ihm lauten Applaus vom Publikum beschert. Fozhowi kündigt schon mal an, dass Sayne One mit seinem Text „out of the box“ sein wird.

Dieser hat sein MacBook sowie „Das große Etymologische Wörterbuch der Deutschen Sprache“ parat. Letzteres habe er von seiner ehemaligen Mitbewohnerin und beim „Durchdiggen“ ein paar „nice words“ gefunden – „Fotze zum Beispiel.“ Sayne verfolgt einen Bildungsauftrag, schließlich möchte er über die Herkunft der gängigsten Deutschrap-Schimpfwörter aufklären. Dazu hat er Lines der letzten 25 Jahre rausgesucht. Nahtlos zu einer Art Geschichte zusammengebaut, liest er zwischendurch die kompletten Beschreibungen aus dem Wörterbuch vor. Insgesamt zitiert er etwa 100 deutsche Rapper. Es wird der bisher längste Beitrag, das Publikum kommentiert, klatscht und zeigt sich durchwegs begeistert von den vulgären Ausführungen. Sayne One beginnt mit zahlreichen Textstellen zu „Hurensohn“ („alles alles alles ist so Hurensohn„), um dann die Sprachherkunft von „Hure“ zu erläutern. Weiters erklärt Sayne „Fotze“, „ficken“ (übrigens ein schwaches Verb, Ursprung im 11. Jahrhundert), „Nutte“ und endet mit „Muschi“. Bei den Erläuterungen muss er selbst immer wieder lachen und rechtfertigt sich mit einem „des steht ois so do.“ Auf die Frage von DWD, in welcher Studienrichtung man denn derartige Seminararbeiten schreibe, kontert Sayne One trocken: „Hurensohnologie 2.“ Bevor die Aftershowparty in der oberen Etage steigt, beenden die Moderatoren die durchwegs gelungene Veranstaltung mit dem Abspielen der Beats von „23 HipHop-Hits“ – als überraschend dope Pianoversionen.

Text: Simon Nowak & Francesca Herr
Fotos: Moritz Nachtschatt

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