Beiträge zu populär- und musikkulturellen „Grauzonen“ und Gegenstrategien zu Übernahmen von Rechts – Gesprächspartner/Experte: Andreas Peham (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands)
Ein bislang nicht gekanntes Medienecho erzeugte in den letzten Tagen die Band „Frei.Wild“. Ihr Liebäugeln mit der extremen Rechten führte schlussendlich zur Streichung von der Nominiertenliste für den Musikpreis „Echo“. Der Aufruhr um den zweifelhaften politischen Gehalt von „Frei.Wild“ darf zugleich nicht überraschen. Denn schon seit längerem werden sie als legitime Erben der Böhsen Onkelz gehandelt. Auch hier zeigt sich: Viele moderne Populär(musik)kulturen weisen „Grauzonen“ auf, Schnittstellen zu rechtsextremen und neonazistischen Lebenswelten, von Punk über Techno bis zu HipHop. Daher kann nicht nur das (Rechts-/Deutsch-/Identitäts-) Rockgenre als (gelungenes) Beispiel für die Vereinnahmung von Musik durch Neonazis und extreme Rechte herangezogen werden, auch das Technogenre „Hardbass“ ist hier unter vielen anderen zu nennen, sozusagen der Soundtrack der „Identitären Bewegung Österreich“.
Werden Strömungen und Szenen rechtsextremer bzw. neonazistischer Jugend- und Subkulturen in nächster Zeit HipHop als potentielles Adaptionsfeld für sich entdecken und vereinnahmen können? HipHop, Rap und Neonazismus – funkt das? Ja, auch im HipHop sind extrem rechte und neonazistische InterpretInnen anzutreffen. So kann der Neonazi von heute auch Rap von Aggro Berlin bis King Bock und MaKss Damage hören, Rizist-Windbreaker und –BaggyPants tragen und dabei ein Graffiti an die Wand malen. Darauf machen nicht zuletzt umsichtige BeobachterInnen der rechtsextremen (Musik-)Szene wie Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) aufmerksam, mit dem das „The Message Magazine“ Mitte Februar ins Gespräch kam.
Der Neonazismus und die extreme (Neue) Rechte befinden sich seit nun gut 30 Jahren in einem tiefgreifenden und substantiellen Wandel. Eines blieb – nicht nur dem Rechtsextremismusforscher Peham zufolge – währenddessen allerdings unverändert: „Allgemein ist zu sagen, dass Musik heute das Hauptmittel der Neonazis zur Rekrutierung von Nachwuchs ist. Von denjenigen (vor allem männlichen) Jugendlichen, die nicht familiär oder übers Elternhaus vorbelastet sind, kommen heute 80 bis 90 Prozent über die Musik erstmalig mit dieser Ideologie in Berührung. Neonazis werden weiterhin Musik als Transportmittel ihrer Ideologien benützen.“ Dabei hat sich der Sound der neuen Generation von Neonazis in den letzten Jahren erheblich ausdifferenziert und verändert: während Rumpel-Rechtsrock früher meist in die Szene einführte, können rechts-affine Jugendliche heute aus einer breiten Palette an verschiedenen Musikstilen auswählen.
Entstanden war damals Rechtsrock mit Ian Stuart Donaldson, Sänger der britischen Band Skrewdriver, der Anfang der 1980er Jahre das Potential von Musik als Träger politischer (rechter) Botschaften erkannte. England gilt, (rechtsextreme) Musik im Allgemeinen betreffend, nach Peham „als Ursprungsort einer Jugendsubkultur innerhalb der neonazistischen Szene … Früher waren die Neonazis zunächst in erster Linie Neonazis und haben sich einer Jugendkultur, vor allem die der Skinheads, bedient“ Dass Skinheads einmal weltweit zum Symbol für rassistische und neonazistische Gewalt werden sollten, war gerade zu Beginn der Skinheadkultur in den späten 1960er Jahren nicht abzusehen. Skinheads waren damals nicht nur rebellische Arbeiterjugendliche, sondern orientierten sich ähnlich wie die Mods an den jamaikanischen Rude-Boys, wobei sie einiges von deren Kleidung und Musik adaptierten. Die Musik, die sie hörten, waren Ska und Reggae, das musikalische Erbe von schwarzen Künstlern. Weil sie den gleichen Musikgeschmack teilten, besuchten farbige Jugendliche und Skinheads zum Teil auch die gleichen Clubs, in einigen Fällen waren sogar afro-karibische Jugendliche an Skinhead-Gruppen beteiligt. Ende der 1960er bis Anfang der 1970er wurden Skins nicht nur zunehmend mit „Paki-Bashing“ und „Queer Bashing“ – also gewalttätigen Übergriffen auf pakistanische Studenten und Homosexuelle – in Verbindung gebracht, sondern auch mit Gewalt und Randalen in Fußballstadien. Der Anfang einer Geschichte, die die Skinhead-Kultur bis heute prägt, nahm ab da ihren Lauf.
Die „Wiener Identitäre Richtung“ (W.I.R.), die inzwischen in die „Identitären Bewegung Österreich“ aufging, erntete jüngst für die Gegenbesetzung der Votivkirche von Teilen der rechten Zivilgesellschaft, Medien wie Parteiorganisationen viel Applaus. Zuvor traten die W.I.R. medial erstmals Ende September 2012 mit dem Störmanöver gegen einen afro-haitianischen Tanz-Workshop der Caritas in Erscheinung. Der Flashmob bediente sich dabei popkultureller Protestformen, mit Affen- und Schweinemasken wurde zu „Hardbass“ die Toleranz zertanzt . Dabei kommen die „Vorbilder“ so Peham „zunächst aus Osteuropa. Die ersten Hardbass-Aktionen initiierten russische Neonazis. Keine Identitären, sondern Neonazis.“ Andreas Peham begründet, warum es vorstellbar ist und damit zu rechnen sein wird, dass die Identitären in nächster Zeit auch HipHop für sich zu vereinnahmen suchen, und zwar „als Antwort auf die Videos von Rappern (A-Geh & Kid Pex, Def Ill, Anm.d.R.), die sich mit den Flüchtlingen und UnterstützerInnen solidarisieren.“ Dabei gibt es für sie auch Erfolgsaussichten, „gerade wenn ihr Wachstum im Internet weiterhin so verläuft, kann es natürlich sein, dass sich da was herausbildet.“ Allerdings – so Peham weiter – „angesichts ihrer großbürgerlichen, akademischen Herkunft und Hintergründe“ mangele es ihnen an „Street-Credibility“, er bezweifelt, dass aus der Identitären-Bewegung heraus ein Rapper hervorgeht: „Von den Identitären selbst könnte das wahrscheinlich keiner machen, da fehlen ihnen die Tools und alles, was man dazu braucht. Sie leben nicht auf der Straße, sie sitzen auf ihren Buden und wohlgeheizten Villen“. Es scheint realistischer, dass Gruppen wie die Identitären bereits existierende Rap-Gruppen in Österreich „anwerben“, die sich bereits in der Vergangenheit betont patriotisch-nationalistisch, frauenfeindlich und homophob geben und gaben. Vieles wird auch davon abhängen, „ob sie es mit der nötigen Ernsthaftigkeit anpacken, aber gerade das könnte auch ein Erfolg sein. Man erinnere sich an das Fiasko mit dem Strache-Rap. Den gleichen Fehler werden die Identitären nicht machen. Völlig ironiefrei werden sie nicht an das Thema rangehen wie Strache das vorgemacht hat.“
Wie am Beispiel der Identitären-Bewegung veranschaulicht werden kann, gibt es heute beinahe kein Musikgenre mehr, das Neonazis oder Neue Rechte noch nicht für sich entdeckt hätten: „Ich würde heute sagen, es gibt keine Jugendkultur, keine Subkultur, die sie noch nicht für sich zu vereinnahmen versucht hätten. Zuletzt haben sie sich auch am HipHop versucht, die als „schwarze“ Kultur am immunsten war“, so Peham, oder präziser gesagt schien. Denn „auch hier gibt es Einfallstore, gerade auch durch bestimmte Formen des Raps in Deutschland. Hier gibt es Schnittmengen bezüglich Homophobie, Gewaltverherrlichung, Sexismus, Anti-Amerikanismus, Antisemitismus, etc., wo sie anknüpfen können.“ Nicht erst seit heute wird konstatiert, dass sich potentielle sub- und/oder gegenkulturelle Elemente beim Übergang in den popkulturellen und kommerzialisierten Mainstream entpolitisieren. Seit den 1990er Jahren wurde HipHop zu einem Fixstern der Pop(sternchen)kultur und war auf allen Jugendsendern von MTV bis VIVA präsent, politische Inhalte verschwanden zunehmend. Nicht zuletzt die politische Unbestimmtheit und der unpolitische Habitus brachten in den Nuller-Jahren HipHop, im besonderen deutschsprachigen (Gangster-)Rap, und seine InterpretInnen in den Verdacht, von innen heraus Adaptionen von Rechts Vorschub zu leisten.
Spätestens mit Flers Aggro-Debüt „Neue Deutsche Welle“ 2005 kam eine bereits von Hannes Loh und Murat Güngör Anfang der Nuller-Jahre angestoßene Diskussion zu „NaziRap“ so richtig ins Rollen und fortan geisterte ein Phantom durch die HipHop – Szene und darüber hinaus. Bis heute hält es sich hartnäckig in den Köpfen, was auch daran liegt, dass sich in den letzten Jahren bereits „nationale“ Rapper zu Wort gemeldet haben und MaKss Damage im neuesten Buch des renommierten deutschen Rechtsextremismusforschers und Journalisten Toralf Staud „Neue Nazis“ (2012, gemeinsam mit Johannes Radke) als erster ernstzunehmender NaziRapper in Deutschland bezeichnet wird.
Der voranstehende Beitrag soll den Beginn einer neuen Serie darstellen, die versucht, der Frage auf den Grund zu gehen: NaziRap bzw. RechtsRap – Phantom oder Phänomen? Regelmäßig werden dazu in den nächsten Monaten Fakten, Interviews mit ExpertInnen und AktivistInnen, Buchbesprechungen und vieles mehr zum Thema Rechtsextremismus, Neonazismus und vor allem Gegenstrategien und Handlungsoptionen zu Übernahmen und Adaptionen von rechts in dieser Reihe auftauchen. Das Schlusswort bleibt diesbezüglich Andreas Peham überlassen: „Der erfolgreiche Widerstand gegen Übernahmen von rechts kann nur von und aus den Subkulturen selber kommen. Das hat sich in der Gothic-Szene gezeigt (Gruftis gegen Rechts), in der Black-Metal-Szene, in der Skinheads-Szene. Rechte Skinheads hassen nichts mehr als linke Skinheads, das sind ihre schlimmsten Feinde, weil sie die einzigen sind, die sie innerhalb der Szene wieder zurückdrängen können. Und das ist im Hip Hop genau so.“
Text & Interview: Stefan Anwander
Literatur:
-Loh, Hannes/ Güngör, Murat (2002): Fear of a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap. Höfen.
-Lowles, Nick/ Silver, Steve (2000): Vom Skinhead zum Bonehead. Die Wurzeln der Skinhead-Kultur. In: Searchlight/ Antifaschistisches Infoblatt/ Enough is enough/ rat (Hrsg.): White Noise. Hamburg-Münster. S. 17–23
-Schedler, Jan/ Häusler, Alexander (Hrsg.) (2011): Autonome Nationalisten. Neonazismus in Bewegung. Wiesbaden.
-Staud, Toralf/ Radke, Johannes (2012): Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts. Köln.
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