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In den Farben der Nacht: Sevdaliza mit „Shabrang“ // Review

In den Farben der Nacht: Sevdaliza mit „Shabrang“ // Review

Cover zu "Shabrang" von Sevdaliza
(Twisted Elegance/VÖ: 28.8.2020)

Für die niederländisch-iranische Sängerin und Produzentin Sevdaliza war die Reise Richtung zweites Soloalbum mit vielen psychischen und physischen Schmerzen verbunden. Das soll bereits das Artwork zu „Shabrang“, dem Nachfolgers ihres 2017er-Debüts „ISON“, signalisieren. Dieses ziert eine Porträtaufnahme Sevdalizas, mit einem blauen Auge als schockierendes Detail – eine Visualisierung der (seelischen) Torturen, die im Zentrum von „Shabrang“ stehen. Den Titel entnahm sie der persischen Mythologie: Shabrang Behzād ist das „nachtfarbene“ Pferd des persischen Prinzen Siyawasch. Angesichts der opaken, oft okkult anmutenden, aber stets mystischen Natur ihrer Songs eine gute Wahl.

Im Vergleich zum TripHop-Minimalismus des Debütalbums fällt „Shabrang“ stilistisch vielfältiger aus. Im Personal musste sie dafür keine Wechsel vornehmen. Auch auf diesem Album ist der Rotterdamer Produzent Mucky ihr kongenialer Partner. Trotz Weiterentwicklung hat sie den Bezug zu ihren TripHop-Wurzeln aber nicht verloren. Das wird mit Tracks wie dem Massive-Attack-artigen „Rhode“, dem dramatischen „No Way“ mit Portishead-Reminiszenzen oder der Außenseiter-Hymne „Wallflower“, dessen Komposition auch an Björks „Army of Me“ (1995) erinnert, deutlich.

Doch TripHop ist eben nur ein Teil des Ganzen. Auf „Shabrang“ tummeln sich ebenso Art-Pop-Songs mit ausgeklügelten Streicher-Arrangements, astreine Dancefloor-Kracher mit Gothic-Chic oder hypnotische Alternative-R’n’B-Perlen mit Autotune-Passagen und melismatischem Gesang. Aufregend und voller Spannungselemente sind die Songstrukturen der Nummern auf „Shabrang“. Dafür steht vor allem „Darkest Hour“, ein musikalischer Trip mit Gänsehautfaktor, bei dem aus dem Kokon einer Herzschmerz-Piano-Ballade der Schmetterling einer astreinen Dancefloor-Nummer schlüpft.

Diesen Gänsehautfaktor bietet auch das Herzstück des Albums, das Googoosh-Cover “Gole Bee Goldoon” (1974): Nur von einer Violine und einem Piano begleitet lenkt Sevdaliza hier die ganze Aufmerksamkeit auf ihre beeindruckend wandlungsfähige Stimme. Eine mitreissende Performance, die direkt ins Herz geht und dort bleibt.

Das auf Farsi gesungene, mit Blumenmetaphern geschmückte „Gole Bee Goldoon“ ist neben dem Albumtitel Sevdalizas offensichtlichste Verneigung vor der persischen Kultur. Auf „Shabrang“ nimmt diese eine gewichtige, aber oft verborgene Rolle ein, wie sich auch in den minimalistisch instrumentalisierten Nummern „Joanna“ und „Habibi“ zeigt. Identität ist ein Themenkomplex, dem sich Sevdaliza auf „Shabrang“ oft widmet, was aber ebenso oft erst auf dem zweiten Blick erkennbar ist.

Sevdalizas Songwriting ist schließlich weiterhin von poetischer Qualität, die Texte sind daher weiterhin nicht immer einfach zu entschlüsseln. Das betrifft auch den politischsten Song „Oh My God“, eine avantgardistische Dark-Pop-Nummer. Diese handelt von den politischen Spannungen zwischen den USA und dem Iran, in der teilweise heruntergepitchten Hook heißt es „Every time, you’re another evil/Waiting for an angel that you bring to hell“. Der Track steht exemplarisch für ihre Vorliebe, Lyrics mit religiösen Bildern zu bestücken. Solche kommen auch in „Darkest Hour“, „Habibi“, „Joanna“, „Lamp Lady“ oder „Eden“ vor. Diese vieldeutigen religiösen Verweise sind ein großes Puzzlestück der mystischen Aura, die Sevdaliza auf „Shabrang“ umgibt.

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Fazit: Sevadlizas „Shabrang“ ist ein poetischer Seelenstriptease auf Albumlänge. Musikalisch ist „Shabrang“ ebenso abwechslungsreich und detailverliebt gestaltet wie die Lyrics. Eine Konstante auf dem Album ist der dunkle Grundton, in dem sich der Titel das Werks aber nur widerspiegelt. Wie die Farbe des Pferds des Prinzen Siyawasch klingt ihre Musik. Sevdaliza gelang es, die Qualen der vergangenen Monate in ihr bis dato reifstes musikalisches Werk zu gießen. Ein Werk, das in mehrerer Hinsicht einer Entdeckungsreise gleicht.

4 von 5 Ananas