"The hardest thing to do is something that is close…
Mit einem Meer aus Deutschlandfahnen und Bierduft in der Luft startete die Karriere von Shindy. Das wirkt heute irreal, aber: Es war sein Featurepart auf dem grotesken Kay-One-EM-Song „Finale wir kommen“, mit dem sich der heute 30-jährige Ex-BWL-Student 2012 zum ersten Mal namentlich in den Charts platzieren konnte. Mit vier hingerotzten Zeilen als Das-Bo-Interpolation verschaffte er dem seltsamen Spektakel einen skurrilen Höhepunkt. Außerordentlich mutig, wer damals prognostizierte, dass der lustige Bursche mit der großen Sonnenbrille in den Folgejahren eine steile Karriere hinlegen würde. Aber Ersguterjunge sei Dank ging es ganz schnell ganz nach oben.
Von Release zu Release nahm der Hype um Shindy zu. Musikalisch heute nicht gänzlich nachvollziehbar, sind 2019 große Teile seiner Diskografie schon vergessen. Eingebrannt hat sich hingegen das „Drama“, das jede einzelne Solo-Veröffentlichung begleitete: Beim Debüt „N.W.A.“ (2013) sorgte sein damaliger Chef Bushido mit einem wohlkalkulierten Skandal für großes Medienecho im deutschen Blätterwald, indem er als Featuregast auf der Video-Single „Stress ohne Grund“ diverse Politiker auf äußerst ungustiöse Weise attackierte.
Beim zweiten Album „FVCKB!TCHE$GETMONE¥“ (2014) bestand das „Drama“ in heftigen Biting-Vorwürfen. Anschuldigungen, die Shindy bereits beim Video zur Split-Single „JFK/SAFE“ zu hören bekam. Zugegeben: Wie Shindy hier im Drake-Modus neben seinem Wagen stolziert, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Auch mit viel „Drama“ war das folgende „Dreams“ (2016) gesegnet. Hier sind die ersten Assoziationen gemeinhin nicht irgendwelche Tracks, sondern der labbrige „Made in PRC“-Rucksack, den Shindy zuvor mit ausgesprochen schwärmerischen Worten als besonders teuren Inhalt seiner Deluxebox ankündigte. Der Höhepunkt dieser Deutschrap-Version von Kaffeefahrten, den Shindy für sich verbuchen kann.
„Drama“ gab es schließlich auch um Shindys neues und viertes Album, das passenderweise denselben Titel trägt. Mittlerweile ist Shindy weg von Ersguterjunge. Mit dem Aus bei Bushidos Label endete auch seine Zeit in Berlin. Das Waldorf Astoria ersetzte Shindy mit seinem pittoresken Geburtsort Bietingham-Bissingen. Im Kleinbürgertraum zwischen Stuttgart und Heilbronn entstand „Drama“, Shindys erster Release über das eigene Label Friends with Money.
Trotz der neuen Labelkonstellation: Inhaltlich hat sich bei Shindy wenig verändert. Das zeigten schon die Singleauskoppelungen, in denen Shindy im typischen Valium-Flow über seine präferierten Themen rappt. Ziemlich langweilig. Dennoch blitzt dort sein Talent als fähiger Texter auf, ungeachtet der ganzen Tristesse. Ausgesprochen stumpf, aber ein „Shindy muss sich nicht bei Spotify beweisen/Spotify muss Shindy überweisen“ aus „Nautilus“ sorgt zumindest für einen kurzen Lacher. Der vergeht auf dem Album schnell, da die Schwachpunkte gravierend sind.
Einer davon ist das Soundbild. Das ist schade, da diesmal kein Drake-Album Pate stand, sondern ein ambitionierterer Zugang gewählt wurde. Gemeinsam mit seinen Produzenten Nico Chiara und OZ tauchte Shindy in die HipHop- und R’n’B-Soundwelt Mitte der 90er und frühen 00er-Jahre ab, in die Soundsphären von Timbaland, Scott Storch und vor allem Bad Boy Records. In dieselbe Ära fallen die Vocal-Samples auf „Drama“, die von unter anderem DMX, 50 Cent, Timbaland oder One-Hit-Wonder Khia stammen. Kombiniert wird das mit Referenzen an Torch, Massive Töne, 2Pac oder Cypress Hill (Schlusstrack „Rapsuperstar“) in den Lyrics, die das 90ies-Feeling unterstreichen sollen.
Das Potenzial dieses Zugangs entfaltet sich auf dem Album jedoch nur in Ansätzen. Weil der Mix für laute Seufzer sorgt: Das Album klingt nicht nur anhand der laschen Basslines so, als wäre es im Bietingheim-Bissingener Bürgergarten unter einem Baum abgemischt worden. Verwaschene Sounds, die nicht wirklich dazu einladen, Shindys Ausführungen zuzuhören.
Andererseits will man Shindys Treiben an vielen Stellen gar nicht zuhören. Das trifft in vollem Umfang auf die schlichtweg peinlichen Skits im Hörspiel-Format zu. Die wilde Geschichte einer Polizeikontrolle, die Shindy aka „Papi Pap“ und Nico Chiara in Bietigheim-Bissingen ertragen müssen, hätte man sich getrost sparen können. Gesteigert werden diese Fremdscham-Momente nur von den schmierigen Sex-Songs. Die Nachfolger von „Lieblingslied“ auf „N.W.A.“, „Venedig“ auf „FVCKB!TCHE$GETMONE¥“ und „Hallelujah“ auf „Dreams“ lauten „MMM“ und „Honigtopf“ und sind nicht minder unangenehm.
Zeilen wie „Zimtstern, zartbitter, so wie After Eight/Babygirl, ich mach‘ dein’n Cookie zu ’nem Lava Cake“ aus „Honigtopf“ oder „Immer wenn es regnet, muss ich an dich denken (mmh)/(Mmh) Weil du inn’n und außen tropfst (mmh)/Du kriegst mich nicht mehr aus dem Kopf (mmh-mmh)/Wenn dein Honigtopf tropft“ aus „MMM“ sind schließlich weit unter dem ästhetischen Anspruch, den Shindy für sich reklamiert.
Neben Sex besteht „Drama“ weitgehend aus den erwarteten Highlife-Beschreibungen. Shindy ist eben ein Freund des schönen Lebens, und darüber zu rappen ist mehr als legitim. Essentiell dafür ist eine glaubhafte Attitüde. Hier liegt für viele die Krux. Etwa für einen Fler, der sich in ähnlichen Gefilden bewegen will.
Im Vergleich zur Konkurrenz agiert Shindy zwar mit mehr Raffinesse, sein Horizont geht über Louis Vuitton, Gucci oder Louboutin hinaus. Das ändert nichts daran, dass Shindys Rapstil mit all den schrägen Betonungen wie eine Persiflage wirkt. Eine Persiflage auf sich selbst.
Dieses Problem ist aus den Vorgängeralben bekannt, auf denen schlampige Fehler sein Luxus-Image ankratzen. Etwa, wenn er mit Tramezzini (gibt es an jeder Tankstelle) oder nicht existierenden Fünf-Sterne-Restaurants prahlt. Genau wie einem der Gedanke nicht loslässt, dass Shindy für seinen „Fuckboy“-Gesichtsausdruck im Video zu „Affalterbach“ stundenlang vor dem Spiegel geübt haben muss, wirkt er auch in seinen Songs wie eine bemühte Kopie; wie eine falsche russische Oligarchin, die auf Ibiza ein paar geölte Politiker hinters Licht führen will, dabei aber auf die Pediküre vergisst und fast auffliegt. So verhält es sich auch mit Shindy und seiner wenig überzeugenden Puff-Daddy-Fassade.
Der noch spannendste Aspekt des wenig spannenden Albums ist die Darstellung der neuen alten Heimat. Bietigheim-Bissingen, da fühlt sich Shindy wohl. Das zeigt vor allem der Opener „Bietigheim Sunshine“, in dem die Prominenz des nach Milliarden riechenden Ortes in Rapform verewigt wird. Diese Charakterisierung ist zumindest interessanter als die müden Zeilen, die Shindy auf „Drama“ gegen sein ehemaliges Label und dessen Chef rappt, wie „Interessant, du hast Shindy gemacht/Mashallah, mach nochmal, ah“ auf „Dodi“ oder „An mein altes Label: Danke für die Chance/Die recorden da anscheinend nicht nur Songs“ auf „EFH“. Bemüht, wie Shindy versucht, über den Dingen zu stehen. Das Resultat fällt so mager aus wie das gesamte Album. Ein Album, auf dem sich der Großteil in den Bereichen Fremdscham und Belanglosigkeit abspielt.
Fazit: Die Labelheimat ist neu, Bietigheim-Bissingen wieder die Homebase, sonst hat sich bei Shindy wenig getan. Abseits der peinlichen Skits sind die Sex-Tracks das größte Übel. Beim Rest mangelt es Shindy an Attitüde, um den beschworenen dekadenten Lifestyle wirklich glaubhaft zu transportieren. Das verwaschene Soundbild ist ihm auch keine Hilfe. Ein paar gute Lines bietet „Drama“. Viel länger als die Spieldauer des Shindy-Parts auf „Finale wir kommen“ wird das Album jedoch nicht in Erinnerung bleiben. Das wären immerhin stolze 11 Sekunden. Olé.
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