20 Jahre ist es inzwischen her, dass K.I.Z das erste Mal die Deutschrap-Bühne betreten haben. Seither sind sie ungeschlagener Meister in Sachen Ironie und Sarkasmus. Mit brachialen Beats und derber Lyrik sprengen die drei Rapper Maxim, Nico und Tarek regelmäßig die Grenzen des guten Geschmacks – so sehr, dass man sich manchmal gerne vor ihnen verneigen möchte. Oder wie die Bild-Zeitung es macht, sie als gewalttätige “Hass-Rapper” titulieren. Damit gehören die drei nach wie vor zu den relevantesten Namen der Szene. Deutscher Rap ohne K.I.Z? Quasi unvorstellbar.
Zwischen die derben Zeilen der Crew mischt sich nicht selten harte Gesellschaftskritik: „Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen? Mit dem großen Traum im Park mit Drogen zu dealen?” schallt es uns da beispielsweise von Tarek Ebéné entgegen. Unverblümt, roh, gewaltvoll. Ähnlich verhält es sich mit der vorliegenden Platte von ebendiesem. Mit “Golem” brachte Tarek K.I.Z Ende Jänner das erste Soloalbum der Kreuzberger Gruppe heraus. Von Ironie keine Spur. Hier geht es um das echte, dreckige Leben.
“Ich bin im Nebenzimmer, dreh die Anlage auf // Damit ich nicht hören muss, wie er Mama missbraucht” – Letzte Chance
Golem ist in der jüdischen Mythologie ein aus Staub oder Erde geformtes Wesen. In vielen Erzählungen gerät das Wesen außer Kontrolle und wird zur Gefahr. Im Falle von Tarek K.I.Z eine perfekte Definition. “Golem” ist der Tritt in die Magengrube, den man sich gerne abholt. Die 12 Tracks und 42 Minuten sind Erzählungen aus den Tiefen des Lebens; es geht um Gewalt, Liebe und Schmerz. So erzählt der zweifelsohne herausragende Rapper Geschichten von übermäßigem Drogenkonsum inklusive Kontrollverlust, häuslicher Gewalt gegen die eigene Mutter und vom Verlust des Vaters. Wer sein innerstes Gefühlsleben und die Narben der Vergangenheit in derart kluge Lyrik packt, der verdient nicht nur die bereits erreichte Spitze in den Album-Charts, sondern auch gehörig viel Applaus.
So erzählt Tarek in “Ticket hier raus” über eine abgestumpfte Gesellschaft, die sich freut, später zur Arbeit zu kommen, wenn sich jemand auf das Bahngleis schmeißt, während “Wenn du stirbst” mit voller Wucht in die Gehörgänge knallt und eine Zeit dort hängen bleibt. In “Bang Bang” fallen Schüsse auf den Kanzler: “Der Bulle will, dass ich rechts ranfahr’“ heißt es in der dazugehörigen Hook. Und auf den Wahlplakaten? Da grüßt schon längst der Sensenmann. Damit kreiert Tarek in durchdachten Lines Welten, die stellenweise wie eine düstere Zukunftsvision erscheinen, die gar nicht so weit weg zu liegen scheint. Da bleibt eben nur noch die Frage übrig: “Mädchen, sag’, bist du kaputt wie ich?”
“Augen glasig, wir schweben durch die Straßen // Die Fenster zu meiner Seele sind beschlagen” – Kaputt wie ich
Auch in musikalischer Hinsicht lässt das Album aufhorchen. Produziert wurde mit vielen Künstlern, darunter unter anderem Bazzazian, Drunken Masters oder auch Nico K.I.Z Auf “Golem” erscheint der Sound deutlich poppiger, oft gibt es Funk-Beats, untermalt von Gitarrenriffs. Das lässt den ein oder anderen Fan vielleicht den typisch derben K.I.Z-Vibe vermissen. Die mindestens genauso gerne bemängelte Verwendung von Autotune legt sich angenehm auf Tareks Stimme. Wie bereits bei K.I.Z schon das ein oder andere Mal gehört, singt Tarek auf “Golem” nämlich auch. Und das mindestens genauso gut wie er rappt.
In Sachen Features holt sich der Berliner Rapper nicht nur Miss Platnum auf die Platte, sondern rappt in “K.I.Z für immer” zusammen mit Maxim und Nico einen Liebesbeweis à la K.I.Z: “Und sollte Maxim sitzen wegen Totschlag, werf ich ihm ne Knarre rüber während dem Hofgang”. Und wie es bei K.I.Z zur Tradition gehört, wird gehörig polarisiert: In seinem Video zu “Nach wie vor” wird der Rapper von Rechtsextremen entführt. Am Ende tötet Tarek in einer Tarantino-Szenerie Personen, die so manchen AfD-Politikern ähnlich sehen. Unmittelbar kam die Frage auf, wie weit Kunst gehen darf. Und die AfD? Die brachte im Brandenburger Landtag einen Antrag auf Anregung zur Indizierung des Musikvideos ein.
Fazit: “Golem” ist vermutlich schon jetzt eines der Deutschrap-Alben des Jahres. Auch (fast) ohne seine K.I.Z-Familie überzeugt der Rapper mit schweren und mutigen Geschichten, die er dank schlauer Lyrics in ausgeklügelter Weise zu erzählen weiß. Untermalt wird das Ganze durch eingängige und abwechslungsreiche Melodien. “Ich bin in schlechter Gesellschaft, wenn ich alleine bin”, rappt Tarek, als er uns dabei zuhören lässt, wie er mit seinem Golem zu kämpfen hat. Ob mit oder ohne Mystik-Wesen: Wir hoffen, dass das nicht die letzte Wortmeldung war.
Am 15. Februar ist Tarek K.I.Z im Wiener “Flex” zu sehen. Tickets gibt es an der Abendkasse oder auf krasserstoff.com.
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