Durch die Backsteinschluchten des „Werkstätten- und Kulturhauses“, kurz „WUK“, zieht sich eine lange Schlange aus Menschen. Das Konzert der TripHop-Legende Tricky ist restlos ausverkauft. Mit bürgerlichem Namen heißt Tricky Adrian Thaws, er wird nächste Woche 50 Jahre alt und veröffentlicht seit Mitte der 90er-Jahre unermüdlich Musik. Stolze 13 Studioalben und unzählige Tourneen stehen mittlerweile im Lebenslauf des Wahlberliners aus Bristol.
Leider sorgt der große Andrang auf die Garderobe dafür, dass ich erst zum dritten Song in der Halle ankomme. Sofort fällt aber das angenehme Licht der Bühne auf. Keine grellen, blinkenden Laser, dafür Nebel und unbewegte Spots in gedämpften Farben, die von den Künstlern nur Silhouetten übrig lassen. Der Schatten einer Frau nimmt den Platz in der Mitte der Bühne ein. Mit zarter Stimme übernimmt sie die Melodie. Tricky versteckt sich hinter ihr und wiederholt nur flüsternd die Verse. Kurze Zeit später tritt sie zurück und überlässt dem Frontman das Cockpit. Zwei Mikrofone werden zu Schaltern und Hebeln, mit denen Tricky seine Stimme steuert. Er wedelt mit beiden Mikros ständig wild umher und erzeugt so analoge Effekte. Sein mantraartiges Gebrüll verändert sich dadurch stetig, klingt mal ferner, mal näher. Wie ein wildgewordener Kranfahrer reißt er an den Mikrofonen. Seine Stimme umkreist und streift das Publikum, erzeugt eine unpackbare Spannung, bis der Gitarrist auf einem Abrissbirnenriff in die Menge rast und alle erlöst. Die dreiköpfige Liveband bringt ein weites dynamisches Spektrum. Der grandiose Song „My Palestine Girl“, auf dem Album dreieinhalb Minuten lang, wird auf der Bühne zu einer viertelstündigen Reise, die von den zartesten Klangflächen bis zur verzerrten Wand aus Krach führt. Zusammengehalten wird alles von den quälend langsamen Beats des Schlagzeugers.
Der typische Bristol-TripHop-Sound, den Tricky maßgeblich mitgeschneidert hat, brachte in den 90er-Jahren viele tolle Errungenschaften hervor. Streicherarrangements waren auf einmal nicht mehr kitschig, tonnenschwere Basslines durften einen ganzen Song auf demselben Ton bleiben, was für Gesangsmelodien die Freiheit bietet, keiner Kadenz oder Tonleiter mehr folgen zu müssen. Das Großartigste an diesem Genre sind allerdings die schleppenden Schlagzeugrhythmen mit Snaredrum-Sounds, die durch Mark und Bein gehen. Alle vier Schläge kommt ein metallischer Peitschenhieb, dessen Nachhall für eine Ewigkeit im Raum steht. Diese behäbige und stetige Schwere des TripHop-Sounds schafft eine brutale Stimmung, die völlig ohne Hektik und Explosion auskommt. Trickys Lieder bewohnt eine wahnsinnige Kraft, die stetig unterdrückt und zurückgedrängt wird, die wächst und wächst und nur in ausgewählten Momenten umso stärker aus ihm herausschießt. Bei der letzten Zugabe „Vent“ wird Tricky zur ungebremsten Waffe. Er zerpflückt das Schlagzeug, stolpert zuckend über die Bühne und verlässt die Menge am absoluten Höhepunkt.
Scheinbar gefiel das Konzert auch dem Künstler sehr gut. In einer kleinen Nachricht bedankt sich Tricky beim Wiener Publikum:
Fazit: Ein durch und durch gelungenes Konzert. Tricky versinkt zur Gänze in seiner Musik und bietet eine energiegeladene, authentische Performance. Hätte er Haare auf dem Kopf – er würde sie sich beim Konzert ausreißen. Viele Songs funktionieren live sogar wesentlich besser als auf Platte. Stimmungsvolles Licht und eine feinfühlige, dynamische Band vervollständigen das Spektakel. Tricky legt die Latte für Liveshows 2018 sehr, sehr hoch.
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