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Vibe über Perfektion // Sharktank Interview

Vibe über Perfektion // Sharktank Interview

Vor rund einem Jahr erstmals mit der „Dirty Leaks“-EP in Erscheinung getreten, entwickelte sich Sharktank ausgehend von spontanen Sessions und einer „Schau ma mal“-Einstellung zu einer der spannendsten aktuellen Bands aus Österreich – angesiedelt zwischen Rap, Pop und Indie. Seit der „Washed Up“-EP im Herbst 2020 ist neben dem Produzenten/Schlagzeuger Marco Kleebauer und dem Rapper Mile auch die Sängerin/Gitarristin Katrin Paucz an Bord. Am Freitag veröffentlicht das Trio mit „Get It Done“ das erste gemeinsame Album. Auch diesmal bildeten regelmäßige Studiosessions, viel Spontanität und ein lockerer Zugang ans eigene Schaffen das Fundament. Im Interview sprechen wir mit Sharktank über die Vor und Nachteile dieser Arbeitsweise, ihre Wege, keinen zu großen Perfektionismus entstehen zu lassen, warum Marco trotzdem erstmals stolz auf seine Produktion und sein Mixing ist und ob die HipHop-Sparte gerade langweilig wie nie ist.

Mitarbeit: Francesca Herr
Fotos: Daniel Shaked

Marco Kleebauer mag das Nicht-Perfekte und den Vibe an Sharktank.

Marco, du hast die vergangenen beiden Bilderbuch-Alben produziert, wo der Zugang perfektionistischer erscheint als bei Sharktank. Fühlen sich die je in einer Session entstandenen Tracks des Albums manchmal „unfertig“ an?
Marco: Nur weil ein Prozess nicht abgeschlossen ist, bedeutet es nicht, dass etwas nicht fertig ist. So ist es auch in der Musik, wenn ich nicht hunderttausend Stunden dran mische. Bei Bilderbuch muss man all the way gehen und nimmt hunderte Vocal-Takes auf, damit es am Ende so gut wie möglich wird. Da geht es nicht darum, dass alles perfekt in einem Raster ist. Es ist der nächste Schritt, das richtige Nicht-perfekte zu finden. Dann liegt Maurice in der Vocal Booth am Boden und singt irgendwas. Wir haben Stunden in solchen „Nonsense“ reingesteckt. Er probiert crazy Sachen aus, am Ende geht es um die perfekte Version davon. Beim Loop falsch cutten, das richtige Knacksen an einer Stelle – wo hörst du auf, ist die Frage. Bei Sharktank nehmen wir meistens den ersten Take und das hört man. Es hat einen anderen Reiz.

Ist das der HipHop-Zugang? In die Booth, aufnehmen, je roher und dreckiger desto besser.
Mile: Irgendwie schon. Es hat zufälligerweise den HipHop-Zugang. Wenn du im Studio sitzt, einen Track schreibst und eine Emotion hast, die du direkt aufnimmst, transportierst du es anders als wenn du einen Tag oder eine Woche wartest und überlegen musst, wie das jetzt war. So hat es was ganz Ehrliches, weil du es nicht spielst, sondern empfindest. Wir treffen uns um 16 Uhr – um 19 Uhr gehen wir heim und sind so gut wie immer fertig. Dadurch kommt dieser Perfektionismus nicht zum Tragen.

Die Songs wirken sehr catchy. Ergibt sich das leichter, wenn man nicht ewig daran herumarbeitet?
Marco:
Ich habe damit bessere Erfahrungen gemacht. Bei meiner eigenen Musik war es immer so, dass ich wenn ich etwas intuitiv und schnell gemacht habe und mein Hirn nicht die Zeit hatte, darüber reflektieren zu können, die besten Entscheidungen getroffen habe. Je länger ich an etwas gearbeitet habe, desto mehr hat es das Spezielle verloren und war nur noch ein Konstrukt von mir. Eine andere Person, die Musik hört, hat nicht mehr das gehört, was ich gehört habe. Wenn wir einen Song an einem Tag machen, translated er leichter. Diese halbwegs objektive Sicht verliert man, wenn man dem Perfektionismus verfällt und nicht mehr das große Ganze sieht.

Sind im Umkehrschluss die Bilderbuch-Produktionen für dich nichts Besonderes?
Marco:
Es ist was anderes. Ich schreibe Songs mit Sharktank, aber nicht bei Bilderbuch. Da übernehme ich eine Funktion. Ich weiß nicht, ob ich mit ihnen so schreiben könnte.
Mile: Ich kann nur sagen, wie es mit anderen Producern ist. Wenn du eine Band hast, erschaffst du gemeinsam was und alle stehen dafür. Wenn du zu Producern gehst, die später nicht für das Produkt stehen und es auf der Bühne representen, bist du vielleicht nicht so offen für andere Ideen.
Marco: Es hängt stark von der Konstellation ab. Bei uns dreien macht es so Sinn, aber ich würde es nicht verallgemeinern. Bei Bilderbuch hat diese Detailverliebtheit im Projekt Platz. Da war ein Song fertig, man hätte ihn so veröffentlichen können und es wäre cool gewesen. Sie wollten aber diese Extrameter gehen, alles so gut und detailliert wie möglich ausformulieren. Bei uns würde es vielleicht auch gehen, aber es ist bisschen eine Charaktersache, dass wir nicht das Bedürfnis haben, ewig herumzudoktern.

„Im Endeffekt ist es scheißegal, wie es klingt“

Seht ihr auch Nachteile in der Herangehensweise, zum Beispiel wenn ihr die Tracks dann anhört?
Mile: Muss dir wurscht sein, ganz ehrlich. Du machst es ja, der Track funktioniert und du sagst genau das, was du sagen willst. Das übermittelt das, was es übermitteln soll. Du hörst es dir selber an und es waren teilweise Raps dabei, wo ich gedacht habe: ‚Das hätte ich vielleicht cooler aussprechen können‘. Aber wenn ich es nochmal aufgenommen hätte, hätte es nicht diesen Vibe gehabt. Deshalb lebe ich gerne damit, dass hin und wieder ein „r“ zu hart ist oder so.
Katrin: Es ist einfach. Und es ist gut wie es ist, weil es den Moment einfängt.
Marco: Wie ein Foto. Das sage ich oft, aber es ist ein guter Vergleich. Da ist es logisch, wenn ich ein Foto von einem Motiv mache, es am nächsten Tag anschaue und mir denke: ‚Das hätte bissl weiter Links sein sollen‘. Ich würde niemals hingehen und dasselbe nochmal fotografieren. Du kannst alles wieder so hinstellen, aber es hat nicht denselben Vibe, es fehlt die Magic. Es ist eine Momentaufnahme, die kann nie perfekt sein. Obwohl es dieselbe Situation ist, ist man in der Musik oft tempted, dass man probiert, es nochmal neu zu machen. Im Endeffekt ist es scheißegal, wie es klingt.

Inwieweit hat sich Sharktank für dich zu einem Hauptprojekt entwickelt?
Marco:
Schon, auch wenn es nicht geplant war. Nach „Dirty Leaks“ haben wir weitere Tracks gemacht, Katrin ist über die Band Oehl dazu gestoßen, eines hat zum anderen geführt. Es war nie als kreativer Fokus geplant. Wenn mich das wer vor einem halben Jahr gefragt hätte, hätte es – da wo wir waren – keinen Sinn gemacht. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo es Sinn macht.

Katrin stieß über die Band Oehl zu Mile und Marco.

Wieso hat es keinen Sinn gemacht?
Marco:
Wir haben immer geschaut was passiert und keine Erwartungshaltung gehabt. Dann wären wir eh sicher enttäuscht gewesen – ist immer so.
Mile: Das war vielleicht der beste Zugang. Auch dass wir gesagt haben, wir sind nicht sichtbar. Marco hat in Österreich einen Namen. Es wäre ein Experiment, zu sagen: Da ist die Musik, hört sie euch an. Keine Ablenkung, kein Stargetue, keine Fotos, keine Marketingstrategie. Es war am Anfang die ehrlichste Art, es so hinzulegen. Du kriegst das ehrlichste Feedback zurück. Es war ein Aha-Moment für viele, die gemerkt haben, dass es cool ist und die erst später gecheckt haben, wer es produziert hat – dann hat es eh keinen mehr gewundert.

Marco, bei einem Q&A auf Instagram hast du gemeint, dass du bei der Single „For Myself“ erstmals auf deine Produktion und dein Mixing stolz bist. Warum genau da?
Marco
: Da ist es darum gegangen, dass ich bis zu dem Punkt immer eher den Fokus auf Mixing oder die Produktion gehabt habe. Aber nie beides gleichzeitig. Bei Leyya finde ich zum Beispiel die Musik gut, aber vom Produktions-Standpunkt geht’s so.

„Beim ersten Leyya-Album habe ich de facto keine Ahnung gehabt, was ich tue“

Aber das ist dein erfolgreichstes Projekt.
Marco:
Das ist nicht unbedingt negativ gemeint. Ich finde nicht, dass was gut produziert sein muss, damit es gut ist. Wenn ich MF Doom höre, kann ich es aus einer tontechnischen Perspektive kritisieren, aber es ist auf seine Art und Weise perfekt. Es ist ein Teil des Soundbilds. Wahrscheinlich ist es auch Teil des Leyya-Soundbilds, dass es klingt wie es klingt. Aber als Person, die es produziert und gemixt hat, denke ich, dass ich in einem Prozess war, wo ich noch viel gelernt habe. Beim ersten Leyya-Album habe ich de facto keine Ahnung gehabt, was ich tue. Beim zweiten habe ich geglaubt, dass ich weiß was ich tue (lacht). Aber es war cool für das, was es ist. Das habe ich vorher mit dem Foto gemeint. Ich werde es nicht ändern, aber ich denke nicht, dass ich Stolz aufs Mixing bin. Ich bin stolz auf die Songs. Beim Sharktank-Album habe ich das erste Mal das Gefühl, dass sie Songs und die Produktion gut sind und sogar das Mixing so ist, dass mir nichts abgeht.

Hilft euch das hohe Tempo dabei, keine zu große emotionale Bindung zu den einzelnen Songs/Releases aufzubauen, wenn es immer so schnell weitergeht?
Marco:
Zum Album habe ich voll die emotionale Bindung. Nur weil wir es schnell gemacht haben, heißt es nicht, dass es uns wuascht ist. Ich habe es mir oft angehört und gefunden, dass es cool ist.
Katrin: Ich habe auch sehr positive Emotionen zum Album. Eine schöne Zeit, schöne Sessions, coole Menschen. Es ist schwer, keine Bindung aufzubauen zu etwas, das man kreiert hat.
Marco: Vor allem weil es in einer Zeit entstanden ist, in der nichts war – da ist es eine besonders positive Erinnerung ans letzte Jahr.

Von der ersten Session bis heute: Wie hat sich euer textliches Zusammenspiel entwickelt?
Katrin:
Eigentlich kaum. Wir arbeiten immer noch mit diesem Ping-Pong-Prinzip – ich glaube wir sollten diesen Term coinen (lacht) –, dass wir uns beide mit dem Handy hinsetzen. Mile schreibt einen Absatz, zeigt ihn mir, ich schreibe meinen Part und es geht hin und her.
Marco: Ich glaube ihr seid schneller geworden.
Mile: Wie eine echte Rap-Crew eigentlich.

Mile verliert sich nicht im Schielen auf Trends oder andere Bands.

Ich habe das Album zwei Mal gehört – einmal konzentrierter, einmal neben dem Kochen. Ich finde, dass es in beiden Settings ähnlich gut funktioniert. Ist euch das ein Anliegen?
Marco:
Das will ich erreichen. Ich weiß nicht, ob ich so eine Musik machen möchte, die man nur aktiv hören kann oder die rein darauf ausgelegt ist.

Weil es dann zu sehr ins Komplexe und Technische geht?
Marco:
Ich weiß nicht. Es gibt auch komplexe Musik, die man nebenbei hören kann. Wenn ich mir zum Beispiel Steve Reich anhöre – das ist klassische komplexe Musik, die aber voll easy klingt und dahinplätschert. Ich glaube, dass sich das nicht ausschließt. Bachs Musik ist auch sehr komplex, aber du kannst sie beim Trampolin hüpfen hören. „Strawberry Fields“ von The Beatles ist auch so ein Beispiel. Es hat mehrere Tonarten, was für einen Popsong eigentlich schon ein No-Go ist. Aber die Melodie ist so logisch, dass es gar nicht so auffällt.

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Sachen, die nicht komplett rund sind oder der Logik folgen haben ja oft ihren eigenen Reiz.
Marco:
Madlib ist eh das beste Beispiel. Der cuttet nicht, wenn man cutten soll, sondern bisschen zu früh. Aber genau das ist geil.

„Ich glaube, dass wir nicht so eine Antihaltung etwas gegenüber haben“

Auf einer allgemeineren Ebene: Ist die HipHop-Sparte gerade so langweilig wie nie?
Marco:
Es gibt mehr Musik, die in der Nische rauskommt. Darum wirkt es vielleicht so. Ich klinge wie ein pessimistischer Pensionist, wenn ich sage, dass alles irgendwie gerade gleich klingt.
Katrin: Das ist nur, weil HipHop gerade das predominant Genre ist.
Marco: Eh, aber du kannst es schon so runterbrechen, dass immer dieselben fünf Drumsounds in den Top-100-Billboard-Charts sind.
Mile: Wenn du nur von den Charts ausgehst schon.

Kommerziell ist es extrem erfolgreich. Aber kann man wieder mal überspitzt die These „HipHop is dead“ aufstellen, weil der Vibe verlorengegangen ist?
Marco:
Stimmt – es ist ja immer ein Unterschied, was relevant ist und was funktioniert. So wie Rock’n‘Roll irgendwann tot war, aber noch in den Charts war.
Mile:
Es hat sich verändert und es ist viel leichter, Musik zu produzieren. Es kommt ganz viel Ähnliches raus, weil viele Leute mit geringen Mitteln und geringem Knowledge Musik machen können. Aber es gibt trotzdem Artists, die das nicht machen – wenn ich jetzt an einen Earl Sweatshirt oder Cordae denke.

Es gibt natürlich immer Leute, die aus dem ausbrechen.
Mile:
Aber schon immer noch viele. Wer hat den Grammy gewonnen? Nas. Da kann ich sagen: Es ist langweilig, weil er schon seit 30 Jahren dabei ist – soll mal wer Neues gewinnen. Aber es ist eine geile Musik und hat sich trotzdem durchgesetzt. Also ich würde nicht unterschreiben, dass es langweiliger geworden ist. Vielleicht wird nur langweiliger darüber berichtet – not hatin‘ on you, aber…
Marco: Es ist das Absurde. Es wird schon immer über die faden Sachen geschrieben. Es ist ein Teufelskreis. Nimm Cloudrap her. Das war am Anfang funny, aber – jetzt klinge ich wieder wie ein Pensionist – ich bin schnell gelangweilt und kann mich für etwas nicht mehr begeistern. Trotzdem gehe ich auf Magazine oder Instagram-Channels, wo diese Sachen gefeaturt werden. Die wirklich interessanten Sachen werden nicht gefeaturt, weil sie wissen, dass es die Leute nicht so interessiert. Dann kommen junge Leute und wollen das machen, was sie vor die Nase gehalten kriegen.

Irgendwann einmal, bei MTV, da war alles besser (lacht). Da hat’s noch die Schlimmen geben. Da ist das edgy-mäßigere cool gewesen. Jetzt ist es so, je mehr du in das Ding reinpasst, desto besser. Aber ich will nicht so pessimistisch klingen. Wenn ich einen Travis Scott nehme: Der erfüllt alle Parameter, dass es Bullshit ist, aber es ist trotzdem geil, weil was Kreatives und die Vision eines Künstlers drin ist. Da fängt es an: Viele wollen gar nicht anders Musik machen. Ich habe in genug Kontexten Musik gemacht, wo der Anspruch nicht war, was Neues zu machen, sondern etwas, das funktioniert. Es ist die Realität.

Inwieweit ist eine gewisse Antihaltung dazu für euch ein Thema?
Marco: Es gibt Künstler, die gerne eine Antihaltung einnehmen, dagegen gehen – das ist cool und wichtig, aber bei uns ist es jetzt nicht so, dass wir sagen: HipHop ist gerade cool, darum machen wir das Gegenteil. Wir wissen, was wir cool an HipHop finden und was nicht. Punk ist aus dem Gedanken, dieser Antihaltung heraus entstanden. Ich glaube, dass wir nicht so eine Antihaltung etwas gegenüber haben, sondern eher das hervorheben, was wir an der Musik cool finden und das reinnehmen. Aber nicht, um das Gegenteil vom Mainstream zu machen.
Mile: Ich denke relativ wenig drüber nach, was andere machen oder was gerade erfolgreich ist. Das ist überhaupt nicht unser Zugang.