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Almen aus Plastik // Von Seiten der Gemeinde Interview

Almen aus Plastik // Von Seiten der Gemeinde Interview

An Absurditäten mangelt es in dieser Zeit nicht. Ein gefundenes Fressen fürs Mundartrap-Trio Von Seiten der Gemeinde, das auf Basis von Sprachsamples Tracks baut, die sich um regionale Geschehnisse und Debatten drehen. Mit ihrem am 7. Jänner via Duzz Down San erschienenen dritten Album „Almen aus Plastik“ haben Yo!Zepp, Chrisfader & Testa das Grundkonzept in Nuancen angepasst. Der Sound bleibt gewohnt druckvoll, während die Sampleauswahl über die regionalsten Fernsehsender aus Imst und Landeck hinausgeht und die berappten Themen ernster sind.

Rap-Kollege Wisdom (Worst Messiah) ist nicht nur als Tommi Bettelwurf im Dialekt rappend auf „Toad“ vertreten. Er hat auch den Albumtitel beigesteuert. Dieser spielt auf die Alben von Bonez & RAF Camora an – eine personelle Verbindung in diese Welt gibt es mit Muh, der aus dem direkten Umfeld des Trios kommt und als Tontechniker die „Palmen aus Plastik“-Liveshows begleitet hat. Inhaltlich finden sich auf „Almen aus Plastik“ eher Parallelen zum vierten Teil des Satirefilms „Die Piefke-Saga“. Dort stellt sich heraus, dass das für den Tourismus auf „Heile Welt“ rausgeputzte Tirol auf Müll gebaut ist, die Bäume und Tiere aus Plastik sind.

Unterhaltsam, überspitzt und mit viel Augenzwinkern greift Rapper Yo!Zepp diverse Themen mit Tirol-Bezug auf. Sei es der der omnipräsente Massentourismus, der Umgang mit der Pandemie in Ischgl, die Wolfsdebatte, oder Allgemeineres wie Selbstverherrlichung, Zuwanderung und Vergänglichkeit. Auch im Interview unterhalten wir uns primär über Tirol und seine Besonderheiten – über den musikalischen Zugang der drei haben wir ohnehin schon mehrmals ausführlich gesprochen.

Fotos: Alexia Fin
Testa, Yo!Zepp & Chrisfader (v.l.n.r.) posieren vorm (P)almenhaus. | Fotos: Alexia Fin

The Message: Gibt es so etwas wie eine Tiroler Mentalität?
Yo!Zepp:
Allgemein gehalten ist das schwer zu sagen. Regional gibt es viele Unterschiede zwischen dem Oberland, wo wir herkommen, und dem Unterland. Ich kann eigentlich nur fürs Oberland sprechen. Die Leute gelten als verschlossener und ruhiger, das stimmt zu einem gewissen Grad.

Testa: Es ist natürlich schwer, ein ganzes Bundesland zu charakterisieren. Man sagt – und das entspricht gefühlt der Realität –, dass der Tiroler bisschen ein Sturkopf ist. Aber das kann man über Wiener genauso sagen.

Ist der Lokalpatriotismus besonders stark ausgeprägt?
Chrisfader:
Der spielt auf jeden Fall eine große Rolle. Aber ich glaube das ist in anderen Bundesländern ähnlich. Ich habe jedes Bundesland mehrmals bereist, war am Land und habe viele Parallelen festgestellt. Eine gewisse Neigung dazu, skeptisch gegenüber Neuem und Unbekanntem zu sein, dem eher ängstlich zu begegnen. Das nehme ich generell in Österreich wahr, in Tirol natürlich auch. Deswegen findet das auch bisschen in unserer Musik statt. Es ist eher ein Mindstate, ein menschlicher Zug, der überall vorkommen kann.

Yo!Zepp: Ich glaube, dass generell die typischen Charakteristika, die ein Tiroler, Kärntner oder Wiener hat, überholt sind. Man hat das vor 50 Jahren noch sagen können, wo alles sehr eingeschlossen war. Heute ist alles viel vernetzter, jeder kann überall präsent sein und alles auf der Welt mitkriegen. Dass die Leute viel herumziehen, mal da und mal dort wohnen, hat es damals auch nicht so stark gegeben. Ich glaube, dass sich das mit den speziellen Charakteristika langsam legt.

Es gibt auffällig viele lebhafte bis skurril anmutende Debatten aus Tirol, die eine breitere österreichische – und teils internationale – Aufmerksamkeit bekommen. Sei es zum Umgang mit COVID in Ischgl, das Wolfsthema, über Gipfelsprengungen für Skigebiete oder kürzlich der Umstand, dass eine serbische Familie kein Haus kaufen durfte. Worauf führt ihr das zurück?
Yo!Zepp:
Schwer zu sagen. Die Konsenskultur ist sicher nicht in Tirol erfunden worden. Es gibt starke Meinungen. Wie überall ist vielen alles wurscht, aber wenn man eine Meinung hat und sich engagiert, beharrt man eher auf seinem Standpunkt. In Tirol wird gerne gestritten, auch öffentlich.

Ihr greift solche Themen auf Basis von Sprachsamples gerne auf und baut Tracks herum. Inwieweit seht ihr euch in einer Sprachrohrfunktion?
Yo!Zepp:
Wir spielen durchaus eine Rolle in dem Kreis, aber es ist nicht unsere Intention, ein Sprachrohr zu sein. Wir nehmen solche Diskussionen natürlich dankend auf. Für uns ist es ein gefundenes Fressen, wie zum Beispiel bei der Wolfdebatte. Da war logisch, dass wir was dazu machen, weil das so präsent und teilweise so absurd ist. Wir sind eher in einer privilegierten Rolle. Beim Thema Wolf sind wir zum Beispiel wieder pro noch contra eingestellt. Wir sehen uns eher als satirische Berichterstatter, die ein künstlerisches Statement dazu abgegeben.

Chrisfader: Wir reden da ja auch von etwas, von dem wir keinen Plan haben. Es ist gar nicht unsere Aufgabe. Wir halten aus unseren Augen das Spotlight auf ein gewisses Thema und überziehen es. Mehr ist es nicht. Wir diskutieren ja nicht sachlich mit oder stellen uns auf eine Seite. Wir überlegen uns nicht, wie wir was kommunizieren wollen, so deep ist es nicht. Es ist ein Thema, das man beobachtet, das einen selber vielleicht bisschen zum Schmunzeln bringt – und da ist man ja nicht alleine. Wir geben mit einem zwinkernden Smiley unseren Senf dazu.

Mehr satirische Berichterstatter als politisches Sprachrohr: Von Seiten der Gemeinde.

Tirol ist das Bundesland, das am meisten vom Tourismus abhängig ist. Seit Beginn der Pandemie häufen sich negative Schlagzeilen, Stichwort Ischgl. Wie nachhaltig glaubt ihr ist diese Imageschädigung?
Yo!Zepp:
Ich glaube nicht wirklich. Vielleicht in Österreich mehr als außerhalb. Aber die Art von Touristen, die nach Tirol kommt, kommt weiterhin. Man sieht es ja an den Buchungen.

Chrisfader: Ich glaub auch, dass es nicht so einen großen Schaden hinterlassen wird. Am Anfang war der Tiroler eher beleidigt, weil über ihn im Ausland schlecht berichtet worden ist – das packt er anscheinend gar nicht (lacht). Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wirtschaft deshalb auf Dauer geschädigt ist.

Yo!Zepp: Ich glaube es auch nicht, aber vielleicht wirkt es sich auf die Art, wie man Tourismus macht, aus. Dass dieser Hau-drauf-Ballermann-Après-Ski-Tourismus einen kleinen Imageschaden erlitten hat und bisschen umgestellt wird. Aber generell läuft der Tourismus, solange der Schnee irgendwie vom Himmel runterkommt. 

Testa: Das glaube ich auch. Beim Kitzloch, das dauernd in den Medien ist, ist für den Chef vielleicht sogar das Gegenteil der Fall. Das Kitzloch ist die Location in Ischgl und jeder der dort ist, wird mal reingehen und etwas trinken oder ein Foto machen.

Stichwort Klimawandel: Muss sich Tirol eurer Einschätzung nach eine Alternative zum Tourismus suchen?
Yo!Zepp:
Klar, natürlich ist das Thema. Aber das ist alles noch weit weg. Man diskutiert es an, aber noch nicht so ernsthaft. Wenn man weiß, dass in der Region, wo wir herkommen – nicht direkt die Orte, aber fast alles im Umkreis von 50 Kilometern –, nur vom Tourismus im Winter lebt. Wenn man mitkriegt, um wie viel Geld es da geht, wundert man sich nicht, dass nie auf was anderes gesetzt worden ist. Es gibt hier nichts Lukrativeres. Jeder, der in solchen Dörfern lebt, verdient mit. Solange das nicht anfängt zu bröckeln, überlegt man sich nichts anderes. Ich glaube, der Karren muss zuerst an die Wand fahren.

Zur Tiroler Politik: Es gibt ja diese ominöse Adlerrunde aus Unternehmern und Lobbyisten. Ist die so groß und einflussreich, wie sie nach außen wirkt?
Yo!Zepp:
Ich kann da nicht so viel dazu sagen. Ich weiß, dass es sie gibt, aber nicht, wer aller dabei ist. Es ist ein ÖVP-Kreis. Generell ist die ÖVP seit Jahrzehnten so tief in Wirtschaft, Tourismus und allen Lebensbereichen drinnen – wie es in Wien die SPÖ ist. Es ist eine Machtkonzentration, die seit dem zweiten Weltkrieg nie aufgebrochen worden ist. Natürlich ist es eine Verhaberung von Wirtschaft und Politik. Aber das ist kein Tirol-Spezifikum – man hat ja mitbekommen, wie es in Österreich abläuft. Mittlerweile hat die ÖVP nicht mehr die absolute Mehrheit. Eine Besonderheit in Tirol ist die Seilbahnlobby, die einen großen Einfluss hat und Teil der ÖVP ist. Franz Hörl ist einer der größten Unsympathler, die rumlaufen.

Chrisfader und Testa, ihr seid vor kurzem zurückgezogen. Habt ihr in Wien mehr Heimweh gehabt oder in Tirol mehr Fernweh?
Chrisfader:
Schwer zu sagen. Daweil geht mir noch nichts ab. Ich bin glaube ich ein Typ, der sich schnell mit einer Situation abfindet und sich anpassen kann. In Wien hab ich mich immer sehr wohlgefühlt und mir nie vorstellen können, dass ich zurückgehe. Jetzt ist es doch so gekommen und alles ist in Ordnung.

Testa: Bei mir ist es ähnlich. Es kommt dazu, dass es keine fixe Entscheidung für die Zukunft ist. Ich weiß nicht, wie es in einem Jahr ist, aber im Moment geht mir Wien nicht wirklich ab. Es hängt wahrscheinlich auch mit Corona und den Lockdowns zusammen.

Chrisfader: Der größte Vorteil, den ich jetzt spüre, ist der Sonnenschein im November und Dezember. Das habe ich 15 Jahre lang nicht so intensiv erlebt. Wenn jetzt Sommer wär, würde ich Wien mehr vermissen.

Was geht euch generell am meisten am Oasch in Tirol?
Testa:
Es gibt viele reiche Familien, Reichtum und Wohlstand sind sehr verbreitet in Tirol. Ich habe das Gefühl, dass der Durchschnittstiroler diesen Mindstate hat, dass das die normale Welt ist. Vielen ist nicht bewusst, dass sie in einer sehr privilegierten Lage sind.

Yo!Zepp: Das stimmt schon. Wobei man dazu sagen muss, dass durch den Lebensstandard auch die Wohnungs- und Mietpreise, die Preise in Gasthäusern und generell die Lebenserhaltungskosten irre sind. Das geht mir richtig am Sack. Als Normalverdiener hat man keine Chance, sich eine Wohnung zu kaufen. Das muss gar nicht Innsbruck sein, es ist auch am Land so. Das kriegt man seit Ewigkeiten nicht in den Griff, obwohl es viel diskutiert wird und ein riesen Thema ist. Ein fast unlösbares Problem.

Kommen wir zu „Almen aus Plastik“. Der Titel ist auch eine Anspielung auf den vierten Teil des Films „Die Piefke-Saga“. Ich habe gelesen, dass Felix Mitterer einen fünften Teil plant. Seid ihr in Kontakt?
Yo!Zepp:
Es ist ja eigentlich schon seit Jahren geplant. Es hat sich immer wieder verschoben – auch wegen Corona. Ich glaube, es ist vorerst auf Eis gelegt. Aber wer weiß, vielleicht drehen sie schon und wir kriegen nichts mit (lacht). Na, wir haben den Kontakt und vielleicht ergibt sich was, vielleicht nicht. Es wäre uns natürlich eine riesen Ehre.

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(c) Philip Pesic

Ihr habt kürzlich Musik für die Komödie „Die Lederhosenaffäre“ beigesteuert. Wie häufig bekommt ihr generell Anfragen aus Film und Fernsehen?
Testa:
Bei der Lederhosenaffäre war es ein Spezialfall. Da hat sich der Regisseur bei uns gemeldet, weil es die erste Stadtkomödie aus Tirol war. Wenn man sich mit der Tiroler Musikszene auseinandersetzt und lokale Musik haben will, fällt auch unser Name und man kommt ins Gespräch. Es hat uns natürlich sehr gefreut. Es ist schon länger her, dass es gedreht worden ist, aber es hat sich so ergeben, dass es jetzt rausgekommen ist.

Habt ihr was Exklusives dafür gemacht?
Testa:
Sie haben schon im Schnitt die Intros unserer letzten beiden Alben und uns dann gefragt, ob es passt. Wir haben aus rechtlichen Gründen die Tracks komplett nachproduziert, u msie für den Film lizensieren zu können.

Yo!Zepp: Textlich habe ich noch zum Film passend was dazugeschrieben. Es ist im Prinzip was Neues geworden, aber an die beiden Intros angelehnt.

Auf „Man braucht einander“ habt ihr ein Sprachsample durchlaufen lassen. Der einzige Track, bei dem mir die Sprachbarriere zu groß war. Was hat es damit auf sich?
Yo!Zepp:
Das ist auch für uns schwer zu verstehen. (lacht)
Chrisfader: Das ist aus Südtirol, da verstehen wir selber nicht alles. Mittlerweile das Meiste. Es ist ein DJ-Track. Wir wollten mal was anderes machen. Etwas, das einen Tirol-Bezug hat, aber wo wir uns mehr auf die Stimmen, ihre Klangfarben und wie lustig es für uns klingt konzentriert haben, als auf den Inhalt.

Ihr habt euch auf „Almen auf Plastik“ generell von den Samples her breiter aufgestellt als bisher, über die ganz lokalen Fernsehsender hinaus. Was war die Motivation dahinter?
Testa:
Wir überlegen nicht so, in welche Richtung es gehen soll, sondern machen und schauen, wo es hingeht. Auch mit den Samples ist es so passiert. Die Südtiroler Damen, die wir gesamplet haben, hat uns zum Beispiel David Scheid geschickt.

Chrisfader: Wir haben zum Teil andere Samples genommen, weil wir sie gebraucht haben, um gewisse Ideen umzusetzen. Und um etwas anders zu machen. Es hat sich angeboten – wenn man Musik mit Tirol-Bezug macht, kann man natürlich auch in der Piefke-Saga was finden. Es muss nicht immer der gleiche Sender sein.

Testa: Der Titel „Almen aus Plastik“ war von Anfang an klar. Das hat das Konzept quasi vorgegeben – und natürlich hat das dazu geführt, dass wir mehr bei der Piefke-Saga schauen, weil sie einen Bezug hat. Aber wir haben einen riesen Ordner mit Samples – und was verwendet wird, passiert einfach.

Das Video zu „Wolffreie Zone“, produziert von Fat Green Monkey Studios, ist eines der aufwendigsten österreichischen HipHop-Musikvideos überhaupt. Wie würdet ihr generell den Produktionsaufwand mit dem Vorgängeralbum vergleichen? 
Chrisfader:
Wir haben ins Produzieren und Ausproduzieren noch mehr Arbeit gesteckt, zum Beispiel mehr Live-Instrumente einspielen lassen. Hermann Delago, eine Landecker Legende, hat mit seinen Musikern Bläsersätze eingespielt. Sabine Gruber hat bei zwei Tracks Zither eingespielt; Fabian Möltner Basslines, Martin Ohrwalder Trompete. Wir haben zwei Features. Wenn man ins Detail geht, ist einiges anders. Man will ja aus Prinzip was nicht nochmal so machen, wie man es schon gemacht hat.

Yo!Zepp: Auch das Artwork. Es wird das erste Mal eine richtige Doppel-Vinyl geben, wir haben ein Booklet gestaltet, wo wir alle Texte reingenommen haben. Vom Gesamtkonzept her war es definitiv viel aufwendiger als die letzten beiden Alben.

Testa: Wir kennen uns ja schon ewig und machen ewig Musik – aber sehr selten Alben. Wenn man sich die aktuelle Entwicklung anschaut, sind wir ganz anders unterwegs. Wir machen ein sehr konzeptionelles Album und bringen nicht die ganze Zeit Singles raus. Es ist alles bisschen längerfristiger gesehen.