Die wirklich guten Zeiten sind für polnischen Hip Hop mittlerweile auch schon lange vorbei. Von den Massenmedien ignoriert und von der Tonträgerkrise gezeichnet sind die Verkaufszahlen niedrig wie nie. Dennoch können Tytus, Labelchef von Asfalt Records, und seine beiden kontroversiellsten Rapper OSTR und Fisz seit Jahren von ihrer Musik leben. Wie das möglich ist und über seine gut zehn Jahre im Hip Hop Geschäft reflektiert Tytus, Herz und Hirn von Asfalt Records, für das Message.
TM: Wir wollen zumindest einen Teil der polnischen Hip Hop Geschichte in Österreich vorstellen. In Österreich kommen zwar verhältnismäßig viele gute Sachen raus, es gibt aber kaum Fans von österreichischem Hip Hop. Auch das mediale Interesse an österreichischem Hip Hop war schon immer sehr klein. Davon kann also in Österreich, im Gegensatz zu euch, auch niemand wirklich leben. Hattest du eigentlich irgendwann Kontakt mit Hip Hop aus Österreich?
Tytus: Außer, dass mir wie gesagt, DJ 600 Volt vor ewigen Zeiten einmal ein Texta- Vinyl geschenkt hat, hatte unser Artist Fisz auch vor paar Jahren ein Konzert in Wien. Ich kann mich noch erinnern, dass im Hotel beim Frühstück unser Kellner ein Pole war. Der Taxifahrer, der uns dann nach dem Frühstück zum Flughafen gebracht hat, war auch Pole. (lacht) Und was du vorher gemeint hast, dass polnischer Hip Hop- Künstler im Gegensatz zu den österreichischen davon leben können…In Polen ist es so, dass die populärsten Hip Hop Artists in Wirklichkeit nicht mehr Teil der polnischen Hip Hop Szene sind. Eigentlich existiert diese Szene gar nicht mehr. Die paar Leute die davon leben können sind zum Mainstream übergegangen. Aber nur in Bezug auf ihre Popularität, nicht aber, wenn es um die Musik und ihren Inhalt geht. In Polen war die Explosion von Hip Hop so intensiv, dass das wirklich einen dauerhafte Spur in der Musikbranche hinterlassen hat.
Wann ist diese Explosion eingetreten und wie hat sie ausgesehen?
Ich denke um 2000 hat das begonnen und bis 2004, 2005 hat der Hype gehalten. Polnische Hip Hop Artists sind zu allen Festivals eingeladen worden. Viele Organisatoren haben ihnen Tourneen über das ganze Land organisiert. Hip Hop kam in Mode, und wurde auch rentabel. Viele Labels sind entstanden, die mit Hip Hop eigentlich nichts zu tun hatten, aber bereit waren viel Geld in Hip Hop Platten zu investieren. Sie haben damit gerechnet, dass das so große Erfolge werden, wie einige alte polnischen Rap- Alben aus den Neunzigern. Das hat so geendet, dass zu viel rausgekommen ist. Vor allem schwache Sachen. In jeder mittelgroßen Stadt gab es plötzlich monatlich mehrere Hip Hop Konzerte. In einem gewissen Moment war der Markt hoffnungslos übersättigt und das Interesse an polnischem Hip Hop hat dann stark abgenommen. Jetzt ist es sehr schwer ein Hip Hop Album in Polen rauszubringen. Insbesonders für einen Debütanten. Genauso schwer ist es ein Hip Hop Konzert zu veranstalten. Wenn du da keinen Star dabei hast, ist es faktisch unmöglich ohne Verlust auszusteigen. Im Fall von Asfalt Records haben eben Fisz und OSTR sich in diesen vier, fünf Jahren des Booms wirklich eine Position am Musikmarkt herausgearbeitet. Fisz hat sein erstes Album 2000 rausgebracht, OSTR 2001. Nach 2005, als die Mode für Hip Hop vorbei und das große Geld weg war, hatten die beiden dennoch einen hohen Stellenwert für musikinteressierte Leute.
Da war bisschen Glück dabei, dass sie gerade in der Phase des Booms ihre Debütalben rausgebracht haben, oder?
Sie hatten sehr großes Glück. Wenn sie diese Alben bisschen später, oder früher rausgebracht hätten, wären sie mit Sicherheit nicht so vielen Leuten aufgefallen. Vielleicht hätten sie nicht einmal Plattenverträge bekommen. Ich damals noch eine andere Herangehensweise, wenn es um neue Artists ging. Wenn ich heute nämlich einen Debütanten rausbringen sollte, muss der besser als OSTR oder Fisz sein. Die Leute kennen mittlerweile OSTR. Bei einem Debütanten ist das anders. Da muss man riskieren. Ich habe in den letzten Jahren häufig dieses Risiko auf mich genommen. Mit eher durchschnittlichem Erfolg. Die Leute haben eben auch schon genug von so genannten Idolen. Es gibt keinen Hunger mehr auf jemanden neuen. Die Leute, die noch polnischen Hip Hop kaufen, die sind zwar wenige, aber es ist eine bedeutende Gruppe. Die sind recht konservativ. Sie haben ihre festgefahrenen Vorlieben und schauen sich eher nicht nach etwas Neuem um.
Mittlerweile ist ja der polnische Hip Hop unüberschaubar geworden. Als du aber selber, noch als Journalist, dich begonnen hast mit Hip Hop zu beschäftigen, hat ja die Situation noch ganz anders ausgesehen. Noch bis Ende der 90er war es ja glaub ich noch so, dass nur eine handvoll von Personen die Drehscheiben waren.…
Die Popularität von Hip Hop in Polen hat von Anfang an, nicht den originalen Hip Hop aus Amerika, und dem Ausland, betroffen. In dem Moment, wo schon die erste Mode für polnischen Hip Hop ausgebrochen ist, ist außer Run DMC 1997, kein einziger bekannter amerikanischer Rapper nach Polen gekommen. Das ist alles gleich nur in die Richtung „polnischer Hip Hop“ gegangen.. Später, wie einzelne Gruppen so populär geworden sind, haben diese aus Prestigegründen Leute eingeladen, die für Liebhaber diese originalen Hip Hop, sehr viel bedeuten. So wie zum Beispiel Group Home, oder Gang Starr. Es stellte sich aber heraus, dass wenn nicht die damals bekanntesten polnischen Rapper wie Warszafski Deszcz, oder Molesta, als Support aufgetreten wären, wahrscheinlich nur eine Handvoll Leute und nicht tausende Fans zu diesen Konzerten gekommen wären. In einem gewissen Moment, hat es aber an Künstlern gefehlt, die das Interesse der Öffentlichkeit steigern, oder zumindest auf dem selben Standard hätten halten können. Jetzt ist die Situation so, dass wir größtenteils keine Fans mehr von polnischem Hip Hop haben, sondern nur mehr von einzelnen Artists. Es gibt viele Leute, die Fans von OSTR sind. Fans die jede Platte von ihm kaufen werden und auf möglichst jedes seiner Konzerte gehen werden. Aber diese Leute kaufen nicht mehr andere polnische Hip Hop Platten.
Was war deine Hauptmotivation 1998, als du Asfalt Records gegründet hast? Wolltest du davon leben?
Nein, absolut nicht! 98 hatte ich vor allem schon mein eigenes Geschäft – einen Kopierladen. Ich war damals auch Musik-Journalist. Alles hat mit einer Gruppe namens OMP aus Warschau begonnen. Um sie habe ich mich zunächst journalistisch gekümmert. Sie hatten keinen Plattenvertrag und ein anderer Herausgeber hat mir nahe gelegt sie zu releasen. Er (Anm: Kozak vom berüchtigten RRX Records: 1996-2004) hat mir auch geholfen und Know How gegeben. Ich habe dann 1998 Asfalt Records gegründet und gleichzeitig die Platte herausgebracht.
Wann ist der Moment gekommen, in dem du realisiert hast, dass du vom Label leben kannst?
Einen bestimmten Moment hat es da gar nicht gegeben. Das ist fließend gegangen. Es hat sich dauernd viel bei Asfalt Records getan. Ich habe ja das Label bis vor kurzem alleine geführt. Das heißt ich habe die Distributionsverträge ausgehandelt und auch genauso die Plattencover projektiert. Die ganze Promotion habe auch ich alleine gemacht. Ich war die ganze Zeit beschäftigt und hatte keine Zeit für Reflexionen. Mittlerweile habe ich zwar zwei Assistenten, aber auch erst seit einem Jahr. Sehr wichtig ist auch, dass Asfalt Records nicht nur die Platten rausbringt, sondern auch die ganzen Konzerte zumindest mitorganisiert. Wir haben ein eigenes Konzertmanagement für alle unsere Artists Jetzt wo die Plattenverkäufe so eingegangen sind, ist das unglaublich wichtig. Meiner Meinung nach können sich nur noch solche Labels auf längere Sicht am Leben erhalten.
Verdient ihr denn mittlerweile mehr an Konzerten, als an Tonträgern?
Noch nicht. Das Label selber verdient daran eigentlich sehr wenig. Ich glaube aber, dass mittlerweile der Großteil der polnischen Hip Hop Künstler mehr an Konzerten verdient.
Viele ambitionierte polnische Hip Hop Labels wie RRX, Gigant Records, Blend Records, T1 Teraz haben alle in der selben Zeit, zwischen 2004 und 2006 nach ein paar Jahren Existenz aufgehört. Auch die beiden anderen polnischen Hip Hop Labels (Prosto und Wielkie Joł) die es noch gibt standen kurz vor dem Ende. Was hat Asfalt Records besser gemacht?
Die Labels die bereits das Zeitliche gesegnet haben hatten alle nur ein Projekt , dass sich gut verkauft hat, aber keine weiteren. Die Devise von Asfalt Records baut auf zwei Prinzipien auf. Ich habe weiterhin Artists die ganz oben sind, also OSTR und Fisz. In einem gewissen Ausmaß auch łona, wobei das nicht mehr die selbe Liga ist. Das ist die eine Sache, die zweite sind niedrige Kosten. Asfalt Records hat zum Beispiel kein eigenes Büro. Das wären in Warschau wirklich beträchtliche Kosten. Meine Wohnung ist unser Büro. Für Marketing geben wir auch keine Reichtümer aus. Viele andere, haben und hatten keine Kontrolle über ihre Ausgaben.
Haben sich nie Majors um OSTR und Fisz bemüht?
Es gab Versuche die beiden zu ködern, aber nicht von wirklich großen Labels. Aufgrund von Loyalität wurden diese Angebote aber von ihnen ausgeschlagen.
Hast du nie Bedenken, dass die beiden wegen ihrem kommerziellen Erfolg zu einem größeren Label wechseln könnten?
Es gibt immer solche Bedenken. Jetzt aber schon viel kleinere. Wenn jemand bei dir schon zehn Alben rausgebracht hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass ihn irgendein Label herauskaufen würde. Das hätten sie doch schon längst machen können. Was nicht heißt, dass wir nicht aufpassen müssen. In Polen arbeiten die Majors bisschen mit anderen Methoden. Sie sind nicht so agil. Oft ändern sich die Chefs der Labels. Sie sind auch nicht so schlau um Leute rauszukaufen. Vor allem nicht aus Nischenmusik, aus der alternativen Ecke. Für mich und für dich sind OSTR und Fisz Stars. Aber es gibt Leute in der Branche, die nach wie vor nichts von OSTR gehört haben. Die polnische Popgruppe Feel, die 300.000 Platten verkauft, das sind für die Stars, die die rauskaufen würden. Und nicht Leute, die 15.000, 20.000 verkaufen. Sie wissen nicht einmal, dass jemand wie OSTR ein Star ist, weil sie nicht auf Konzerte gehen. Sie wissen nicht, dass er 20 Konzerte in kurzer Zeit in ganz Polen gibt und alle ausverkauft sind. In Polen haben sich mittlerweile zwei Märkte herausentwickelt. Es gibt den Fernsehmarkt für die Sternchen und den Markt für echte Künstler. Die einen zeigen sich eben im Fernsehen, in Lifestyle Magazinen, in Werbungen. Aber sie sind nicht fähig ein Konzert in einem Klub zu geben. Sie verkaufen meist auch nicht sehr viel mehr Platten. Die meisten echten Künstler werden jetzt entweder nicht mehr ins Fernsehen eingeladen, oder sie lehnen die Einladungen ab. Sie machen auch keine Werbungen für irgendwas. Aber jede ihrer Tonträger verkauft sich in respektabler Höhe. Und ihre Konzerte sind auch gut besucht bis ausverkauft.
Das ist die eine Seite, dass OSTR und Fisz für die heutigen Verhältnisse großen kommerziellen Erfolg haben und dass sich das auch finanziell auszahlt. Auf der anderen Seite gibt Asfalt Records auch auf Vinyl viel heraus und auch klassische Singles mit Instrumentals und Remixes….was sich finanziell nehme ich an, wenig oder gar nicht auszahlt. Wird das von deiner Seite, oder von den Artists selbst forciert?
Sowohl von meiner, als auch von ihrer. Dank DJ 600 Volt habe ich mich seinerzeit schrecklich in Vinyl verliebt. Ich habe zwar früher auch Musik auf Schallplatten gehört, aber das waren noch Zeiten, als ich zu wenig Geld hatte, um mir ein Tapedeck zu leisten und es noch keine CD´s gegeben hat. Für mich war es in den 90ern eine große Entdeckung, dass nach wie vor viel auf Schallplatte veröffentlicht wird. Ich habe damals beschlossen, dass mein Label auch Vinyl herausbringen wird. Meine erste Gruppe, OMP, hatte damals eine Vinyl- Single und später habe ich auch versucht mich dieser Linie zu halten. Das war damals (1998) übrigens überhaupt die erste polnische Hip Hop Single auf Vinyl. Erfreulicherweise wächst der Verkauf von Vinyl weltweit seit zwei Jahren, auch in Polen. Wir pressen aber nur in kleinen Mengen, maximal 500. Manchmal nur 300. Wir verdienen daran in Summe wenig. Wir sind auf europäische Presswerke angewiesen, wo es nur billig ist, wenn man viel pressen lässt. Dennoch ist unser Vinylkatalog aktuell am Beeindruckendsten von allen polnischen Labels. Für mich und meine Künstler ist das sehr wichtig.
Glaubst du, dass die CD als Haupttonträger, eine Zukunft hat?
Ich glaube die CD wird die Funktion übernehmen, die heute Vinyl hat. Also wenn heute Leute Vinyl kaufen, dann hauptsächlich nicht deswegen, weil sie diese Musik kaufen wollen, sondern den Tonträger. Natürlich gibt es auch sehr viele Leute, die Musik auf Vinyl hören, aber eher hat Vinyl heutzutage diese Sammlerfunktion. Es ist reizvoller etwas zu sammeln was 30 und nicht nur 12 Centimeter Durchmesser hat. Wenig Leute, so wie die DJ´s, kaufen Vinyl nur wegen ihres Inhalts. Die CD wird die Funktion als Haupttonträger verlieren und MP3 wird sie übernehmen. Das ist eine Revolution, die bereits jetzt passiert. Und niemand ist in der Lage sie zu stoppen. Die Leute werden nur noch CD´s kaufen, so wie sie jetzt Vinyl kaufen. Also Sammler von Platten, die sich kaum den USB-Stick repräsentativ auf das Regal stellen werden. Die Labels müssen jetzt den legalen MP3 Markt unter ihre Kontrolle bringen. Im Westen passiert das jetzt schon. Hier in Polen haben wir mit allem ein bisschen Verspätung. Die Labels haben hier insofern mehr Zeit. Aber in 10 Jahren glaube ich, dass auch in Polen die CD nicht mehr der Haupttonträger sein wird.
Du hast gemeint, dass in Polen alles mit etwas Verspätung passiert. Mir kommt es aber so vor, dass Polen was den Musikmarkt betrifft, sehr aufgeholt hat. Auch wenn es um Hip Hop geht. Asfalt Records hat im letzten Jahr El da Sensei und Grand Agent rausgebracht. Declaime dieses Jahr. OSTR hat unter anderem Evidence, Sadat X, Keith Murray als Gäste auf seinen letzten beiden Alben…
Es haben sich mehr die USA an uns angenähert, als umgekehrt. Dort ist der Musik-, und der Hip Hop Markt erst wirklich in der Krise. Eine Menge an Artists aus der zweiten Schublade, wenn es um die Popularität geht, haben sich an Europa angenähert. Grand Agent hat zum Beispiel zuerst in Deutschland veröffentlicht, jetzt bei uns. Wenn es um Nischen- und alternative Musik geht, haben wir uns schon immer weltweit gut präsentiert. Alleine die goldene Ära des polnischen Jazz: Michał Urbaniak, der viel mit Miles Davis aufgenommen hat, Tomasz Stańko…oder jetzt Skalpel bei Ninja Tune. Da haben wir uns immer gut gemacht, sogar noch in Zeiten als der Kommunismus bei uns herrschte. Und jetzt erst, wo die Grenzen offen sind..
Ich habe auch den Eindruck, dass nicht mehr Hip Hop in Polen für euch die Priorität stellt, sondern dass ihr euch auf ganz Europa ausweiten wollt. Welche Schritte setzt ihr in diese Richtung?
Wir können uns kein dementsprechendes Marketing leisten, um auf diesem Weg ein populäres Label in ganz Europa zu werden. Marketing können wir uns nur in Polen finanziell wirklich erlauben. Wir müssen also darauf vertrauen, dass die Leute selber auf die Musik, die bei Asfalt Records rauskommt, stoßen. Deshalb ist es für uns auch unglaublich wichtig, dass man unsere Platten auch in Boston, oder Berlin kaufen kann. Sowohl in Online Stores, als auch in Plattengeschäften. El da Senseis „Global Takeover“ haben wir so in den USA zwar nur 60 Stück verkauft, aber wer weiß wie sich das weiter entwickeln wird.
Das Internet ist für euch jetzt auch das wichtigste Medium für Promotion?
De facto das Einzige. Es gibt keine einzige Fernsehstation mehr, die unsere Videos spielen würde. Manchmal vielleicht in den paar Kultursendungen, dass da was von OSTR, oder Fisz gezeigt wird. Aber alles weit entfernt von Dauerrotation. Es gibt auch keine landesweiten Radios, die uns spielen würden. Es gibt ein paar lokale und studentische Radiostationen, die wirklich viel von uns spielen, aber das ist schon alles. Sonst nur Internet. Sich den Kopf zu zerbrechen wie Asfalt Records ohne Internet ausschauen würde, ist so als ob wir uns fragen würden, wie das Label ohne Telefone, oder Autos funktionieren würde. Wer weiß, ob dann überhaupt die weitere Existenz möglich wäre.
Wenn jetzt das Internet das einzige Medium für Promotion ist- wie war das noch vor paar Jahren, als hier kaum jemand Internet hatte? Wie ist das passiert, dass manche polnische Hip Hop Artists im ganzen Land bekannt wurden?
Über die Presse, Fernsehen und Radio. Obwohl Asfalt Records damals noch ein jüngeres und kleineres Label war und noch nicht so viel rausgebracht hat, war die Zusammenarbeit mit den Medien früher viel besser. Vor allem in dieser Phase des Booms. Damals musste ich sogar die Promotion etwas bremsen, sonst wäre es zu viel geworden. Es haben alle Zeitschriften über polnischen Hip Hop geschrieben. Im Fernsehen, vor allem auf MTV und Viva, gab es eigene Sendungen die sich ausschließlich mit polnischem Hip Hop beschäftigt haben. Auch in den großen Radiostationen wurden wir viel gespielt. Das hat sich alles geändert. Die Medien haben in einem gewissen Moment gesagt: wir haben genug von polnischem Hip Hop. Es reicht.
Trotzdem produziert ihr nach wie vor auch Videos. Hättet ihr gerne, dass die auch beispielsweise wieder auf Viva und MTV Polska gezeigt werden?
Sicher, nur auf die jüngeren Leute hat das Fernsehen auch nicht mehr diesen großen Einfluss. Heute, wenn ein Schüler nach Hause kommt, setzt er sich nicht mehr vor den Fernseher der Eltern im Wohnzimmer. Sondern vor seinem Computer. Er schaltet sich einfach YouTube ein. Wenn es früher so gewesen wäre, dass uns das Fernsehen ignoriert und kein Radio uns spielt, dann wäre das entweder das Ende des Labels, oder nur noch so ein stark eingeschränktes Nischendasein möglich gewesen. Aber jetzt mit dem Internet, kann ich mir den Komfort erlauben, dass mein Künstler weder im Fernsehen, noch im Radio präsent ist, und trotzdem kommen 1700 Leute zum Konzert von OSTR in Warschau. Die Leute haben OSTR vor allem über das Internet kennengelernt. Ich kann also den populärsten Rapper Polens haben und nicht im Radio und auch nicht im Fernsehen sein. Ein Wunder., aber in der Ära des Internets möglich!
Gleichzeitig wird aber auch über OSTR und Fisz seit ein paar Jahren regelmäßig in den polnischen Print- Qualitätsmedien berichtet So erreichen sie wahrscheinlich nicht nur die Aufmerksamkeit der eigentlichen, jugendlichen Zielgruppe…
Das ist ein Teil unserer Politik. Das ist der selbe Grund aus dem Fisz und OSTR beide mit Liveband auf Konzerten spielen. So ziehen wir neue Leute an, die einen ausgesuchten Musikgeschmack haben, aber sonst keinen Hip Hop hören. Außer eben OSTR und Fisz. Für diese Leute ist eine Band, die mit traditionellen Methoden Musik spielt eingängiger als ein Sampler. So erweitern wir unserer Hörerschaft. OSTR spielt deswegen fast immer mit Liveband, obwohl er seine Alben selbst ohne Band einspielt. So geht die Hip Hop Form in universelle Musik über. Aber über andere Hip Hop Projekte wird dafür überhaupt nicht mehr geschrieben, auch nicht über Asfalt Records selbst. Wenn ich jetzt einen Debütanten rausbringen würde, würde in den traditionellen Medien nichts über ihn stehen. Ein Debütant ist jetzt in Polen ausschließlich auf das Internet angewiesen.
In gewisser Weise agieren so Fisz und OSTR missionarisch für polnischen Hip Hop, oder? In dem Sinne, dass nicht mehr gedacht wird, dass Hip Hop sich auf breite Hosen, Haarschnitt und Schimpfereien beschränkt. Ist das für euch auch eine Motivation?
Ja sie spielen eben schon in einer anderen Liga. Nicht mehr in der Kategorie polnischer Hip Hop im eigentlichen Sinn. Sie sind einfach anerkannte Musikartisten. Und sie sind auch im Stande zu zeigen, dass Hip Hop intelligent sein kann. Aber in der selben Zeit kommen in Polen so viele schwache Sachen raus, die eben diese negativen Stereotypen bestätigen. (lacht) Das ist also eher ein Kampf gegen Windmühlen. Wenn aber Fisz und OSTR die einzigen beiden Rapper im Land wären, würde sich die Herangehensweise und die Einstellung der außenstehenden Leute aber sicherlich ändern.
Du hast gemeint es gibt keine polnische Hip Hop Szene.
Ich denke nicht, nein.
Und hat es sie jemals gegeben?
Ja. Seinerzeit hat es nur DJ 600 Volt als einzigen Produzenten auf hohem Niveau und mit gutem Equipment gegeben. Erst später sind andere Produzenten dazu gekommen, die ersten waren noch seine eigenen Schüler. Die Rolle von Volt hat mit der Zeit immer stärker abgenommen. Früher haben sich die ganzen wichtigen Leute bei ihm und seinen Parties getroffen. Das war das Zentrum.
Für ganz Polen?
Naja ich merke gerade ich denke da doch ziemlich warschauzentristisch. (lacht) Die Warschauer Szene war aber auch die größte. Was wirklich bewirkt hat, dass sich die Szene dann zerfahren hat, war das Ende der Mode für polnischen Hip Hop 2004, 2005. Als das Geld begonnen hat zu fehlen, ist es zu einer großen Polarisierung zwischen den Artists gekommen. Einige Leute sind aufgrund ihrer Popularität zum Mainstream geworden, ohne gleichzeitig ihre künstlerische Freiheit aufzugeben und sich Moden unterzuordnen. Diese paar Leute können sich von der Musik erhalten. Dann folgt eine große Grube und dann eine Armee von Rappern, die auch sehr gerne ganz oben stehen würden. Ohne Erfolg. Bei so etwas kann man in meinen Augen nicht von einer Szene sprechen. Szene, das sind Leute die mehr oder weniger in der selben Liga spielen. In Polen nehmen schon 10, 12 jährige Rap auf. Wenn du eine Rock,- oder Punkband machen willst, musst du zumindest auf der Gitarre spielen können. Mit Hip Hop kann man sich einfach so herumspielen. In einem gewissen Moment verschwindet die Grenze zwischen der Amateur-Szene und dem Spaß. Vor allem wenn auf YoutTube schaut…da fragt man sich ist das jetzt Spaß, oder schon die ernstgemeinte Amateur-Szene? Und das ist es schwierig von einer gemeinsamen Szene zu sprechen. Heutzutage verbindet selbst die Leute die gut rappen können, so gut wie nichts mehr. Von Zeit zu Zeit ein paar Features. Die sind aber auch immer seltener und auch mehr konventionell, als zusammenhaltend.
In den Neunzigern herrschte auch noch ein viel persönlicheres Klima, oder?
Und um 98/99 ein Demo rauszubringen, musste man sich auch wirklich im Hip Hop auskennen. Aber wer hat sich 98 schon ausgekannt? So gut wie niemand. Damals ein Demo aufzunehmen, hat auch bedeutet sich überhaupt zu trauen Hip Hop auf polnisch zu machen. 2009 ein Demo aufzunehmen bedeutet einer von 50.000 Jugendlichen und Kindern zu sein, die Eldo und Peja (Anm.: zwei der populärsten polnischen Rapper) irgendwann einmal im Fernsehen gesehen haben und dann so tun, als ob sie einer von den beiden wären. In den Neunzigern bist du auf eine Hip Hop Party in Warschau gegangen und hast die ganzen wichtigen Leute auch dort treffen können. Die waren damals alle 20 bis 22 Jahre alt, jetzt sind sie um die 30. Mittlerweile haben sie weder die Zeit noch die Lust um in einen Klub zu gehen.
Noch bevor du Asfalt Records gegründet hast, hast du 1997 mit „Enigma“ die erste polnische Internetseite, die sich mit Hip Hop beschäftigt hat, eröffnet. Die Seite wurde von dir bis 2004 laufend aktualisiert und ist jetzt auch noch online. Ein Großteil der polnischen Releases, die du da vorgestellt und gelobt hast sind nicht bei Asfalt Records rausgekommen. Du hast also de facto Werbung für eure Konkurrenz gemacht..
Ich glaube damals habe ich Asfalt Records noch als Teil von etwas größerem Ganzen gesehen. Auf der Enigma- Seite war zum Beispiel auch meine Telefon-Nummer angegeben und ich bin öfters von verschiedensten Leuten wegen den Kontaktdaten von Rappern von anderen Labels angerufen worden, weil sie Konzerte für sie buchen wollten. Wenn ich sie hatte, habe ich sie hergegeben. Jetzt würde ich denen die Nummern selbst dann nicht geben, wenn ich sie hätte. Das ist einfach die Konkurrenz von meinen Artists. Es hat sich die Herangehensweise geändert. Damals war ich noch nicht wirklich der Manager von OSTR, Fisz etc., sondern eher ihr Kumpel. Aber jetzt wo ich weiß, dass beide Familien und einen Wohnungskredit zum Abbezahlen haben, liegt auf mir eine ganz andere Verantwortung. Ich kann jetzt nicht zu ihnen sagen: Ja wisst ihr was wir machen da morgen ein charitatives Konzert, oder oh wir können die Platte nicht pünkltich rausbringen, weil ich den Termin verschlafen habe. Jetzt muss man sehr viel ernster an die Sache rangehen. Als ich das realisiert habe, habe ich auch beschlossen die Internetseite nicht mehr zu aktualisieren.
Früher war das also eher ein Vergnügen, ein Hobby und jetzt..
ist es der Beruf. Früher war es auch noch so, dass ich mich auch Samstag und Sonntag um alles gekümmert habe. Jetzt schalte ich, so wie die Leute in Krawatten am Freitag um fünf meinen Computer aus und beginne mein Wochenende. Früher wäre das undenkbar gewesen. Die Arbeit als Labelchef ist in Summe auch ziemlich ermüdend. Ich mache sie ja auch schon zehn Jahre lang.
Viele der Leute die in den 90ern begonnen haben aktiv im Hip Hop zu sein und jetzt um die 30 sind, haben konkrete Schritte gesetzt um davon leben zu können…
Ja, manchen ist das auch gelungen. Die, die es nicht geschafft haben beschäftigen sich in den meisten Fällen auch nicht mehr mit Hip Hop.
Wie viele Leute gibt es denn in Polen, die von Hip Hop leben können?
Ich denke nicht mehr als fünf. Wenn jemand nur alle zwei, drei Jahre ein Album rausbringt und im Durchschnitt alle zwei, drei Monate ein Konzert gibt, ist das unmöglich.
Und OSTR kann zum Beispiel davon leben, weil er jedes Jahr ein Album releast?
Er spielt auch wirklich sehr viele Konzerte. Vierzig bis fünfzig pro Jahr. Bis jetzt sind immer alle gut besucht, oder überhaupt ausverkauft. Dadurch, dass er nicht zur Arbeit gehen muss, kann er seine ganze Zeit in die Musik investieren. Vielleicht ist sie deswegen so gut.
OSTR hat ja auch ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Geld und zum Kommerz.
Kommerziell heißt gewinnbringend. Und die Platten von OSTR sind gewinnbringend. Genauso seine Konzerte. In dem Sinn ist er selbst kommerziell. Problematisch wird es eben nur, wenn ein Artist seine Inhalte ändert, um einer größeren Masse zu gefallen. Das hat OSTR nicht gemacht, und er wird es auch nicht machen. Für manche Artists ist Musik auch Business, und die Musik nur Mittel zum Zweck. OSTR hat den Komfort, dass er sich um Business keine Gedanken machen muss, weil ich dafür da bin und er mir auch hundertprozentig vertraut. Ich überweise ihm eben einfach nur von Zeit zu Zeit die Beträge. Er muss nur von Zeit zu Zeit auf sein Konto schauen und abheben. So wie Pippi Langstrumpf: er findet ein Fass, öffnet es und zieht das Geld raus. (lacht)
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