Bereits ein Monat ist seit dem diesjährigen „Splash!“ vergangen. Genug Zeit also, um die Erfahrungen zu sortieren und einzuordnen. Seit 21 Jahren bietet das im Osten Deutschlands beheimatete Festival eine der ganz großen deutschen Bühnen für Rap und HipHop auf und hat dabei einen Wandel durchgemacht, dessen aktuellen Zustand es zu evaluieren gilt. Festival ist schließlich nicht gleich Festival. Und ein solches bedarf eines hohen organisatorischen Aufwands, um auf der Höhe der musikalischen Trends zu bleiben, Künstler zu akquirieren und zugleich auch als Marke weiterhin attraktiv zu bleiben. Nicht mehr oder weniger ist nämlich das „Splash!“ heutzutage: Ein Unternehmen, das von seiner musikalischen Umwelt abhängig ist und zugleich auch mit ihr in Interaktion steht. Dass dabei die Profitabilität keine unwesentliche Rolle spielt, erklärt sich von selbst. Es geht um C.R.E.A.M. Das war schon in der Vergangenheit so, diesmal fällt aber der kommerzielle Aspekt besonders auf. Schade eigentlich. Aber wohl nur Ausdruck dessen, wo sich unsere Gesellschaft hinbewegt.
Für viele Jugendliche im deutschsprachigen Raum und mittlerweile auch teilweise darüber hinaus ist das Festival am Baggersee ein Startschuss im Bereich Festivalkarriere, für manche gar der Einstieg in die deutsche Rapszene. Marteria, Edgar Wasser, Sido, um nur ein paar zu nennen, alle haben eines gemeinsam: Ihre ersten Schritte in Richtung Berufsmusiker sind auf dem Zeltplatz des „Splash!“ zu verorten.
Doch der Wandel der Zeit fing nicht nur die besagten Herrschaften voll ein. Immer schneller und vielfältiger scheint sich die Szene zu entwickeln und dabei nach neuen Trends zu suchen. Deutschrap ist längst nicht mehr der hängengebliebene Außenseiterhaufen in weiten, silbernen FUBU-Baggys, der er früher einmal war. Er ist die führende Jugendmusik, regiert die Schulhöfe und wird im Internet diskutiert wie sonst nur Videos von Katja Krasavice (vom kulturellen Aspekt aus gesehen oft ein Duell auf Augenhöhe). Und so wie auch die Musik ihren Weg in die heutige Gesellschaft findet, findet diese auch ihren Weg hin zur Musik. Noch nie war ein „Splash!“ derartig durchmischt wie dieses Jahr. Nicht nur die verschiedenen Gesellschaftsschichten, die im Rahmen der Veranstaltung zusammenkommen, nein – auch die Frauenquote ist in diesem Jahr deutlich höher als je zuvor.
Eine Entwicklung, die von Veranstalterseite begrüßt und sogar unterstützt wird. Nicht ohne Grund findet zum Beispiel auch das Künstlerkollektiv „hoe_mies“ ihren Weg auf das Festival, das laut eigenen Angaben „eine Plattform für weibliche, nicht-binäre und transgeschlechtliche Acts bietet und dadurch die männliche Dominanz im Hip Hop aufbricht“. Deutschrap 2018 in einer Nussschale, dass RIN auf dem gleichen Festival vor tausenden Leuten nonchalant davon singen kann (naja, oder so ähnlich), dass „sie einen Molly in ihrem Drink haben will“. Zwischen Theorie und Praxis klafft manchmal eine Lücke, die sich einfach nicht schließen lässt.
Freiraum für weitere brennende Themen aus dem Inneren der Kultur bieten erneut auch die Podiumsdiskussionen, in denen illustre Personen aus dem Deutschrapkosmos zusammenfinden und anschließend über gesellschaftspolitische Themen mit Rap-Bezug philosophiert und Straßenrap intellektualisiert wird. Das ist manchmal spannend, manchmal weniger spannend.
Auch musikalisch werden die divergierenden Tendenzen immer sichtbarer. Natürlich gaben sich auf dem „Splash!“ schon immer Gegensätze die Klinke in die Hand. Deutsch trifft auf Ami, Jung auf Alt und Fortschritt auf Retro. Doch seit dem Siegeszug des Cloudrap wurde das Gefüge gesprengt. Bereits 2015 hatte das „Splash!“ die Zeichen der Zeit erkannt und bemühte sich um heutige Szenegrößen wie Yung Lean – ein frühes Hinschielen auf den aufkommenden Highnsobiety-Triumphzug. Die Auswüchse des Klamotten-Wahns sind auch am Zeltplatz nicht zu übersehen. Das Endresultat sind Fans, die aussehen wie ihre Idole und den Lifestyle dieser nacheifern. Oft mit Fake-Gucci-Hoodie aus der Türkei, aber der Wille zählt. Dieses Nacheifern spiegelt sich auch im Konsum der Rauschmittel wider. Ecstasy und Pep haben Gras eindeutig den Rang abgelaufen, mit allen negativen Auswirkungen.
Das ist alles ziemlich fürchterlich, deswegen schnell zum Line-up: Wie bereits in den vergangenen Jahren gibt es ein buntes Sammelsurium mit reichlich Trap und Cloud aus den USA, Grime aus England und Untergrund aus Deutschland (detailliert nachzulesen auf Wikipedia). Größter Act und finaler Festivalabschluss ist am Sonntag J.Cole, der mit einer Solo-Live-Show inklusive Band durch seine Live-Künste überzeugt und ein deutliches Zeichen gegen die sich einschleichende Negativ-Entwicklung bezüglich Playback und Auto-Tune setzt (wenngleich J. Cole mittlerweile eigentlich zum ziemlichen Langweiler mutiert ist). Nachdem Party-Rapper wie RIN, Lil Uzi Vert oder Ufo361 (mittlerweile Kaiser) und unzählige Weitere in den Abenden zuvor aber beweisen, wie weit sich die Maßstäbe verschoben haben und wie anspruchslos das Publikum dann auch stellenweise geworden ist, kann J. Cole das Festival zu einem versöhnlichen Abschluss bringen.
Weitere musikalische Highlights finden sich im Feld des Untergrunds: Negroman und seine Sichtexoten liefern zwei saubere Auftritte ab, BHZ und 102 Boyz bringen frischen Wind in die Szene und Upstruct kann mit Mista Meta und MC Bomber ebenfalls zwei Live-Garanten unterbringen. Aus den Staaten fasziniert neben J. Cole Tyler, The Creator (geh‘ weg mit Lil Pump) sowie aus Großbritannien der Sureshot Skepta. Aber genießen kann man eigentlich nur wenig, so virulent ist das Staubproblem. Ich höre das Weinen der Off-White x Nike-Sneaker-Träger immer noch. Aber Empathie kann ich nicht wirklich aufbringen, fühlt sich meine Lunge weiterhin an, als hätte ich während eines Ukraine-Urlaubs stangenweise Zigaretten mit Tabak, angebaut im Tschernobyl-Gebiet, auf Lunge geraucht. Oder, anders ausgedrückt: Wer schon mal in New-Delhi war, bekommt auf dem Splash! einen Flashback. Sehr schade.
Fazit: Das „Splash!“ ist weiterhin ein Fixstern am Festivalhimmel, wenngleich das Feeling schon einmal besser war. Das Line-up grundsolide, aber alles entweder schon einmal gesehen oder einfach Namen, die so schnell gehen werden, wie sie gekommen sind. Aber für den Moment reicht’s. Wenn du also nächstes Jahr Anfang Juli noch nichts vor sowie rund 150€ im Budget übrig hast, irgendetwas mit Deutschrap anfangen kannst und hart im Nehmen bist, solltest du für ein Wochenende am Baggersee vorbeischauen. Unverbindliche Altersempfehlung: 16-23 Jahre.
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