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„Wir übernehmen uns moralisch!“ // Prezident Interview

„Wir übernehmen uns moralisch!“ // Prezident Interview

Prezident
Foto: Katharina Hertle

Und heute bin ich einer aus dem elitären Kreis der MCs, die alt, doch nicht peinlich wurden mit der Zeit“ postulierte Prezident auf dem letzten Tapefabrik-Sampler. Und es dauerte tatsächlich seine Zeit, bis der Wuppertaler MC seine verdiente Aufmerksamkeit erlangte. Im Zuge der „Limbus“-Tour verschlug es ihn samt den Kamikazes, den Toursupports Elsta und Flip Ferocious aka Hinz&Kunz sowie seinem langjährigen Begleiter an den Decks, DJ KB, das erste Mal nach Wien, Kakanien. Da die Staatsgewalt die Entourage im Freistaat Bayern gleich zweimal gründlich filzte, ließ deren Ankunft im noch leeren B72 auf sich warten. Als die illustre Runde etwas abgekämpft, aber gut gelaunt erscheint, stehen zunächst Soundcheck und Verpflegung auf dem Plan. Schnell wird klar, dass sich ein Interview vor dem Gig wohl kaum ausgehen wird. Eine großartige Liveshow und einige Hopfengetränke aus Ottakring später bittet uns der Wuppertaler Ausnahmerapper um eine halbe Stunde mehr Zeit. Dank seiner Handschlagqualität und unserer Hartnäckigkeit finden wir uns gegen zwei Uhr früh tatsächlich im kompakten Backstageraum des B72 wieder. Gesprochen wird über Zufriedenheit, die Illusion, die Welt zu verändern, Dantes Vorhölle und den Unterschied zwischen Dinge anprangern und „behindert finden“.

Interview: Simon Huber & Emil Delivuk
Mitarbeit: Thomas Kiebl

Am Ende des letzten Bonustracks von Limbus heißt es: „Wer es zum eigenen Klischee bringt, hat’s geschafft“. Bist du aus dem jetzigen Standpunkt zufrieden mit deinem Karriereverlauf?
Prezident:
Aktuell schon. Objektiv hätte ich schon mit dem „Neueste Erkenntnisse vom absteigenden Ast“-Album auf diesem Stand sein müssen, aber jetzt ist trotzdem alles gut.

Hätte sich das geändert, wenn du bereits früher breite Aufmerksamkeit gehabt hättest? Spielt dieses ewige Untergrunddasein eine Rolle?
Eher nicht. Ich wüsste nicht, was da anders sein sollte.

Also hast du auch keine Schwierigkeiten damit? Deine Musik spielt ja schon mit einer gewissen Antihaltung gegenüber der Szene und deren Vermarktungsmechanismen …
Ich bin eigentlich ein großer Deutschrapfan. Ich bin da gar nicht so anti, ich zieh mir das rein und mache mich über gewisse Sachen lustig, aber das ist mehr ein Kommentieren. Natürlich sind bestimmte Sachen behindert und die packe ich dann in Lines.

Also hast du auch kein Problem damit, das Ganze ein bisschen kommerzieller aufzuziehen?
Welche Leute gibt’s denn noch, für die das ein Problem ist? Retrogott&Hulk Hodn sind die einzigen Leute, bei denen ich das Gefühl habe, dass die zwar 1000 Leute ziehen, aber auch mit 200 voll zufrieden sein würden. Und die machen auch nichts, um über ihr aktuelles Level hinauszukommen, eher im Gegenteil. Man kann sich natürlich manchen Sachen verweigern, 187 (Strassenbande, Anm.) machen keine Videointerviews, Edgar Wasser macht überhaupt keine Interviews und ich werde wahrscheinlich ab jetzt keine Radiointerviews mehr machen, weil ich einige hatte und das wirklich behindert finde. Man schämt sich immer fremd, wenn man sich selber in diesen Formaten hört. Aber es ist nicht so, dass ich generell etwas dagegen hätte, Geld zu verdienen. Je mehr Geld, desto besser. Ich glaube, bis ich auf das Level komme, kein Geld mehr zu brauchen, wird es noch ein bisschen dauern. Wahrscheinlich wird es nie passieren.

„Mit Anfang 30 ist alles nur noch halb so wild“ – wie hat sich in den vergangenen Jahren deine Sicht auf Rap verändert?
Bei mir ist es tatsächlich so, dass ich bis vor vier, fünf Jahren echt wenig mitbekommen habe. Ein paar Leute haben das gefeiert in irgendwelchen Blogs, ich bin für 150 Euro irgendwo aufgetreten und 50 Hardcorefans sind dafür 300 Kilometer gereist. Dann kamen die ersten paar Bookings auf kleineren Festivals wie das Mile Of Style, wodurch ich die Szene ein bisschen kennengelernt und erstmals mein Standing wirklich hinterfragt habe. Ich halte mich für einen der besten deutschen Rapper, da fragt man sich schon, wie es sein kann, dass man zum Beispiel nicht auf dem Splash spielt. Andererseits scheiß ich auch drauf. Ich spiele jetzt gerade eine Tour, die ich selber organisiert habe. Ich habe mich in die meisten Läden selber eingemietet, die Leute zusammengetrommelt, alles auf mein Risiko gemacht (Applaus von DJ KB). Und es läuft, die meisten Läden sind voll. Es ist genauso wie ich es immer haben wollte: Vor 200 bis 500 Leuten auftreten, abreißen, Spaß haben, mehr brauche ich eigentlich nicht. Das letzte Album fand ich schon extrem gut, das neue ist irgendwie noch geiler und ich bin einer der wenigen Rapper, die es geschafft haben, mehrere Alben rauszubringen, ohne sich zu wiederholen oder zu verraten. Im Prinzip wäre es wirklich ein guter Zeitpunkt, um abzutreten.

Inwiefern hat die Zusammenarbeit mit „vinyl-digital“ einen positiven Einfluss auf das Endprodukt und den Arbeitsaufwand?
Also aufs Album hatten sie gar keinen Einfluss, kreativ gesehen. Und vom Aufwand her war das Release sehr viel mehr Arbeit für mich als das letzte. Denn die Videos zum Beispiel hat VinDig zwar finanziert, aber ich hab ja trotzdem alles selber gemacht und machen müssen – Ideen und Konzepte entwickelt, Leute angesprochen, die Drehs organisiert und zuletzt mit am Schnitt gesessen. Das lief alles über mich. Es geht jetzt nicht darum, den Arbeits- und Kreativanteil der jeweiligen Videodudes runterzureden, was ich sagen will: Es wurde vom Label nichts übernommen, sondern nur Kredit gegeben quasi. Auch etwa das Design dieser CD-Box, die ja ein Kompromiss mit denen war, oder die Ausarbeitung der Booklets blieb dann an mir hängen, wobei ich das Endprodukt, also dieses 4-CD-Ding schon sehr feier. Was vinyl-digital gut macht, ist die ganze Social-Media-Vermarktung. Den Pressekram fand ich teilweise ein bisschen wahllos und an mir als Künstler oder auch einfach als Produkt vorbei. Auftritte bei Joiz oder Rocket Beans verweigere ich dann auch einfach. Aber beim Puzzle-Gewinnspiel, was dann alle so schlimm fanden, war ich selbst gar nicht so krass dagegen. Ich hätte es wohl ein bisschen nonchalanter angekündigt.


In einem Interview mit laut.de zur „Handfeste“-EP hast du eine Zusammenarbeit mit vinyl-digital schon angedeutet, aber auch gesagt, dass du nicht darauf angewiesen bist und trotzdem noch das meiste selber und von zuhause machst. Inwiefern lässt sich das damit vereinbaren, dass vinyl-digital jetzt doch mehr Einfluss auf die Promo etc. hatte?
Es gibt nichts, das ich kategorisch ablehnen würde. Bei so einer Box würde ich nicht sagen, dass es kategorisch scheiße ist, das Problem ist, dass sie einfach Standard sind. Leute, die in die Charts wollen, müssen einfach Boxen machen und ziehen sich dafür irgendwas aus’m Arsch. Es geht nur darum, wie man dabei rüberkommt. Wenn ich das Gefühl hätte, ich kann mich zu Stefan Raab setzen und da cool rüberkommen, dann kann ich das auch machen. Aber wenn ich weiß, das ist nicht mein Ding und Stefan Raab macht dann irgendwelche blöden Witze, lass ich so was. Deshalb sitz‘ ich auch nicht bei Rocket Beans, das würde Prezident ein bisschen kaputtmachen. Jemand wie SSIO kann sich zu Rocket Beans setzen, weil der dort auch der Typ sein kann, den er in seinen Songs darstellen will. Ich habe aber gar keine prinzipielle Abneigung gegen irgendwas.

Du hast dich auch gegenüber Vice, Noisey und ähnlichen Medien kritisch geäußert. Warum gibst du solchen Portalen dann Interviews?
Bei Noisey hätte ich schon vor drei Jahren ein Interview gehabt, weil ich als Support von MF Doom in Berlin gewesen wäre, aber MF Doom ist natürlich nicht gekommen. Danach hatte ich aufgrund irgendwelcher besonders schlimmer Artikel, wegen denen es dann auch diese entsprechende Line auf dem Album gibt, eigentlich keinen Bock mehr darauf. Letztlich hatte ich zu dem Zeitpunkt, als die Anfrage von VinDig kam, grade schon so viel anderen Blödsinn abgelehnt, dass mir das dann noch vertretbar erschien. Einerseits sind die total ekelig, andererseits geil – was ich denen ja auch im Interview sage. Außerdem muss ich etwas nicht boykottieren, nur weil ich es weak finde. Und zuletzt hatte ich dann auch einfach ein sehr gutes Gespräch mit der Interviewerin, besser als mit den meisten Deutschrapmedien.


Zurück zur Musik: Auf dem älteren Track „Ständeding“ sagst du: „Vielleicht kling‘ ich depressiv, vielleicht bin ich depressiv“. Muss man latent depressiv sein oder zumindest ein gewisses Maß an Weltschmerz in sich tragen, um solche Musik zu machen, wie du sie machst?
Man braucht überhaupt keinen Weltschmerz. Ich kann mir auch glückliche Rapper vorstellen, die Conscious-Rap machen. Ludacris scheint mir ein sehr glücklicher Rapper zu sein. Die Zeile stellt das auch eher infrage, ich finde nicht, dass ich so depressiv bin.

Die Frage rührt daher, dass deine Musik authentisch vermittelt, dass du keine Hoffnung mehr für die Gesellschaft hast.
Ich will aber auch keine Hoffnung. Früher habe ich mehr mit diesem Weltschmerz gespielt, vor zehn Jahren war ich auch relativ depressiv, aber mittlerweile ist es tatsächlich mehr so, dass ich Sachen annehme, wie sie sind. Am besten passt da wahrscheinlich der Track „Was glaubt die Welt denn, wer sie ist?“. Was ich in diesem Song sagen will ist, dass es vielleicht auch keine Lösung gibt. Das ist der große Mythos unseres Zeitalters seit der Aufklärung. Das Bestreben, sein Schicksal auf Erden zu verbessern, hat sich in einen Glauben verwandelt, dass man jedes Problem lösen kann. Es ist völliger Schwachsinn, zu glauben, aus Deutschland gezielt etwas am anderen Ende der Welt verändern zu können. Wir übernehmen uns moralisch! Daher auch die Line „Ich gebe dieser Welt ne 5 auf einer Skala 1 bis 10“. Das ist natürlich eine sinnlose Aussage, mit welcher Welt willst du unsere Welt vergleichen? Es gibt ja nur die eine und sie ist so wie sie ist.

Hast du damit auch in den letzten Jahren damit abgeschlossen, zu glauben, dass du irgendwas verändern kannst?
Ich habe nie geglaubt, irgendetwas verändern zu können, vielleicht habe ich es einfach negativer empfunden. Ich habe das, was Leuten als Zynismus erscheint, zu einer Art Philosophie ausgebaut, in der ich mit Überzeugung sagen kann: „Whatever?“

In der Hinsicht ist die Nietzsche-Anspielung in „Halb so wild“ interessant. Gott ist in dieser Weltansicht nicht tot, sondern steht fernab und verhält sich neutral.
Da geht’s wieder um die Limbusmetaphorik. Im Dante’schen Weltbild hast du ja die runde Erde, aber nur die obere Hälfte ist bewohnt. Dann hast du einen Krater, der entstanden ist, als Luzifer, der Engel des Lichts, vom Himmel gestürzt ist – das ist die Hölle. Und ganz unten ist das ewige Eis, dort sitzt Luzifer und zermalmt in alle Ewigkeit die drei Erzverräter Judas, Cassius und Brutus. Die ganze Erde, die er aufgeworfen hat, kommt dann von der anderen Seite wieder raus – ich weiß nicht, wie sich das mit der Schwerkraft verträgt. Auf jeden Fall ragt auf der anderen Seite dieser Berg aus dem See raus, das ist der Läuterungsberg, wo die Seele gereinigt wird, bevor man in den Himmel kommt. Im Text sind wir allerdings nicht im Läuterungsberg, sondern im Limbus. Gott ist nicht böse, nicht gut, er ist einfach weg.

Du schlüpfst oft eher in die Beobachterrolle als politische Message mit erhobenem Zeigefinger zu präsentieren. Mit welcher Intention schreibst du Tracks wie „Der ewige Ikea„?
Ich will nur Rap machen, der cool ist. Abseits davon will ich überhaupt nichts. Diese Gesellschaftskritik hatte ich im Prinzip ja schon auf „Miststück“ und von dem Track gibt es eine Version, die ist locker fünf Jahre alt. Die Idee, dass wir so eine langweilige Generation haben und alles so im Nichtssagenden verschwimmt, gibt es schon länger, die Verknüpfung mit dem Bild vom Limbus ist auch relativ alt. Fertig geworden ist „Der ewige Ikea“ erst kurz vor Schluss, ich habe da monatelang nicht den richtigen Beat dafür gefunden und am Ende einfach auf diesen scheiß Bongoloop von den Kamikazes gerappt – den die dann erst so krass ausproduziert haben.

In dem Track wird auf das Video von Terry, Jan und Ska angespielt. Was hast du dir gedacht, als du dieses Video zum ersten Mal gesehen hast? Könnte man das als Sinnbild dieser Mittelmäßigkeit bezeichnen?
(zögert) Naja, dieses Bild der absoluten Mittelmäßigkeit und Langeweile ist bei mir manchmal ein bisschen zurechtgebogen. Man könnte auch drüber streiten, ob Noisey, die ja eher für schreierische Clickbaithaftigkeit stehen, so gut zum Thema Mittelmaß passt. Terry, Jan und Ska sind in diesem Video selbst schon eine Karikatur auf dieses „Gutmenschentum“. Der Begriff ist verrucht, wenn man so was sagt, klingt man gleich wie so ein Spiegel-Online-Kommentator, aber eigentlich braucht unsere Zeit relativ dringend so einen Begriff wie „Gutmensch“, weil seine beiden Bedeutungen – einmal jemand, der jemandem was Gutes will, aber Schlechtes macht und zum anderen jemand, der quasi seine Güte pharisäerhaft vor sich herträgt  – sehr aktuelle Probleme sind und Phänomene, die an Bedeutung gewonnen haben. Deswegen ist es schade, dass der Begriff so negativ konnotiert ist.

Wie geht es dir gerade in dem Kontext mit politischen Äußerungen von deutschen Rappern auch hinsichtlich der Flüchtlingsthematik?
Da gibt’s ja gar nicht so viele. Absztrakkt hatte diesen Freetrack, wobei ich den nicht als Kommentar auf die Flüchtlingskrise gelesen habe. Deshalb weiß ich jetzt auch nicht, auf welche Kommentare ich referieren sollte.

Leute wie Eko Fresh zum Beispiel?
Boah, wenn ich Eko Freshs AfD-Song gehört hätte, wäre ich wahrscheinlich mittlerweile Mitglied bei der AfD. Ich hätte längst Sex mit Frauke Petry.

Danke, wir haben jetzt einen Titel für das Interview! (Gelächter)
Naja, wenige Leute haben etwas Substanzielles dazu gesagt. Das will auch keiner. Dein Job als Künstler ist, so vage „Refugees welcome!“ zu sagen. Du sollst dich vage pro Flüchtlinge verorten, aber du darfst auch nicht zu viel Engagement zeigen, wenn du nicht gerade ein Amewu bist, der sich seit Jahren dafür einsetzt. Auch abseits von Rap ist es krass, auf welch niedrigem intellektuellen Niveau das ganze Thema diskutiert wird. Du hast Migrationsbewegungen von Millionen von Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen, unzählige Phänomene, die ineinandergreifen. Die einen sagen, das sind Leute, die unsere Hilfe brauchen, und die Gegenseite behauptet, das sind Leute, von denen wir nicht wissen, ob sie sich benehmen können. Dann muss man sich entscheiden, ob man die hilfsbereite Mutter ist, die allen helfen will, oder der strenge Vater, der erst zweimal hingucken muss, ob das auch wirklich mit rechten Dingen zugeht. Dazu kommen noch die ganzen Ressentiments und Stereotypen. Das Diskussionsniveau ist einfach so unglaublich niedrig.

Findest du es wichtig, diesbezüglich Stellung zu beziehen?
Ich bin nicht der Typ, der von sich aus mit irgendeinem Statement rausprescht. Wenn sich das irgendwie ergibt oder mich jemand auf Absztrakkt anspricht, dann kann ich das auch ausführlich erklären. Ich sehe schon, was die ganzen Leute an „AfD-Rap“ erkennen und verstehe den Standpunkt auch durchaus. Eigentlich ist das auch was, was in ganz vielen anderen Raptexten vorkommt, dieses Verschwörungstheoretische, dieses „wir-hier-unten-gegen-die-da-oben“. Das sind Rap-Klischees, die es auch an anderer Stelle zuhauf gibt, aber wenn das ein „Pass-Deutscher“ dann ansatzweise in einem Text hat, wird das ein bisschen überinterpretiert. Ich kann die Flüchtlingskrise auch nicht lösen. Ich kann mir höchstens Gedanken machen und Ansätze aufzeigen, die an anderer Stelle untergegangen sind.

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(c) Philip Pesic

Was relativ wenig präsent ist, ist die Frage, ob man diesen Menschen überhaupt helfen kann, ob unser Staat und diese Gesellschaft überhaupt dazu in der Lage ist, ihre jeweiligen Probleme zu lösen. Um den Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ kreist sich dann die Frage, ob wirtschaftliche Not ein legitimer Grund ist zu migrieren und das reiche Deutschland helfen muss oder soll oder nicht. Aber ob das überhaupt geht, ob so ein Migrant hier eine für ihn erfreuliche Perspektive haben kann, steht kaum zur Debatte. Sowohl die Refugees-Welcome-Fraktion als auch die Gegenseite sieht den Flüchtling einfach nur als passiven Mitesser, für den eben genug da ist im reichen Deutschland oder nicht. Auch was No Borders eigentlich für Länder bedeutet, aus denen massenhaft Menschen – vielleicht ja dann die guten – fliehen, wird nicht beachtet. Nehmen wir an, es flieht ein Afrikaner vor dem Militärdienst in seinem Land: Menschlich verständlich, aber wenn Deutschland diesen Menschen aufnimmt, mischt es sich letztlich ein in die Belange eines anderen souveränen Staates. Ist das nicht arrogant? Ab wann darf ein Staat das? Das sind so Fragestellungen, die völlig untergehen.

Rap wird immer wieder als Dichtung oder Lyrik unserer Zeit betitelt. Inwiefern könntest du etwas mit der Aussage: „Prezident wird eines Tages Teil eines Literaturkanons sein“ anfangen? Würde dich das reizen?
In einem Schulbuch zu stehen ist immer so ein Anzeichen dafür, dass man tot oder zumindest gerade im Sterben begriffen ist. Ich find’s auch sehr peinlich, wenn Leute Haftbefehl als den Goethe der Neuzeit betiteln, weil da beiden irgendwie Gewalt angetan wird.

Wenn du Rapper der „ersten Generation“ siehst, die heute durch Castingshows, Workshops und ähnliches ihr Brot verdienen, wie wichtig ist dir dann, dein Studium als zweites Standbein neben der Musik zu haben?
Ganz ehrlich, meine Rapkarriere ist das wirtschaftlich bessere Standbein als meine Universitätskarriere. Mit 31 das Germanistik-Geschichts-Studium abzuschließen ist jetzt auch nicht wirklich lukrativ. Wenn ich jetzt Lehrer werden wollen würde, wäre das eine andere Sache, aber da habe ich keinen Bock drauf.

Was gibt’s dann als Alternative?
Gute Frage, keine Ahnung. Mehr Merch!

Deine Generation ist laut dir ein „Miststück“. Wodurch zeichnet sie sich aus und im Vergleich zur jetzigen Generation – wer ist das größere Miststück?
Nach mir wird es noch behinderter. Es gibt Selbstläufer und gewisse Mechanismen, die ich beobachten kann, die die Leute so gleichgeschaltet machen. In der Schule und im Studium gibt es eine komische, hinterfotzige Autorität und unsere Gesellschaft neigt dazu, solche Autoritäten weiterauszubauen. In der Schule zeigt sich das insofern, dass die Lehrer immer sehr soft und keine autoritären Arschlöcher sind. Aber gleichzeitig gibt es durch einheitliche Lehrpläne und Abschlüsse eine Art unsichtbare Autorität. Und das ist etwas, was dazu führt, dass die Menschen mehr und mehr geistig behindert und auf eine so subtile Art gleichgeschaltet werden. Das ist viel charmanter als irgendwen zu zwingen, etwas Bestimmtes zu glauben.

Angenommen du wärst jetzt Lehrer – könntest du im Kleinen irgendwas verändern, ohne selbst in diesem Hamsterrad gefangen zu werden?
Deshalb will ich auch kein Lehrer werden, weil ich nicht Teil dieser Apparatur werden möchte. Ich will ja gar nichts verändern …

Aber du prangerst gewisse Missstände an …
Ich finde es behindert, aber ich prangere es auch nicht an. (zögert) Wie war das nochmal? Jede Zeit ist gerecht vor Gott?

Gibt es dann gar keine Möglichkeit, als Einzelperson etwas zu verändern?
Nö. Das ist so ein populärer Mythos unserer Zeit, den ich für Schwachsinn halte. Dass man als einzelner Mensch was verändern kann. Es ist eine Anmaßung, zu glauben, dass man alleine was erreichen kann und ich sage, das kann man nicht. Klar, du kannst irgendwas in die Luft sprengen, du kannst Leute umbringen, du kannst Kinder in die Welt setzen, du kannst alles Mögliche machen. Aber du kannst nicht die Folter in Aserbaidschan abschaffen, nur weil Amnesty International es dir auf einem Plakat weismachen will.

Würdest du abschließend sagen, dass sich auf sich selbst zu konzentrieren ein „Rezept“  für ein zufriedenes Leben ist? War das für dich eine wichtige Erkenntnis?
Was heißt „auf sich konzentrieren“? Ist schwer zu sagen. Es ist vielleicht gut, ein Gefühl dafür zu kriegen, was man will und was man kann. Aber andererseits ist das auch eine Kunst für sich und kein Ratschlag, den man einfach so geben kann.