Voodoo Jürgens ist im vergangenen Jahr in Wien und Umgebung öfter live aufgetreten als alle sogenannten Straßenrapper des Landes zusammen. Professionelle Studio-Aufnahmen und Videos folgten – auch der sonstigen Pop-Logik zuwiderlaufend erst über ein Jahr nach den ersten Konzert-Versuchen des Liedermachers. In der Zwischenzeit musste sich Voodoo Jürgens nicht mehr selbst anbieten, sondern wurde aufgrund seiner im Laufe der Zeit zur patscherten Perfektion gebrachten Darbietung umgarnt. Marco Wanda, Stefanie Sargnagel und auch Yung Hurn zeigten große Sympathien.
Gleicht das erste Solo-Album nun dem Live-Erlebnis eines Voodoo-Jürgens-Konzerts? Nein. Und das ist auch gut so. Die „Ansa Woar“ (hochdeutsch: Einser-Ware) wird zwar wie viele Konzerte von Voodoo Jürgens mit „3 Gschichtn ausn Cafe Fesch“ eröffnet und hört, wie fast üblich, mit der „Meine Damen, meine Herren“-Verabschiedung auf, dazwischen ist aber vieles anders. Der Künstler wird seinem im The-Message-Interview gestellten Anspruch gerecht: „Das Album wird nicht einfach aus zwölf Akustik-Nummern mit Stimme bestehen.“ Mit diesem Ziel holte er sich instrumentale und stimmliche Unterstützung von unter anderem Ja, Panik, Nino aus Wien, Mile Me Deaf und Sex Jams. Das sorgt zwar für Abwechslung, verdrängt Voodoo Jürgens‘ Stimme dennoch nicht vom tonbestimmenden Thron.
Der geschlauchte Hackler, das vom Leben frustrierte Tratschweib, die plärrenden Nachbarskinder, der Eierbock gebende Vater, der auf Bäume kraxelnde Landbub, der Ofen-anzündende Typ mit einer auf seinem Holzbein sitzenden Prostituierten, und natürlich der melancholisch bis aggressive Bauchstichhittn-Tschecharant – all diese Figuren beschreibt und interpretiert Voodoo Jürgens so bildlich, dass sie lebendig erscheinen. Das Figurenkabinett der „Ansa Woar“ ist noch um einiges größer und viele von den Darstellern wird der Künstler tatsächlich getroffen, ihre Sprache und Charaktere in sich aufgesogen und sich in ihre Lebensperspektive hineinversetzt haben. Die Anekdoten, die ihm da und dort erzählt wurden kombinierte er zu einem meisterhaften Storytelling des Storytellings. Ein Geschichtenerzählen, das man im österreichischen Rap so schmerzhaft vermisst beziehungsweise in dieser Qualität überhaupt noch nicht antreffen konnte. Vielleicht auch deswegen, weil es in Voodoo Jürgens‘ Liedern nicht in erster Linie um das „Ich“ der eigenen Person geht – die Geschichten kreisen mit Ausnahme von „Tulln“ und „Weh au Weh“ um andere Personen. Offen bleibt, wie viel dabei aus der eigenen Biografie eingeflossen ist. Gerade wenig wird es aber auch nicht gewesen sein – am Plattencover posiert Voodoos Vater.
Dass Voodoo Jürgens nicht nur alltagskulturell, sondern auch künstlerisch vielseitige Einflüsse gehabt haben muss, ist selbst ohne Droogieboyz-Sample unbestritten. Bei den 13 Anspielstationen kann man sich stellenweise vielleicht ein bisschen an Bob Dylan („Auf das Stroßn“, „A gscheida Bua“) oder ein bisschen mehr an Kurt Sowinetz („Nochborskinda“, „Faung da nix aun“) und auch ein wenig an die Kultradionsendung Projekt X („Alimente“) erinnern – die Voodoo Jürgens Kombination bleibt jedenfalls einmalig. Das Pop-übliche Strophe-Refrain-Strophe-Schema wird mehrfach gebrochen – „Heite grob ma Tode aus“ ist die Ausnahme. Dafür wird die vom Wienerlied bis zum Austropop bestehende Tradition der Todeslieder auch mit „Weh au Weh“ fortgesetzt. Außerdem setzt Eva Billisich als „Gitti„, zu einem fulminanten Comeback an – der älteren Generation wird sie vor allem als Evelyne Schöbinger von „Muttertag“ in Erinnerung geblieben sein. Die Befürchtung, dass bekannte Konzert-Lieder fehlen würden, bewahrheitete sich zwar – die Gelegenheit, „Roni„, „Wien bei Nacht“ und „Zimmer, Kuchl, Kabinett“ live zu hören, wird sich aber wohl bald wieder ergeben. Das Album ist auf Vinyl und auch CD, sowie MP3 zu haben. Bitte liebe Rapper – schaut’s euch da was ab!
„Es is mia wuascht, wo du her bist oda
wos du mochst.
Hauptsoch is, das’d jetzt do bist“
(Voodoo Jürgens – In deiner Nähe)
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